Nie mehr zurück zur Natur

Es gibt keine unberührte Natur mehr. Seit die Menschheit existiert, verwandelt sie die Welt um sich herum - mit mehr oder weniger positiven Auswirkungen. US-Ökologen diskutieren, wie sich Vor- und Nachteile unserer Umgestaltung der Erde besser messen und beurteilen lassen.

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Schon vor rund 15.000 Jahren begann der Mensch, den Hund als Jagdgehilfen zu domestizieren. Seit 10.000 Jahren züchten wir Schweine, Rinder und Schafe. Die ältesten Funde domestizierter Getreidearten wie Einkorn und Emmer sind ebenfalls um die 10.000 Jahre alt. Als der Mensch begann, Tier- und Pflanzenarten zu züchten, verfolgte er damit jeweils bestimmte Ziele: Er wählte die Pflanzen mit einer höheren Anzahl größerer Samenkörner, und er vermehrte die Hunde, die besonders effektiv mit ihm zusammenleben und kommunizieren konnten. Damit veränderten wir fundamentale Eigenschaften von Flora und Fauna, damit diese uns einen größeren Nutzen bescheren.

Wo der Mensch seine Spuren hinterlassen hat: Die Weltkarte berücksichtigt Bevölkerungsdichte, Energieversorgung, Landumwandlung und Zugänglichkeit. (Bild: Science)

Domestiziert hat der Mensch aber nicht nur Tier- und Pflanzenarten, sondern auch die Welt um sich herum - kein Ökosystem entspricht wirklich noch seinem Urzustand. Schon recht frühzeitig haben wir begonnen, die Gefahren auszumerzen, die die Natur für uns bereithält, indem wir Raubtiere gejagt haben. Mittlerweile sind fast alle großen Landraubtiere vom Aussterben bedroht.

Ähnliches gilt für viele natürliche Prozesse: Küstenlinien, die abzubrechen drohen, werden künstlich verstärkt. Flüsse, die regelmäßig über ihre Ufer treten, zwängt der Mensch in Stauseen und Kanäle. Heute sind die in solchen Bauwerken gestauten Wasservorräte sechsmal größer als die in frei fließenden Flüssen. 1995 waren nur 17 Prozent der nicht von Wasser bedeckten Erdoberfläche nicht unter dem direkten Einfluss des Menschen.

Und selbst die 14 Prozent der Erdoberfläche, die wir in Nationalparks und Landschaftsschutzgebieten zusammengefasst haben, stehen unter unserem direkten Einfluss und werden von Menschen genutzt. Allerdings denken wir beim Urbarmachen von Ökosystemen, anders als bei der Tier- und Pflanzenzucht, viel zu wenig über die daraus entstehenden Vor- und Nachteile nach, wir definieren nicht einmal wirklich unsere Ziele vorab.

Das ist die These, die ein Forscherteam um den amerikanischen Ökologen Peter Kareiva in einem Artikel in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science vertritt. Ihre angesichts des Zustands der Welt überraschendste Erkenntnis ist dabei womöglich: Selbst unsere unbedachten Änderungen wirken sich im Durchschnitt positiv aus. Das Ziel müsse vor allem darin bestehen, all das genau abzuwägen, was ein Ökosystem dem Menschen liefert.

Südamerikanische Grasebenen halten zum Beispiel zehnmal mehr herbivore Biomasse bereit, als ein natürliches Ökosystem das könnte. Eine Landwirtschaft, die auf Monokulturen setzt, produziert zwar mehr - dadurch erhöht sich aber auch das Risiko, durch wenige Schädlinge große Verluste zu erleiden: die Resilienz des Systems sinkt.

Die moderne Landwirtschaft kommt nicht ohne Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel aus - die aber über das Grundwasser Nebenwirkungen verursachen. Ebensolche brachte die Industrialisierung der Fischerei mit sich: Das früher sehr arten- und fischreiche Benguela-Ökosystem vor Namibia produziert, weil es überfischt wurde, heute vor allem Quallen. Dass wir Land und See mit Wegenetzen überziehen, hat einerseits den weltweiten Handel erst ermöglicht - es gibt aber Krankheitserregern und fremden Tierarten erst die Möglichkeit, sich in großem Maßstab auszubreiten.

Schifffahrtsrouten und Straßennetze bilden einen Teil des riesigen menschlichen Transportnetzes, das Krankheiten und fremden Tierarten die Ausbreitung erleichtert. (Bild: Science)

Wir müssen uns, fordern die Wissenschaftler, besser überlegen, welche Nachteile wir in Kauf zu nehmen gewillt sind, wenn wir die Natur nach unserem Willen verändern. Das von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene Millennium Ecosystem Assessment ermittelte, dass sich immerhin 16 von 24 untersuchten Ökosystem-Dienstleistungen in den vergangenen 50 Jahren verschlechtert haben.

Das hat seine Ursache vor allem in der Art und Weise, wie wir Veränderungen an Ökosystemen planen: Nämlich vor allem mit Blick auf eine gesteigerte Produktion. Ein Problem dabei ist, dass die Menschen, die die Dienste der Natur am stärksten in Anspruch leben, in den Städten wohnen - meist weit ab von den Orten, wo die negativen Veränderungen sichtbar werden.

Zurück zur Natur“, so Kareiva und Kollegen, mag populär sein - ist aber nicht wirklich eine Option. Dass bestimmte Ökosysteme dem Menschen besser angepasst sind als allen anderen Spezies, ist eine Realität, die uns immer begleiten wird. Unnötig ist aber, dass andere Ökosysteme so ausgebeutet wurden, dass sie inzwischen weder dem Menschen noch anderen Lebewesen von Nutzen sind. Genauer bestimmen müssten wir zudem, ob sich durch die Änderung der Domestizierungs-Bedingungen damit verbundene Nachteile abschwächen oder vermeiden lassen.

Und statt wie bisher vor allem die positiven Auswirkungen von Veränderungen zu untersuchen, sollte sich die Wissenschaft stärker deren Nachteilen widmen. Ohne dieses Wissen, meinen die Forscher, könne man die Natur nur zu schützen versuchen, indem man die Menschen aus ihr heraushalte. Doch dieses Prinzip wird sich angesichts des Wachstums der Weltbevölkerung nicht halten lassen.