Verfassungsklage gegen Studiengebühren

In Hessen soll der Staatsgerichtshof über die Einführung der umstrittenen Abgabe entscheiden

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Kontroverse Debatten, Demonstrationen und Boykottversuche haben die Einführung von Studiengebühren in sieben Bundesländern bislang nicht verhindern können. Doch die Auseinandersetzung um das Für und Wider ist damit noch keineswegs beendet. In Hessen, wo die Studierenden ab dem kommenden Wintersemester 500 Euro pro Halbjahr bezahlen sollen, wird der Streit nun wohl vor Gericht entschieden. Bis Ende Mai konnten die Gebührengegner deutlich mehr als 40.000 Unterschriften sammeln – 43.308 werden gebraucht, um beim Staatsgerichtshof Verfassungsklage einzureichen und die Rechtmäßigkeit der Abgabe in einem Normenkontrollverfahren überprüfen zu lassen. „Uns fehlen nur noch wenige hundert Unterschriften. Die Klage kann also sicher eingereicht werden“, erklärte der AStA Frankfurt gestern auf Nachfrage von Telepolis. Doch Hessen ist kein Einzelfall. Auch in anderen Bundesländern sind immer häufiger die Juristen gefragt.

Im Oktober 2006 hatte die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, die mit absoluter Mehrheit die Regierung um Ministerpräsident Roland Koch stellt, das sogenannte Studienbeitragsgesetz verabschiedet und damit den Weg zur Einführung von Gebühren freigemacht. Oppositionsparteien, protestierende Studenten und Verbände, welche die Verfassungsklage unterstützen, berufen sich dagegen auf § 59 der Hessischen Verfassung, in dem die Unentgeltlichkeit des öffentlichen Unterrichts ausdrücklich festgeschrieben scheint:

(1) In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten. Das Gesetz muß vorsehen, daß für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind. Es kann anordnen, daß ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet. (2) Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.

§ 59 - Hessische Verfassung

Eigentlich hätten die Unterschriftensammler ein Jahr Zeit gehabt, um ein Hunderstel der wahlberechtigten Hessinnen und Hessen von der Notwendigkeit einer Normenkontrollklage zu überzeugen. Da der Rechtsstreit aber schnellstmöglich entschieden werden soll, wollen die Initiatoren ihre 43.308 Klageformulare bereits am 22. Juni einreichen. Anwälte und Verfassungsrechtler sollen das Anliegen der Gebührengegner dann vor dem Staatsgerichtshof vertreten, um die Entscheidung des Landtags vielleicht doch noch rückgängig zu machen.

Derweil hat der zuständige Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts, mehrfach erklärt, dass er im vorliegenden Fall keine verfassungsrechtlichen Konflikte erkennen kann. Ein sozialverträglich gestaltetes Gesetz sei mit Artikel 59 durchaus vereinbar und eben diese Eigenschaft schon durch den Umstand garantiert, dass die Studierenden ohne Bonitätsprüfung ein Darlehen gewährt bekommen, dessen Rückzahlung einkommensabhängig erfolgen könne.

Juristisches Tauziehen

Wer den Kampf um die Interpretationshoheit am Ende gewinnt, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Immerhin reicht die Kette mitunter überraschender Entscheidungen von der grundlegenden Aufhebung des Gebührenverbots durch das Bundesverfassungsgericht bis zur vorläufigen Feststellung des Verwaltungsgerichts Bremen, eine Gebührenpflicht für Studierende, die ihren Hauptwohnsitz nicht in Bremen haben, sei in der vom damaligen rot-schwarzen Senat angedachten Form rechtswidrig. Die „Landeskinderregelung“, die im SPD-regierten Rheinland-Pfalz ebenfalls auf der Agenda stand, wurde daraufhin zunächst auf Eis gelegt.

Die rechtlichen Bedenken gegen die Einführung von Studiengebühren erhielten vor wenigen Tagen durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg weiteren Auftrieb. Demnach war die Entscheidung des Rektors der Universität Siegen, bei der maßgeblichen Senatssitzung am 13. Juli 2006 die Öffentlichkeit auszuschließen, um so ungestört die umstrittene Abgabe auf den Weg bringen zu können, ganz offenkundig rechtswidrig.

Auch in Bayern hat der juristische Widerspruch, der zunächst von der Universität Würzburg ausging, mittlerweile landesweit Kreise gezogen. Anfang Mai reichten mehr als 1.000 Studenten eine Popularklage gegen das neue, im Mai 2006 verabschiedete Bayerische Hochschulgesetz beim Verfassungsgerichtshof ein. Die Organisatoren rechnen hier allerdings mit einem mehrjährigen Verfahren. Bis zur endgültigen Entscheidung sollen die Studierenden ihren Beitrag „unter Vorbehalt“ zahlen, damit sie die Gebühren im Erfolgsfall zurückerstattet bekommen.

