Killerspielalarm in Deutschland

Das schwierige Geschäft der Alterseinstufung und die Sehnsucht nach Eindeutigkeit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Als ehrenamtlich Gutachtende für Computerspiele bei der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK) werden wir in der letzten Zeit des Öfteren über die Schulter angesehen. Wenn selbst gute Freunde die Stirn runzeln, sobald wir von der Arbeit bei der USK erzählen, wird es Zeit, Stellung zu beziehen. Was ist passiert? Vor mehr als einem Jahr wurden Ergebnisse einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. (KFN) unter der Leitung von Christian Pfeiffer in der Öffentlichkeit verbreitet. Diese Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Schulleistungen und Medienkonsum. In den Medien und in Äußerungen politisch Verantwortlicher wird sie zitiert, wenn auf vorhandene oder vermutete Defizite im Jugendschutz hingewiesen werden soll. Da wir Beiträge weiterer Forschungsinstitutionen in der gegenwärtigen Situation vermissen, die sich fundiert und bereits seit Jahren mit Wirkungszusammenhängen von Computerspielen auseinander setzen, da die Debatte in der Öffentlichkeit nur selten das Stammtischniveau verlässt, sehen wir uns veranlasst, einige wichtige Aspekte einzubringen, die wir bisher vermissen.

Faszination der Gewalt oder „… der gute alte Headshot, der sitzt“

Besorgte Eltern und Erzieherinnen schlagen Alarm. Ihre Kinder verbringen Stunden über Stunden vor dem Bildschirm. Noch mehr Besorgnis erregt, was Schulkinder und Jugendliche spielen. Da wird geschossen und geprügelt, da werden Kriege geführt und ganze Armeen vernichtet.

Heutige Ego-Shooter – schießen, hacken, schlagen aus der Ego-Perspektive – haben nichts mehr von der groben Schlichtheit der Computerspiele aus der Anfangszeit, in denen Pixel-Männlein auf Pixel-Monster trafen. Die Hersteller überschlagen sich darin, Spiele immer realistischer zu gestalten, programmieren geradezu fotorealistische Szenen oder Figuren, und der Sound – Schüsse, Schreie und gewaltige Detonationen – lässt so manchen Eltern das Blut in den Adern gefrieren, wenn sie das Kinderzimmer betreten.

Natürlich gibt es auch zahllose Sport-, Geschicklichkeits- und Autorennspiele. Aber kampfbetonte Spiele mit hohem Gewaltanteil üben gerade auf männliche Jugendliche besonderen Reiz aus. Gefragt, was ihn an Shootern interessiere, antwortet der Student Benjamin R.:

Es ist toll, wenn man einen aktuellen Shooter hat, dessen Grafik einen begeistert – sei es durch den Grad an Fotorealismus oder durch einen schönen Stil. Es gibt Shooter, die comicartig aufgezogen sind, was trotzdem sehr realistisch wirken kann. Es ist auch toll, wenn eine gute Story abläuft, wenn die Programmierer sich etwas haben einfallen lassen und man ein Abenteuer bestehen muss. Last, but not least: Dieses Herausforderungsgefühl, der Flavour ist faszinierend.

Natürlich habe ich die Waffen nicht wirklich in der Hand, sondern nur die Maus und die Tastatur, aber man verwächst ein bisschen damit. Wenn das Spiel gut auf die Eingaben reagiert, die man macht, dann hat es wirklich Begeisterungspotenzial! Dann ist man stolz auf sich, auf den guten, alten ‚Headshot‘, der sitzt. Der Gegner wollte mir ans Leder, ich musste mich wehren und habe es geschafft, mich durchzusetzen.

Viele Leute sagen: Shooter sind die Schießbuden des 21. Jahrhunderts. Das stimmt nicht, denn es sind bewegte Ziele, die man treffen muss, und vor allem: Die gegnerischen Figuren schießen zurück! Das ist der Knackpunkt dabei, die fast ein bisschen sportliche Herausforderung. Man kennt das aus der Schule, wenn man beim Völkerball Leute abwirft, ohne selbst abgeworfen zu werden. Wenn man gut darin ist, ist man stolz.

Die „Schießbuden des 21. Jahrhunderts“ werden mit großem Aufwand inszeniert. Im SPIEGEL 23/2006 wird ein Spieleentwickler zitiert:

Also, wenn er jetzt tot wäre, sagt Cevat Yerli, er sitzt auf dem hellgrauen Ledersofa, zurückgelehnt, lässt das Bein schlaff hängen und legt den Kopf nach hinten, um zu zeigen, wie das aussähe, also nur mal angenommen, er wäre eine Leiche, und jetzt würde ihm jemand ins Bein schießen – Yerly feuert mit Daumen und Zeigefinger auf seinen Oberschenkel: "Das muss doch zucken, oder?"

Viele Erwachsene und die Medienöffentlichkeit stehen fassungslos vor diesem Phänomen, und es erscheint auch nicht verwunderlich, wenn reale Massaker wie das in Erfurt, Emsdetten oder Jena die Frage nahe legen: Was hatte der Täter auf dem Computer? Alles klar, es war „Counter Strike“. Dass bei den Tätern aus Tessin in Mecklenburg trotz intensiver Suche kein passendes Computerspiel gefunden wurde – nur eine Ausnahme, die die Regel bestätigt?

