Ende der Demokratie in Palästina

Verhinderte die Hamas einen Putsch der Fatah?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man stelle sich vor: Eine Bevölkerung unter Militärbesatzung wird auf ein bestimmtes Territorium beschränkt und eingezäunt. Die Besatzungsmacht verleiht dem eingezäunten Gebiet Selbständigkeit und findet darin auch eine Gruppe, die mit ihr zusammenarbeitet. Die Besatzungsmacht behält sich das Recht vor, Menschen aus dem eingezäunten Gebiet zu lassen, sofern Arbeitskräfte gebraucht werden. Ansonsten ist das eingezäunte Gebiet Absatzmarkt für Waren aus dem Besatzungsland. Die Armut wächst, Entwicklungsmöglichkeiten sind nicht vorhanden. Einige aus dem eingezäunten Gebiet wehren sich gegen diese Lage. Allerdings verurteilt die internationale Gemeinschaft die Gewalt der Menschen aus dem eingezäunten Gebiet und reagiert mit politischem und ökonomischem Boykott.

Bis auf den letzten Satz beschreibt das die Situation im Apartheid-Südafrika. Damals entschieden sich Mitglieder der internationalen Gemeinschaft für den Boykott des Besatzerlandes. Die Situation in den noch heute von Israel besetzten palästinensischen Gebieten unterscheidet sich in diesem Punkt. Hier hat sich die internationale Gemeinschaft dafür entschieden, die Bevölkerung, die unter der Besatzung lebt, mit Sanktionen zu belegen.

Gazastreifen dicht

Der Gazastreifen ist völlig abgeriegelt. Israel kontrolliert den Luftraum und die Außengrenzen. Ein Grenzübergang, der nach Ägypten, wird von einer Truppe der Europäischen Union überwacht. Israel sieht per Video zu und bestimmt darüber, ob die europäischen Beobachter zu ihrem Einsatzort durchgelassen werden oder nicht. Seitdem die Hamas-Bewegung die Installationen der offiziellen palästinensischen Sicherheitsdienste besetzte und den Gazastreifen nun militärisch kontrolliert, ist dieser Grenzübergang geschlossen. Die 1,5 Millionen Bewohner des kleinen Gebiets sind nun noch mehr von humanitärer Hilfe abhängig. Menschenrechtsorganisationen warnen beständig vor der Katastrophe.

Israel und die internationale Gemeinschaft wollen mit der Hamas nicht zusammenarbeiten. Bereits nach deren Wahlsieg im Januar 2006 und der Regierungsbildung zwei Monate später setzten politische und wirtschaftliche Sanktionen ein. Und die USA übten Druck auf Palästinenserpräsident Abbas und andere aus, keine Koalition mit der Hamas einzugehen. Der ehemalige UN-Abgesandte Alvaro de Soto beschreibt in seinem vertraulichen, im Internet aber trotzdem zugänglichen Abschlussbericht, wie nicht nur das Mandat der Vereinten Nationen immer weiter ausgehöhlt wurde, sondern auch die „Berater von Abbas“ auf die Isolierung der Hamas drängten.

Bereitete Fatah Putsch vor?

Nach Angaben der Hamas, die nach ihrer Eroberung des Gazastreifens in den Aktenschränken der Internen Sicherheitsabteilung (Preventive Security) der Palästinensischen Autonomiebehörde stöberte, geht die Zusammenarbeit des Abbas-Zirkels mit den USA noch weiter. Khalil Al-Haya (Hamas) erklärte am Freitag vor versammelter Presse in Gaza, dass dementsprechende Dokumente nun der Arabischen Liga und palästinensischen Gerichten vorgelegt werden sollen. Bewiesen ist also noch nichts. Bewiesen werden soll allerdings, was in den palästinensischen Gebieten schon seit Jahren zum Allgemeinwissen gehört.

Danach habe die Interne Sicherheit unter Muhammad Dahlan und Raschid Abu Schbak einen Militärcoup gegen die gewählte Hamas-Regierung im Gazastreifen geplant. Ihr militärischer Arm sollte zerschlagen, Politiker festgesetzt werden. Nach Angaben des Hamas-Sprechers Ahmad Yusef habe die Bewegung von diesen Plänen erfahren. Deshalb habe man schnell handeln müssen. „Die Ereignisse in Gaza in den letzten Tagen wurden im Westen als Putsch (der Hamas) beschrieben“, so Yusef in der Tageszeitung International Herald Tribune. „Im Wesentlichen war es aber das Gegenteil.“

Ein Artikel des englischen Guardian bestätigt bereits „Washingtons Fingerabdrücke auf dem palästinensischen Chaos“. Der Journalist verweist auch auf die Rolle des amerikanischen „Sicherheitsberaters“ Elliott Abrams im Training der palästinensischen Sicherheitskräfte. Abrams ist Fachmann auf diesem Gebiet. Er war bereits am Aufbau von Todesschwadronen gegen die gewählte Regierung Nicaraguas in den 80er Jahren beteiligt.

Im Westjordanland hat die israelische Armee bereits den Job erledigt. Über 30 Hamas-Abgeordnete sind in israelischer Haft. Das Parlament ist damit faktisch außer Kraft gesetzt. Und die Al-Aksa-Märtyrerbrigaden der Fatah gehen nun gegen die Aktivisten vor (siehe Flugblatt).

Lynchjustiz statt Rechtsstaatlichkeit: Ein gescanntes Flugblatt der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden aus Nablus mit einer Liste von (angeblichen) Hamas-Aktivisten bzw. -Sympathisanten, die bestraft werden sollen.

Notstandsregierung illegal

Mit der am 17. Juni vereidigten Notstandsregierung gab Präsident Abbas der gewählten Regierung nun den letzten Fußtritt. Dabei hat der Präsident nach dem palästinensischen Grundgesetz zwar das Recht, den Ministerpräsidenten abzusetzen, jedoch nicht die gesamte Regierung.

Und schon gar nicht ohne das Votum des Parlaments. Die internationale Gemeinschaft, die viel Geld und Beraterstunden in die Ausarbeitung und Stärkung palästinensischer Rechtstaatlichkeit steckte, hat die neue, nach ihren eigenen Gesetzen illegale Regierung jedoch bereits anerkannt.

Und was will die palästinensische Bevölkerung?

Angesichts der gegenseitigen Schuldzuweisungen von Hamas und Fatah fordern nun einige die restlose Aufklärung der Ereignisse im Gazastreifen sowie die Bestrafung auch der Hamas-Aktivisten, die in Mordexzesse verwickelt waren.

Drei Viertel der Bevölkerung sprachen sich in einer neuen Umfrage für vorgezogene Neuwahlen aus (Präsident und Parlament). Die Fatah würde demnach derzeit 43 Prozent der Wählerstimmen erhalten, die Hamas zehn Prozent weniger. Allerdings ist die Fatah noch gespaltener als vor den Wahlen 2006, wo sie zwar die Mehrheit der Stimmen erhielt, sich allerdings mehrere Kandidaten auf einen Sitz bewarben. Und das aktuelle Verhalten der Fatah deutet nicht darauf hin, dass das in einem neuen Wahlgang anders wäre.

Zudem hat sich die Fatah im Gazastreifen eine neue Führung gegeben und befindet sich im offenen Konfrontationskurs mit ihren Kollegen im Westjordanland. Khaled Abu Hilal, der neue Fatah-Chef in Gaza, fordert die Bestrafung von Muhammad Dahlan und Konsorten. Die seit 1989 nicht mehr wiedergewählte Fatah-Führung um Präsident Abbas hat Abu Hilal zum „Meuterer“ erklärt.