Vom Kerker über den Knast zur Hilton

Knastologische Meditationen

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Käfig-Haltung ist unmenschlich. Das gilt nicht nur für Hühner. Der Knast ist das Spiegelbild einer Gesellschaft, so wie man Klos soziologischer Feldforschung zufolge für die Visitenkarten von Wohnungen halten mag. Die bundesdeutschen „Justizvollzugsanstalten“ bestechen bereits durch die Entschiedenheit ihres Namens, der euphemistisch verhüllt, dass man hier gegen seinen Willen festgehalten wird. Die von Georg Friedrich Wilhelm Hegel behauptete Ehrung des Verbrechers in der Strafe ist also eine Form aufgedrängter Bereicherung bzw. erzwungener Menschwerdung.

„Justizverzugsanstalten“ könnten sie auch heißen, wenn man sie als Verwahranstalten begreift, die wie Altenheime, Erziehungsheime – oder die zwei Fliegen mit einer Klappe schlagende Kombination Seniorenknast in Singen am Bodensee - Menschen unterbringen, von denen diese Gesellschaft eben nicht so genau weiß, wo und vor allem wie man sie unterbringen soll. Wer sich für Abu Ghraib oder Guantanamo oder global verstreute Folterdependancen entscheidet, hat ein fundamental(istisch) gestörtes Rechtsstaatsverständnis und versagt damit in paradoxer Weise als Demokratielehrer. Doch weniger exponierte namenlose Nichtorte banaler Sinn- und Hilflosigkeit gibt es viele.

Playstation „Knast“

Der, der heute in diesen „Bau“ eintritt, soll vorgeblich nicht mehr wie in Dantes Hölle oder ihrem irdischen Ableger, den Bleikammern von Venedig, alle Hoffnung fahren lassen. Nein, ganz im Gegenteil: Der Knast macht dich zum wahren Menschen, zumindest in der Vision des Gesetzgebers, der Resozialisierung für den staatlich kontrollierten Ausgang des Menschen aus seinem selbstverschuldeten Sünderdasein hält.

Gewiss, manch einer wird so wach im Gefängnis, dass er nie mehr hinein will. Welcher Lerntheoretiker würde behaupten, dass man nicht auch durch Schmerzen motiviert werden kann, wenn nicht moralischer, so doch wenigstens sozialadäquater zu reagieren. Das Resozialisierungsergebnis ist indes so ungewiss wie die Rückfallstatistik gewiss ist. Gefängnishaltung bleibt mindestens ebenso geeignet, statt eines zukunftsträchtigen Ausbildungsberufs die bereits eingeschlagene Karriere noch weiter zu professionalisieren.

Voraussetzung ist selbstverständlich, dass man es überlebt. In der JVA Siegburg wurde Ende 2006 ein Insasse von Mitsträflingen zu Tode gefoltert, was längst nicht heißt, dass der deutsche Strafvollzug im Ländervergleich schlecht abschneiden würde. Exzesse wie in Siegburg werden als bedauerliche Panne, als Pervertierung einiger Unverbesserlicher abgewiegelt, obwohl die seit Olims Zeiten zu beobachtende Verrohung - nicht nur die von Franz Blum - doch genauso zur Struktur der Gefängnisgesellschaft gehört wie eine Strafe, die durch den Terror der Zellenbrüder noch verschärft wird. Das allerdings steht in keinem Gesetz, sondern wird als Gratis-Schock für die dazu geliefert, die noch nicht „schmerzfrei“ sind. Denn Gefängnis soll Weh tun, was vor einigen Jahren einen Spaßvogel in einer juristischen Fachzeitschrift verleitete, Haftverschärfungen wie härtere Schlafgelegenheiten und kargere Mahlzeiten etc. für Häftlinge vorzuschlagen. Als Satire wurde das von den Lesern nicht geoutet. Das ist kein Wunder, wenn man das durch den Film „Das Experiment“ zur Berühmtheit gelangte Stanford-Prison-Experiment betrachtet, das eindringlich demonstriert, welche sadomasochistischen Eigenschaften solche Anstalten hervorlocken.