In „tv diskurs“, Heft 1/2007, interpretiert Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) das Phänomen hingegen wie folgt:

Viereinhalb Jahre nach dem Amoklauf von Robert Steinhäuser schoss der 18-jährige Bastian B. am 20. November 2006 in seiner ehemaligen Schule wild um sich, es gab zahlreiche Verletzte. Anschließend erschoss sich der Jugendliche selbst. Die Tat hatte er vorher im Internet angekündigt. Bastian galt als intelligent, er war gut in der Schule, aber zunehmend fasziniert von Gewalt und Töten, was er auf seiner Internetseite dokumentierte. Er war der Schule, dem Leben insgesamt negativ gegenüber eingestellt. In der Schule habe er vor allem gelernt, dass man ein Verlierer sei, wenn man nicht das neueste Handy, die neuesten Klamotten und die richtigen Freunde habe. Ohne all das würde man nicht beachtet. …

Integrationsprobleme beim Zurechtfinden in der Welt der Erwachsenen sind bei Jugendlichen nichts Ungewöhnliches, meistens gehen sie bald vorüber. Das war im Fall Bastians anders. Seine Faszination für Gewalt und Tod war offenbar in erster Linie die Reaktion auf Frustration und empfundene Sinnlosigkeit, nicht Folge erhöhter Aggressionsbereitschaft. Sein Amoklauf war weniger eine Aggressionstat, sondern eher ein Selbstmord, der effektvoll inszeniert wurde. …

Wie Millionen andere Jugendliche spielte Bastian auch so genannte Killerspiele. Ist das ein Hinweis darauf, dass es eine kausale Beziehung zwischen seiner Tat und den Spielen gibt? Seine grundsätzlich negative Weltsicht und die Ablehnung des Lebens und der Schule haben wohl kaum etwas mit Computerspielen zu tun. Und wenn man bei solchen Spielen vom Lernen am Modell ausgeht, müsste Bastian einem Spiel verfallen gewesen sein, bei dem der Spieler Punkte dafür erhält, dass er sich selbst tötet – ein solches Spiel gibt es meines Wissens allerdings nicht.

Angesichts der genannten Fälle erscheint der Ruf nach schärferen Gesetzen, der nun allenthalben ertönt, eher hilflos. Die Hoffnung, eine Gesellschaft könne derartige Taten per Gesetz verhindern, wenn sie nur wolle, ist weltfremd.

Dennoch muss die Sorge, dass gewalthaltige Computerspiele zur Brutalisierung oder Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen führen, ernst genommen werden. Hier ist die Wissenschaft gefragt, und Untersuchungen – zum Beispiel die im Auftrag des Bundes von Prof. Kunczik an der Universität Mainz abgeschlossenen Arbeiten – liegen vor. Allerdings belegen sie den eindeutigen Zusammenhang von Gewalt im Spiel und Gewalt in der Realität bisher nicht.

In der letzten Zeit machte eine Studie des KFN Hannover unter Leitung von Christian Pfeiffer in den öffentlichen Medien von sich reden und heizte die Diskussion um das Verbot von „Killerspielen“ hierzulande kräftig an. Um welche Erkenntnisse ging es?

Pfeiffers Erfolg in den Medien oder „… wer täglich stundenlang…“

An dieser Stelle sei kurz berichtet, was die Untersuchungen, auf die Pfeiffer sich beruft, tatsächlich aussagen. Wir beziehen uns dabei auf die Zusammenfassung der Studie Medienkonsum, Schulleistungen und Jugendgewalt der Autoren Mößle, Kleimann, Rehbein und Pfeiffer, die jedem Interessierten auf der Website des KFN zugänglich ist. Sie basiert auf einer Befragung von Schülern und Schülerinnen – der vierten sowie der neunten Klasse und in verschiedenen Städten oder Landkreisen Deutschlands zu Hause – zu ihrem Medienkonsum. Die Aussagen zum Medienkonsum wurden mit Schulerfolg, Geschlecht und den Bedingungen im Elternhaus korreliert.

Die Ergebnisse überraschen nicht: Je ausgiebiger der Medienkonsum – wobei der Fernsehkonsum einen höheren Stellenwert einnimmt als das Spielen am Computer –, desto schlechter die Schulleistungen. Insbesondere der Besitz eigener Fernsehgeräte oder Spielkonsolen treibt die Nutzungszeiten in die Höhe und die Zensuren in den Keller. Das ist ebenso banal wie plausibel, denn, wie die Autoren der Studie selbst konstatieren:

Wer täglich stundenlang fernsieht, hat kaum noch Zeit, die schulischen Hausarbeiten konsequent zu erledigen oder für die Schule zu lernen.

Doch die Studie will auf etwas anderes hinaus. Konstruiert wird folgende Kausalkette: Je „bildungsferner“ die Eltern, desto höher der Medienkonsum, desto öfter greifen die Kinder zu gewalthaltigen Filmen und Spielen, desto schlechter werden die Schulleistungen und desto gewaltbereiter die Heranwachsenden.

Zwar belegen die Ergebnisse der Studie, ebenfalls wenig überraschend, dass all diese Faktoren miteinander korrelieren. Aber was führt wozu? Lassen die Schulleistungen nach, weil die Kinder gewalthaltige Medien konsumieren? Die Daten der Studie liefern hierfür, obwohl Prof. Pfeiffers Aussagen das vermuten lassen, keinen Hinweis. Die bei weitem stärkste Korrelation, die ausgewiesen wird, ist die zwischen dem Bildungsstand der Eltern und dem Schulerfolg ihrer Kinder. Diese Korrelation ist allerdings längst bekannt. Es handelt sich um eine Spezialität des deutschen Schulwesens, die spätestens seit PISA in das öffentliche Bewusstsein gedrungen ist und die durch die KFN-Studie bestätigt wird:

Kinder aus Elternhäusern, in denen beide Eltern höchstens einen Hauptschulabschluss besitzen, unterscheiden sich in ihren Schulnoten um mehr als eine Notenstufe von Kindern aus Elternhäusern mit hoher formaler Bildung.

