Durchbruch bei Heiligendamm

Die Globalisierungsgegner feiern den erfolgreichen Sturm auf den Zaun von Heiligendamm, das Bundesverfassungsgericht verbietet den Sternmarsch und bezeichnet das Sicherheitskonzept der Polizei als verfassungswidrig

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die verschiedenen Gesichter des Protests gegen den G8-Gipfe konnte man am Mittwoch sehr genau beobachten. In der Altstadt von Rostock hatten sich am Vormittag Menschen mit Jutetaschen und Birkenstocksandalen zum Alternativen G8-Gipfel zusammen gefunden. In den gut besuchten Plenumsdiskussionen und Arbeitsgruppen wurde über Alternativen zur gegenwärtigen Wirtschaftsordnung nachgedacht. Viel Applaus fanden die Redner, die sich für eine Abschaffung von Weltbank und IWF aussprachen.

Nur knapp 20 Kilometer davon entfernt gab es andere Bilder. Tausende Menschen blockierten seit dem Vormittag die Zufahrten nach Heiligendamm. Heiligendamm war zeitweise nicht auf dem Landweg erreichbar. Doch zuvor gelang den Gipfelgegner noch ein weiterer Propagandacoup.

In der Sicherheitszone auf dem Weg nach Heiligendamm. Bild: indymedia.org

Tausende Demonstranten überschritten die Sicherheitslinien und versammelten sich am zwölf Kilometer langen Schutzzaun rund um das Tagungshotel Kempinski in Heiligendamm. Bis zum Abend befanden sich ca. 10.000 Globalisierungsgegner in einem Gebiet, in dem Demonstrationen nach der von der Polizei erlassenen und vom Gericht bestätigten Allgemeinverfügung verboten sind. So wurde das seit Wochen heftig diskutierte und kritisierte Demonstrationsverbot um den Zaun praktisch außer Kraft gesetzt. Es gab nach Augenzeugenberichten während der Blockaden immer wieder Situationen, wo die Gefahr der Eskalation zwischen Demonstranten und der Polizei bestand. So hieß es gegen 21 Uhr, dass die Polizei das Rostocker Protestcamp, in dem Tausende Globalisierungskritiker seit mehreren Tagen übernachten, umstellt hätte. Prompt lösten sich einige Aktivisten aus der Blockade und fuhren nach Rostock. Doch nach ca. 30 Minuten wurde die Blockade wieder aufgehoben.

Sprecher der Initiative Block-G8, die die Blockaden vorbereitet hatte, äußerten sich sehr zufrieden mit der Zahl der Teilnehmer und dem Ablauf der Aktion. Sie hoben besonders die hohe Zahl der Teilnehmenden an einem Wochentag als großen Erfolg hervor. Auch die vor allem von der Springerpresse orchestrierte Kampagne gegen die Globalisierungskritiker nach der nicht immer friedlich verlaufenden Großdemonstration am vergangenen Samstag habe seine Wirkung verfehlt, meint ein Sprecher der Interventionistischen Linken, die an der Blockadevorbereitung beteiligt war, gegenüber Telepolis.

Es gab am Mittwochabend auch einige wenige kritische Stimmen, die die Blockaden als nur symbolische Aktionen, die den Ablauf des Gipfels nicht real stören konnten, bezeichneten. Tatsächlich sei die Anreise der G-8-Staats- und Regierungschefs sowie ihrer Delegationen auf dem Flughafen Rostock-Laage nach offiziellen Angaben durch die Blockaden nicht behindert worden. Die Staats- und Regierungschefs seien wie vorgesehen mit dem Hubschrauber nach Heiligendamm gebracht, ihre Delegationen zu nahe gelegenen Hotels. Journalisten wurden mit Schiffen transportiert. Allerdings hatten schon im Vorfeld Vertreter vom Block G8- Bündnis betont, dass eine Blockade der Gipfelgäste kaum möglich sein werde. Deshalb haben sie die Beeinträchtigung der Gipfel-Infrastruktur, wie Dolmetscher, als Hauptziel der Blockaden definiert.