Nächste Runde im Gebührenboykott

Viele Studierende wollen nicht solange warten und nehmen ihr Schicksal bis dahin selbst in die Hand. In Darmstadt, Frankfurt am Main, Gießen, Kassel, Marburg und Wiesbaden laufen derzeit die Vorbereitungen für einen Gebührenboykott, der Anfang des Jahres an vielen Hochschulstandorten in Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen mit teilweise entmutigenden Abstimmungsergebnissen scheiterte. Auch in Hessen muss ein bestimmtes Quorum erreicht werden, das im Frühjahr nur einige kleine Hochschulen zustande brachten. Wenn sich nicht viele tausend Studierende entschließen, ihre Gebühren vorerst auf einem Treuhandkonto zu parken, um so Druck auf die Universitäts- und Fachhochschulleitungen auszuüben, wird das eingezahlte Geld schließlich doch auf die Konten überwiesen, auf denen es die Gebührenbefürworter gerne sehen möchten. Dabei liegen die Hürden hoch. An der Universität Frankfurt müssten sich rund 6.000 Studentinnen und Studenten beteiligen, um den Boykott ins Rollen zu bringen, in Marburg sind es 4.000. Die Studentenvertretung der Fachhochschule Gießen-Friedberg hat ein Quorum von 25 Prozent beschlossen, in Kassel genügen schon 22 Prozent.

Ob diese Zahlen erreicht werden, erscheint allerdings fraglich. In Hamburg läuft derzeit ebenfalls ein Boykottversuch, der bis zum 8. Juni 2007 abgeschlossen werden soll. Von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wo das Unternehmen bereits beendet wurde, gab es zwar vergleichsweise optimistische Meldungen, da das Quorum von 3.210 Studierenden mit 2.813 Beteiligten nur denkbar knapp verfehlt wurde. An der Universität liegt es allerdings bei 10.000, und bislang haben sich erst 1.886 Studierende (Stand: 29. Mai 2007) an der Aktion beteiligt. An der TU Harburg fanden sich lediglich 186 Boykotteure (Stand: 29. Mai 2007) bereit, ihr Geld auf ein Treuhandkonto zu überweisen – benötigt werden 1.333.

Nebeneffekte

Wie sich die Studiengebühren in den Bundesländern auswirken, in denen sie bereits erhoben werden, lässt sich noch nicht im einzelnen und verlässlich abschätzen. Feststeht allerdings, dass sich zahlreiche Studierende exmatrikuliert haben und viele Studienanfänger überlegen, ob die akademische Laufbahn sich unter diesen Umständen noch lohnt oder ob es nicht sinnvoll wäre, in ein Bundesland zu wechseln, in dem ein gebührenfreies Erststudium noch möglich ist.

Gebühren- heißt allerdings nicht unbedingt kostenfrei, wie das Beispiel Thüringen zeigt. Auf der Basis des neuen Thüringer Hochschulgesetzes wird hier ab dem kommenden Wintersemester ein Verwaltungskostenbeitrag in Höhe von 50 Euro erhoben, so dass die Gebühren für die Rückmeldung sich auf 111,50 Euro summieren könnten. Zum Stichwort „summieren“ gibt es denn auch aufschlussreiche Berechnungen des Statistischen Bundesamtes. So hat die Einführung der Studiengebühren in den fünf Bundesländern Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern im April 2007 zu einer Preiserhöhung im Bildungswesen von 28,5 Prozent gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres geführt. Die Jahresteuerungsrate erhöhe sich allein dadurch um 0,2 Prozent-Punkte, ermittelten die Statistiker.

Etikettenschwindel

In vielen Fällen sorgen die Hochschulen selbst dafür, dass der Protest gegen Studiengebühren nicht zum Erliegen kommt. Denn die oft sogar im Gesetzestext verankerte Behauptung, die zusätzlichen Gelder würden ausschließlich zur Verbesserung der Studienbedingungen verwendet, erwies sich immer wieder als Worthülse und dehnbarer Begriff.

Dem Beispiel der Universität Ulm, welche die Campusmaut zur Deckung ihrer Heizkosten verwenden wollte, folgten zahlreiche andere Hochschulen, um endlich Geld für die Renovierung einer Turnhalle (Passau), die Sanierung von Hörsälen (Göttingen), die Erneuerung der Bestuhlung (Hannover) oder sonstige bauliche Maßnahmen zur Verfügung zu haben. An der Universität Lüneburg werden stolze 1,5 Millionen Euro unter dem Stichwort „Reserve“ verbucht. Diese für das Jahr 2007 zur Verfügung stehende Summe war Mitte April überhaupt noch nicht für konkrete Projekte verplant worden.

Andernorts dachte man schneller mit und bereitete sich frühzeitig auf den Geldsegen vor, der pro Jahr zwischen 14 (Saarland) und 280 Millionen Euro (Nordrhein-Westfalen) beträgt. In Freiburg wurden Gelder für Exkursionen und Lehraufträge gestrichen, die plötzlich wieder bezahlt werden können. Auch andere Hochschulen haben Projekte und Personalbestand vorauseilend gesenkt und finanzieren das vorherige Standardangebot nun mit den Gebühren ihrer Studentinnen und Studenten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das juristische Tauziehen leicht. Ein Ende der Auseinandersetzungen ist vorerst nicht in Sicht.