Evolutionstheorie contra Schöpfungsmythos

In den USA ist der Kreationismus längst ein Massenphänomen. Doch auch in Deutschland misstrauen immer mehr Menschen den naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen, wenn es um die Entstehung des Lebens geht. Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Christoph Lammers

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Lübeck, 1835: Im stilvollen Landschaftszimmer der Familie Buddenbrook versucht die achtjährige Antonie im Kreis ihrer Eltern und Großeltern den Katechismus aufzusagen, den der „hohe und wohlweise“ Senat soeben herausgegeben hat. Der Anfang gelingt mehr schlecht als recht - „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“, stottert die Kleine, doch dann geht plötzlich alles wie von selbst. Dem Herrn der Schöpfung werden ohne Umstände auch Kleider und Schuhe, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh zugeschlagen.

Wenn man im Gange war, dachte sie, war es ein Gefühl, wie wenn man im Winter auf dem kleinen Handschlitten mit den Brüdern den „Jerusalemsberg“ hinunterfuhr: es vergingen einem geradezu die Gedanken dabei, und man konnte nicht einhalten, wenn man auch wollte.

Thomas Mann: Buddenbrooks

Was Thomas Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits aus ironischer Distanz beschrieb, hat die Gegenwart längst wieder eingeholt. Mittlerweile zweifelt gut die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung daran, dass sich das Leben auf diesem Planeten im Rahmen einer Selbstorganisation entwickeln konnte und glaubt stattdessen, dass es die Evolution entweder nie gegeben hat oder sie direkt auf die Initialzündung und das permanente Einwirken eines Schöpfergottes zurückzuführen ist.

Der Kreationismus, der sich unter dem Schlagwort „Intelligent Design“ nebenbei um wissenschaftliche Akzeptanz bemüht, findet aber auch in Deutschland immer mehr Anhänger und öffentliche Aufmerksamkeit. Nach einer im Auftrag der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) Ende 2005 durchgeführten Umfrage glauben 13 Prozent der Befragten an die christlich-biblische Lehre von der Entstehung der Welt und des Lebens. 25 Prozent meinen, dass ein höheres Wesen das Leben erschaffen und seine Entwicklung kontinuierlich begleitet hat. Nur 61 Prozent können sich uneingeschränkt mit der Evolutionstheorie anfreunden, wie sie einst von Charles Darwin entwickelt wurde (Ungeliebte Evolutionstheorie).

Doch beim Thema Kreationismus geht es keineswegs nur um Glaubensfragen. Christliche Fundamentalisten wie die Glaubensgemeinschaft der Zwölf Stämme oder das Heimschulwerk Philadelphia-Schule opponieren gegen den staatlichen Schulunterricht, weil sie der Meinung sind, dass ihre Kinder dort falsch unterrichtet werden und schädlichen Einflüssen der modernen Welt ausgesetzt sind. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die hierzulande aus religiösen Gründen der Schulpflicht überhaupt nicht nachkommen, soll mittlerweile bei mehr als 500 liegen. Durch das Bemühen, den Bildungsmarkt zu deregulieren und neben den staatlichen vermehrt private Schulen zuzulassen, könnte sich dieser Trend weiter verschärfen, aber der Kreationismus hat auch unter staatlicher Aufsicht und durch gewählte Mandatsträger bereits potenzielle Fürsprecher. Erinnert sei hier nur an Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (Kompetent rückständig, der in Siegfried Scherers umstrittenem Schulbuch „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch“ ein „sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung“ fand (Noch nicht aus dem Vollen geschöpft).

Ein Bericht über die "Gefahren des Kreationimsus für die Bildung" des Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Bildung des Europarats, den der französische Sozialist Guy Lengagne maßgeblich verfasst hat, warnt vor der Ausbreitung des Kreationismus. Dieser könne die Menschenrechte untergraben und die Grundlage der Wissensgesellschaft gefährden. Der Rat wollte diese Woche den Bericht verabschieden, doch 63 der 119 Mitglieder lehnten ihn als unausgewogen und "verwirrt" ab. Symptom für die zunehmende Durchsetzung der religiösen Konservativen. "Wir erleben hier", so Lengagne entsetzt, "wie die Weichen für eine Rückkehr ins Mittelalter gestellt werden, und zu viele Mitglieder dieser Menschenrechts-Versammlung bemerken es nicht."

