Wie Monopoly - nur ungerechter

Ökonomen machen sich Gedanken über Patente

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Das Europäische Patentamt hat seinen Jahresbericht 2006 veröffentlicht, der durch neue Leistungsrekorde zu beeindrucken scheint. Doch die Patentflut sorgt mittlerweile auch unter Wirtschaftswissenschaftlern für Skepsis.

Alain Pompidou, der Präsident des Europäischen Patentamtes (abgekürzt EPA), lässt die Zahlen für sich sprechen. Die Nachfrage nach der Dienstleistung seiner Behörde ist weiter gestiegen. 2006 gingen beim EPA rund 209.000 Anmeldungen für ein europäisches Patent ein. Eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 5,6 %. Darüber hinaus hat das Amt nie zuvor so viele Patente erteilt wie 2006, nämlich knapp 63.000 oder +17,3 % gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Mitarbeiter des EPA ist gestiegen, die Zahl der zugelassenen Patentanwälte ist gewachsen und die Zahl der anhängigen Verfahren allerdings auch.

Damit setzt sich ein Trend fort, den man schon seit Jahren beobachtet. Die Kurven des EPA zeigen unbeeindruckt von der jeweiligen Konjunkturlage stetig nach oben. Die Aktivität des EPA geht trotzdem nicht zulasten der nationalen Konkurrenz, die es in Europa gibt. Das Deutsche Patent- und Markenamt etwa weist seit Jahren relativ konstante Anmeldezahlen aus, die um die 60.000 schwanken.

Wo sind die Erfindungen?

Insgesamt hat sich die Zahl der europäischen Patentanmeldungen in den letzten 15 Jahren mehr als verdreifacht. Solche Dimensionen machen allerdings skeptisch. Kann es tatsächlich sein, dass Forschung und Entwicklung in Europa derart explodiert sind und solche phänomenalen Leistungsteigerungen erzielt haben? Wenn es so wäre, wie die Patentzahlen suggerieren, warum steht dann der Quantencomputer noch nicht in jedem Haushalt und warum gibt es dann noch nicht einmal eine Erfindung, die Socken in einem Haufen schmutziger Wäsche derart magnetisch auflädt, dass sich ein zusammengehöriges Paar gegenseitig anzieht?

Die Skepsis hat inzwischen auch einige Ökonomen erfasst. Eine Gruppe aus dem Karlsruher Fraunhofer Institut um Knut Blind untersuchte darum die Motive deutscher Unternehmen, immer mehr ihrer Entwicklungen zu patentieren.

Erfindungen, so fanden die Karlsruher heraus, werden häufig nur noch aus unternehmensstrategischen Gründen zum Patent angemeldet. Es geht nicht mehr um die Angst vor dem Ideenklau. Patente werden angemeldet, um sich Vorteile in dem neuen, komplexen Spiel zu verschaffen, das auf oligopolistischen und technologielastigen Märkten gespielt wird.

Die Spielregeln findet man mittlerweile in Managementbüchern wie dem von Ove Granstrand mit dem bezeichnenden Untertitel „Towards Intellectual Capitalism“. Die Grundzüge sind uns aber allen aus dem guten, alten Monopoly-Spiel vertraut; statt Straßen und Häuserzügen bilden nur Patente die Grundlage; statt Mieten werden Lizenzgebühren bezahlt.

Patentcluster

Ein Beispiel für eine Strategie, die im Patentwettbewerb angewandt wird, aber abgewandelt auch bei Monopoly existiert, sind die Patentzäune. Das Unternehmen meldet nicht nur die Erfindung zum Patent an, die es selbst vermarkten will, sondern gleich alle ähnlichen und verwandten Technologien, aus denen sich vielleicht Konkurrenzprodukte entwickeln lassen. Den Vorteil kennt jeder Monopoly-Spieler. Wenn man mehrere Straßen nebeneinander besitzt, kann kaum ein Mitspieler den Bereich passieren, ohne Miete zu zahlen. (Und außerdem darf man dann Häuser bauen.)