Der Umweg über die gewalthaltigen Medien, den Pfeiffers Argumentationskette nimmt, ist also entbehrlich. Die Korrelation zwischen dem Konsum gewalthaltiger Spiele – insbesondere solcher Spiele, die das USK-Kennzeichen „freigegeben ab 16 Jahren“ oder „keine Jugendfreigabe“ erhielten – und dem Schulerfolg fällt deutlich niedriger aus. Bei Kindern, die überdurchschnittlich oft gewalthaltige Spiele spielen und deren Eltern mittlere und höhere Schulabschlüsse erworben haben, können die Noten um 0,5 bis 0,7 Punkte nach unten abweichen. Für Kinder aus weniger privilegierten Elternhäusern werden die Unterschiede der Noten in Abhängigkeit zum Spielen gewalthaltiger Spiele als „schwächer ausgeprägt“ bezeichnet. Zahlen werden nicht genannt. Auch dies verweist eher auf den Bildungsstand der Eltern als bestimmenden Faktor.

Der Versuch, das Spielen von gewalthaltigen Computerspielen in einen kausalen Zusammenhang mit schlechten Noten in der Schule zu stellen, stößt also ins Leere. Hätte man sich der Mühe der Überprüfung unterzogen, hätte man festgestellt, dass die Thesen Pfeiffers über den kausalen Zusammenhang des Konsums gewalthaltiger Medien mit dem Schulerfolg oder mit der Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen in den Untersuchungen des KFN an keiner Stelle belegt werden. Eher drängt sich der Zusammenhang einer gewissen Widerständigkeit der Schüler gegenüber der Schule mit dem verstärkten Aufenthalt in jugendlichen Subkulturen und längeren Mediennutzungszeiten auf – all dies in der Regel nicht gerade Garanten für gute Schulnoten.

Die Datenerhebung der Studie, soweit dem Außenstehenden erkennbar, ist nicht zu beanstanden. Sie untermauert allgemein vermutete Zusammenhänge mit konkreten Zahlen. Die Interpretation der Daten jedoch, der Wille, etwas aus ihnen herauszulesen, das nicht drinsteckt, gefährdet die Seriosität dieser wissenschaftlichen Arbeit, die – auch wenn der gegenteilige Eindruck fahrlässig erweckt wird – keine Informationen über die Wirkung gewalthaltiger Spiele auf die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen enthält.

Umso erstaunlicher, dass sie landauf, landab als Beleg für dramatische Wirkungen des Computerspielens herhalten muss. So versteigt sich Jürgen Lau in der „ZEIT“ zu Aussagen wie:

Die Medienwirkungsforschung wird nach Kenntnisnahme der Daten Pfeiffers nicht länger an ihrer industriefreundlichen These festhalten können, ein schädlicher Einfluss von Killerspielen ließe sich nicht nachweisen.

Er lässt sich eben nicht nachweisen, dieser schädliche Einfluss. Jedenfalls nicht in der Studie des KFN. Nachweisen lässt sich allenfalls eine gewisse Wissenschaftsgläubigkeit in deutschen Redaktionsstuben.

Wieso kann eine Studie, die die Wirkung von gewalthaltigen Computerspielen definitiv nicht untersucht, in den Medien eine Wirkung hinterlassen, die in der Forderung nach einem pauschalen Verbot von „Killerspielen“ gipfelt und Bundesrat sowie Bundestag beschäftigt? Sicherlich ist dies dem starken Unbehagen breiter Kreise in der Bevölkerung geschuldet, das sich verständlicherweise ein Ventil sucht. Es sind nicht mehr allein Eltern, Erzieherinnen und Kulturverfall befürchtende Bildungsbürger, die sich Sorgen machen. Selbstverständlich haben Politik und Medien darauf zu reagieren. Allerdings verantwortungsbewusst und ohne wohlfeile Stammtisch-Parolen.

Wir erlauben uns, darauf hinzuweisen, dass es im Gegensatz zu den Beiträgen aus dem Hannoveraner KFN in Deutschland durchaus fundierte Forschungen über die Auswirkungen von Computerspielen, über die möglichen Transfers zwischen Spielinhalten und Alltagswirklichkeit gibt, zum Beispiel Arbeiten der Fachhochschule Köln und der Universität Bielefeld.

Spiel und Gewalt oder „Wir haben Schaumstoffschwerter angeschafft“

Auch wenn die Pfeiffer-Studie entgegen ihres Anspruchs keinen Beitrag zu Klärung der Frage eines angemessenen Umgangs mit den so genannten Killerspielen liefern kann, bleibt das Thema virulent. Wie erleben Kinder und Jugendliche solche Spiele, warum spielen sie sie? Welche Bedeutung hat Gewalt im Spiel von Kindern und Jugendlichen?

Zunächst ist festzustellen, dass Gewalt im Spiel überall und zu allen Zeiten zu finden war und ist. Jedes Räuber-und-Gendarm-Spiel, jedes Cowboy- und Indianerspiel ist, genau genommen, ein „Killerspiel“. Gewaltspiele sind Alltag auf der Straße und im Kindergarten, wie die Berliner Erzieherin Marie S. weiß:

Im Kindergarten gibt es immer mal wieder Zeiten, da kämpfen die Kinder ständig miteinander, bewaffnen sich. Wir haben extra Schaumstoffschwerter angeschafft, mit denen man sich verhauen kann, ohne sich zu verletzen. Diese Schwerter weisen natürlich keine hohe Ästhetik auf und können sich mit den ästhetisierten Waffen in Computerspielen nicht messen. Aber die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, senken sie auch nicht unbedingt.

