Bundeslöschtage bei der Bundeswehr?

Der Datenverlust bei der Bundeswehr könnte sich zu einer größeren Affäre ausweiten

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Jeder Computernutzer kennt die Angst, durch einen Computerfehler oder aus Unachtsamkeit wichtige Daten zu verlieren. Solch ein Datenverlust beschäftigt zur Zeit die Republik und könnte sich noch zu einer größeren Staatsaffäre ausweiten. Bekannt wurde das Verschwinden der Daten erst, nachdem der Verteidigungsausschuss Akten zum Fall Kurnaz angefordert hatte. Es geht noch immer um die offene Frage, ob an den Verhören des von Pakistan über Afghanistan nach Guantanomo verschleppten Bremers auch deutsche Soldaten beteiligt gewesen sind. Diese Daten sind scheinbar ebenso verschwunden, wie sämtliche anderen geheimen Berichte aus den Jahren 1999-2003. Dabei gibt es gerade zu dem Agieren deutscher Soldaten in dieser Zeit sehr viele Fragen. Waren deutsche Soldaten an Verhören in US-Geheimgefängnissen beteiligt? Wussten andere deutsche Dienststellen davon und leisteten sogar Hilfe? Welche Rolle spielten die KSK-Einheiten in Afghanistan? Die politische Opposition erhoffte sich Aufklärung über solche Fragen gerade aus den Akten des Verteidigungsministeriums, die jetzt verschwunden sind.

Verständlich ist, wenn bei der Opposition ,aber auch bei Datenschutzexperten die Zweifel wachsen, ob es sich hier tatsächlich nur um eine Datenpanne und Schlamperei bei der Bundeswehr handelt. Dazu hat auch das Agieren des verantwortlichen Ministeriums beigetragen. Der Datenverlust wurde erst nach Insistieren des Ausschusses zugegeben. Dabei soll er sich schon 2004 unter dem sozialdemokratischen Verteidigungsminister Struck zugetragen haben. Technische Probleme beim Erstellen von Sicherheitskopien seien dafür verantwortlich, heißt es aus dem Ministerium. Im Jahr 2005 seien die unlesbaren Bänder dann vernichtet worden. Durch Report Mainz wurde der Fall dann der Öffentlichkeit bekannt.

Zweifel an der offiziellen Darstellung

Die Zweifel der Skeptiker an der offiziellen Version sind plausibel. So hält es der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar für wenig glaubhaft, dass die Daten nicht noch hätten gerettet werden können. Warum sollen Methoden, die jeder Computernutzer anwendet, der wichtige Daten verloren hat, in diesem Fall nicht zum Erfolg führen. Es sei zwar plausibel, dass es bei der Sicherung oder Rücksicherung der Daten zu technischen Pannen habe kommen können. Weniger plausibel sei aber, dass man sie nicht hat retten können. Normalerweise gebe es Spezialisten, die solche Datenverluste rückgängig machen könnten, erklärte Schaar. Ähnlich äußerte sich auch ein Experte des Chaos Computer Club. Schließlich könnten heute Spezialfirmen 99 % der verlorenen Daten wieder rekonstruieren.

"Entweder lügt die Bundeswehr, oder sie hat von Computer-Sicherheit keine Ahnung", lautet das Fazit von CCC-Experte Jan Krissler. Auch der Leiter der Datensicherung beim Rechner der Freien Universität Berlin Bernd Melchers betont, dass man "alles, was fehlerfrei auf Bandkassetten geschrieben wurde, auch innerhalb von 20 Jahren wieder auslesen kann". Experten zweifeln auch andere Umstände des angeblichen Datenverlusts an. Nach Angaben des Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministeriums Peter Wichert sei tatsächlich auf Grund von mangelnden Speicherkapazitäten der Computer nur eine Sicherheitskopie erstellt worden. Das klingt nicht besonders glaubwürdig.

Geheime Verhörprotokolle vernichtet?

