Die Herren der Samen

Wie neoliberale Globalisierung die Ernährungssicherheit in Costa Rica und anderswo bedroht

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(Voces Nuestras, San José)

Vögel zwitschern fröhlich. Noch ist der Himmel blau, aber schon ziehen erste dunkle Wolken am Horizont auf. Im mittelamerikanischen Costa Rica beginnt die Regenzeit. Ines Mora - die Enddreißigerin ist gerade einmal 1,50 Meter groß - ist von ganzem Herzen Campesina und strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie von ihrer Arbeit als Kleinbäuerin erzählt. Seit zehn Jahren betreibt sie mit ihrem Mann einen bescheidenen Hof in den saftig-grünen Hügeln der zentralen Hochebene Costa Ricas; in Sichtweite der Zwillingsvulkane Irazú und Turrialba.

Vor vier Jahren sattelten die beiden von traditionellem Anbau um auf biologischen. Zu Biobauern wurden sie aus reiner Überzeugung, staatliche Hilfen gibt es bis heute nicht in Costa Rica, genauso wenig wie spezielle Bioläden. Aber der Verzicht auf chemische Substanzen zahlt sich aus, der Boden ist fruchtbar wie nie zuvor. Eine Monokultur lehnen die Moras ab, sie pflanzen auf weniger als einem Hektar Kartoffeln, Bohnen, Mais, Karotten, Tomaten und vieles andere mehr. Diese Vielfalt lockt auch die Vögel an und macht den Hof zu einem kleinen Paradiesgarten.

Doña Ines konnte weitere Kleinbauern der Region für ihren Ansatz begeistern, mit sieben von ihnen hat sie sich zu einer kleinen Verkaufskooperative zusammen geschlossen, gemeinsam organisieren sie den wöchentlichen Verkauf auf dem einzigen Biomarkt in der Hauptstadt San José.

Das ist keine Ausnahme, generell organisieren die Campesinos ihr Leben sehr solidarisch. Seit jeher tauschen sie Saatgut untereinander. Einmal im Monat kommen zum Beispiel die Biobauern der Region zusammen, diskutieren über den Anbau und stellen Samenkörner für alle anderen zur Verfügung. Vielerorts haben Campesinos so genannte „Saatheiligtümer“ gut bestückt, bei denen sich ihre Mitbauern bedienen können.

Tradition wird zum Delikt

Doch diese Grundlage der Arbeit der Kleinbauern ist weltweit in Gefahr. Transnationale Konzerne haben erkannt, dass mit Saatgut viel Geld zu machen ist. Noch vor zwanzig Jahren gab es tausende kleiner und kleinster Agrarfirmen auf der Welt, die Saatgut verkauften. Keine dieser Unternehmen verfügte über mehr als einen Prozent Marktanteil. Im Zuge der Globalisierung konzentrierte sich das Saatgeschäft in den Händen immer weniger, aber sehr großer Konzerne. Heute kontrollieren allein die Top Ten dieser Unternehmen bereits mehr als ein Drittel des Weltmarktes.

Die Umweltexpertin und emeritierte Uni-Professorin (Universidad Nacional de Costa Rica) Silvia Rodriguez sieht in der neoliberalen Globalisierung eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit in Costa Rica und anderswo.

Zum einen haben wir die Bedrohung für das Saatgut studiert, das zunehmend von trans-nationalen Konzernen kontrolliert wird und somit den Bauern entzogen wird. Ich habe mich zudem im Bereich Copyright auf Saatgut spezialisiert. Die Ernährungssicherheit wird hier aus zwei Richtungen gefährdet: Einerseits durch den Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen UPOV, andererseits auch den Druck, der durch das Freihan-delsabkommen CAFTA in Richtung Patentierbarkeit von Pflanzen ausgeübt wird.

Silvia Rodriguez)

Sollte das CAFTA-Freihandelsabkommen (spanisch TLC) mit den USA in Costa Rica ratifiziert werden, dann erkennt das kleine Land auch automatisch das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen an. Überwacht wird dieses vom Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV), einer zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf (Schweiz). Das UPOV-Übereinkommen wurde im Jahre 1961 in Paris beschlossen und in den Jahren 1972, 1978 und 1991 überarbeitet. Ziel des ist es nach eigenen Angaben, das Recht des geistigen Eigentums so fortzuentwickeln, dass es Pflanzenzüchtungen schützt und damit die Entwicklung neuer Pflanzensorten begünstigt.

UPOV schützt die Großen

Für Silvia Rodriguez sind es indes nicht Pflanzenzüchtungen, die von der UPOV geschützt werden, sondern die Interessen der großen Konzerne, die durch Gentechnik Saatgut verändern und dieses dann patentieren. Bislang sah das auch die Parlamentsmehrheit so, die UPOV die Zustimmung verweigerte. Aber CAFTA würde diese Entscheidung brechen.

Die UPOV-Kritiker verweisen auf einen Präzedenzfall des Rapsbauern Percy Schmeiser aus Kanada, auf dessen Feld genverändertes Saatgut von angrenzenden Feldern geriet. Der Konzern Monsanto hatte dieses Saatgut patentiert und verklagte den Landwirt wegen Diebstahl geistigen Eigentums. Dieser wehrte sich dagegen, er habe von der Durchmischung des Saatguts nichts gemerkt. Der Fall ging durch mehrere Instanzen, am Ende gewann Monsanto.