Wir haben bei uns folgende Regel: Die Kinder dürfen kämpfen, dürfen ‚bewaffnet‘ in den Kindergarten kommen – in Grenzen. Wenn sie anfangen, einander weh zu tun, nehmen wir ihnen die Waffen ganz schnell ab. Es gibt aber Kinder, die sind so voller Ängste, dass sie sich ‚bewaffnen‘ müssen, um sich in die Welt zu trauen, ob mit selbst gebauten Spielzeugwaffen oder für teures Geld gekauften. Andere brauchen ihr Kuscheltuch oder müssen ihre Barbie-Puppe mitschleppen. Jedenfalls brauchen sie etwas, um sich sicher zu fühlen. Wir erlauben, dass sie mitbringen, was sie brauchen, auch wenn wir nicht alles toll finden, abgesehen von den Schaumstoffschwertern.

Als der Irakkrieg tobte und wir uns besonders blöd vorkamen, Kämpfe zu verbieten, weil wir merkten, wie wichtig sie für die Kinder sind, um zu verarbeiten, was sie in den Fernsehnachrichten gesehen oder in Gesprächen der Eltern gehört hatten, schlug ich vor: Wir machen mit den Kindern aus, dass sie keine ‚Zivilisten erschießen‘ dürfen. Sie dürfen ihre Schieß- und Kampfspiele im Garten nur mit den Kindern spielen, die am Kampf teilnehmen. Jemand, der grad buddelt, darf nicht ‚erschossen‘ werden. Auch die Erzieherin darf nicht ‚erschossen‘ werden, es sei denn, sie spielt mit. Das ist plausibel, finde ich. Man verbietet nicht, verhindert aber Aggressionen gegenüber unbeteiligten Kindern. Wer nicht mehr möchte, weil er sich bedrängt fühlt, kann sagen: Ich spiele nicht mehr mit. Dann dürfen die anderen ihn nicht mehr ‚erschießen‘. Ist doch eine gute Regel für diese Sache.

Marie S.’s Bericht verweist nicht nur auf die Bedeutung von Gewalt im Spiel, sondern auch auf deren Begrenzung und Regelhaftigkeit. Spiele zeichnen sich generell dadurch aus, dass sie vom übrigen Leben abgegrenzt und in sich abgeschlossen sind. Da gibt es die räumliche Abgrenzung eines Spielfeldes, einer Bühne oder des Bildschirms, die zeitliche Abgrenzung durch Anfang und Ende, die Spielregeln, also Vereinbarungen, Züge oder Handlungen, die erlaubt oder verboten sind. Es gibt Rollen, die die Spielenden einnehmen, sie sind Stürmer oder Verteidiger, Polizist oder Räuber, und es gibt Spielziele: den Ball ins gegnerische Tor befördern, eine Geisel nehmen oder befreien. Wer sich nicht an die definierten Regeln und Grenzen hält, ist ein Spielverderber.

Aus dieser definierten Abgegrenztheit des Spiels ergibt sich seine prinzipielle Folgenlosigkeit und die Klarheit darüber, was Spiel ist und was Ernst, was Realität und was Rolle ist. Der Erziehungswissenschaftler Gerd E. Schäfer schreibt:

„Als Spiel gelten die Gestaltungen des Kindes, das Bauen und das Malen, das Imitieren, das Übernehmen von Rollen, das Durchprobieren von Situationen, das Wiederholen und Ordnen starker Eindrücke. Im Spiel vollzieht sich Einübung, Entlastung, Aneignung, Austragen von Kräfteverhältnissen, symbolische Weltdeutung, seelische Heilung und vieles mehr.

Dies gilt auch für den Computerspieler: zu wissen, dass er innerhalb eines Regelwerks eine definierte Rolle spielt, dass sein Handeln keine realen Folgen hat. Er „erschießt“ niemanden, er fährt ein virtuelles Auto, kein echtes, und wenn es sich bei einem Zusammenstoß überschlägt, braust es im Nu weiter. Dass dem in der Wirklichkeit nicht so ist, weiß selbst ein Vorschulkind. Es hat auch gelernt, dass es sich im Restaurant oder bei Tante Klara anders benehmen muss als zu Hause, dass der Kindergarten und später die Schule bestimmte Verhaltenserwartungen stellen, und zwar andere als der Straßenverkehr. Als Schulkind weiß es, dass bei einem Mord im Film oder auf der Bühne niemand wirklich umkommt. Ohne diese Rahmungskompetenz, also das Wissen um die Kontextbezogenheit von Verhaltensweisen, wäre das Zusammenleben von Menschen nicht möglich.

Einzig im Spiel und in der Fantasie können unterschiedlichste Verhaltensweisen ohne Sanktionen erprobt werden. Die häufig zu hörende Befürchtung, dass Kinder oder Jugendliche Verhaltensmuster aus Spielen mir nichts, dir nichts in die Realität transferieren, dass sie Spiel und Realität nicht auseinander halten können, trifft im Normalfall nicht zu, räumt auch Pfeiffer ein. Sollte in Ausnahmefällen die Rahmungskompetenz nicht greifen, wäre der Zugang zu realen Waffen das eigentliche Problem. In diesem Zusammenhang erscheint es uns unverständlich, dass z.B. Stoiber dafür plädiert, schon Zehnjährige in Schützenvereine aufzunehmen.

