Krater von Tunguska-Asteroiden gefunden?

Italienische Physiker haben einen ungewöhnlichen See entdeckt, der die bislang unbewiesene Annahme bestätigen könnte, dass 1908 in Sibirien ein Himmelskörper eingeschlagen ist, der als größter der modernen Zeit gelten müsste

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Noch immer weiß man nicht, was am 30. Juni 1908 in Sibirien geschehen ist. In der weit abgelegenen, menschenleeren Gegend wurden durch eine gewaltige Explosion über 2000 Quadratkilometer der Taiga zerstört 80 Millionen Bäume sollen zerstört worden sein. Augenzeugen berichteten, sie hätten einen Feuerball gesehen, viele Messstationen verzeichneten die damit einhergehenden seismischen Erschütterungen. Es wurden viele Hypothesen aufgestellt, am meisten Beachtung fand die Möglichkeit, dass es sich um einen Meteoriteneinschlag gehandelt haben könnte.

Vom Tunguska-Ereignis umgeworfene Bäume in einer Aufnahme vom Mai 1929

In den frühen Morgenstunden des 30. Juni 1908 konnten Zehntausende von Bewohnern Mittelsibiriens eine außergewöhnliche Naturerscheinung beobachten. Am Himmel stieg eine blendendweiße Kugel auf, die sich mit rasanter Geschwindigkeit von Südosten nach Nordosten bewegte. Sie überflog das Jenisseier Gouvernement – eine Strecke von mehr als 500 Kilometern – und brachte unter ihrer Bahn den Erdboden zum Beben, die Fensterscheiben zum Klirren; der Putz fiel von den Wänden, die Mauern bekamen Risse. In den Orten, wo der Meteor sichtbar wurde, versetzte ein gewaltiges Dröhnen Mensch und Tier in panischem Schrecken … Man hielt das Ende der Welt für gekommen.

So hatte Stanislaw Lem einen seiner ersten Science-Fiction-Romane - "Die Astronauten" (1951) – begonnen und damit an das Tunguska-Ereignis erinnert, das man nach einigen Expeditionen nach dem Einschlag mehr oder weniger vergessen hatte. Im Roman stößt man 100 Jahre später, nachdem stets die Theorie eines Meteoritenschlags verfolgt wurde, bei Bauarbeiten in Tunguska zufällig auf einen Felsbrocken, in dem man eine Spule mit magnetisiertem Draht fand, die sich als Dokument erwies und belegte, dass der Meteor in Wirklichkeit ein Raumschiff gewesen war, das von der Venus stammte. Daraufhin beschloss die internationale Gemeinschaft, die Lem im Jahr 2003 erwartete, ein Raumschiff zu dem Planeten zu schicken.

Hin und wieder wird weiterhin vermutet, dass 1908 ein Raumschiff von Außerirdischen die Ursache der Explosion war, die – je nach Annahme - eine Sprengkraft zwischen 5 und 50 Megatonnen TNT gehabt hat (Sommerloch in Sibirien gefunden). Am wahrscheinlichsten gilt der Einschlag eines Kometen oder Asteroiden. Allerdings wurde bislang weder ein Einschlagskrater noch entsprechende Rückstände gefunden, weswegen vermutet wird, dass das Objekt in einiger Höhe über der Erdoberfläche explodierte.

Es wurden allerdings auch andere Hypothesen entwickelt. So vermutete ein russischer Wissenschaftler, dass ein Erdbeben eine Fontäne aus Öl und Gas verursachte, die aufgrund wachsenden Drucks aus einem alten Vulkankrater hervorschoss und von einer elektrisch geladenen Aerosolschicht entzündet wurde (Rätselraten um Tunguska Explosion). Ein australischer Wissenschaftler hatte sich für eine Explosion von Spiegelmaterie stark gemacht, die beim Aufprall auf die Erde schmilzt. Die Explosion würde über der Erdoberfläche stattfinden, die bekannten Phänomene verursachen, aber weder Krater noch Bruchstücke hinterlassen (Spiegelkometen und -meteoriten stürzen auf die Erde). Andere dachten über kleine schwarze Löcher nach.

Physiker der Universität Bologna, die bereits mehrere Expeditionen in das sibirische Tunguska-Gebiet unternommen haben, gehen aufgrund von Beobachtungen und Modellbildungen davon aus, dass die Ursache der Explosion mit großer Wahrscheinlichkeit ein Asteroid gewesen sein dürfte. In dem Aufsatz The Tunguska event, der in dem Buch "Comet/Asteroid Impacts and Human Society, An Interdisciplinary Approach" (Springer Verlag 2007) erschienen ist, stellt Physikprofessor Giuseppe Longo, der die italienische Forschungsgruppe leitet, die bekannten Fakten und Theorien vor.

3D-Rekonstruktion der Morphologie des Cheko-Sees. Der Wasserspiegel wurde 40 m tiefer als in Wirklichkeit angesetzt. Bild: Terra Nova

In einer neuen Studie A possible impact crater for the 1908 Tunguska Event, die am 15. Juni in Terra Nova erschienen ist (doi:10.1111/j.1365-3121.2007.00742.x), stellen Longo und Kollegen nun die Entdeckung eines möglichen Einschlagkraters im See Cheko vor, der sich 8 km vom mutmaßlichen Epizentrum befindet. 1999 hatte die Gruppe dorthin eine Expedition unternommen und aufwändige Untersuchungen durchgeführt. Der mit einem Durchmesser von 300 m kleine, bis zu 50 m tiefe See hat eine elliptische Form und erstreckt sich leicht schräg tunnelförmig nach unten. Nach einem seismischen Reflektionsprofil stellten die Wissenschaftler etwa in der Mitte des Sees 10 m unterhalb des Grunds eine Irregularität fest, die auf einen hohen Kontrast der Dichte bzw. Geschwindigkeit schließen lässt. Die Wissenschaftler hatten allerdings nicht die Möglichkeit, entsprechende Bohrungen vorzunehmen.

Die Bodentopographie aufgrund einer digitalen Echomessung. Bild: Universität von Bologna

Nach Ansicht der Wissenschaftler konnte der Fluss Kimchu, der in den See fließt, die Form von diesen nicht geschaffen haben. Sehr unwahrscheinlich sei auch, dass es sich um einen Vulkankrater handelt. Auch Thermokarst wird als Ursache ausgeschlossen. Hingegen liege der See nicht nur auf der wahrscheinlichen Flugroute des mutmaßlichen Körpers, auch seine Neigung entspreche der vermuteten Flugbahn von 45 Grad. Die elliptische Form und das relativ geringe Verhältnis von Tiefe und Durchmesser lasse auf einen langsam fliegenden, eher gasförmigen Boliden mit 10 m Durchmesser oder kleiner schließen. Da kein Material gefunden wurde, das beim Einschlag aufgeworfen wurde, könnte der Großteil des Boliden noch unter dem See liegen, wofür auch das seismische Reflektionsprofil spricht. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Bolide aufgrund der Bodenbeschaffenheit (Sumpf, Permafrostschichten) auch kleiner gewesen und Teil eines größeren Objekts gewesen sein könnte, das bereits in einer Höhe von 5-10 km über dem Boden in der Atmosphäre explodiert ist.