Der Gerechtigkeit einen Korb geben

Die Novellierung des Urheberrechts als Zehnkampf der Idiotie

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Nach langen und zähen Beratungen ist der sogenannte zweite Korb der Urheberrechtsnovelle vergangene Woche im Bundestag verabschiedet worden. Die eigentlichen Urheber von Medieninhalten enteignen, die Wissenschaft beschädigen, und auf den Schulhöfen Angst vor Strafverfolgung säen - das muss man erstmal in einem Aufwasch schaffen. Dem Bundestag gelingt es.

Wenn in Deutschland ein Gesetz zu schnell durchgeht, dann kann man im Allgemeinen den Kopf einziehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass gut wird, was lange währt, wie die aktuelle Novellierung des Urheberrechts deutlich zeigt. Nachdem nun der sogenannte "zweite Korb" im Rahmen dieser Novellierung vom Bundestag beschlossen wurde (der erste Korb war vor allem eine Anpassung des deutschen Rechts an Vorgaben aus Brüssel) wird immer deutlicher, dass der Begriff Urheberrecht für die zusammengebrutzelte Ratatouille im Grunde gar nicht mehr sinnvoll ist.

Man sollte lieber von einem Verwerterrecht sprechen, in dem Sinn, dass nicht die Urheber und die Nutzer von Medieninhalten, sondern die Verwerter zu ihrem Recht kommen. Das Debakel in den Einzeldisziplinen:

1) Die Privatkopie - Vom langsamen Aussterben einer gefährdeten Gattung

Die Privatkopie wurde mit dem zweiten Korb weiter geschwächt. Nicht nur bleibt das rigide Verbot zur Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen erhalten. Wie das Bundesministerium der Justiz in einer aktuellen FAQ klarstellt, ist und bleibt selbst das Kopieren einer kopiergeschützten CD oder DVD verboten, wenn die Kopie nur "in der Zweitwohnung" genutzt werden soll.

Allerdings sind in diesem Fall nur zivil- und keine strafrechtlichen Konsequenzen zu fürchten:

Strafrechtlich droht mir keine Verfolgung, weil nach der Wertung des Gesetzgebers bei der Umgehung von Kopierschutz zum eigenen privaten Gebrauch ein Strafausschließungsgrund eingreift.

Im zweiten Korb wurde darüber hinaus die Rede von den "offensichtlich rechtswidrigen" Vorlagen, aus denen eine Privatkopie nicht stammen darf, auf Internetdownloads ausgedehnt

Es ist ja eine Binsenweisheit, aber vielleicht sollte sie öfter ausgesprochen werden: Offensichtliche Rechtswidrigkeit existiert nicht. Gesetze werden gemacht, und sie werden interpretiert. Wie die Sache mit der offensichtlichen Rechtswidrigkeit in diesem Fall zu verstehen ist, zeigen Beispiele, die zur Erläuterung angeführt werden: Dass kein Privatmann über das Recht zur kostenlosen Verbreitung eines aktuellen Kinofilms verfügen könne, sei ja nun völlig offensichtlich.

Wenn nun aber eines der großen Hollywood-Studios zu Werbezwecken einen Film unter Creative-Commons-Lizenzen vertreiben würde, die genau das erlauben? Ach, die Welt ist groß, zu groß für den Bundestag. Im Ernst: Es geht hier natürlich in erster Linie darum, die Wertschöpfungskette der Verwerter, in diesem Fall der Filmindustrie, zu stabilisieren. Die Nutzer sollen so eingeschüchtert werden, dass sie im Zweifelsfall lieber kaufen, was sie als Download eventuell vor Gericht bringen könnte. Deswegen durfte es natürlich auch keine Bagatellgrenze für das Herunterladen geschützter Inhalte geben, die zwar aus guten Gründen geplant war, aber auf Betreiben der Verwerter in dem beschlossenen Gesetz nicht mehr auftaucht.

2) Angemessenheit ist nur ein Wort

Bei all den Diskussionen über die Privatkopien und die Internetdownloads, die sich qua Masse im Handumdrehen von einer Bagatelle in einen gigantischen Einkommensverlust für Urheber und Verwerter verwandeln können, ist immer wieder vergessen worden, dass es seit Jahrzehnten ein relativ flexibles System zur Lösung dieses Problems gibt, nämlich das der Verwertungsgesellschaften. Nehmen wir zum Beispiel die VG Wort. Der Aufwand, den sie betreibt, ist hoch, das Prozedere eine Wissenschaft für sich, die Erfassung der immer wichtigeren Netzinhalte noch relativ schwierig, aber es gibt bis heute kein System, das die private Kopie als Massenphänomen besser mit dem Anspruch der Urheber (in diesem Fall der Autoren) auf Entschädigung versöhnt als dieses.