Der Politikwissenschaftler Christoph Lammers hat zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Nicole Thies nun einen wissenschaftlichen Kongress zum Thema organisiert und durchgeführt. Unter dem Titel Die erschöpfte Theorie? wurde Mitte Juni an der Universität Trier über religiöse, biologische oder soziologische Streitpunkte und über die Frage diskutiert, inwieweit hier eine politische Strategie versucht, Interpretationshoheiten zu besetzen und an gesellschaftlichem Einfluss zu gewinnen. Telepolis sprach mit Lammers über die aktuellen Erkenntnisse.

Lobbyarbeit für die Schöpfungsgeschichte

Wir kennen den Kreationismus bislang vorwiegend aus Amerika. Wie konnte sich in einem Land, das sich nicht ganz zu Unrecht als Zentrum der wissenschaftlichen Forschung und Innovation betrachtet und auf einer strikten Trennung von Kirche und Staat beharrt, eine so ausgesprochen wissenschaftsfeindliche Weltanschauung ausbreiten?

Christoph Lammers: Tatsächlich gibt es dort eine klare Trennung von Kirche und Staat, die überdies durch die Entscheidung mehrerer Bundesgerichte bekräftigt worden ist. Dem Intelligent Design wurde der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit im Winter 2005 sogar ausdrücklich abgesprochen. Auf der anderen Seite existiert in den USA eine starke christlich-fundamentalistische Bewegung, und es gibt keine Schulpflicht. Insofern haben Millionen Familien keine Schwierigkeiten, ihre Kinder nach den eigenen Vorstellungen zu Hause zu unterrichten.

Darüber hinaus wird der Kreationismus in den USA von zahlreichen Lobbygruppen unterstützt. George W. Bush soll wirklich nicht immer als Feindbild herhalten, aber in seiner Amtszeit haben christlich-fundamentalistische Gruppen nun einmal erheblichen Auftrieb erhalten, während säkulare Bildungs- und Sozialprogramme gekürzt oder ganz gestrichen wurden.

Halten Sie es für denkbar, dass den Kreationisten die politische Basis wegbricht, wenn bei den nächsten Präsidentschaftswahlen kein Republikaner gewinnt?

Christoph Lammers: Nein, nicht unbedingt. Die Demokraten stehen dem Kreationismus zwar distanzierter gegenüber, aber sie sind ebenfalls sehr patriotisch veranlagt und schwören natürlich auch auf Gott und die Verfassung. Außerdem zeichnen sich für den Kreationismus auf der einen und das Intelligent Design auf der anderen Seite ganz unterschiedliche Zukunftsperspektiven ab.

Nämlich welche?

Christoph Lammers: Das hängt eng mit der Situation auf dem Bildungssektor zusammen, der von Privatisierung und sozialer Ausgrenzung geprägt ist. Darüber hinaus hat sich die kreationistische Bewegung über Jahrzehnte hinweg als Lobby etablieren können. In den öffentlichen Medien ebenso wie in der Einrichtung von pseudowissenschaftlichen Instituten und dem Bau von antievolutionistischen Museen zeigen sich die erfolgreichen Strategien der Bewegung, die öffentliche Meinung zu gestalten. Viele Menschen, die sich durch ihre gesellschaftliche Situation als schlechter gestellt sehen, fühlen sich von diesen einfachen Welterklärungen angesprochen. Das zeigen auch die neuesten Untersuchungen zur Akzeptanz der Evolutionstheorie sehr deutlich.

Splittergruppen im Vorwärtsgang

In Deutschland sind die Kreationisten ebenfalls auf dem Vormarsch. Gibt es bereits so etwas wie eine einheitliche Bewegung oder zersplittert das Ganze eher in verschiedene Interessengruppen?