Genau genommen ist diese Monopoly-Strategie aber noch besser vergleichbar mit der Strategie der Patentcluster. Man kauft ja alle benachbarten Straßen auf, ohne zunächst zu wissen, auf welcher die Mitspieler landen werden. Baut ein Unternehmen ein Patentcluster auf, meldet es ebenfalls mehrere verwandte Technologien zum Patent an, noch bevor es weiß, welche davon für eine Anwendung tatsächlich in Frage kommt. Erst wenn Forschung und Entwicklung weiter vorangeschritten sind, entscheidet es sich für einen Ansatz. Um sich diese Entscheidungsfreiheit zu bewahren, ist es sogar gezwungen, eine Vielzahl von Patenten anzumelden, bevor die Mitspieler ebenfalls aktiv werden.

Nun kommen wir aber zu dem Bereich, um den jeder Monopoly-Spieler die Technologieunternehmen beneiden muss. Für die sogenannten Blockadepatente gibt es nämlich keine Entsprechung in Monopoly, wahrscheinlich, weil damit die Spielbalance völlig verloren ginge. Eine solche Entsprechung wäre ein Straßenfeld, auf dem jeder Mitspieler in jeder Runde anhalten müsste, bevor er weiterziehen könnte – mit den dazugehörigen finanziellen Konsequenzen.

Doch bei technologischen Entwicklungen sind solche Blockaden möglich. Moderne Technologien bestehen aus einer Vielzahl von Komponenten und viele dieser Komponenten lassen sich nicht ersetzen. Eine Firma, die ein Patent auf eine dieser wichtigen Komponenten hält (besser noch einen Patentzaun darum herum baut), kann die Entwicklung einer ganzen Branche blockieren – oder eben sich an ihr eine goldene Nase verdienen.

Blockadepatente erwachsen nicht nur aus Patenten für wichtige Komponenten, auch Patente auf Forschungswerkzeuge (etwa in der Gentechnologie) und sehr umfassend definierte Patente auf Grundlagentechnologien können denselben Zweck erfüllen. Wenn die eigene patentierte Technologie zu einem allgemeinen Standard wird, darf man sich gleichfalls auf die Lizenzgebote der Konkurrenz freuen.

Gegenseitige Blockade

Der Haken an der Sache ist, dass es selten nur ein Blockadepatent für eine technologische Richtung gibt. Die Blockade ist oft gegenseitig und das zwingt zu langwierigen Verhandlungen über die wechselseitige Nutzung von Patenten und über damit verbundene Ausgleichszahlungen. Wer allerdings kein Blockadepatent vorweisen kann, der kann bei diesem Spiel nicht mitspielen. Ihm bleibt nur noch übrig, sich aus der Branche zu verabschieden, auch wenn er sonst noch so gute technologische Entwicklungen vorzeigen kann. Ohne Blockademacht sind diese nichts wert. Nur ein Blockadepatent kann ein Blockadepatent aufheben.

Damit nährt die Patentflut sich selbst. Je mehr Patente der Wettbewerber anmeldet, desto mehr braucht auch das eigene Unternehmen, desto mehr benötigt wieder der Wettbewerber. Man benötigt sie als Handelsmasse, damit die Mitspieler ihre Blockaden aufheben und man benötigt sie als Lockmittel, damit die Mitspieler ihre Patentverletzungsklagen nicht weiter verfolgen.

Der volkswirtschaftliche Sinn ist dem Spiel allerdings abhanden gekommen. Vielleicht bieten der Patentschutz und die Möglichkeit, mit seiner Hilfe eine Monopolstellung zu erhalten, Anreize für Forschung und Entwicklung; gleichzeitig behindert der Patentschutz mit seinen Blockademöglichkeiten sie aber ebenso. Das Patentsystem gleicht einem Autofahrer, der auf Gas und Bremse gleichzeitig tritt. Die Patentierungsrekorde, die uns der Präsident des Europäischen Patentamtes, Alain Pompidou, präsentiert hat, mögen beeindrucken, können sich aber ansonsten mit vielen Unsinnsrekorden im Guinness-Buch der Rekorde vergleichen.