So lange es Gefängnisse gibt, so wie sie hier wie anderenorts bestehen, so lange kann keine Gesellschaft beanspruchen, bereits ein hinreichendes Verständnis von Humanität erreicht zu haben. Zwar präsentieren sich die vormaligen Orte der Inquisition, Tortur und staatlich verordneten Zwangsverblödung von Menschen vordergründig verwandelt. Fernseher, Playstation und Tischtennisgruppe sind indes längst kein Surrogat für freiwillige menschliche Nähe, Privatheit, Intimität etc. Kann man überhaupt Freiheit durch Unfreiheit lernen? Oder ist das so erfolgsträchtig wie Bushs Demokratielehrgänge für Unwillige?

Wie widersinnig dieses Strafvollzugssystem funktioniert oder eben nicht, belegen haftinterne Sanktionen für Renitente, die dann – ohnehin durch das Leben in der Nichtgemeinschaft gestresst – keinen Hofgang kriegen oder bekenntnisunwillige Teilnehmer an Gruppentreffen, die beim „Bastelverbot“ dann darüber meditieren dürfen, warum auch ihr Leben im Knast ein Irrtum bleibt.

Nach dem Gesetz soll das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen und den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegengewirkt werden. Sieht man von der eher minoritären Interpretation ab, dass die Gesellschaft ohnehin ein großes Gefängnis ist, scheint nicht nur die Strafe, sondern auch das Gesetz selbst vollzugsbedürftig zu sein. Sollte das Gesetzesideal nur durch die fundamentale Transformation der bestehenden Gefängnisse erreichbar sein? Denn wenn der Begriff „Parallelgesellschaft“ in Deutschland seine Drohwirkung entfaltet, dann doch gerade im Fall der eingeschlossenen Zwangsgesellschafter, die eben nicht nur Subjekte abstrakter Gesetze sind, sondern die Gleichheit der Freiheitsstrafe als Ungleichheit erfahren, die nicht den verschiedenen Charakteren und Typen gerecht wird.

Dass die gefährlich destruktive Gefängniswirklichkeit, die maßgeblich durch Personalmangel und gesellschaftliche Ignoranz erhalten wird, langsam auch jenseits der Mauern in das Bewusstsein tritt, markiert etwa der von Bush erlassene, wenn auch nicht initiierte, und einstimmig gebilligte „Prison Rape Elimination Act“ von 2003. Diese längst überfällige Maßnahme wurde erst durch die Dramatisierung eines Stoffs, der eigentlich doch keine Dramatisierung benötigt - etwa von Miguel Piñero in seinem Stück und späteren Film "Short Eyes" - lange zuvor medial vorbereitet. Nicht nur in Amerika ist die Wirklichkeit erst dann politikfähig, wenn sie in den Medien als Wirklichkeit hergestellt wird.

Hilton oder Knast

Der Bravo-Starschnitt in Lebensgröße war für Pubertierende in der bundesrepublikanischen Medienfrühzeit die kostengünstige Virtualisierung des begehrten Helden. Morgens aufwachen und vom Star angestrahlt zu werden, das war fast glücksverdächtig.

Paris Hilton, die sich im Gegensatz zu Roy Black von ihrem Starschnitt nicht mehr essentiell unterscheidet, wachte rund drei Wochen lang im Gefängnis auf. Verurteilt wurde sie nicht wegen der Kontamination der Medienumwelt mit der Seuche des Banalen, weil das trotz gestiegener gesellschaftlicher Sensibilität für Umweltunverträglichkeiten weiterhin kein Straf- oder wenigstens ein Ordnungswidrigkeitentatbestand ist, sondern wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Michel Foucault wusste, dass in einer Gesellschaft, in der die Freiheit ein universales Gut für jedermann ist, die Gefängnisstrafe der große Gleichmacher schlechthin ist. Also Immobilismus für zu viel Mobilität, vulgo: Freiheit. Immerhin kampierte Hilton - angeblich äußerst kostenaufwändig - in einer Einzelzelle, fernab der wie immer erregten Strafgenossinnen, die ihr schon mächtig Ärger angekündigt haben, wenn sie „herumzickt“. Und was kann eine wie Paris Hilton schon anderes tun als das, wenn doch darin ihre gesellschaftliche Bestimmung liegt, die ihr von den Medien nahezu einhellig verliehen wurde? Ob sie nun den Wiener Opernball durch ihre bloße Anwesenheit überstrahlt oder in der Justizvollzugsanstalt das Büßen übt, ist für die radikalen Wirklichkeitskonstruktivisten der Medien fast dasselbe. Denn die Geburt des Stars aus dem Ungeist der Unterhaltung lässt jedes Nichtereignis spannend werden.

