Publikumsmagnet und Rotes Tuch

Peter Sloterdijk feiert heute seinen sechzigsten Geburtstag

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Man kann zu ihm, seinen Ideen und Schriften stehen wie man will, aber Peter Sloterdijk ist ein Publikumsmagnet – trotz oder vielleicht gerade wegen all des Spotts und all der Häme, die Feuilletonisten, Kollegen und Kritiker über ihn ausgießen (Aufgeschäumte Theorie; Peterchens Mondfahrt; Meister der Plattitüde und des Ressentiments) oder ausgegossen haben. Dies bewies der Philosoph zuletzt erst wieder Anfang des Jahres, als er mit Rüdiger Safranski sein jüngstes Buch „Zorn und Zeit“ (Suhrkamp Verlag 2006) im „Münchner Literaturhaus“ vorgestellt hat. Der große Saal im oberstes Stock des Hauses war mit seinen 500 Sitzplätzen bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf den Gängen tummelte sich noch eine stattliche Anzahl von Fans, die erbittert um zurückgegebene oder nichtabgeholte Karten rangen.

Rotes Tuch

Über diesen Massenzuspruch schütteln professionelle Philosophen im Allgemeinen den Kopf. Sloterdijks Beliebtheit beim bildungsbeflissenen Publikum, aber auch im Ausland (besonders in Frankreich) steht im krassen Gegensatz zum zweifelhaften „Ansehen“, das er bei hiesigen Kollegen genießt. Wer ihn liest oder gar für gut befindet, tut besser daran, ihn im Seminar oder beim Examen nicht zu erwähnen. Andernfalls muss er mit rollenden Augen, missliebigen Blicken und hochgezogenen Augenbrauen, im ungünstigen Fall mit nachhaltigem Groll und Punktabzug durch den Prüfer rechnen. Wofür ihn sein Publikum liebt, seine essayistische Wucht, seine mediale Präsenz sowie seine Fähigkeit, Begriffe in anschauliche Sprachbilder zu tauchen, gilt innerhalb der Zunft meist als Nicht-Philosophie, Aufschneidertum und prosaisches Blabla.

Woher diese Aversion kommt, ist nicht immer leicht zu erklären. Seine intellektuelle Herkunft kann es jedenfalls nicht sein. Anfang der 1970 schrieb er kreuzbrav und im Zeitgeist der damaligen Zeit seine Magisterarbeit zum Thema „Strukturalismus als poetische Hermeneutik“. Fünf Jahre später promovierte er in Hamburg mit einer Studie über „Literatur und die Organisation von Lebenserfahrung“ zum Dr. phil. Vielleicht war es sein langjähriger Aufenthalt im indischen Poona, im Ashram der Bhagwan-Jünger, das den Kollegen unangenehm aufgestoßen ist und ihn zu einer persona non grata an philosophischen Instituten gemacht hat.

Philosophischer Popularisierer

Gewiss ist Sloterdijk an seinem schlechten Ruf nicht ganz schuldlos. Vor allem als er Anfang der 1980er die „Kritik der zynischen Vernunft“ veröffentlicht hatte, gefiel er sich allzusehr in der Rolle des aneckenden „Tonnenphilosophen“, der Schulphilosophen gern mit kecken Sprüchen und steilen Formulierungen provozierte. Der massenhafte Erfolg, den das Buch beim Publikum hinterlassen hat (mittlerweile gehört es mit zu den am meisten verkauften philosophischen Büchern des vergangenen Jahrhunderts), und der Neid seiner Kollegen werden das Übrige getan haben.

Als es jedenfalls später darum ging, einen ordentlichen Lehrstuhl an einer der hiesigen Universitäten zu ergattern, zahlten seine Kollegen ihm das gnadenlos heim. Er durfte froh sein, dass ihm die „Hochschule für Gestaltung“ in Karlsruhe eine Heimstatt bot und er an der Wiener Akademie der bildenden Künste lehrt. Spätestens danach dürfte er seine jugendliche „Zorn und Drang“-Zeit mehr als einmal bereut haben.

Andererseits ist dieses Ressentiment, das Kollegen ihm gegenüber haben, aber auch ungerecht. Zumal er sich neben Jürgen Habermas um die Popularisierung und nachgerade auch Rehabilitierung der Philosophie in der Öffentlichkeit verdient gemacht hat. Weniger vielleicht mit dem „Philosophischen Quartett“ im ZDF, bei dem er in der Rolle des Moderators ausgesprochen fehlbesetzt erscheint und folgerichtig mangels Publikumsresonanz auch in die Nachtstunden versetzt worden ist. Nur wenn Sloterdijk von anderen animiert wird, er statt den Fragenden den antwortenden Part mimen kann, läuft er zur rhetorischer Glanzform auf. Erst in der Rolle des unbequemen Intellektuellen kann er seinen Sprachwitz und Einfallsreichtum voll zur Geltung bringen und mal querköpfig-eigensinnig, mal spritzig-übellaunig oder sarkastisch-bitter ein Thema aufschlüsseln.

Am Puls der Zeit

Trotz aller medialer Dauerpräsenz und trotz ständiger Einwürfe und Statements, mit denen er manchen Zeitgenossen auf die Nerven geht, ist ihm seit der „Kritik der zynischen Vernunft“ kein restlos überzeugendes Buch mehr gelungen. Abgesehen vielleicht von einzelnen Essays und Reden wie seiner "Menschenpark"-Rede auf Schloss Elmau, wo er Heideggers „Brief über den Humanismus“ im Lichte der gen- und biotechnologischen Möglichkeiten neu auslegte (Zarathustra ad portas?). Als er sich mit dem Vorwurf des "Nazi-Philosophen" konfrontiert sah, bedurfte es der Inanspruchnahme all seiner Medienprominenz und aller Seilschaften, um seinen öffentlichen Ruf zu wahren.

Tiefpunkt in seiner Philosophenkarriere dürfte die ebenso pompöse wie schräge Sphären-Trilogie gewesen sein (Herr Sloterdijk, belieben Sie mit uns zu scherzen?). Es war weniger der Inhalt, der missfiel. Raumrevolutionen als Thema großphilosophische Deutung haben vor ihm schon Oswald Spengler und Carl Schmitt aufgegriffen. Und dass der Mensch in der Welt ist, in Wohnwelten lebt und mit der Erde in Form von Familien, Beziehungen und Kommunikationen eng verwoben ist, hatte schon Heidegger philosophiert. Sondern eher Gestus und Habitus, die raumphilosophische Tradition mit psychoanalytischer Kraftmeierei anzureichern, die Abneigung und Verweigerung hervorrief. Es verwunderte nicht, dass sich Sloterdijk daraufhin vom Spiegel als „Herr der Blasen" verhöhnen lassen musste, als Felix Krull der Denkerszene.

Dieses Urteil kann man mit Sicherheit nicht über „Zorn und Zeit“ fällen. Bei dem „psycho-politischen“ Galopp durch Geschichte und Schicksal des Zorns (Produktivkraft Wut) hat es den Anschein, als ob der Philosoph endlich wieder mal die Feder am Puls der Zeit gehabt hätte und es ihm wie Anfang der 1980er Jahre gelungen wäre, die Zeit in Gedanken zu fassen.