Weimar, Palästina

Hat es in den Palästinensischen Autonomiegebieten je Demokratie gegeben? Und wenn ja - darf man sie einfach abwählen?

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Eineinhalb Jahre haben Israel und die internationale Gemeinschaft nach dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen die Regierung der Autonomiegebiete boykottiert. War das richtig? Oder wurde damit versucht, ein Volk für eine nach demokratischen Maßstäben getroffene Entscheidung abzustrafen (vgl. Ende der Demokratie in Palästina), wie die Gegner argumentieren? „Richtig“, heißt es in Israel und im Westen – denn die Hamas (vgl. Hamastan, Fatahstan und Israel?) rufe zur Zerstörung Israels auf, und das wiederum müssten weder der Jüdische Staat noch die Internationale Gemeinschaft akzeptieren; würde „Hamastan“ tatsächlich entstehen, könnte das zudem unberechenbare Folgen für die gesamte Region haben. „Falsch“, sagen die Hamas und ihre Anhänger, die Wähler hätten ihnen das Mandat übertragen; ihr Auftrag sei es, endlich aufzuräumen, mit der Korruption und allem Anderen, und das könne doch nicht verkehrt sein.

„Aber ja doch“, antwortet das Lager der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, denn eine Demokratie müsse nicht hinnehmen, dass eine politische oder religiöse Kraft ihre Ablösung betreibe, und die Minderheit, möglicherweise sogar die Mehrheit, müsse auch nicht akzeptieren, dass man sie dazu zwinge nach Regeln zu leben, die ihren Lebensstil in unvertretbarer Weise einschränken.

„Unsinn“, kontert die Hamas, wenn eine Mehrheit einen Wechsel des Systems wolle, dann sei das demokratisch, auch wenn es danach keine Demokratie mehr gebe. Politologen fragen sich derweil, ob es in den Palästinensischen Autonomiegebieten überhaupt je Demokratie gegeben habe: Das Wahlsystem, die Wahlen seien fehlerhaft gewesen, weil die einzelnen Gesellschaftlichen Gruppierungen keine ausreichende Berücksichtigung fanden.

Palästina, Schnaps und Schweinefleisch

„Ramallah oder Bethlehem?“, fragt Freij und holt gleich darauf hinter einem Vorhang eine Glasflasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hervor: Arak, ein Anis-Schnaps, der hier in seinem Supermarkt nur nach den Herkunftsorten der einzelnen Marken benannt wird. Klar, es gibt Jordanien, Syrien und Libanon – aber Palästina, also Ramallah oder Bethlehem, da sind sich die meisten Palästinenser, auch die, die keinen Alkohol trinken, einig, das ist einfach der Beste. Wenn es um Patriotismus geht, dann ist selbst das Verbotene plötzlich erlaubt.

Freijs Laden in der Nähe der Altstadt in Ost-Jerusalem ist beliebt, weil er all das hat, was es anderswo nicht gibt, deutschen Kaffee zum Beispiel und Schwarzbrot, und zwar das Echte, aber eben auch Alkohol und Schweinefleisch, hergestellt in einem israelischen Kibbutz. „Sie glauben gar nicht, wie viel ich davon am Tag verkaufe – und die meisten meiner Kunden sind keine Ausländer, sondern Palästinenser, die nicht religiös sind, und alle Anderen kommen wegen der ausländischen Produkte“, sagt Freij, während er die Flasche auf den Tresen stellt und einer verschleierten Frau das Wechselgeld heraus gibt.

Ob ihr der Alkohol nichts ausmacht? „Nein, überhaupt nicht“, antwortet die junge Frau, die Samira heißt, und nach eigener Aussage streng religiös ist:

“Wir Palästinenser leben nach dem Prinzip ,Leben und Leben lassen“ - ich kann doch niemanden dazu zwingen, nach meinen Vorstellungen zu leben. Wenn es mir was ausmachen würde, dass andere Alkohol trinken, würde ich woanders einkaufen. Der Islam soll nicht erdrücken, sondern befreien. Deshalb können wir Leuten, die daran glauben, keine Vorschriften machen.“

Die Umstehenden nicken zustimmend.