Dennoch gehen wir nicht davon aus, dass Spiele folgenlos für das Leben in der Realität bleiben. Transfers zwischen Spiel und Realität laufen auf vielen Ebenen ab: In der Rolle eines Helden agiert ein Mensch anders als im realen Leben, in dem er Beamter, Angestellter oder Schüler ist. Mit dem virtuellen Superschlitten fährt er anders als mit seinem Familienauto oder dem Tretroller. Als Spiderman schwingt er sich rasant durch Häuserschluchten, während er im Sportunterricht eher die hinteren Plätze belegt. Misserfolge im Spiel nerven ihn, nach erfolgreichem Spielverlauf ist er gut drauf. Vielleicht träumt er nach einem Horrorspiel schlecht, oder er spielt in der Fantasie weiter, sich dessen wohl bewusst. Und es kann durchaus vorkommen, dass jemand, der stundenlang virtuell auf Gegner geschossen hat, spontan den Impuls verspürt, nervende Mitmenschen per Mausklick aus dem Weg zu befördern. Dass dahinter mehr steckt als hinter der Alltagsäußerung „Ich könnte ihn umbringen, diesen elenden Egoisten…“, das vermuten wir nicht. Dennoch erhalten Spiele, deren Gewaltpotenzial eine gewisse Grenze überschreitet, von der USK vorsorglich „Keine Jugendfreigabe“ oder gar „Keine Kennzeichnung“.

Die offensichtliche Verständnislosigkeit zwischen Spielern wie Benjamin R. auf der einen Seite und Eltern oder Pädagogen auf der anderen Seite hat auch damit zu tun, dass die Spezifika dieses Mediums vielen Erwachsenen verborgen bleiben: Sie spielen nicht.

Eltern und Pädagogen, auch Christian Pfeiffer als bekennender Nichtspieler, betrachten ein Spiel aus der Außenperspektive, nehmen ein filmähnliches Geschehen auf dem Bildschirm wahr. Kein Wunder, dass sie die Beurteilungskriterien des ihnen bekannten Mediums Film auf das unbekannte Medium Computerspiel übertragen und dabei einige gravierende Unterschiede übersehen. Filme und ihr Erfolg leben davon, dass die Zuschauer Empathie für die handelnden Personen empfinden, dass sie sich mit Personen identifizieren und andere als bedrohlich oder unsympathisch ablehnen. Wird diese Sichtweise auf ein passiv konsumiertes, gewalthaltiges Spiel übertragen, muss man sich tatsächlich fragen, was Kinder und Jugendliche am Gemetzel fasziniert. Spieler verstehen diese Bedenken und Vorwürfe in der Regel nicht und wundern sich: Es sind doch nur Pixel-Männlein, selbst wenn sie noch so fotorealistisch daherkommen, auf die man schießt oder die man verdrischt.

Kurz: Das Erleben aus der Spielerperspektive ist ein völlig anderes als das des Zuschauers. Der Spiel- und Interaktionspädagoge Jürgen Fritz, Leiter des Forschungsschwerpunkts „Wirkung virtueller Welten“ an der Fachhochschule Köln, beschäftigt sich seit längerer Zeit mit diesem Aspekt. In den jüngsten Debatten finden seine Erkenntnisse jedoch keine Berücksichtigung. Warum eigentlich nicht? Fritz beschreibt den Unterschied folgendermaßen:

Wenn es im Computerspiel um Macht, Herrschaft und Kontrolle geht, dann sollte man auch fragen, um was es dort nicht geht. Computerspiele fordern keine ‚emotionale Intelligenz‘. Der Spieler steht nicht vor dem Erfordernis, sich emotional in ein Gegenüber hineinzuversetzen oder Situationen unter emotionalen Gesichtspunkten zu verstehen. Der gesamte Bereich der Empathie bleibt ausgespart – und damit ein entscheidender Aspekt des menschlichen Zusammenlebens. Die den Menschen kennzeichnende Interaktivität, also das Bewusstsein, wechselseitig aufeinander bezogen zu sein, ist bei den Computerspielen um die emotionale und empathische Dimension verkürzt. ‚Interaktivität‘ heißt im Computerspiel lediglich, strategisch und taktisch angemessene Verhaltenssequenzen auszubilden, um in der virtuellen Welt zu ‚überleben‘.

Im Computerspiel gibt es kein personales Gegenüber, sondern nur Spielfiguren.

Sie haben keine Gefühle und keine Leidenschaften; sie sind Handlungsträger ohne Eigenschaften. Sie sind Inventar und bleiben Objekt

Jürgen Fritz

Worum geht es also, wenn der Spieler die Rolle eines Monsterjägers oder eines Cops im Großstadtdschungel übernimmt? Es geht um das Verstehen und Beherrschen von Reiz-Reaktions-Sequenzen, nicht um das Einfühlen in eine emotional getönte Situation. Spielentscheidend ist das instrumentelle und rationale Kalkül: Sieger ist, wer schneller schießt und öfter trifft, aber auch, wer effektiver plant und klarer denkt. Gefühle aller Art stören dabei nur. Dies gilt für die Auseinandersetzung mit dem Spielinhalt ebenso wie für die Identifikation mit Spielfiguren und Spielsituationen.

