Lage der Pressefreiheit in Mexiko verschlimmert sich

Zwei ermordete und zwei verschwundene Journalisten, abgeschnittene Köpfe als Drohbotschaften und kein Schutz der Regierung

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Mexiko hatte sich schon unter der konservativen Regierung von Vincente Fox zum zweitgefährlichsten Land weltweit für Journalisten entwickelt. Doch seit dem umstrittenen Amtsantritt von dessen Parteifreund Felipe Calderón (Politische Wirren in Mexiko) ist die Lage keineswegs besser geworden. Weitgehend unbeachtet gehen die Angriffe auf die Pressefreiheit weiter. Seit mehr als drei Wochen sind zwei Reporter verschwunden. Schon zweimal wurden abgeschnittene Köpfe als Drohungen gegenüber Zeitungen benutzt und nach zwei Bombenanschlägen hat eine Zeitung ihr Erscheinen eingestellt, weil die Behörden die Journalisten nicht schützen.

Weltweit wird derzeit darüber gestritten, wie stark die Pressefreiheit eingeschränkt wird, weil die Regierung Venezuelas die ausgelaufene Lizenz eines privaten Fernsehsenders nicht verlängert hat, der in einen Putsch gegen die Regierung verstrickt war (Gefahr für die Meinungsfreiheit). In dieser Diskussion wird meist aus den Augen verloren, was sich ganz in der Nähe abspielt. Mexiko rückte im letzten Jahr, hinter dem Irak, zum zweitgefährlichsten Land der Welt für Journalisten auf, erklärte die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) in ihrem Jahresbericht für 2006. Neun Journalisten haben allein 2006 dort das Leben verloren (Angriff auf Streikende in Oaxaca). Eine Aufklärung der mehr als 20 Journalistenmorde in der Amtszeit Fox gab es nicht, kritisiert RSF die Straflosigkeit für die Täter.

Leider haben mit der Amtsübernahme von Calderón die Angriffe nicht aufgehört. Allein im April wurden zwei Journalisten ermordet. Zuletzt wurde am 16. April die Leiche von Saúl Martínez Ortega gefunden. Der 36-Jährige war eine Woche zuvor im nordwestlichen Bundesstaat Sonora verschwunden und seine Leiche tauchte dann eine Woche später auf. Mitgezählt ist hierbei nicht ein merkwürdiger Fall, bei dem die Leiche eines Journalisten im Januar gefunden wurde, der zwei Monate lang als verschwunden galt. Die offizielle Erklärung lautet, er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Schon seit mehr als drei Wochen sind zwei Berichterstatter des Fernsehsenders TV Azteca verschollen. Gamaliel López und Gerardo Paredes verschwanden am 10. Mai im nordöstlichen Bundesstaat Monterey. Dass die beiden noch einmal lebend auftauchen, davon geht niemand ernstlich aus. "Das erhöht die Liste der verschwundenen Journalisten seit 2003 auf sieben", heißt es in einer Erklärung von RSF. Nach dem Fund des toten Ortega müsse man auch bei den beiden das Schlimmste befürchten.

Heftige Einschüchterungsversuche werden auch aus dem südlichen Bundesstaat Tabasco gemeldet. Dort wurde der vom Torso abgetrennte Kopf des Lokalpolitikers Terencio Sastré in einem Kühlbehälter der Zeitung Tabasco Hoy von einer Person übergeben. Der Rest der Leiche fand sich später auf der Müllhalde. Für die Zeitung handelt es sich um einen klaren Einschüchterungsversuch und auch sie forderte die lokalen Behörden und den Präsidenten Calderón auf, die Sicherheit der Journalisten zu garantieren.

Massiv eingeschüchtert wird seit einem Jahr auch die Tageszeitung Cambio Sonora. Das Blatt aus Hermosillo, Hauptstadt des Bundesstaates Sonora, der auffällig oft im Rahmen von Angriffen auf Pressevertreter genannt wird, wurde letzte Woche vorläufig geschlossen, weil der Verleger um das Leben seiner Mitarbeiter fürchtet. "Ich habe diese schmerzliche und schwierige Entscheidung wegen des hohen Risikos für das Leben der 250 Mitarbeiter der Zeitung getroffen", schrieb Direktor Mario Vásquez Raña. Zwei Mal wurde die Zeitung angegriffen, zunächst mit einer Bombe und danach mit Splittergranaten. Das zweite Attentat hätte beinahe das Leben von zwei Journalisten und einem Wächter der Zeitung gekostet.

Nur Apathie der Politiker?

Trotz weiterer Drohungen unternahmen die Behörden nichts zum Schutz der Zeitung und ihrer Beschäftigten, kritisierte Vásquez Raña, der auch Vorsitzender des Mexikanischen Verlegerverbands OEM ist. Er macht für die Schließung letztlich den Gouverneur des Bundesstaats Sonora verantwortlich.

Eduardo Bours Castelo will die Kommunikationsmedien dazu zwingen, die Augen zu verschließen, es wird Druck ausgeübt, damit die Berichterstatter nachgeben und eine fiktive Realität in rosaroten Farben beschreiben, während in den Straßen die Mörder der Drogenhändler den Boden mit Blut tränken.

Der Gouverneur behauptete, er sei von der Einstellung des Erscheinens erstaunt, schließlich habe man besondere Schutzmaßnahmen geplant. Warum die aber nicht sofort nach dem Anschlag am 16. Mai getroffen wurden, wenn nicht schon nach dem ersten Anschlag vor einem Jahr, darüber schweigt er sich aus. Interessant ist auch, wie schnell die Regionalregierung die Anspielung auf die Drogenhändler aufnahm und sie zu den Verantwortlichen der Anschläge erklärte.