Dutzende von Medienteams umkreisten dieses Gefängnis in der Hoffnung, die Wünsche ihres Publikums auf diese Medienikone zu projizieren. Und wieder einmal wird klar, wie das von allen Inhalten befreite Megastar-Sein und das fundamentalontologische „Nichts“ zusammenfallen? Paris Hilton ist deshalb ein neuer Startypus, weil sie die Banalität des klassischen Pop-Artisten, etwa Andy Warhols, noch um einige Künstlichkeitsgrade überbietet. „A virtual girl in a material world“ oder „a material girl in a virtual world“, was eben jede Wirklichkeitsdiagnostik um den Verstand bringen sollte.

„Ich komme hierher, ich sitze meine Strafe ab und ich werde der Welt zeigen, wer ich wirklich bin", übersetzte Anwalt Richard Hutton Hiltons virtuelle und höchst temporäre Mission auf dem Gefängnisplaneten. Als ob das irgendwen interessierten würde, zudem der schamlose Tabubegriff „Wirklichkeit“ nun so überhaupt nicht zu dieser, von einigen Verkehrsdelikten abgesehen, fleckenlosen Existenz passt. Reichten Myriaden von Features und Interviews, die uns an diesem Begriff verzweifeln lassen, immer noch nicht aus, die Wirklichkeit der Hilton für alle Zeitalter ausreichend zu dokumentieren?

Hiltons neue gesellschaftliche Sendung ist für die Zeit danach ausbaufähig, fortan als geläuterte Büßerin und zukünftige „Gutmenschin“ zu zeigen, dass es auch ein virtuelles Leben im „first life“ gibt. Paris Hilton ist Paris Hilton ist Paris Hilton, nichts als Paris Hilton. Ein Readymade, dessen köstlichstes Versprechen die Abwesenheit jeglichen Gehalts und jeder bezeichenbaren Fähigkeit ist, von jener abgesehen, Geld aus bloßem Da-Sein zu generieren.

Die bürgerliche Arithmetik des Strafens

Bereits am zweiten Tag von Hiltons Hotelvollzug erscheint der Psychiater Charles Sophy bei der völlig entnervten Paris. Am dritten Tag wird die Hilton bereits entlassen und nach großen Protesten der Öffentlichkeit wieder „eingelocht“, damit das egalitäre Gerechtigkeitssystem hier nicht symbolischen Schaden nehme. Da ist dann prompt von Klassenjustiz die Rede, als ob man ausgerechnet auf die Hilton gewartet hätte, um Aussagen über das amerikanische Justizsystem zu gewinnen.

Dass in diesen für amerikanische Maßstäbe komfortabel bereiteten Knastwochen die amerikanische Gerechtigkeit vollzogen wird und es Reiche und Arme gleichermaßen trifft, wenigstens wenn sie gesündigt haben, das kann nicht einmal der Frömmste glauben. Denn das amerikanische Justiz-System hat sich schon oft desavouiert und dank DNA inzwischen nicht wenige Urteile als die Vorurteile geoutet, die man schon immer darin vermutete. Die Justiz, übrigens nicht nur in Amerika, braucht Täter. Der Strafvollzug an Paris Hilton wird gewiss nicht zur moralischen Botschaft verkommen, weil das die Reinheit dieser deodorierten Gesichts und der ihm verpflichteten Medienerzählungen nur stören könnte.

Knastprofi Fritz Teufel erläuterte den Strafvollzug so: „Still schäm ich mich in meiner Zelle, Fritz Teufel, Ausgeburt der Hölle.“ Dieser Teufel bringt komisch auf den unkomischen Punkt, was auch der Gefängnisphilosoph Foucault in diversen Anstalten beobachtete: das Individuum wird isoliert, um es in eine Beziehung mit seinem eigenen Gewissen zu treiben. Für ein Partygirl ist das bereits die Hölle, die nicht dadurch erträglicher wird, dass Thomas Mann dieselbe für einen tosenden Partybetrieb gehalten haben soll. Teufel hatte anders als Hilton gut lachen, schließlich war es damals ein politischer Akt, in der Zelle zu brummen und nicht das strafrechtlich verkaterte Ende eines Fetenspaßes. Schon für die Bolschewiki war das „Absitzen“ in todtraurigen zaristischen Zellen halt Kampf gegen den Klassenfeind, was sie indes nie inspirierte, über die Humanisierung des von ihnen später selbst praktizierten Strafvollzugs nachzudenken. Die Politisierung der Haft zum Klassenkampf macht es vermutlich auch Christian Klar einfacher, ja vielleicht erst möglich, im Knast zu verharren. So wenig das bei jenen wahrgenommen wird, die das Gefängnis immer noch für eine moralische Besserungsanstalt und nicht eine der großen moralischen Fragwürdigkeiten der Gesellschaft halten.

