"Ich wurde jahrelang belogen"

Interview mit Kurnaz-Anwalt Bernhard Docke zur Datenlöschaffäre der Bundeswehr

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Bundeswehr sind laut eigener Aussage zahlreiche Daten des Zeitraums 1999 bis 2003 unrettbar verloren gegangen, beschädigte Datenträger sollen vernichtet worden sein (Bundeslöschtage bei der Bundeswehr?). In diesem Zeitraum wurde Murat Kurnaz laut eigener Aussage in Afghanistan von Beamten des deutschen KSK misshandelt (Folter für die Freiheit). Ein Gespräch mit seinem Anwalt Bernhard Docke.

Herr Docke, die Staatsanwaltschaft hat Ende Mai die Ermittlungen gegen zwei KSK-Beamte eingestellt, denen Ihr Mandant Murat Kurnaz vorwirft, ihn in Afghanistan misshandelt zu haben. Die Bundeswehr argumentiert damit, dass die relevanten Daten gelöscht worden seien. Glauben Sie das?

Bernhard Docke: Das ist ein befremdlicher Vorgang, der Argwohn erregt. Im Grunde kann man es sich nicht vorstellen, da schon jedes kleine Unternehmen für Backups seiner Daten sorgt. Dass das bei der Bundeswehr nicht der Fall ist, klingt nicht nachvollziehbar. Einige Politiker sagen, ohne die Akten zu kennen, die betroffenen Daten hätten mit Kurnaz nichts zu tun. Betroffen ist aber der Zeitraum, in dem Kurnaz in dem US-Lager bei Kandahar Kontakt mit KSK-Soldaten hatte. Es ist denkbar, dass sich in den Akten Meldungen des KSK nach Deutschland über Kurnaz in Kandahar befinden. Es kann aber auch um andere kritische Angelegenheiten gehen, z.B. die Frage, was das KSK überhaupt im Rahmen von Enduring Freedom in Afghanistan getrieben hat. Zum Beispiel: Wenn man auf der Suche nach Terrorverdächtigen Gefangene macht – was ist dann mit denen passiert? Wurden sie den Amerikanern übergeben? Immerhin war bekannt, dass sie dort Folter und zudem kein faires Verfahren erwartet hätte. Die Bundeswehr darf dann selbstverständlich keine Zubringerdienste leisten.

Was bedeutet das für Herrn Kurnaz?

Bernhard Docke: Im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Tübingen wurden Zeugen zum Fall Kurnaz befragt. Dieses Material lagert in Tübingen. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt mit dem Argument, die Beweislage gegen die KSK-Beamten sei zu dünn für eine Anklageerhebung, auch wenn Herr Kurnaz grundsätzlich glaubwürdig sei. Es mangelte an die Aussage von Herrn Kurnaz unterstützenden Beweismitteln. Ob sich ergänzende Beweismittel in den verschwundenen Dateien befanden, kann ich nicht einschätzen, da ich den Akteninhalt nicht kenne. Möglicherweise ist Beweismaterial verloren gegangen, aber das ist eine spekulative Einschätzung.

Wie werden Sie nun weiter vorgehen?

Bernhard Docke: Ich habe wegen der Verfahrenseinstellung Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, das Verfahren wieder aufzunehmen, die Soldaten des KSK anzuklagen und in einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren klären zu lassen, ob die KSK-Leute sich zweifelsfrei schuldig gemacht haben. In der Löschaffäre ist insbesondere das Parlament, das von der Bundeswehr düpiert wurde, gefordert. Es muss hier seine Kontrollfunktion wahrnehmen und die Angelegenheit lückenlos aufklären.

Wie hat denn bisher die Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden bezüglich Ihres Mandanten funktioniert?

Bernhard Docke: In dem Ermittlungsverfahren gegen das KSK, in dem Herr Kurnaz zwei Mitglieder beschuldigte, ihn misshandelt zu haben, hat die Staatsanwaltschaft mir Akteneinsicht gewährt. Die Ermittlungen des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschusses finden hinter verschlossenen Türen statt. Zu den Ergebnissen habe ich keinen Zugang. Was die Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung während der Inhaftierung in Guantanamo angeht, so musste ich erfahren, dass ich jahrelang belogen wurde bezüglich der deutschen Kontakte zu den USA. Mir gegenüber wurde die Legende verbreitet, man hätte keinen direkten Kontakt, und die USA wären zu Verhandlungen über die Personalie Kurnaz aufgrund seiner türkischen Staatsbürgerschaft nicht bereit. Es entstand der Schein, Deutschland wolle helfen, die USA würden dies aber nicht zulassen. Die Wahrheit war genau andersherum, es gab über die Jahre engen Kontakt, man konnte helfen und wollte nicht. Das ist die bittere Wahrheit.

Wie groß sind die Chancen, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird?

Bernhard Docke: Das kann ich nicht beantworten. Ich habe in meiner Beschwerde Ansätze für weitere Ermittlungsschritte genannt und hoffe, dass diese von den Ermittlungsbehörden positiv aufgenommen werden.