Christoph Lammers: Nein, eine einheitliche Bewegung gibt es noch nicht. Erfreulicherweise, denn andernfalls hätte sie sicher schon eine Lobby versammelt und vielleicht auch einflussreiche Ansprechpartner gewonnen, die sich für die Anliegen der Kreationisten stark machen. Momentan richten sich verschiedene Gruppen an unterschiedliche Adressaten: in Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt werden gezielt Spätaussiedler angesprochen, in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Hamburg arbeitet man eng mit evangelikalen Gruppen zusammen. Das gemeinsame Ziel besteht zunächst darin, sich der Schulpflicht zu verweigern und die eigenen Kinder – vor allem in religiösen Fragen – selbst zu unterweisen.

Wer sind die Protagonisten?

Christoph Lammers: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn tatsächlich fehlt uns bis heute eine sozial- oder religionswissenschaftliche Untersuchung, die für Deutschland prägnante Auskünfte zur gesellschaftlichen Situation der Kreationisten liefern könnte. Bekannt sind uns aber zum Beispiel zwei Vereine, die sich der Heimschulbewegung verpflichtet sehen und durch die öffentliche Berichterstattung Aufmerksamkeit erregt haben: Die Bewegung „Schule zu Hause“ (Schuzh) und die Philadelphia-Schule.

Erkennen Sie hier eine umfassendere politische Strategie oder geht es vorwiegend um Bildungs- und Erziehungsfragen?

Christoph Lammers: Von Strategie im eigentlichen Sinne können wir noch nicht sprechen, dafür ist die Zersplitterung einfach zu groß. Allerdings können die Kreationisten sehr wohl die öffentliche Meinung mitgestalten. Wenn über sie geredet wird, wie beispielsweise jetzt gerade, gelangen ihre Themen in den öffentlichen Raum. Es ist zu vermuten, dass sie in Intellektuellenkreisen nur achselzuckend zur Kenntnis genommen werden, aber es gibt in breiten Bevölkerungsteilen auch viele Anknüpfungspunkte. Wir befinden uns schließlich, so behauptet es zumindest Jürgen Habermas, in einem postsäkularen Zeitalter.

Inwiefern bekommen die Kreationisten staatliche oder gesellschaftliche Unterstützung?

Christoph Lammers: Derzeit würde sich kein Politiker offen mit christlich-fundamentalistischen Gruppen solidarisieren. Allerdings erstaunt mich die Naivität, mit der beispielsweise die hessische Kultusministerin, Karin Wolff, auf den Giessener Versuch reagiert hat, Schöpfungslehre und Evolution gleichberechtigt zu unterrichten. Dieter Althaus spielt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle, und auch die Bundesbildungsministerin Annette Schavan könnte sich ein Miteinander von Bibelinterpretation und naturwissenschaftlicher Deutung offenbar gut vorstellen.

Gibt es in Deutschland aktuelle Tendenzen, massiv für das kreationistische Weltbild zu werben oder über die Propagierung des Intelligent Design in Wissenschaftskreisen Fuß zu fassen?

Christoph Lammers: In jedem Fall interessieren sich die Medien sehr viel intensiver für dieses Thema als noch vor 10 oder 15 Jahren. Den Kreationisten ist es, wie gerade gesagt, aber auch gelungen, einen Teil des öffentlichen Interesses für ihre Ideen zu besetzen – denken Sie nur an das Titelbild des „Spiegel“, auf dem Ende 2005 Gott gegen Darwin ins Feld geführt wurde.

Darüber hinaus wurden mittlerweile Präzedenzfälle geschaffen. So etwa in Bayern, wo es den Zwölf Stämmen nach der Zahlung von Bußgeldern und dem Absitzen von Gefängnisstrafen gelungen ist, eine Übereinkunft mit der Landesregierung zu erzielen. Sie dürfen nun Heimschulunterricht durchführen, werden aber von staatlicher Seite kontrolliert. Für die anderen Kreationisten bedeutet das: Wenn wir nur hartnäckig bleiben, haben wir am Ende auch Erfolg. Beim Intelligent Design sieht die Lage anders aus. Zwar gibt es hier ein Netzwerk Wort und Wissen, das nach meiner Einschätzung aber keine Chance hat, in der wissenschaftlichen Diskussion auch nur eine Nebenrolle zu spielen.

