Brüder, zur Sonne, zur Nichtigkeit

Ver.di erkämpft ein Debakel und geht mit festem Schritt auf die Selbstabschaffung zu

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Deutschland hat etwas zu lachen: Nach sechs Wochen Streik bei der Telekom haben die Verhandlungsführer der "größten Dienstleistungsgewerkschaft der Welt" das Traumergebnis des Gegners erzielt und versuchen den Mitgliedern zu erklären, warum sie das nicht zu stören braucht. Das Lachen könnte einigen allerdings schnell im Hals stecken bleiben, wenn solche Triumphe in Zukunft die Regel darstellen.

Man weiß es ja nicht erst seit gestern: die Gewerkschaften sind in der Defensive, und in den besonders von Prekarisierung betroffenen Wirtschaftszweigen, zu denen auch die IT- und die Telekommunikationsbranchen gehören, erst recht. In der relativ kurzen Geschichte der Versuche, dort Fuß zu fassen, hat es schon mehrere Pleiten gegeben, man erinnere sich nur an den Schiffbruch bei eBay (vgl. eBay: Wenn das Beten nicht mehr fruchtet).

Bei der Telekom war man bisher aus historischen Gründen in Teilbereichen vergleichsweise stark vertreten, die Streikbereitschaft zu Beginn des aktuellen Arbeitskampfs war hoch, deswegen muss das Ergebnis nach sechs Wochen Streik wie ein Schuss ins eigene Knie wirken: Rückfall in die 38-Stunden-Woche, Lohnabschläge bei 6,5%. Zu Beginn des Streiks hatte Robert Kurz in leicht apokalyptischem Tonfall davor gewarnt, dass eine Niederlage in diesem Streik gesamtgesellschaftliche Signalwirkung haben würde.

Alle Sparziele erreicht

Der ver.di-Verhandlungsführer Schröder versucht um jeden Preis das Gesicht zu wahren und erklärt ein ums andere Mal, dass die Niederlage nicht stattgefunden hat. Passend dazu werden Presseartikel lanciert, die ihm bei dieser heldenhaften Anstrengung unter die Arme greifen und gleichzeitig die Gelegenheit bieten, sich nach Kräften zu blamieren: Das ganze Paket, soll er gesagt haben, sorge dafür, dass die Mitarbeiter bis 2011 nahezu das gleiche Gehalt wie bisher erhalten.

Mit anderen Worten: Wir haben uns auf eine Minusrunde festlegen lassen, deren Auswirkungen bis mindestens 2011 anhalten werden, und was danach kommt, weiß sowieso keiner. Dass ein Lohnplus nötig gewesen wäre, um wenigstens den Inflationsausgleich zu schaffen, ist in diesem Zusammenhang noch gar nicht erwähnt. Als Sahnehäubchen darf dann die Tatsache gelten, dass der Kampf um dieses Desaster ver.di satte 40 Millionen Euro gekostet hat.

Das sicherste Zeichen für das Ausmaß der Katastrophe ist jedoch die feixende Zustimmung der Gegenseite, die ganz offen ausspricht, was Schröder auf keinen Fall wahrhaben will: Dass er nämlich gemeinsam mit dem Management das Optimum gegen die Interessen der Belegschaft herausgeholt hat. Alle "Sparziele" wurden erreicht, die Forderung von 12 Prozent weniger Lohn war ohnehin nur erhoben worden, um genau das jetzige Traumergebnis zu erreichen.

Wer damit nicht zufrieden ist, verlässt sich oft allzu schnell auf Verschwörungstheorien. Schröder als Aufsichtsratsmitglied und stellvertretender Aufsichtratsvorsitzender habe nie im Interesse der Belegschaft gehandelt, sondern vertrete eigentlich die Gegenseite, heißt es.

