Die Trivialisierung der Politik

Sabine Christiansen und Tony Blair reiten dem Sonnenuntergang entgegen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Letzten Sonntag ging im Fernsehen gleich zweimal eine Ära zuende: Sabine Christiansen plauderte ein letztes mal auf Human-Interest-Niveau über Politik und anschließend wurde in den “Tagesthemen“ die bevorstehende Ablösung des britischen Premiers Tony Blair durch seinen Schatzmeister Gordon Brown verkündet.

Während die ehemalige Stewardess und “Tagesthemen“-Sprecherin mit ihrer Talkshow von Anfang an Kritik und Häme einstecken musste, war Blair als Hoffnungsträger von Labour gestartet. Beide verabschieden sich mit katastrophalen Popularitätswerten: Laut einer Umfrage für den Stern werden gut achtzig Prozent der Zuschauer die naturblonde Gastgeberin nicht vermissen, während Tony Blair als der nach Michael Foot zweitunbeliebteste Labour-Führer aus dem Amt scheidet. Beide haben jedoch Entwicklungen losgetreten, die auch auf lange Sicht nicht zu stoppen sein werden: Der fortschreitende Neoliberalisierung der Gesellschaft, die Ersetzung politischer Inhalte durch mediale Wirkung sowie die Banalisierung von Politik.

“Unterhaltung“ statt “Politik“

Am Sonntagabend wurde bei “Christiansen“ noch einmal jene journalistische Schonkost geboten, für welche die Sendung berühmt und berüchtigt war: Zu Gast war Horst Köhler, aktueller Bundespräsident und ehemaliger Vorsteher des IWF, der während seiner Wirkungszeit unter anderem Argentinien mit Reformen beglückte, deren Auswirkungen dort noch heute zu spüren sind. Das neoliberale Urgestein wird angekündigt als ein Mann, „der über dem Streit der Parteien steht“ und den 80 % der Deutschen sympathisch finden - wahrscheinlich weil er beim Reden blicken kann wie ein Hund, dem man eine Wurst vor die Nase hält.

Mit ihren vielleicht nächstem Verwandten im Geiste holte die in ihrem Metier der unspektakulären Ausfragekunst durchaus als Koryphäe geltende Moderatorin unverdrossen einen verbalen Waschlappen nach dem anderen aus der Gehirnwaschmaschine, wobei der Bundespräsident niemals in die Nähe eines interessanten Gedankens kam, den die Moderatorin hätte abwürgen können. Hier wurden keine kritischen Fragen gestellt. Dem Zuschauer wurde wie so oft demonstriert, warum die Sendung bei der ARD nicht im Ressort “Politik“, sondern in dem der "Unterhaltung" lief, denn statt den politischen Diskurs zu pflegen, unterhielten sich zwei, die ohnehin einer Meinung waren.

Für einen in der Sendung außergewöhnlichen Realitätskontakt sorgte ein Hartz-IV-Empfänger: Er weigerte sich, die von Christiansen gestellte Frage zu beantworten, wieso er mit Hartz IV mehr Geld bekomme als mit Arbeit. Stattdessen stellte er eine Frage an Köhler – nämlich, ob dieser immer noch finde, dass die Lebensverhältnisse in Ost und West ungleich sein müssen (was Köhler durch die Blume eindeutig bejahte). Zum Ausgleich gab es eine adrette Mitbürgerin mit Migrationshintergrund, die sich bei der sie betreffenden wissenschaftlichen Analyse des Politikers („Sie sind ein Schatz!“) freute wie ein Schnitzel. Am Ende gab es noch stehenden Applaus, weiße Rosen und der Präsident resümierte: „Frau Christiansen, Sie haben Fernsehgeschichte geschrieben!“

Fragt sich nur welche und für wen. Denn mit “Christiansen“ brach sich nicht nur eine hemmungslose Ideologisierung des politischen Diskurses die Bahn, sondern es hielt auch eine massive Herabsetzung der journalistischen Minimalstandards Einzug in die deutschen Fernsehstuben. Durch den vorher erwähnten Trick, die Sendung nicht im Bereich der Politik, sondern in der Unterhaltungssparte unterzubringen, wurde diese der Zuständigkeit der Chefredakteure der Mitgliedsanstalten entzogen und etwaige interne Kritik von vorn herein ferngehalten. Diese redaktionelle Freiheit schlug sich nicht nur beim BILD-mäßigen Duktus vieler Sendungen (“Aufschwung, Sonne, Knut – geht´s uns wieder gut?“), sondern auch auf die Auswahl der Themen (meist in Manier der Springerpresse präsentiert wie "Arm durch Arbeit, reich durch Hartz IV?", die sich nicht fern vom Tatbestand der sozialen Demagogie bewegten) und vor allem der Gäste nieder.