Die Zweifel werden noch größer, je mehr Informationen über umstrittenen Aktionen verschwunden sind. Darunter seien auch Berichte über die Beteiligung von Offizieren des Militärischen Abschirmdienstes an Verhören in US-Geheimgefängnissen im bosnischen Tuzla im Jahr 2001 und 2002. Die Berliner Zeitung berichtet mit Verweis auf einen ungenannten Geheimdienstexperten, dass in den nun vernichtenden Datenbeständen Auskünfte enthalten gewesen seien, an welchen Verhören Offiziere des Militärischen Abschirmdienst beteiligt waren und wer in der politischen Führung davon wusste. Die Beteiligung sei vom MAD-Gesetz nicht gedeckt und damit rechtswidrig gewesen. "Das die Informationen weg sind, dürfte einige Verantwortliche von damals erleichtern", wird die anonyme Quelle zitiert.

Bisher haben vor allem der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele und der Bundestagsabgeordnete der Linken Paul Schäfer die offizielle Version der Datenpanne angezweifelt. "Ich bin in hohem Maße alarmiert, wenn behauptet wird, es gebe keine Akten ausgerechnet zu den Themen, die zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestages beschäftigen", sagte Ströbele den "Stuttgarter Nachrichten".

Vorsichtiger äußert sich die Sprecherin der FDP-Fraktion Birgit Homburger. Auch sie fordert eine lückenlose Aufklärung der Datenpanne, spricht aber noch von einer „nicht hinnehmbaren Schlamperei“. Noch versuchen SPD und CDU den Skandal klein zu halten. CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Lamers, der der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist, erklärte so gegenüber dem Deutschlandradio:

Ich kann wirklich sagen, dass die Bundesregierung, insbesondere auch das Bundesministerium der Verteidigung, in jeder Hinsicht seit Beginn unserer Tätigkeit als Untersuchungsausschuss sehr kooperativ mit uns zusammengearbeitet hat, dass der Brief des Staatssekretärs ja auch sehr offen die technischen Gründe darlegt, warum etwas verschwunden ist, so peinlich das immer auch ist. Ich habe zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass hier in irgendeiner Form ein anderer Grund zu Grunde liegt als der vom Ministerium geschilderte.

Nach SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold werde die Arbeit des Untersuchungsausschusses im Fall Kurnaz vom Verlust nicht behindert. Überdies würden alle Tagesberichte des KSK-Kontingentführers vorliegen. "Verschwundene Daten laden natürlich immer zu Spekulationen ein", sagte Arnold gegenüber Reuters, der für den Datenverlust die veralteten Computersysteme der Bundeswehr verantwortlich machte.

Eine Wendung könnte der Fall bekommen, wenn sich herausstellen sollte,dass die Einigkeit von SPD und Union in dieser Frage brüchig ist. Schließlich erfolgte der Datenverlust noch zu Zeiten der rot-grünen Koalition. Die brisanten Nachrichten, die dadurch vernichtet worden sind, fallen ebenfalls in diese Zeit. Da schließt sich die Frage an, ob in einer Zeit, als die Bundesregierung offiziell auf Distanz zur Außenpolitik der USA stand, inoffiziell doch deutsche Soldaten an Aktionen beteiligt waren, die von der Verfassung nicht gedeckt waren. Diese Diskussion wurde schon im Fall Kurnaz und bei der Diskussion um die heimlichen CIA-Flüge über Europa laut. Die Union könnte im langsam beginnenden Vorwahlkampf anders als die SPD Interesse haben, diese Fragen möglichst lange in der Diskussion zu halten.

Erinnerung an die Ära Kohl

Die Debatte um die Datenlöschung erinnert auch an eine andere mittlerweile fast vergessene Affäre am Ende der Ära Kohl. Damals sollen Akten des Kanzleramtes vernichtet worden sein, die sich mit damals brisanten politischen Themen wie der Privatisierung der Leunawerke und dem Verkauf des Spürpanzers Fuchs nach Saudi-Arabien beschäftigten. Die Medien sprachen sogar von Bundeslöschtagen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet. Am Ende kam es zu keinen gerichtlichen Verfahren und für die konservativen Medien hat es die Aktenvernichtung gar nicht gegeben. Deshalb sollte man beim aktuellen Fall von Anfang mit mehr Fakten und weniger Vermutungen arbeiten.