Eine Sünde bleibt eine Sünde

Und in einem Café in der Innenstadt von Nablus schüttelt ein Mann namens Omar am nächsten Tag den Kopf. „Es ist Sünde, und es bleibt Sünde; dagegen müssen wir mit allen Mitteln angehen“, sagt der hochrangige Funktionär der Hamas, der seinen Namen nicht nennen will, weil er in diesen Tagen fürchten muss, von den Sicherheitskräften oder Fatah-nahen Milizionären festgenommen zu werden, die seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen gegen Mitglieder der Organisation im Westjordanland vorgehen:

“Die Besatzung und die Fatah haben unsere Gesellschaft korrumpiert, sie dazu gebracht, ihre Kultur und ihre Religion aufzugeben; es ist Zeit, das zu ändern, wenn wir Schlimmeres verhindern wollen. Palästina braucht ein islamisches Wertesystem. Unser Volk will das.“

Worauf er das zurück führt? „Das Volk hat uns gewählt, nicht die Fatah, oder eine andere säkulare Partei. Wir haben das Mandat bekommen, das System zu ändern.“ Ob er es für demokratisch hält, die Demokratie abzuwählen?

Das Recht des Volkes, zu bestimmen, sollte doch allumfassend sein, oder? Also hat das Volk auch das Recht, für einen Systemwechsel zu stimmen.

Zwei nahezu unversöhnliche Positionen

Dieses Demokratie-Verständnis hat Fragen aufgeworfen, die in den vergangenen Monaten, in denen sich die Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas weigerte, der Hamas ihren Teil der Macht zu übergeben, in intellektuellen Zirkeln in den Palästinensischen Gebieten, also ungefähr dem zukünftigen Palästina, aber auch anderswo, oft diskutiert wurden: Was ist eigentlich demokratisch? Wie weit kann, darf, muss Demokratie gehen? Und was war eigentlich der Wille des palästinensischen Volkes, als es der Wahlliste „Wechsel und Reform“, der Hamas also, bei den Parlamentswahlen am 26. Januar 2006 die absolute Mehrheit gab und ihm damit einen internationalen Boykott bescherte, der im Laufe der folgenden eineinhalb Jahre in den Palästinensischen Autonomiegebiete so gut wie alles zum Stillstand brachte? War dieser Boykott undemokratisch, weil damit versucht wurde die demokratische Entscheidung eines Volkes zu torpedieren? Und: War diese Entscheidung wirklich demokratisch?

Fragen über Fragen, auf die es bis heute keine wirklichen Antworten gibt, denn der Diskurs ist von zwei nahezu unversöhnlichen Positionen geprägt: Die Einen, die vor allem aus dem Spektrum der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) stammen, holen sofort ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus den 50er Jahren aus der imaginären Schublade, in welcher der Begriff der „streitbaren, wehrhaften Demokratie“ geprägt und festgestellt wurde, dass das System keine Kräfte zu akzeptieren braucht, die es auf seine Ablösung anlegen.

„In einer Demokratie geht es doch darum, dass jeder die Freiheit hat, so zu leben, wie er es wünscht“, sagt Jasser Fanuneh, Soziologe und Experte des zweiten israelischen Fernsehkanals für die Palästinensischen Gebiete. Ähnlicher Ansicht ist auch der Fatah-Funktionär Saeb Erekat:

Es kann nicht demokratisch sein, dass die Mehrheit einen Wechsel bestimmen darf, der so drastisch ist, dass er das Leben eines mehr oder weniger großen Teils der Bevölkerung von Grund auf ändert. Aber genauso das will die Hamas (vgl. Konflikt der Kulturen): Sie möchte jeden Aspekt jener Menschen ändern, die eben nicht religiös, oder nicht religiös genug sind – und das ist unakzeptabel, weil es nicht dem Grundkonsenz innerhalb der palästinensischen Gesellschaft entspricht.

Beide, und viele andere auch, sind sich sicher, dass es notwendig ist, nun gegen die Hamas vorzugehen (vgl. Gute Seiten, Schlechte Seiten), gerade weil sie droht, gegen die Bedürfnisse der palästinensischen Gesellschaft zu handeln – selbst wenn das gegen die Verfassung sei:

Als die Verfassung geschrieben wurde, hat man an eine solche Situation nicht gedacht, aber deshalb kann man ja nicht einfach die derzeitige Lage akzeptieren.