Ob die Bedeutungen der Spielinhalte Entsprechungen in der realen Welt haben oder nicht – sie bleiben auf ihre Funktion im Spiel begrenzt. Das Niederschießen einer Spielfigur bringt den Spieler im Spiel voran; mit Tötung, Schmerz und Leid hat es nichts zu tun. Solche ethisch-moralischen Gedanken werden von Spielern allenfalls hinzugedacht, stellen sich als Assoziationen eher unkontrolliert oder spontan ein und lösen Wertentscheidungen, die sich auf die reale Welt beziehen, nicht aus, denn die virtuelle Welt ist zunächst eine von Ethik und Moral freie Welt. Die Regeln des Spiels, die das Geschehen in der virtuellen Welt bestimmen, folgen einer internen, am Spielprozess und seinen Wirkungen orientierten Logik und nicht einer moralischen Vorentscheidung. Etwa wie beim Schachspiel. Kein Spieler weint dem Bauern seines Gegners, den er schlägt, eine Träne nach.

Weshalb auch? Bauer oder Dame sind wie „die Spielfiguren in der virtuellen Welt keine ausdifferenzierten Charaktere, die sich emotional weiterentwickeln und verändern. Selbst in Rollenspielen bleiben die Figuren klischeehaft und auf ihre funktionalen Aspekte begrenzt. Sie mögen zwar Erfahrungspunkte hinzugewinnen, an Kampfkraft zulegen oder neue magische Fähigkeiten erwerben, Persönlichkeit mit Tiefe, Individualität und Prägnanz werden sie nicht erlangen“, erklärt Jürgen Fritz. Sie bleiben Schachfiguren, in die der Spieler Emotionalität und Persönlichkeit hineindenken muss, wenn ihm dies wichtig ist und er darüber einen stärkeren emotionalen Bezug zum Spiel herstellen will. Wichtiger muss ihm jedoch sein, die von den Programmierern festgelegten Regeln und Erfolgskriterien zu durchschauen, herauszufinden, welches Verhalten die meisten Punkte bringt, was belohnt oder bestraft wird. Somit ist der Spieler Subjekt und Objekt des Spiels in einem. Er handelt zwar, aber die Regeln des Handelns haben andere Leute festgelegt.

Ohne Frage ist es problematisch, wenn Jugendliche oder Kinder sich stundenlang in Welten aufhalten, in denen Empathie und zwischenmenschliche Reaktionen nicht gefragt sind. Doch die gegenwärtige Diskussion stellt sich dieser vielschichtigen Problematik leider nicht angemessen und differenziert.

Neuestes Beispiel dafür ist die neue Studie des KfN unter der Leitung Pfeiffers, von der gerade eine kurze Zusammenfassung vorgelegt wurde.1 72 Alterseinstufungen von Computerspielen durch die USK stellen Pfeiffer und seine Mitarbeitern eigene Alterseinstufungen gegenüber, die auf der Basis selbstdefinierter Kriterien gefunden wurden. Man kommt - wenig überraschend - zu dem Ergebnis, dass die Einstufungen der USK zu lasch seien. Eben diese Einschätzung hatte Pfeiffer ja bereits vor Beginn der Studien öffentlich verkündet.

Die Frage kann aber nicht sein, ob die Einstufungen der USK den Pfeifferschen Kriterien entsprechen. Vorher wäre zu prüfen, wer mit welchem Verständnis und mit welchen Interessen welche Bewertungskriterien definiert. Zur Begründung der Kriterien ist in der vorliegenden Zusammenfassung der Studie nicht viel zu erfahren. Verräterisch ist aber bereits das sie begründende Vokabular:

... an der Spielconsole wird persönliches Engagement gefordert, wenn man aktiv in die Rolle desjenigen einsteigt, der andere tötet und foltert.

In Spielen werden nun mal keine anderen getötet und gefoltert. Die Rolle von Gewalt in Spielen und insbesondere von virtueller Gewalt wird hier offensichtlich recht unreflektiert behandelt. Ein wenig Größenwahn gehört wohl schon dazu, die eigenen Kriterien als maßgeblich für die ganze Nation anzusehen, während nicht einmal die eigenen Mitarbeiter und Mitautoren der Begründung und den weitreichenden Schlussfolgerungen Pfeiffers folgen möchten und sich explizit davon distanzieren (siehe Zusammenfassung S.4).

Immerhin: Bisher ließen sich für die direkte Übertragung von Handlungsmustern in Spielen auf reale Situationen kaum Belege finden. Auch in Erfurt und Emsdetten entsprachen die Handlungsmuster der Täter dem als mögliche Ursache herangezogenen Spiel „Counterstrike“ nicht, denn in „Counterstrike“ stehen zwei prinzipiell gleichstarke und ähnlich bewaffnete Mannschaften einander gegenüber. Ein bewaffneter Killer, der auf wehrlose Opfer schießt, kommt in dem Spiel nicht vor. Vielmehr sorgt die permanente Bedrohung des eigenen Spielteams durch starke Gegner für den Thrill bei Spielen wie „Counterstrike“. Den Bruchteil einer Sekunde mal nicht aufgepasst oder die falsche Taktik angewendet – und schon kann man sich das Spiel von außen ansehen.

Alterseinstufungen und Jugendschutz oder Splatternde Zombies und flatternde Moorhühner

Trotz der Vielschichtigkeit der Probleme muss der Jugendschutz handeln und tut dies auch. Kriterien müssen entwickelt werden, die dem relativ neuen Medium Computerspiel angemessen sind. Den Gutachtenden der USK würde es ihre Arbeit erheblich erleichtern, wenn die Zusammenhänge so einfach und klar wären, wie es die per Intuition zu Computerspielexperten aufgestiegenen Pfeiffers, Becksteins oder Spitzers verkünden.