Nach Angaben der internationalen Nichtregierungsorganisation ETC Group befanden sich im Jahr 2001 bereits 74 Prozent der Patentrechte in der Landwirtschaft in den Händen von sechs gigantischen Konzernen: 25 Prozent gehörten Pharmacia (bis 2002 inklusive Monsanto), 20 Prozent DuPont, 13 Prozent Syngenta (Fusion aus Novartis und AstraZeneca), 11 Prozent Dow, 6 Prozent Aventis (Fusion aus Hoechst und Rhóne Poulenc) sowie 3 Prozent Grupo Pulsar. Die Organisation geht davon aus, dass sich der Konzentration weiter fortsetzt.

Grafik: ETC Group

Aber bietet UPOV nicht auch Kleinbauern die Möglichkeit, ihr eigenes Saatgut zu patentieren? Silvia Rodriguez denkt Nein.

Selbst wenn es der Bauer wollte, könnte er nicht. Denn kein Kleinbauer kann mit seinen bescheidenen Mitteln die Kriterien des UPOV erfüllen. Außerdem wären die Kleinbauern sowieso nicht interessiert, denn die Kultur der Campesinas basiert auf Solidarität. Wenn sie das Saatgut verbessern, dann machen sie das, um es mit ihren Nachbarn zu teilen. Auch mit sehr weit entfernten Nachbarn.

Silvia Rodriguez

Saatgut weiterentwickeln, mit den Nachbarn tauschen und in der nächsten Saison erneut aussäen, das ist seit Jahrhunderten die traditionelle Tätigkeit der Campesinos, von denen in Mittelamerika sehr viele Indígenas sind. Diese Tradition, dieses Recht der Kleinbauern, droht nun zu einem Delikt zu werden.

Auf der anderen Seite ist das Geschäft mit Saatgut schon heute ein Bombenerfolg: Im Jahr 2005 verdienten die 18 größten Lifescience-Unternehmen mit Saatgut weltweit 7 Milliarden US-Dollar.

Blick nach Mexiko in Zorn

Silvia Rodriguez hält die Landwirtschaftspolitik der Regierung des rechten Sozialdemokraten Oscar Arias (PLN) für grundsätzlich falsch. Gefördert werden ausschließlich Monokulturen von Exportprodukten wie Ananas oder Melonen, allesamt Früchte, die nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehören. Diese Politik habe aus dem Blick verloren, dass die Sicherung der Ernährungssouveränität ein zentrales Anliegen jeden Staates sein sollte.

Mit Sorge blicken die Landwirte Costa Ricas nach Mexiko, wo mit NAFTA bereits im Jahr 2004 ein Freihandelsabkommen nach gleichem Strickmuster wie CAFTA in Kraft trat (Emigranten sind Mexikos wichtigster Exportartikel). Durch das Aufheben jeglicher Zollgrenzen wurde Mexiko - bis dato größter Maisproduzent der Welt - von staatlich hoch subventionierten Billigmaisimporten aus den USA überschwemmt. Der armen Bevölkerungsmehrheit war oftmals nicht bewusst, woher der preisgünstige Mais kam und dass es sich um genveränderte Produkte handelte. Nur wenige der kleinen und mittleren mexikanischen Landwirte konnten der Pleite entgehen. Das Land verlor seine Ernährungssouveränität; Anfang des Jahres 2007 dann das böse Erwachen: Der Preis für Mais verdoppelte sich von einem Tag auf den anderen, weil die Pflanze nun auch für die Produktion von Biotreibstoff genutzt wird (Tortilla-Krise in Mexiko)

Die Mauer an der Grenze zwischen den USA und Mexiko sehen viele Costaricaner symbolisch für NAFTA und CAFTA. Zwölf Jahre in Kraft war das Freihandelsabkommen in Mexiko, als die USA die Mauer errichteten, um verarmte Campesinos daran zu hindern in ihr Land zu reisen. Hätte NAFTA wirklich Wohlstand gebracht, dann hätte es wohl kaum einer solchen Mauer bedurft.

Juan Arguedas, COPROALDE

Wenn es nach Juan Arguedas geht, dann sollte nicht dieses Geld, sondern der Mensch im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen. Juan Arguedas arbeitet in Costa Rica für die Nichtregierungsorganisation COPROALDE. Dieses Netzwerk für alternative Landentwicklung besteht aus Gruppen von Kleinbauern und Indígenas; zu den internationalen Partnern gehört der deutsche Evangelische Entwicklungsdienst (EED). Seit Jahren arbeitet Arguedas mit der Biobäuerin Ines Mora zusammen und zählt ihren Hof zu den erfolgreichen Projekten seiner Arbeit. Er denkt, die Mächtigen beim G8-Gipfel sollten weniger auf die großen Konzerne hören und stattdessen mehr auf die Erfahrungen, welche Organisationen wie COPROALDE überall auf der Welt mit alternativen Anbaumethoden machen, welche auch die ländliche Entwicklung befördern.

Wir könnten den G8-Regierungschefs praktische Beispiele aus unseren Gemeinden zeigen. An den Prozessen für alternative Landentwicklung beteiligen sich immer mehr Menschen in Mittelamerika und darüber hinaus. Wir können beweisen, dass unsere Konzepte funktionieren - sowohl kulturell, sozial als auch ökonomisch. Leider stellen sich die großen Konzerne taub dafür, dass es in unseren Ländern alternative Produktionsweisen gibt. Schade, dass die Mächtigen der Welt unseren praktischen Erfahrungen keine Aufmerksamkeit schenken.

Juan Arguedas