Jasser Fanuneh

Ansichten, die auf Seiten der Hamas natürlich auf Widerspruch stoßen: „Ein vom Westen oktruiertes Demokratie-Verständnis“ sei das, heißt es, „ein weiteres Beispiel für die Korruptheit der Fatah“. Selbstverständlich sei aus dem Wähler-Votum ein Mandat für einen Systemwechsel abzuleiten: „Das palästinensische Volk wird behandelt wie kleine Kinder“, behauptet Hamas-Funktionär Omar:

“Demokratie ja, aber nur in engen Grenzen. Ist es nicht letzten Endes auch im Westen so, dass sich die Minderheit dem Votum der Mehrheit unterzuordnen hat? Das säkulare System hat versagt, weil es nicht dem Wesen der Palästinenser entspricht, und die Wähler haben das bei den Wahlen erkannt.“

Klassische Protestwahl

Doch was die Wähler bei den vergangenen Wahlen (vgl. "Wenn Israel die Besatzung stoppt, werden wir auch den Widerstand einstellen" und "Wenn es nicht anders geht, müssen wir eben ohne die palästinensische Seite weitermachen") gewollt hatten – das ist ziemlich offen: Eine Protestwahl gegen die sich immer streitenden, im Hintergrund selbst bereichernden Funktionäre der Fatah, die es in 40 Jahren nicht geschafft haben, einem unabhängigen palästinensischen Staat näher zu kommen, sei es wohl gewesen, sagen Meinungsforscher und fügen hinzu, dass man daraus keinesfalls den Willen zur Einführung eines islamischen Systems ableiten könnte:

„Die Leute wollten der Fatah einen Denkzettel verpassen“, sagt ein Sprecher des internationalen Umfrageinstituts Gallup, das vor, während und nach der Wahl eine Reihe von Umfragen angefertigt hat - „die Hamas bot sich dafür an, weil ihre Kandidaten, die netten Herren von nebenan waren. Die Plattform der Organisation spielte dabei kaum eine Rolle.“

Auch Politologen sind der Ansicht, dass die politischen Ziele der Hamas den meisten palästinensischen Wählerinnen und Wählern eher fern sein dürften: „Wir hatten es mit einer klassischen Protestwahl zu tun, wie wir sie in den vergangenen Jahren auch mehrmals in Europa gesehen haben“, sagt der Politologe George Dunn, der sich mit der politischen Kultur der Palästinensischen Gebiete befasst:

Die Wähler waren mit der Regierungspartei unzufrieden und haben deshalb für die Partei gestimmt, die ihnen sauber und unverbraucht erschien und sich um die Menschen kümmert. Aus ähnlichen Motiven stimmen deutsche Wähler für Linkspartei oder NPD. Das ist ein Phänomen, das schnell wieder vorbei sein kann, wenn sich die politischen Gegebenheiten ändern.

Traditionell seien Palästinenser politisch divers und pluralistisch eingestellt. So hätten die palästinensischen Flüchtlinge und deren Nachkommen in Jordanien das dortige Konzept eines durch Gott legitimierten Königs als mit umfassenden Machtbefugnissen ausgestattetes Staatsoberhaupt nie wirklich akzeptiert. Stattdessen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von politischen Gruppen gegründet und meist unter dem Dach der PLO versammelt, wo sie allerdings im Schatten der großen Schwester Fatah kaum oder gar nicht wahr genommen werden.

Es ist sehr einfach, zu der Ansicht zu gelangen, dass die politische Landschaft Palästinas aus Hamas und Fatah besteht, aber das ist nicht so. Es sieht nur so aus, weil das Wahlsystem großen, reichen Parteien Einfluss sichert, die schon Einfluss haben, und das ist so gewollt: Die Fatah hatte das aktuelle System durchgeboxt, weil sie glaubte, damit ihre Macht ausbauen zu können.

George Dunn

Kleine Parteien ohne Chance

Gewählt wird nach einer Version des Hare-Niemeyer-Systems, wie es in Deutschland genutzt wird: Die eine Hälfte des Parlaments besteht aus Direkt-, die Andere aus Listenmandaten; nur Überhangmandate gibt es keine. Während die Fatah argumentiert, man habe durch die Änderung eine Zersplitterung des Parlaments in kleine und kleinste Fraktionen verhindern wollen, hat die Reform vor allem dazu geführt, dass viele gesellschaftliche Gruppen und deren Interessen kaum oder gar nicht repräsentiert werden, weil kleine Parteien weder ausreichend Geld für Wahlwerbung hatten noch dazu in der Lage waren, vor Ort präsent zu sein, wie es Fatah und Hamas konnten.