Eine Verwöhnungs-Gesellschaft räsoniert also darüber, ob man Ex-Terroristen wie Klar und Mohnhaupt noch einige Jahre im Knast sitzen lässt oder nicht. Heiliger Tucholsky! Die da draußen entscheiden, was denen da drinnen gut oder schlecht tut. Wer weiß überhaupt, was es heißt, dort zu sitzen? Wie lang ist ein Tag in der Zelle, eine Woche, ein Monat, ein Jahr, ein Leben? Eigentlich dürften nur die Strafen verhängen, die sie selbst erlitten haben, denn nur die wissen, was sie tun.

Hat er schon genug gesühnt? Das klingt wie ein zynisch-bürgerlicher Antisponti-Spruch auf Gefängnismauern und in den grauen Zellen der etwas anderen Art. Und die aufgebrachten Opfer und ihre Familien werden sich fragen: Wie konvertiert man staatlich zugefügtes Leiden für zweifelsohne schwere Verbrechen in Opfergenugtuung? Den Opferangehörigen sei es nicht zumutbar, einen zu entlassen, der keine Reue zeigt, lautete der bräsige Generalbass der Diskussion um die Begnadigung bzw. vorzeitige Entlassung der Terroristen. Der empfindsame Friedrich Nietzsche zeigte sich weiland entsetzt, dass ein stolzer Verbrecher von den Mühlen der Justiz so weichgeschmirgelt wurde, dass man selbst ohne der klassischen Folter zu bedürfen, seine Gesichtszüge nicht mehr wiedererkennen konnte.

Und das Mitgefühl für die Opfer? Reue ist für Langzeitstraftäter vielleicht zu kostspielig, wenn man durchhalten will. Außerdem wäre, wenn man dem Moralexperten Immanuel Kant folgt, ein aufgedrängtes Gewissen ohnehin keines. Dass die aus dem Lot geratene Ordnung schließlich durch die Vergeltung wieder rechtsstaatlich harmonisiert wird, ist allerdings gerade eine alte Hypothek der kantianischen Strafrechtstheorie, die der Verrechnungsidee des Talion „Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn“ verbunden bleibt. Was beflügelt öffentliche Diskussionen, die Reue eines Terroristen zum Gradmesser einer Gnadenentscheidung oder einer Strafaussetzung auf Bewährung zu machen? Wieso sollte einer sein Leben vor dem Knast nur als vergeblich und sinnlos ansehen dürfen, um wieder in den vermeintlich wärmenden Schoß der Gesellschaft zurückkehren zu dürfen?

Wir reden von den Begriffen einer alten Welt, die göttliche Strafexzesse auf menschliche Verhältnisse projizierte. Der Ruf nach Reue kaschiert die Strafwut einer Gesellschaft mit der vorgeblich notwendigen Zerknirschung des Täters. Der Kindesmörder Magnus Gäffgen kommt gar mit der Idee in die Schlagzeilen, eine Stiftung für Kinder und Jugendliche, die als Opfer einer Straftat die Kosten für die Rechtsverfolgung nicht selbst aufbringen können, zu gründen. So viel instantane Reue ist aber selbst den billig und gerecht Denkenden unheimlich. Warum schlagen sich Strafrecht und Strafvollstreckungsrecht mit biblischen Begrifflichkeiten herum? Die Hilton hat es mindestens intuitiv begriffen, wenn sie nun im Larry King-Interview mit ihrer religiösen Wiederauferstehung den amerikanisch puritanischen Glaubenspopulismus bedient: "Gott richtet alles mit gutem Grund." Trotzdem empfindet sie ihre Strafe als unverhältnismäßig hoch. Ja was denn nun?

Die Diskussion um den Strafvollzug macht vor allem eins klar: Die Gesellschaft bleibt strafwütig. Dabei sind die Zwecke der Strafe nach wie vor das große Geheimnis, wenn man von dem absieht, dass die Gesellschaft sich einen Nichtort schafft, der eben das Problem nicht löst, sondern wegsperrt. Gerechtigkeit bleibt in der Praxis eine unscharfe Kategorie, das mixtum compositum einer wechselvollen Begriffsgeschichte zwischen alttestamentarischem Zorn, vorgeblicher Willensfreiheit, Milch der frommen Denkungsart und hundert anderen Menschheitsregungen bis hin zum alltäglichen Sadomasochismus, der als „Mobbing“ bezeichnet wird und deshalb längst nicht gesellschaftlich hinreichend definiert ist.

