Die BAföG-Enttäuschung

Ein Gespräch mit Konstantin Bender vom Dachverband der deutschen Studierendenvertretungen über die für 2008 geplante Anhebung der BAföG-Sätze

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Zum Wintersemester 2008/2009 sollen die BAföG-Sätze um fünf Prozent erhöht werden. Annette Schavan (CDU) stellt dies als „positives Signal an die Studierenden“ dar, die aber sehen das anders – und mit ihnen geschlossen Bildungsverbände und Gewerkschaften: Allein um nach 7 Jahren des Stillstandes eine Angleichung an die Verhältnisse von 2001 zu erzielen, wären statt der geplanten 112 Millionen Euro in erst einem Jahr sofort 300 Millionen Euro notwendig. Statt diese aber zur Hand zu nehmen, stockt das Bundesbildungsministerium lieber kräftig seine Forschungsausgaben auf. Und das zu einer Zeit, wo bereits für 40 Prozent aller Studierenden die Finanzierung des Studiums als unsicher gilt und das Deutsche Studentenwerk immer wieder untermauert und belegt, die soziale Selektivität des deutschen Hochschulwesens sei „beschämend für eine Demokratie“ und eine höhere Akademikerquote nur noch über eine soziale Öffnung der Hochschulen zu erreichen.

Ein Gespräch mit Konstantin Bender, Mitglied im Vorstand des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften e.V. (fzs), dem Dachverband der deutschen Studierendenvertretungen.

Bildungsministerin Schavan hat soeben bekannt gegeben, dass das BAföG zum Wintersemester 2008 erhöht werden soll. Was halten Sie davon?

Konstantin Bender: Angesichts der bisherigen Versprechungen gegenüber den Studierenden seitens der Politik sind wir geradezu geschockt. Von einer Anpassung an die realen Lebenshaltungskosten kann bei Schavans Vorhaben gar keine Rede sein.

Zwar ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass nach sechs Jahren der Nichtanpassung nun endlich Geld in die Hand genommen wird. Aber nach den Zahlen, die ich bisher kenne, wird es lediglich eine Erhöhung um etwa 5 Prozentpunkte geben. Und dies im deutlichen Widerspruch zu den Forderungen des von der Bundesregierung bestellten BAföG-Beirates. Dieser hat in seinem im März veröffentlichten Bericht eine Erhöhung von jeweils etwa 10 Prozent bei den Bedarfssätzen und Freibeträgen gefordert. Und das wäre nur ein Ausgleich für die in den letzten Jahren durch Mehrwertsteuererhöhung, Heizkosten und allgemeinen Preissteigerungen entstandenen Kaufkraftverluste. Um es auf den Punkt zu bringen: Diese 5 Prozent sind ein offener Schlag der großen Koalition ins Gesicht der Studierenden. Notwendig wäre weitaus mehr.

Frau Schavan spricht von mittelfristig 300 Millionen Euro. Das entspricht doch genau Ihrer Forderung?

Konstantin Bender: Nein, das ist es nicht. Denn erstens ist für 2008 lediglich eine Aufstockung um 112 Millionen vorgesehen. Und zweitens geht von diesen mittelfristig zur Verfügung gestellten Mitteln längst nicht jeder Cent in die überfällige Erhöhung der BAföG-Sätze.