Privatschulen als Türöffner im Bildungssektor

Sie befürchten aber einen engen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Privatisierung des Bildungsbereichs, wie sie etwa vom Aktionsrat Bildung angestrebt wird, und dem Verlust der staatlichen Kontrolle über die jeweiligen Lerninhalte.

Christoph Lammers: Wir müssen hier sowohl die Harmonisierung des Bildungsbereiches der Europäischen Union als auch die Tendenzen zur Privatisierung in Betracht ziehen. Die EU strebt einen einheitlichen Bildungsraum an, und da es in den meisten Ländern keine Schulpflicht gibt, wird sich der Trend zur Deregulierung vermutlich auch in Deutschland durchsetzen. Das bedeutet, dass die Schulpflicht in Deutschland kippen kann, aber nicht muss, denn die Verfassung sieht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Da darüber hinaus Bildung Ländersache ist, wird es der Heimschulbewegung darum gehen müssen, mit Einzelaktionen die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Gleichzeitig werden immer mehr Privatschulen gegründet, und davon profitieren eben nicht nur die weltanschaulichen Bekenntnis- oder Waldorf-Schulen, die bereits hervorragend organisiert sind und auf eine lange Lobby-Erfahrung zurückgreifen können. Dass die Kreationisten versuchen werden, an dieser Entwicklung teilzunehmen, selbst weitere Bildungseinrichtungen zu gründen und dann die Lehrinhalte entscheidend mitzubestimmen, liegt auf der Hand. Die Heimschulbewegung hat aber sowohl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Niederlagen erlitten. Den Trend zur Gründung von Privatschulen wird man allerdings so nicht aufhalten können, und diese Chance werden sich die Kreationisten kaum entgehen lassen.

Der Europarat wollte sich bereits mehrfach mit dem Thema Kreationismus beschäftigen und möglicherweise Leitlinien verabschieden, die einen Einfluss auf die nationalen Bildungssysteme weitgehend ausschließen. Erst am Montag dieser Woche wurde das Thema erneut vertagt. Was erwarten Sie von diesem Gremium, und wie effektiv können die Beschlüsse des Rates in der Praxis überhaupt sein?

Christoph Lammers: Ich finde es natürlich bedauerlich, dass die Tagesordnung erneut geändert wurde und glaube auch, dass vielen Politikern gar nicht ganz klar ist, mit was für einem Phänomen sie es hier zu tun haben. Trotzdem hätte eine Behandlung durch den Europarat eher symbolischen Charakter. Es gibt den gemeinsamen europäischen Bildungsraum ja noch gar nicht, deshalb ist es natürlich schwierig, hier verbindliche Beschlüsse herbeizuführen.

Wichtig erscheint mir, dass die einzelnen Staaten und die Gemeinschaft insgesamt eine klare grundsätzliche Linie vertreten. Dies ist bisher nicht der Fall, denn die europäischen Länder gehen sehr unterschiedlich mit dem Kreationismus und der Auseinandersetzung zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie um.

Die Kirchen und die Kreationisten

Welche Rolle spielen eigentlich die beiden großen christlichen Kirchen in dieser Situation?