Nach dem Bundesverfassungsgericht, das die Theoriediskussion über den Sinn des Strafens ausdrücklich bisher nicht entscheiden wollte, verfolgt das Gesetz das Ziel, tendenziell sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Strafe ist also ein Allheilmittel, deren zentrale Funktion aber weiterhin von der Rechtsdogmatik so formuliert wird: „Die Strafe ist eine repressive Übelzufügung als Reaktion auf schuldhaftes Verhalten, die dem Schuldausgleich dient.“ Schließen sich aber nicht solche Vergeltungshandlungen und Resozialisierung aus? Vermutlich ist das, was in zu vielen Fällen Resozialisierung genannt wird, der Sedierungseffekt im wahrsten Sinne des Wortes. Zu lang gesessen, kraftlos, weder für Heldentaten noch Verbrechen noch länger zu gebrauchen.

Reue mit Prosecco

Knasterzählungen sind deshalb so beliebt, weil sie die alte Untergrundgeschichte gesellschaftlich „verpönten“ Lustempfindens auf das Vorzüglichste bedienen. Ob de Sades hinter sieben Bergen versteckte „Dungeons“, Sankt Genets gefährliche Spiele, Kafkas „Strafkolonie“ oder die paradoxe „Ludovico-Therapie“ in „Uhrwerk Orange“, immer geht es um Machtlustrollen, die erst in dieser spezifischen Institution entfaltet werden können, weil hier die direkteste Konfrontation dunklerer Triebe unvermeidlich ist. Und wer heute wieder das Lob der Disziplin singt, scheint die Gefahr nicht zu scheuen, die Erziehung doch wieder der gescheiterten Idee der repressiven Anstalt zu unterwerfen.

Es hat zu viele historische Zeiten gegeben, in denen Disziplin eine priore Rolle spielte und das Zuchthaus eher die Vorbildfunktion für die Gesellschaft besaß als umgekehrt. Mit fatalen Folgen: Man betrachte Bilder der wilhelminischen Kaiserzeit, mit ihrem manierlich aufgereihten Familiennachwuchs, der dann später in derselben Formation in den Schützengräben von Verdun einrückte. Michel Foucault fügte in seiner Anstaltskritik wieder das zusammen, was zusammengehört: „Der Idealfall des heutigen Strafsystems wäre die unbegrenzte Disziplin.“

10 Jahre „Hinter Gittern – Der Frauenknast“ reichen dagegen aus, den letzten Wirklichkeitsbezug zwischen voyeuristischem Publikum und Gefängnisalltag zu erledigen. Dabei sind es nicht einmal die Themen, lesbische Liebe, Drogen, perverse Aufseher oder Ausbrüche, die jenseits der Wirklichkeit für das angeregte Publikum entworfen werden. Was diesen und anderen Fluchten von Alcatraz bis Santa Fu fehlt, ist die Darstellung der elendigen Alltäglichkeit der Menschenverwaltung. Die Mühle macht den Menschen nieder, was medial nicht abbildbar ist. Der Verlust der Würde liegt in der atomisierende Verwaltung des Eingesperrten. Der kalte Atem der Disziplinargesellschaft wird durch das Paradigma der Resozialisierung keineswegs erwärmt. Denn die Ambivalenz von Besserung, Freiheitsentziehung und Wiederauferstehung (Resozialisierung) bleibt ein paradoxes Moment des Strafvollzugs, der strafen, also Schmerzen verursachen soll und gleichzeitig therapeutische Wirkungen spenden will.

Gottlob, bei Paris Hilton hat es funktioniert. Sogar ihr Werbeimage ist dank des Knastaufenthalts besser als je zuvor. Die Stigmatisierung entlassener Straftäter, die zu oft den Wiedereintritt in die Gesellschaft vereitelt, ist augenscheinlich nicht ihr Problem. Der Hersteller des von ihr beworbenen Dosen-Proseccos mit dem sinnigen Namen „Rich“ darf sich sogar über den Zwangsaufenthalt freuen, denn Reue schmeckt besonders gut.