Da es einen einfachen und belegten Zusammenhang zwischen dem Spielen von Gewaltspielen und dem Alltagsverhalten von Jugendlichen nicht gibt, muss sich der Jugendschutz in Bezug auf Computerspiele auf Erfahrung, Plausibilität und leider auch auf Vermutung stützen, denn er kann nicht warten, bis eindeutige Belege verfügbar sind.

Objektive Einstufungen, richtige oder falsche, kann es prinzipiell nicht geben. Das zeigen schon die historischen Veränderungen bei der Bewertung von Filmen: Italo-Western, die in den 60er Jahren die Gemüter bewegten, sehen sich heute Zwölfjährige an, ohne mit der Wimper zu zucken. Spiele wie „Golden Axe“ oder „River Raid“, die in den 80er Jahren auf dem Index landeten, sind heute „freigegeben ab 6 Jahren“ oder „freigegeben ohne Altersbeschränkung“. Dies ist nicht etwa groben Fehlurteilen der vor zwanzig Jahren tätigen Prüfgremien geschuldet, sondern widerspiegelt die Veränderung dessen, worüber jeweils gesellschaftlicher Konsens herrscht. Anders gesagt: Die gleichen Leute, die damals eine Indizierung angemessen fanden, würden heute vermutlich anders plädieren. Das heißt: Alterseinstufungen bringen die aktuelle gesellschaftliche Durchschnittseinschätzung dessen, was Kindern und Jugendlichen zugemutet werden kann, zum Ausdruck und keine ewig gültigen Wahrheiten.

Auch international fallen Alterseinstufungen unterschiedlich aus. Bekannt ist, dass die Toleranzschwelle für Gewalt in den Medien in angelsächsischen Ländern erheblich höher ist als hierzulande. Erheblich niedriger ist sie, wenn es um sexuelle Darstellungen und Erotik geht. Versuche, auch nur annähernde Vereinheitlichungen auf europäischer Ebene zu erreichen, sind aus Gründen kultureller Differenz bisher gescheitert.

Deutschland spielt beim Thema Jugendschutz weltweit eine Sonderrolle, weil es nicht erst seit heute strenge Jugendschutzgesetze gibt. Eine Reaktion darauf: Spielehersteller bringen bei Titeln der härteren Gangart häufig „lokalisierte Versionen“ heraus, also Versionen ausschließlich für den deutschen Markt, die sich von den international verbreiteten Versionen dadurch unterscheiden, dass zum Beispiel nur gegen Roboter oder Aliens und nicht gegen menschähnliche Figuren gekämpft wird, dass kein „Blut“ zu sehen ist und so genannte Splattereffekte nicht auftauchen. Auf diese Weise wollen die Hersteller der Gefahr der Indizierung entgehen und sich den freien Marktzugang in Deutschland sichern.

Was tut die USK? oder Die unerfüllte Sehnsucht nach Eindeutigkeit

Sämtliche Computer- und Konsolenspiele, die auf dem deutschen Markt vertrieben werden sollen, werden von den Gutachtergremien der USK in Zusammenarbeit mit einem Vertreter der Jugendbehörden der deutschen Bundesländer gekennzeichnet. Zur Auswahl stehen die gesetzlich vorgegebenen Stufen: ohne Altersbeschränkung, ab 6 Jahren, ab 12 Jahren, ab 16 Jahren und keine Jugendfreigabe. Spiele, die nach Auffassung der Gutachtenden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert werden könnten, erhalten kein Kennzeichen.

Ein Gremium ist jeweils mit vier ehrenamtlich tätigen Gutachtenden besetzt, die von den Bundesländern benannt und dem USK-Beirat bestätigt wurden, sowie mit einem Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden (OLJB). Die nach Sichtung und Präsentation des Spiels von den Gutachtenden vorgenommene Einstufung, die mit einfacher Mehrheit getroffen wird, kann vom Vertreter der OLJB übernommen werden und wird damit rechtskräftig. Legt der Vertreter der OLJB sein Veto gegen die Entscheidung ein, wird das Spiel von einem weiteren Gutachtergremium geprüft. Über die Einzelheiten des Verfahrens informieren die Webseiten der USK.

Die rund 50 Gutachtenden kommen aus allen 16 Bundesländern, sind als Pädagogen, Journalisten, Sozialwissenschaftler oder Mitarbeiter von Jugendämtern tätig und verfügen über Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Für ihre Gutachtertätigkeit erhalten sie eine Aufwandsentschädigung.

Die Gutachtergremien schlagen Spiele nicht zur Kennzeichnung vor, in denen Gewaltanwendung gegen menschlich oder deutlich menschenähnlich gestaltete Spielfiguren als prägende Spielhandlung dargeboten, detailreich visualisiert und aufwändig akustisch untermalt wird, so dass sie in ihrer Quantität und Qualität verrohend wirken können. Dies liegt zum Beispiel bei Spielen vor, die Aggressions-Szenarien wie Krieg, Terror oder organisiertes Verbrechen mit hohem Alltagsbezug präsentieren, deren Spielaufgaben sich auf das Eliminieren von Spielfiguren unter Einsatz eines ausgefeilten Waffenarsenals beschränken und die Gewaltaktionen bei der Lösung von Spielaufgaben mit Punkten oder „Orden“ belohnen.