Zudem konnte die Hamas ihr umfassendes Netz aus sozialen Einrichtungen für die Wahlwerbung nutzen, was vor allem bei den verarmten Bevölkerungsschichten gut ankam. Die Fatah nutzte derweil das umfassende Netz aus ihr nahe stehenden Medien – und natürlich die Mittel der Palästinensischen Autonomiebehörde, was sie nach 40 Jahren der Vorherrschaft als ihr gutes Recht betrachtete.

Schon während des Wahlkampfes hatten internationale Beobachter deshalb kritisiert, dass die „Ressourcen der Fatah nahezu deckungsgleich mit den Mitteln der palästinensischen Autonomiebehörde“ gewesen zu sein schienen. „Demokratie ist mehr, als nur Wahlen abzuhalten; man muss auch dafür sorgen, dass sie frei ablaufen, und vor allem jedem die gleiche Chance sichern“, sagt Dunn:

In Palästina müssten dafür vor allem Gesetze zur Wahlkampffinanzierung geschaffen und die Zugangsrechte für die Medien für die einzelnen Parteien klar geregelt werden.

Zustimmung kommt ausgerechnet aus der Zentralen Wahlkommission der Palästinensischen Autonomiebehörde: Es gebe viele Mitgliede,r die das ähnlich sähen, heißt es dort; die Entscheidung, zu Hare-Niemeyer zu wechseln, sei eine politische gewesen, von der man abgeraten habe. So lange sich in den Autonomiegebieten keine Volksparteien heraus gebildet haben, die ein möglichst breites politisches Spektrum abdecken, brauche Palästina ein System mit einer niedrigen Wahlhürde, in dem auch kleine Parteien eine Chance haben.

Unterordnen?

So aber ist die Fatah an der Einschätzung ihrer eigenen Beliebtheit gescheitert und hat der Welt die Hamas als politische Kraft beschert. Die wiederum hat daraus die Erlaubnis abgeleitet, über die politische und gesellschaftliche Diversität hinwegzusehen und den Palästinensischen Autonomiegebieten ihren Stempel aufzudrücken. Damit hat sie auch den Grundkonsenz (vgl. Träume ohne Grenzen) zur Debatte gestellt, demzufolge alle, auch die radikalen Elemente ihren Platz in der Gesellschaft haben dürfen, so lange alle anderen auch das machen dürfen, was sie wollen. In der Praxis hat das zu einer Kantonisierung geführt – Ramallah den Säkularen, Hebron, Nablus, Gaza den Religiösen.

Die Hamas fordert nun, dass sich alle, also auch die unbestimmt große oder kleine Minderheit / Mehrheit, die einen anderen Lebensstil wollen, jener unbestimmt großen oder kleinen Minderheit /Mehrheit unterordnen, die ein islamisches System wollen. Ist das demokratisch?

Diese Frage wird wohl im Telepolis-Forum kontrovers diskutiert werden, aber eine Antwort darauf wird wohl niemals gefunden werden. Gerade deshalb ist sich Journalist Fanuneh sicher:

So lange wir nicht wissen, was das Richtige ist, müssen wir das System beibehalten, das allen die größtmögliche Freiheit einräumt, und dafür sorgen, dass darin alle gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert sind. Eine Einheitsregierung ist nur dann eine Einheitsregierung, wenn sie das gesellschaftliche Spektrum abbildet, und das war bei der Letzten nicht der Fall. Und vor allem müssen wir auch die Bedürfnisse und Befürchtungen unserer Nachbarn in Erwägung ziehen, wenn unser Staat Wirklichkeit werden soll, denn dazu müssen wir unseren Platz in der Welt finden.

Gefahr für Israel

Denn dort richtet man sein Augenmerk auf einen anderen Teil der Hamas-Plattform – jenen, in dem die Hamas zur Zerstörung Israels aufruft. Denn dies ist eine Forderung, die die Hamas im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder durch sehr blutige Bombenanschläge unterstrichen hat – und es auch immer noch tut, indem sie ihre Anhänger Raketen auf die israelischen Städte in der Nachbarschaft des Gazastreifen abfeuern lässt.