Christoph Lammers: Die katholische Kirche vertritt offiziell eine deutliche Position, indem sie die Zusammenarbeit mit evangelikalen Bewegungen ablehnt. Dennoch befindet sich die katholische Kirche in einem Dilemma. Einerseits spricht die Bibel eine deutliche Sprache, was die Entstehung des Lebens betrifft. So bezog die Amtskirche bis in die 1950er eine klare antidarwinistische Position. Andererseits haben sich mittlerweile wissenschaftliche Modelle, so auch die Evolutionstheorie, durchsetzen können. Die katholische Kirche sieht sich da einem erhöhten Anpassungsdruck ausgesetzt. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Glaubensvermittlung und Wissenschaftstheorie führte schließlich auch dazu, dass mit Johannes Paul II. die wissenschaftliche Berechtigung – oder Gleichberechtigung – der Evolutionslehre in den 90er Jahren Anerkennung fand. Allerdings gibt es auch andere Stellungnahmen. Kardinal Schönborn hat den „Neodarwinismus“, was immer er darunter versteht, in der „New York Times“ scharf angegriffen, und auch bei Benedikt XVI. ist die Haltung nicht ganz durchsichtig.

Das gilt aber auch für die evangelische Kirche, die bekanntlich dafür plädiert, schon in der frühkindlichen Erziehung klare christliche Wertvorstellungen zu vermitteln. Da ist also noch vieles in Bewegung.

Es dürfte aber doch genügend evangelische und katholische Christen geben, die sich mit der Idee, dass die Erde älter als 5.000 Jahre ist, durchaus anfreunden können.

Christoph Lammers: Ich denke, da irren Sie sich. Die Zahl der Menschen, die an einer naturwissenschaftlichen Welterklärung zweifeln, steigt doch sogar. Nach der Umfrage der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland können immerhin 39 Prozent mit der Evolutionstheorie nicht viel anfangen. Auf der Tagung hat uns Dietmar Graf von der Universität Dortmund berichtet, dass die Akzeptanz selbst unter den angehenden Biologielehrerinnen und –lehrern schwindet. Jeder zehnte geht davon aus, dass die Erde von einem höheren Wesen geschaffen worden ist. Ich finde, das ist schon ein alarmierendes Zeichen.

Gibt es überhaupt eine denkbare Verbindungslinie zwischen Religion und Wissenschaft?

Christoph Lammers: Ich persönlich halte sie für unvereinbar, aber das liegt auch an den völlig unterschiedlichen Herangehensweisen und Zielvorstellungen. Eine Religion hat nicht die Aufgabe, Theorien zu erarbeiten, die verifizierbar oder falsifizierbar wären. Sie gibt Antworten vor, die ja gerade nicht in Frage gestellt werden sollen. Religion ist a priori keine Wissenschaft, sondern eine Weltanschauung.

Sie waren Mitglied im Vorstand des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten und haben sich immer wieder gegen die ewige Wiederkehr des Religiösen – so ein Kongresstitel aus dem Jahr 2003 – eingesetzt. Wie begegnen Sie dem Vorwurf, selbst nur der Widerpart einer religiösen oder ideologischen Auseinandersetzung zu sein?

Christoph Lammers: Das ist eine interessante Frage, die ich mir selbst in dieser Form noch gar nicht gestellt habe. Als Bürger dieses Staates habe ich das Recht, mich in einer außerparlamentarischen Bewegung zu engagieren und Demokratie mitzugestalten. Wenn wir de iure in einem Staat leben, der strikt von kirchlichen Belangen getrennt ist, de facto aber sehen, dass die Kirche der zweitgrößte Arbeitgeber dieser Republik ist und eine Bewegung wie die der Kreationisten ganz offensichtlich Einfluss zu gewinnen sucht, beziehe ich als Demokrat, Beobachter und Wissenschaftler Position.

Allerdings muss der wissenschaftliche Anspruch jederzeit aufrechterhalten bleiben, damit die Diskussion eben nicht zu einer Glaubensfrage wird. Wir haben deshalb in Trier und bei anderen Gelegenheiten gezielt renommierte Wissenschaftler eingeladen und darauf geachtet, dass die Beiträge wertneutral formuliert werden. Es geht nicht darum, kämpferischen Atheisten ein Forum zu bieten und einfach die Gegenseite zu besetzen, sondern um eine Debatte auf empirischen Grundlagen. Das kann, meiner festen Überzeugung nach und sofern es um die Entstehung der Welt und des Lebens geht, nur die Evolutionstheorie sein.