Greenpeace gelang es heute, mit mehreren Booten in die Sperrzone vor Heiligendamm zu gelangen, um eine Petition an die G8-Regierungschefs zu überbringen. Bild: http://www.interpool.tv/

Gewaltfreier Protest in Sichtweite muss auch bei den mächtigsten Männern und Frauen der Welt möglich sein, sagt Jörg Feddern, Greenpeace-Klimaschutz-Experte. Da die Beratungen zum Klimaschutz seit gestern in eine ernste Krise geraten sind, hat sich Greenpeace zu dieser Aktion von Wasserseite aus entschlossen.

Die Greenpeace-Flottille, die von Südwest in das gesperrte Seegebiet gefahren ist, besteht aus Katamaran-Schlauchbooten, klassischen Schlauchbooten und zwei Sechs-Meter-Schiffen. Ein kleines Schlauchboot und eines der Sechs-Meter-Boote wurde von einem Polizeiboot überfahren. Drei Aktivisten wurden verletzt.

Mitteilung von Greenpeace

Verbot des Sternmarsches bestätigt

Auch an der juristischen Front sehen sich die Anwälte der Gipfelgegner als moralische Sieger, wenn sie auch in der Sache verloren haben. Das Bundesverfassungsgericht hat den für Donnerstag geplanten Sternmarsch in Richtung Heiligendamm ebenso verboten, wie die drei später angemeldeten Ersatzveranstaltungen außerhalb der beiden Verbotszonen. Grundlage des Verbots ist die Bewertung des Demonstrationsgeschehens am 2.Juni und den nachfolgenden Tagen durch die Polizei. In der Sache aber erklärte das Gericht sowohl die Allgemeinverfügung als auch die Entscheidung des OVG Greifswald für verfassungsrechtlich bedenklich.

Das BVerfG betont, der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasse das Interesse der Veranstalter auf einen „Beachtungserfolg in möglichst großer Nähe zum symbolhaltigen Ort“. Die „bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ könne ein Versammlungsverbot ebenso wenig rechtfertigen wie "Empfindlichkeiten ausländischer Politiker". Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sei gerade „dem Schutzbedürfnis der Machtkritik“ erwachsen. Dies gelte auch für ausländische Staatsgäste.

Das BVerfG rügt das polizeiliche Sicherheitskonzept als verfassungswidrig, weil es von vornherein der Versammlungsfreiheit nicht Rechnung trägt. Ein "Schutzraum" für die "staatliche Veranstaltung" des Gipfeltreffens sei nicht zu beanstanden, die Ausdehnung des Schutzraumes auf die Verbotszone II mit einem mehrtägigen absoluten Versammlungsverbot allerdings nicht zu rechtfertigen.

Das Gericht bezeichnet das Sicherheitskonzept darüber hinaus als ausdrücklich "gegen die Durchführung von Versammlungen gerichtet", da von Beginn an die Versammlungsfreiheit „keine Chance zur angemessenen Verwirklichung“ hatte. "An dem Sicherheitskonzept ist an keiner Stelle zu erkennen, dass auch Anliegen der Durchführung friedlicher Demonstrationen, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen den G8 Gipfel, eingeflossen sind", heißt es in der Entscheidung.

„Auch wenn wir das Ergebnis zutiefst bedauern, weil den Veranstaltern die Möglichkeit zu friedlichem Protest genommen wird: Diese Entscheidung ist inhaltlich - nach der Begründung - ein voller Erfolg für die Versammlungsfreiheit und eine schallende Ohrfeige für die obrigkeitlichen Vorstellungen der Polizeibehörde Kavala und des OVG Greifswald", kommentierten die Rechtsanwälte Donat und Gericke die Entscheidung. Heute wird sich zeigen, ob das Demonstrationsverbot umgesetzt werden kann oder ob es wie am Mittwoch von der Masse der Demonstranten faktisch außer Kraft gesetzt wird.