Merkel: Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist "von gestern"

Während die Hintergründe der Anschläge noch längst nicht geklärt sind, hat in Deutschland eine neue Sicherheitsdebatte mit den vorhersehbaren Argumenten und Forderungen begonnen

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Viele Spekulationen und offene Fragen: So lautet der Zwischenstand bei den gegenwärtigen Berichten um die Hintergründe der zwei fehlgeschlagenen Autobombenattentate in der Londoner Innenstadt am Samstag und den Anschlag mit einem mit Gasflaschen beladenen Wagen auf die Empfangshalle des Glasgower Flughafens am Sonntag. Mittlerweile hat die Polizei 7 Personen im Zusammenhang mit den Anschlägen festgenommen. Darunter sind auch die beiden Männer, die sich in Glasgow vor ihrer Festnahme mit Benzin übergossen und angezündet hatten. Einer der Täter liegt mit lebensgefährlichen Brandverletzungen in der Klinik. Auf Fotos, die direkt vor dem Eingang vom Flughafen gemacht wurden, ist der Mann mit schweren Verbrennungen am ganzen Körper zu sehen.

Unter den Festgenommenen befinden sich auch zwei Ärzte. Zunächst gab es unterschiedliche Angaben über die Nationalität des als Drahtzieher der Attentate bezeichneten Arztes. So berichtete das Boulevardblatt Sun, dass der iranische Neurologe Mohammed Asha und seine 27jährige Frau zu den Drahtziehern der Attentate gehören Der Telegraph schrieb hingegen Dr. Asha eine libanesische Nationalität zu. Jetzt heißt es, er sei Jordanier. Bilal Abdulla, der andere, am Flughafen festgenommene Arzt soll aus dem Irak stammen.

Die zuerst zirkulierenden unterschiedlichen Angaben zeigen, wie ungesichert viele Meldungen über die Anschläge und ihre Hintermänner sind. So gibt es auch unterschiedliche Spekulationen über das Ziel der Londoner Bombenautos. Sollten sie vor den Nachtclubs explodieren? Oder sollte eines der zahlreichen Londoner Großevents vom vergangenen Wochenende das Ziel sein? Dazu gehörte u.a. der Christopher Street-Day, der bei islamistischen Eiferern sicher verhasst ist.

Auch über den politischen Subtext der Anschläge gehen die Meinungen auseinander. Einige interpretieren ihn als Botschaft der Islamisten an die neue Regierung unter Gordon Brown. Sollte ausgetestet werden, wie die neue Regierung auf solche Anschläge reagiert? Oder wollten die Attentäter knapp zwei Jahre nach den Anschlägen auf die Untergrundbahn von London ihre Präsenz zeigen, wie andere meinen? Oder wollten die Islamisten damit auf die in ihren Augen Ungläubigen Salman Rushdie reagieren?

Waren die Attentäter international vernetzt oder handelt es sich um eine lokale Terrorgruppe, ist eine weitere offene Frage. Offiziell heißt es jetzt, für die Anschläge sei eine mit Al-Qaida vernetzte Terrorzelle verantwortlich. Sämtliche Mitglieder seien keine britischen Staatsbürger, sondern stammten aus dem Nahen Osten. Die britische Regierung wollte solche Meldungen allerdings bisher nicht bestätigen. Auch zur Frage, ob die Sicherheitsorgane Anhaltspunkte für die Anschläge hatten, wollte die britische Innenministerin nicht beantworten. . Keine Hinweise vor den Anschlägen?

Auch bei der Ausführung der Attentate blieben viele Fragen offen. So sollen in den Autos in London viele Spuren hinterlassen worden sein. Spricht das nicht eher für eine sicher gefährliche aber alles andere als gut organisierte Gruppe? Oder waren sich die Attentäter ihrer Sache so sicher, dass sie eine Vernichtung von Spuren gar nicht in Betracht zogen? So haben offenbar Handys, die in den Fahrzeugen gefunden wurden, die Polizei auf die Spur der Anschlagsplaner in Glasgow gebracht.