„Das ist nicht nur Gerede, sondern Realität“, sagen ausländische Diplomaten:

Genauso wie die Palästinenser haben auch Israelis ein Recht auf ein Leben in Sicherheit.

In der internationalen Politik sei die Erwägung, ob die Wahl demokratisch gewesen sei, oder nicht, ziemlich egal – man könne finanzieren, wen man wolle, und die Hamas wolle man eben nicht finanzieren, weil sie eine Gefahr für ein anderes Land darstelle, und nicht sicher gewesen sei, dass die Mittel, die eigentlich die Arbeit der Autonomiebehörde unterstützen sollen, dafür genutzt werden, Waffen zu kaufen.

„Es wurden ja bereits frühzeitig Mechanismen geschaffen, über die Gelder an die Fatah geleitet wurden; aber einfach so zu tun, als sei nichts passiert – das wäre unmöglich gewesen“, sagt ein US-Diplomat: „Beim nächsten Bombenanschlag in Tel Aviv hätten wir uns fragen lassen müssen, ob der Sprengstoff möglicherweise mit unserem Geld gekauft worden ist.“

Ob das nicht eine Einmischung in die Entscheidung eines Volkes war?

“Wenn dieses Votum demokratisch gefallen ist, dann war es ein falsches Votum – die Wähler hätten sich vorher Gedanken darüber machen müssen, was geschehen würde.“

Ähnliche Töne sind auch aus Israel zu hören – aus emotionalen, moralischen, aber vor allem aus sicherheitstechnischen Gründen seien eine Zusammenarbeit, ja, selbst Kontakte mit der Hamas unmöglich, sagen Regierungsmitarbeiter:

Es gibt zu viele Israelis, die Angehörige bei Anschlägen der Hamas verloren haben – denen können wir nicht einfach sagen, dass wir jetzt mit der Hamas reden, obwohl die Organisation mit neuen Bomben droht.

Für die Sicherheit des Staates sei es wichtig, eine stabile palästinensische Autonomiebehörde an der eigenen Seite zu haben, von der keine Gefahr für Israel ausgeht – dass daraus irgendwann ein Staat werden wird, bestreiten die meisten gar nicht einmal mehr. Allerdings sei dabei Demokratie nicht immer hilfreich, weil man nie wisse, was bei den nächsten Wahlen passiert:

Wir können natürlich nicht allen Ernstes die Einführung einer Diktatur in den Gebieten fordern, aber wir sind ebenfalls der Ansicht, dass das Wahlrecht reformiert werden muss, um politische Stabilität zu gewährleisten und zu verhindern, dass uns die Palästinenser noch einmal mit einer solchen Situation konfrontieren.

Der Boykott hat den Einfluss der Hamas verstärkt

Denn Eines ist mittlerweile klar geworden: Der Boykott, von dem sich die Boykottierenden sicher sind, dass sie keine andere Wahl hatten, hat auch einen unangenehmen Nebeneffekt gehabt: Denn ausgerechnet dadurch konnte sich die Hamas weiteren Einfluss im Westjordanland sichern, weil ihre Einrichtungen Funktionen im sozialen Bereich übernahmen, die die bankrotte Regierung nicht mehr ausüben konnte, die aber umso wichtiger wurden, jeder stärker der Boykott die Menschen verarmen ließ.

Doch nicht nur hier hat die Hamas ihre Fingerabdrücke hinterlassen. Das Wahlergebnis hat ihre Anhänger kecker gemacht, ihnen das Gefühl gegeben, dass sie jetzt jenen, die nicht so leben wie sie, Anweisungen geben dürfen, wie auch der Jerusalemer Händler Freij erfahren musste: In seinem Laden ist seit einigen Monaten ein junger Mann mit Pferdeschwanz zu finden, der jeder Münchner Szene-Disko als Türsteher Ehre machen würde; warum er da steht, dazu beantwortet Freij keine Fragen – dafür aber ein Beamter der örtlichen Polizeiwache ein paar Meter weiter: „Da ist ein Sittentrupp der Hamas unterwegs“, erklärt er und zeigt auf einen Stapel Akten - „die sorgen jetzt hier für Anstand und Moral.“