Aber zur Erklärung: Wäre das Geld alleine für die Erhöhung des BAföG-Satzes und bliebe es bei den zugesagten 290 Millionen Euro, müssten 112 Millionen Euro für eine Erhöhung um jeweils 10 Prozent ab dem Wintersemester 2008 eigentlich reichen. Aber es ist eben doch komplizierter: Die vorgesehenen Änderungen der kleinen BAföG-Novelle, also dass es beispielsweise möglich ist, ein Auslandsstudium ab dem 1. Semester mit BAföG zu absolvieren, aber auch die Einführung einer Kinderbetreuungszulage, wären in der geplanten Ausgestaltung mehr oder weniger haushaltsneutral. Dies gilt aber nur auf mehrere Jahre gesehen. Zunächst einmal fallen „Umbau“-Kosten an, z. B. der Kinderbetreuungszuschlag von 113 Euro pro Monat. Einsparungen würde es erst in Folgejahren geben. Diese Kosten werden aus den 112 Millionen Euro bezahlt. Für die reale Erhöhung bleibt also entsprechend weniger. Während Bildungsministerin Schavan nächstes Jahr in die Spitzenforschung riesige Summen investiert will, liegen ihr die studentischen Lebensbedingungen und der Abbau sozialer Auslese scheinbar nicht wirklich am Herzen.

Also gerade mal ein Topfen auf den heißen Stein?

Konstantin Bender: Definitiv. Und darin besteht Einigkeit zwischen dem Deutschen Studentenwerk (DSW), den Gewerkschaften, dem fzs und nahezu allen anderen Interessenvertretungen der Studierenden. So hat das DSW in der kürzlich vorgelegten 18. Sozialerhebung erneut auf die finanzielle Situation der Studierenden und den erheblichen Nachholbedarf hingewiesen.

Alle genannten Organisationen haben bereits mehrfach öffentlich dazu aufgerufen, endlich über das Mittel der staatlich finanzierten Studienfinanzierung die finanzielle Situation der rund zwei Millionen Studis zu verbessern. So gibt es meines Wissens niemanden mehr, der ernsthaft behauptet, dass es nicht sofortigen und umfassenden Aufstockungsbedarf beim BAföG gibt.

Und ich kann es an dieser Stelle nicht nachvollziehen, dass das BAföG in einer solchen Situation von der schwarz-roten Koalition nicht so erhöht wird, dass es endlich wieder ein schlagkräftiges Mittel zur Verbesserung der Chancengleichheit wird. Mein Eindruck ist, dass sich SPD und CDU völlig vom Ziel der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit im deutschen Bildungssystem verabschiedet haben und dass sie diese Mini-Erhöhung nun als eine Art Feigenblatt verwenden wollen, um dies zu verstecken.

: Was täte wirklich Not?

Konstantin Bender: Zunächst schlicht und ergreifend der politische Wille, etwas zu verändern, sowie das hierzu notwendige Geld. Ganz konkret also eine sofortige BAföG-Erhöhung bzw. Angleichung um real mindestens 10 Prozent; kommt eine Erhöhung hingegen erst nächstes Jahr zustande, liegt der Nachbesserungsbedarf selbstredend bei mehr als diesen 10 Prozent. Dies würde die Situation der Studierenden verbessern. Diese ist derzeit geprägt von großen Belastungen finanzieller, aber auch zeitlicher Art. Beispielsweise wird die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge erhebliche Einschnitte in das Zeitpolster der Studierenden vornehmen. So wies beispielsweise das DSW darauf hin, dass es immer mehr Studierende gibt, die mit ihrer Situation und den Belastungen nicht fertig werden. Inzwischen leidet jeder siebente Studierende an „Burnout“ und ähnlichen psychischen Beschwerden, weil die Belastungen einfach zu hoch sind und es an – eben auch finanzieller - Sicherheit fehlt. Zudem hat sich auch an der Tatsache nichts geändert, dass der Anteil der bildungsfernen Schichten stagniert.

Die einzige Lösung, dies zu ändern, ist und bleibt: mehr Freiraum mittels mehr staatlicher Hilfe. Daher fordert der fzs auch eine herkunftsunabhängige, bedarfsdeckende, armutsfeste staatlich finanzierte Studienfinanzierung, die jährlich an die Gegebenheiten der Studierenden angepasst wird und die nicht von den Studis zurückzuzahlen ist. Was die Politik hier macht, ist eher als Politik nach Kassenlage und daher eigentlich als Offenbarungseid anzusehen.