Genauso unklar ist die Frage, ob die Sicherheitsbehörden wirklich so überrascht von den Aktionen waren. Schließlich stehen die islamistischen Kreise spätestens seit den Anschlägen vom 7.Juli 2005 unter besonderen Beobachtungsdruck. Gerade Menschen aus dem Nahen Osten standen im Blickpunkt der Observation. Sollte da die Vorbereitung einer solchen Aktion wirklich völlig unbemerkt abgelaufen zu sein? Oder war der glimpfliche Ausgang der drei Anschläge doch mehr als Glück? Schließlich gibt es zur Zeit verschiedene Erklärungen, warum die Autobomben in London nicht zündeten Dass die Zünder schon vorher unbrauchbar gemacht worden sind, ist eine der Möglichkeiten.

Auch eine weitere Meldung vom Wochenende gibt Rätsel auf. Danach sei schon zuvor auf einer islamistischen Homepage angekündigt worden, dass demnächst London Ziel von Bombenanschlägen werden würde. Nun dürfte der regelmäßige Besuch solcher Seiten auch für die Sicherheitsdienste zur Pflichtlektüre gehören.

Alte Hüte bei einer neuen Sicherheitsdebatte

Vorhersehbar aber war die Diskussion über neue Sicherheitsgesetze, die nach den Anschlägen auch in Deutschland wieder entbrannt. Nun hat sich auch Bundeskanzlerin Merkel dafür ausgesprochen, die Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit aufzugeben. Sie plädierte damit dafür, das Verbot eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern aufzuweichen. Die "Trennung von innerer und äußerer Sicherheit sei von gestern", spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 müsse man in "ganz neuen Zusammenhängen" denken. Der Terrorismus bedrohe "unsere Art zu leben".

"Nur wenn wir dieses neue Denken auch wirklich anwenden, bleiben Freiheit und Sicherheit angesichts dieser neuen Bedrohung in einer ausgewogenen Balance", sagte die Bundeskanzlerin heute bei der Vorstellung des Grundsatzprogramm-Entwurfs der CDU in Berlin, in dem man nach dem Vorbild der USA auch vom "Heimatschutz" redet.

Die innere Sicherheit hat durch die neuen Herausforderungen eine globale Dimension bekommen. Instrumente und Organe der inneren und äußeren Sicherheit müssen miteinander verzahnt werden. In einem nationalen Sicherheitskonzept ist die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu verbessern. Bestandteil eines solchen Konzepts zur Stärkung des Heimatschutzes ist auch die Bundeswehr. In besonderen Gefährdungslagen muss ihr Einsatz im Innern möglich sein. Die Streitkräfte sollen ihre besonderen Fähigkeiten bei der Bewältigung von terroristischen Gefahren und im Katastrophenschutz ergänzend zur Polizei von Bund und Ländern im Rahmen festgelegter Grenzen einbringen können.

Aus dem Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms

Nun sind diese Vorschläge keinesfalls neu und haben auch wenig mit den Ereignissen in Großbritannien zu tun. Nur kann ein solcher Vorstoß in einer Situation der allgemeinen Verunsicherung natürlich auf mehr Akzeptanz stoßen. Kritiker sprechen auch von der Taktik der allgemeinen Gewöhnung. So wurde die Bundeswehr offiziell zur Amtshilfe deklariert, gut sichtbar auch bei der Sicherung des G8-Gipfels eingesetzt.

Auch die Debatte um die heimliche Online-Kontrolle ist wieder neu entbrannt, hat aber auch mit den Ereignissen von London nichts zu tun. Schließlich hatte Innenminister Schäuble nach einem Bericht schon am vergangenen Donnerstag in einem Brief an die Justizministerin Brigitte Zypries auf eine schnelle Einigung über die heimliche Ausspähung des Internet gedrungen und deutlich gemacht, dass er bei dieser Frage nicht länger warten will. Bei der ebenfalls umstrittenen Videoüberwachung hat sich der SPD-Politiker Ludwig Stiegler jetzt auf die Seite Schäubles geschlagen .Er sprach sich für mehr Videoüberwachung aus, weil dadurch das Sicherheitsgefühl der Bürger erhöht werde. Merkel forderte heute gleichfalls eine gesetzliche Grundlage für Online-Durchsuchungen und verlangte allgemein weitere Grundlagen für den Ausbau von Sicherheitsmaßnahmen, wodurch sie sich gleichfalls deutlich auf die Seite von Schäuble stellte.