So meldete sich der Vázquez Raña noch einmal zu Wort und fragte nach Beweisen dafür, dass die Drogenmafia hinter den Attacken steht. "Man weiß nicht, ob es die Drogenhändler oder andere Feinde der Zeitung waren", sagte er. Jederzeit könne man die Zeitung wieder öffnen, wenn die Polizei für Sicherheit sorge, doch das ist bisher nicht geschehen. Nur unterschwellig deutet der Zeitungsdirektor an, dass auch die Sicherheitskräfte oder die Regierung selbst in die Vorgänge verstrickt sein könnten.

Dass höchste Kreise in der Lokalregierung in Morde an Journalisten in Sonora verstrickt sein sollen, das hat ein Polizist aus Sonora schon im Januar vor der Nationalen Menschenrechtskommission CNDH) ausgesagt. Jesús Francisco Ayala Valenzuela beschuldigte Kreise im direkten Umfeld des Gouverneurs, für das Verschwinden des Journalisten Alfredo Jiménez Mota im April 2005 aus Hermosillo verantwortlich zu sein. Jiménez Mota gehört zu den sieben verschwundenen und vermutlich ermordeten Journalisten. Der Journalist der Netzzeitung El Imparcial hatte die Verwicklungen zwischen der Regionalregierung, der Ex-Staatspartei "Partei der Institutionellen Revolution" (PRI), und der Drogenmafia recherchiert.

Jiménez Mota hatte zum Beispiel über die merkwürdige Freilassung des Drogenbosses Raúl Enríquez Parra berichtet, obwohl bei ihm im Auto Drogen und Waffen gefunden wurden. Dem Journalisten waren auch abgehörte Telefonate zugespielt worden, die eine Verbindung des Drogenhändlers ins Umfeld des Gouverneurs belegten. Man ließ ihn verschwinden, als er sich mit einer seiner Quellen treffen wollte.

Die Anschuldigungen des Journalisten wurden vor der Menschenrechtskommission von dem Polizisten bestätigt. Polizeichefs, Staatsanwälte und der Bruder des Gouverneurs seien die intellektuellen Köpfe, die hinter dem Verschwinden des Journalisten steckten. "Die Aufklärung des Falls Jiménez Mota kann als Probe für die neue Regierung im Kampf gegen die Straflosigkeit gesehen werden", forderten Reporter ohne Grenzen Aufklärung von der Regierung Calderón.

Die Prüfung hat Calderón bestanden, allerdings nicht in dem Sinne, wie es RSF gerne gesehen hätte. Zwar führt Calderón offiziell einen Krieg gegen die Drogenmafia und das Organisierte Verbrechen, doch ist auffällig, wie bestimmte Bereiche ausgeklammert werden, zu denen schon Hinweise und Aussagen vorliegen. Calderón hat 20 000 Soldaten in seinen "Drogenkrieg" geschickt, um den Kartellen die Macht zu entreißen. Doch offenbar geht er mit den Verstrickungen in die Politik sehr vorsichtig um.

Kritik am Drogenkrieg der Regierung

Es ist offensichtlich, dass der Wackelpräsident nicht seinen Mehrheitsbeschaffer PRI angreifen will, den er zum Regieren braucht. So hat er der PRI schon mit brutalster Gewalt in der Unruheprovinz Oaxaca die heißen Kartoffeln aus dem Feuer geholt. Ähnlich loyal verhält er sich offenbar auch weiter zu ihr in Sonora. Mit der PRI muss sich der Konservative, der den Vorwurf nicht abstreifen konnte, nur per Wahlbetrug an die Macht gekommen zu sein, sich gegen den Schattenpräsidenten halten.

Andrés Manuel López Obrador, der sich von Hunderttausenden zum "legitimen Präsidenten" küren ließ (Spannung steigt in Mexiko), macht weiter Calderón die Macht streitig. Dessen Linksbündnis um die "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) mobilisiert immer wieder Massen gegen die Politik der Regierung. Ob es die Tortilla-Krise ist, weil viele Mexikaner die Maisfladen nicht mehr bezahlen können, ob gegen die Rentenreform oder die Privatisierung des Energiesektors, immer wieder gelingt es, zahllose Menschen gegen Calderóns Politik zu mobilisieren.

Nun greift Obrador den "Usurpator" Calderón auch heftig wegen dessen "Drogenkrieg" an. Denn bis auf die Tatsache, dass dabei schon 1.000 Menschen seit Jahresbeginn das Leben verloren haben, ist nicht bisher viel bei dem Feldzug herausgekommen. Calderón habe das Land aber in eine "große Unsicherheit" und ins "Chaos" gestürzt, die sich inzwischen schon auf das gesamte Land ausgebreitet habe, sagte Obrador..

Ohnehin stehen für Calderón harte Zeiten an. Mexikos Hauptexportgut sind inzwischen die illegalen Auswanderer in die USA (Emigranten sind Mexikos wichtigster Exportartikel) geworden. Doch deren Überweisungen in die Heimat stagnieren wegen der kriselnden Lage in den USA. Dieses Geld macht drei Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsprodukts aus. Sollte es in den USA zu einer Rezession kommen, hätte das deutliche Auswirkungen auf die Ökonomie in Mexiko und würde zu einer weiteren Verschärfung der angespannten sozialen und politischen Lage führen.