"Der erhabenste aller Hysteriker"

Was Sie schon immer über Kino wissen wollten (und sich Slavoj Zizek nie zu fragen trauten)

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Peter Sloterdijk passt gut in Talkshows - sie sind quasi sein Element. Slavoij Zizek passt nicht sehr gut in Talkshows - dafür aber um so besser in Filme. Deshalb gibt es schon drei über ihn: Neben der Dokumentation "Slavoj Zizek - Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!" nun auch "Zizek!", der heute in den deutschen Kinos anläuft, und den bislang nur auf DVD erschienene 150-Minuten-Film "The Pervert's Guide To Cinema", der im Herbst in die Lichtspielhäuser kommen soll.

In "Zizek!" redet der Philosoph und Psychoanalytiker, der ausgesprochen amüsante Schriften zu Hegel und Hitchcock verfasste und herausgab, 71 Minuten in New York, Buenos Aires und Laibach über Hegel, Freud, Lacan, Film, Globalisierung, die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die Verbreitung von Tief- und Flachspülklosetts in den USA, Frankreich und Deutschland.

Gedreht hat die Dokumentation die Soziologin Astra Taylor, die als Autorin für Zeitschriften wie Monthly Review, The Nation und Salon bekannt wurde. Ihr gelang dabei weniger eine Einführung in Zizeks Theorien, als in seinen Stil, seine didaktischen Methoden. Der Film vermittelt das Bild eines Theoretikers, der nicht nur ununterbrochen denkt, sondern genauso ununterbrochen spricht - sogar im Bett. Und obwohl viele seiner auf der Leinwand ausgesprochenen Erkenntnisse in seinen Schriften nachzulesen sind, hat man im Film doch häufig den Eindruck, "live" dabei zu sein, wenn beim Sprechen Erkenntnis entsteht - nicht nur beim Zuhörer, sondern auch beim Sprecher.

"The Pervert's Guide to Cinema"

Mehr über Zizeks Theorien vermittelt der "Pervert's Guide to Cinema" von Sophie Fiennes, der ehemaligen Assistentin von Peter Greenaway, in dem Zizek 150 Minuten lang in seinem Element ist: Er hält in drei Lektionen Filmseminare und erklärt dem Zuschauer dabei Subtexte und Zusammenhänge anhand von insgesamt 43 Klassikern - darunter "The Exorcist", "Alien", "Das Testament des Dr. Mabuse", James Whales "Frankenstein", Cecil B. DeMilles "Ten Commandments" und der sowjetische Musical-Klassiker "Kubanskie Kazaki".

Fiennes drehte mit Zizek an Originalschauplätzen und in nachgebauten Studiokulissen. So spricht der slowenische Kulturtheoretiker unter anderem aus dem in "Matrix" verwendeten Lederstuhl (in dem Neo wählen muss, welche Pille er schluckt), dem (in Schwarzweiß aufgenommenen) Keller von Hitchcocks "Psycho", aus einem Ruderboot, in dessen Hintergrund Bodega Bay explodiert (wie in Hitchcocks "The Birds"), und aus den Zimmern 771 und 773 des ehemaligen Jack Tar Hotel in San Francisco (wo er sich über die Toiletten in Francis Ford Coppolas "The Conversation" auslässt).

Zizek erklärt dabei nicht nur Filme mittels philosophischer und psychoanalytischer Modelle, sondern auch philosophische und psychoanalytische Modelle mit Filmen. Manchmal klappt das sogar bei Lacan. In Teil 1 des "Pervert's Guide to Cinema" erläutert er (unter anderem anhand des Marx-Brothers-Films "Duck Soup" und des Hitchcock-Klassikers "Psycho") Freuds Instanzenmodell (Es, Ich, Über-Ich) sowie seine Konzepte vom Unbewussten, vom Todestrieb und von der Libido. Dabei zeigt er, wie die Symbolsprache des Kinos tief liegende Ängste und Begierden gleichzeitig direkt anspricht und sie trotzdem auf sicherer Distanz hält.

Teil 2 beschäftigt sich dann mit dem Sexuellen - unter anderem mittels Hitchcocks "Vertigo" und Tarkowskijs "Solaris". In Teil 3 zeigt Zizek schließlich (unter anderem am "Wizard of Oz"), dass Kino ein Glaubenssystem ist - und dass der Schlüssel dafür jenseits des Narrativen liegt.