Studie von Lobby Control

Die Studie “Schaubühne für die Einflussreichen und die Meinungsmacher. Der neoliberal geprägte Reformdiskurs bei 'Sabine Christiansen'“, die von Lobby Control letztes Jahr herausgegeben und unlängst im Netz zugänglich gemacht wurde, wertete über eineinhalb Jahre die Sendungen aus und kam hinsichtlich der Gästeverteilung zu folgenden Ergebnissen: Zwar war diese in Bezug auf die im Bundestag vertretenen Parteien einigermaßen ausgeglichen, jedoch zeigten die anderen Gäste und die Art und Weise, wie diese dem Publikum vorgestellt wurden, eine eindeutig neoliberale Schlagseite.

So wurden Meinungspropagandisten aus neoliberalen Think Tanks wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder Protagonisten von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden ungleich öfter eingeladen als Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen oder Rentner- bzw. Patientenvereinigungen. Darüber hinaus wurden erstere dem Publikum als über parteipolitischen Belangen stehende Experten vorgestellt (z. B. Oswald Metzger, Paul Kirchhoff, Friedrich Merz, Bernd Raffelhüschen und Lothar Späth) und ihnen in der Diskussion eine Art Schiedsrichterfunktion zugebilligt, während z.B. Wirtschaftswissenschaftler, die einen anderen ökonomischen Ansatz wie Professor Rudolf Hickel verfolgen - wenn sie schon einmal eingeladen waren – von Anfang an als „Linke“ d. h. Ideologen eingeführt wurden.

Für eine weitere Verzerrung der Meinungsbildung sorgte das Ungleichgewicht in Bezug auf die Verteilung der Zuschauerkarten. So durfte die regierungskrititische Rechtsanwältin Karen Ullmann bei der Sendung “Polizei – Die Prügelknaben der Nation“ gerade mal einen Bekannten auf die Liste setzen, während für die anderen Talkshowteilnehmer zwanzig Plätze vorgesehen waren. Man darf also gespannt sein, wie sich Anne Will, die bislang mit vollem Recht als sympathische, kompetente, kritische, aber nicht wertende Moderatorin gesehen werden darf und nicht ohne Witz agiert, ihre Sendung in Bezug auf die Auswahl der Themen, ihre Präsentation, die Gäste und die Transparentmachung ihrer politischen Einstellung und ideologischen Funktion ausrichten wird.

Weniger Erwartungen auf eine qualitative Umorientierung sind mit dem Austausch von Tony Blair durch Gordon Brown in Großbritannien verbunden. Brown gilt als nicht minder eitler und machtversessener Privatisierungspolitiker wie Blair und war bislang vor allem in seiner Funktion als sturer Finanzpolitiker in Erscheinung getreten. Dennoch ist fraglich, ob Brown sich zu einer solchen Trivialisierung von Politik herablassen wird, wie dies sein Vorgänger getan hat. Bereits vor seinem Erdrutschsieg im Jahre 1996 versuchte Blair mit einigem Erfolg, Popmusiker wie David Bowie, Oasis und die Spice Girls vor seinen Karren zu spannen. Während er als Thatcher in trousers die Politik des Abbaus des Sozialstaats und des Ausbaus der Privatisierung fortsetzte und als “New Labour“ verkaufte, versuchte er sich gleichzeitig beim Tod von Lady Di (wie es Stephen Frears in dem Film The Queen hinreißend darstellte) als eine Art “Premierminister der Herzen“ zu gerieren.

Später stellte sich Blair bedingungslos hinter die Kriegspläne von George W. Bush, sorgte dafür, dass die erfundene Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak zusätzlich aufgesext wurde (eine Verwicklung in den dubiosen Selbstmord des Waffenexperten David Kelly konnte ihm nicht nachgewiesen werden) und ist seit der Widerlegung des Konstrukts als “Lügen-Tony“ bekannt.

Schlussendlich machte der überzeugte Christ noch durch eine halbstündige Privataudienz beim Papst von sich reden. Wird der abergläubische Anglikaner jetzt auch noch Katholik? Seien wir froh, dass Sabine Christiansen das Handtuch geworfen hat, ehe sie dieses Thema mit den üblichen Verdächtigen am nächsten Sonntagabend in aller wissenschaftlicher Ausführlichkeit behandeln und den Zuschauer wieder einmal in den Himalaja paradoxester Unterhaltungskultur entführen konnte.