Die Traditionsgewerkschaften kämpfen mit den falschen Mitteln um ein verlorenes Match

Nun ist es natürlich töricht, Herrn Schröder allein für dieses Debakel verantwortlich zu machen, denn jenseits aller persönlichen Motivationen handelt es sich hier um ein strukturelles Problem. Es hat damit zu tun, dass ver.di in der Tradition der Sozialpartnerschaft verwurzelt ist, jenem Nachkriegskonstrukt, das den abhängig Beschäftigten vorgaukeln sollte, sie würden als gleichberechtigte Partner in einem Bündnis zur Beförderung des allgemeinen Wohlstands gesehen.

Die Gewerkschaften in der DGB-Tradition, die gegründet wurden, um dieser Fata Morgana auf Seiten der abhängig Beschäftigten Gestalt und Struktur zu verleihen, rennen ihr noch immer hinterher. Die individuelle Korruption einzelner Gewerkschaftsfunktionäre ist lediglich der moralische Aspekt dieser strukturell gewollten Verfilzung. Da nun aber die Gegenseite jedes auch nur propagandistische Interesse an Partnerschaft verloren hat und mit dem Klassenkampf von oben ernst macht (wozu sie sich aus Gründen der globalen Konkurrenz gezwungen sieht) kämpfen die Traditionsgewerkschaften mit den falschen Mitteln um ein verlorenes Match, dessen Regeln der Gegner nicht mehr anerkennt.

Robert Kurz hat mit seiner Behauptung von der historischen Bedeutung des Telekom-Streiks insofern Recht, als sein Ergebnis einen Punkt markiert, an dem die Idee der Sozialpartnerschaft mit aller nur wünschenswerten Klarheit gescheitert ist. Was wir hier beobachten, ist nicht Sozialpartnerschaft, sondern ein neoliberaler Korporatismus in Aktion, dessen einzelne Vertreter mal mit höherer, mal mit geringerer nationalstaatlicher Beteiligung und Unterstützung um globale Vorherrschaft kämpfen.

Sinkende Nettolöhne, zahmere Streiks

Zum wiederholten Mal ist klar zu sehen: Dieser Kampf wird zuerst auf dem Rücken der Beschäftigten geführt, und die traditionelle Arbeiterbewegung hat dem zumindest in Deutschland nichts entgegenzusetzen. Das Gelächter über die Fehlleistung von ver.di ist laut, aber eine Nachricht von ungewohnter Stelle mag den Lachern vielleicht ein Licht aufgehen lassen. Das Absinken der Nettolöhne ist mittlerweile dermaßen merkbar geworden, dass es sich von Gesetzes wegen in der sogenannten "Düsseldorfer Tabelle" niederschlägt. Unterhaltspflichtige Väter und Mütter werden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ab dem 1. Juli weniger Unterhalt zahlen müssen.

Das freut viele Unterhaltszahler vielleicht, aber ein besseres, dazu noch amtlich bestätigtes Indiz für die Erosion der Löhne gibt es kaum. Der "Kompromiss" bei der Telekom liegt amtlich bestätigt voll im Trend zur Lohndrückerei, der den laufenden Angriff auf das Einkommen und die sozialen Rechte der abhängig Beschäftigten kennzeichnet.

Was wäre denn die Alternative zu diesem Streik gewesen? Natürlich ein echter Streik. Denn so wie der Streik geführt wurde, ohne Hebelwirkung, Eskalationsfähigkeit und Durchschlagskraft, war die Niederlage vorprogrammiert. Er erinnerte in seiner Zahmheit an die symbolischen Streiks von früher in Japan: Die Arbeiter zogen sich rote Armbinden an und arbeiteten einfach weiter. Ob die Telekom-Mitarbeiter schon streikten, oder ob das noch normaler "Service" war (vgl. Streiken sie schon - oder ist das noch "Service"?), blieb über die ganzen sechs Wochen unentscheidbar.

Die Streikenden mögen von ihrer Kampfbereitschaft begeistert gewesen sein, aber sie haben sich von einer Führung an der Nase herumführen lassen, der nichts wichtiger war als der Kompromiss. Wenn diese Art von Arbeitskampf Schule macht, dann war der Telekomstreik für ver.di ein großer Schritt hin zur Selbstabschaffung. Wer weiß, vielleicht kommt etwas Besseres nach.