Spiele, deren Reiz in der unreflektierten Anwendung des Waffenarsenals unter Berücksichtigung seiner differenzierten Auswirkungen besteht, die einen hohen Identifikationsgrad mit der aggressiven Spielfigur aufweisen, die hohen Handlungsdruck erzeugen und hohe Spieldynamik vorgeben, kennzeichnen die Gremien ebenfalls nicht.

Spiele, deren Grafik detailreiche und ästhetisierende Treffervisualisierung (zerberstende Körper, Wundmale, „Blut“, Splattereffekte), hohe Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit aufweist, in denen aus der Egoperspektive heraus agiert wird und die atmosphärisch dichte, realitätsnahe Soundeffekte (Todesschreie, Schüsse, Explosionsgeräusche), zynische Kommentare beim Ausschalten gegnerischer Spielfiguren begleiten, ohne dass eine tragende Story den Aktionen einen Kontext verleiht, erhalten auch kein Kennzeichen.

Vielfach werden solche Spiele von der BPjM indiziert. Nichtsdestotrotz kann ein Jugendlicher sie aus dem Internet herunterladen, oder die Großeltern bringen sie aus dem Urlaub in Österreich mit.

Abschließend ein kurzer Überblick über die Verbreitung der Spiele und ihre Alterseinstufungen: Im Jahr 2006 wurden von der USK mehr als 2500 Spiele geprüft. Davon erhielten 45,7 Prozent die Einstufung „ohne Altersbeschränkung“, 12,7 Prozent „ab 6 Jahren“, 20,2 Prozent „ab 12 Jahren“, 15,7 Prozent „ab 16 Jahren“, 4 Prozent erhielten „keine Jugendfreigabe“ und 1,8 Prozent der Spiele wurde das Kennzeichen verweigert. Zu diesen Spielen gehörten zum Beispiel „Mortal Kombat: Armageddon“ und „Dead Rising“, inzwischen von der BPjM indiziert.

Unter den vorgelegten Titeln fanden sich 157 Shooter. Am häufigsten prüften die Gutachtenden jedoch Arcade-Spiele wie Autorennen, Sportspiele, Simulationen und Jump´n Run-Spiele.

Unter den 20 meistverkauften Konsolenspielen tauchte im Jahr 2006 kein Shooter auf, bei den PC-Spielen rangierten „Counterstrike“-Versionen – mit „ab 16 Jahren“ und mit „Keine Jugendfreigabe“ gekennzeichnet – auf den Plätzen 5 und 6.

Der Überblick zeigt, an welcher Stelle „Killerspiele“ rangieren, sowohl was das Angebot als auch die Nachfrage anbelangt.

Was ist ein Killerspiel?

Noch einmal zum „Killerspiel“. Was ist das eigentlich? Nimmt man den Begriff beim Wort, dann ist schon ein „Killer“, wer sich damit unterhält, die virtuelle Schrotflinte auf putzige Moorhühner anzulegen. Dann ist ein „Killer“, wer virtuelle Drachen oder Ringelwürmer mit magischen Blitzen erlegt. Doch solche Spiele – in der Mehrzahl Geschicklichkeitsspiele oder Adventures – werden allen Altersgruppen, Vorschulkindern oder Kindern im mittleren Schulalter zugänglich gemacht, je nachdem, wie hoch Gewaltpotenzial und Realismus von den Gutachtenden veranschlagt wurden.

Ein grundlegendes Manko der Killerspiel-Debatte ist das schlichte Menschenbild, das ihr zugrunde liegt. Unterstellt wird, dass Kinder oder Jugendliche, die gar nicht oder durchweg friedliche Spiele spielen, auch eine friedliche Gesinnung entwickeln, während das Spielen gewalthaltiger Spiele Gewaltbereitschaft stärkt. Eine einfache Input-Output-Vorstellung, die an die Pädagogik des Nürnberger Trichters erinnert und die komplexeren und differenzierten Prozesse der Entwicklung von Handlungsmustern, Orientierungen oder Werthaltungen bei Kindern und Jugendlichen negiert. Nicht zuletzt deshalb bleibt auch bei langjährig erfahrenen Gutachtenden der USK ein Gefühl des Unbehagens angesichts der Eindeutigkeit suggerierenden Alterseinstufungen zurück.

Über die pädagogische Qualität der Spiele haben die Gremien nicht zu befinden. Sie sorgen lediglich auf ihre Weise dafür, dass bestimmte Altersgruppen vor bestimmten Spielen bewahrt werden können. Die Kennzeichen auf den Spielecover in den Regalen der Kaufhäuser und auf den Datenträgern selbst weisen das aus. Jeder kann sie lesen, eventuell unter Zuhilfenahme eines Vergrößerungsglases.

Schauen Sie sich das Angebot bei Gelegenheit an. Und vor allem: Spielen Sie mal. Es muss ja nicht gleich ein Killerspiel sein…

Wir veröffentlichen den Beitrag als Privatpersonen, sprechen also weder für die gut 50 Gutachterinnen und Gutachter, die für die USK tätig sind, noch für die USK selbst. Der Beitrag wurde in Telepolis vorveröffentlicht, die gedruckte Version erscheint in Heft 8/9 von Betrifft Kinder.

Erika Berthold, freie Journalistin, ist seit 1994 Gutachterin der USK und Jugendschutzsachverständige des Landes Berlin bei der FSK.

Dr. Eggert Holling, Gesellschaftswissenschaftler und Pädagoge, arbeitet in der Weiterbildung für Dozenten und Lehrer. Seit 1995 gehört er dem Team der USK-Gutachtenden an.