Vergleichbares gilt für die anderen Verwertungsgesellschaften auch, obwohl sie ihr Geschäft auf je unterschiedliche Weise wahrnehmen. Bei all dem Getöse über Micropayment und Kulturflatrate erweist sich das Verfahren als stabil und in den Maßen gerecht, in denen das unter den vorherrschenden Bedingungen überhaupt möglich ist.

Die Verwertungsgesellschaften tragen zwar den Begriff "Verwertung" im Namen, der im heutigen Kulturbetrieb meistens die unterbezahlte Verwurstung der Urheberleistungen meint, aber sie sind tatsächlich eine der wenigen Institutionen in diesem ganzen Zirkus, die an das berechtigte Interesse der wirklichen Urheber von Medieninhalten denken.

Man sollte meinen, eine Novellierung des Urheberrechts würde diese Tatsache respektieren, und die Verwertungsgesellschaften bei ihrer Arbeit unterstützen, das Gegenteil ist der Fall. Zunächst sollte auf Betreiben des BITKOM-Verbands, in dem die Gerätehersteller organisiert sind, die Verwertungsabgabe auf kopierfähige Geräte gleich welcher Art bei maximal 5% gekappt werden. Zudem sollten Geräte, die nachweislich zu weniger als 10% zum Kopieren von urheberrechtlich geschützten Inhalten genutzt werden, ganz aus der Abgabepflicht fallen (vgl. Endloser Streit ums Urheberrecht).

Dieser skandalöse Versuch, die Verwertungsgesellschaften zu erdrosseln, wurde zwar abgewehrt, aber nur auf Kosten einer Unbestimmtheit, die in der Zukunft für jede Menge Ärger sorgen wird: Die Abgabe soll in Zukunft "in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis" zum Gerätepreis stehen, und zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Geräteherstellen ausgehandelt werden - im Streitfall soll eine Schiedsstelle schlichten. Am Ende wird es natürlich wieder jede Menge Prozesse um Details geben, die sich, wie die Erfahrung zeigt, jahrelang hinziehen können.

3) Unbekannte Nutzungsarten im Land der Dichter und Denker

Zu ganz großer Form ist der Bundestag bei unseren letzten Beispielen aus dem weiten, zweiten Korb aufgelaufen: nämlich den sogenannten "unbekannen Nutzungsarten" und der elektronischen Verbreitung von Literatur durch Bibliotheken. Das Stichwort von den "unbekannten Nutzungsarten" meint folgendes: Normalerweise legt ein Vertrag zwischen Urheber und Verwerter die Rechte, die der Verwerter einkauft, mit rigider Genauigkeit fest. Ob er sie auch mit derselben Rigidität abrechnet, ist eine andere Frage, die Erfahrung spricht dagegen (vgl. Hintergangene Autoren).

Nun möchten die Verwerter aber in jedem Fall ihre Verkaufstrategien rasch an neue Technologien und Felder anpassen, und dabei sind rigide Einzelfeststellungen in den Verträgen nur hinderlich, vor allem dann, wenn es die in Frage stehende Technologie/Vertriebsart zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht gab. In Zukunft dürfen sich die Verwerter die Nutzung unbekannter Nutzungsarten per Formularvertrag pauschal sichern. Sie müssen zwar den Urheber beim Eintreten des Falls der Fälle benachrichtigen, und der Urheber kann dann drei Monate lang der neuen Nutzung widersprechen.

Aber ob der Verwerter die richtige Adresse zur Benachrichtigung des Urhebers hat, ist das Problem des Urhebers. Wer zum Beispiel als Autor bei der laufenden Praxis der Verlagsverkäufe und -umstrukturierungen darauf angewiesen ist, seine aktuelle Adresse immer an der richtigen Stelle bei seinen Verwertern (also den Verlegern) zu wissen, kann sich auf heitere Stunden am Telefon und das Versenden vieler Einschreibebriefe mit Rückschein gefasst machen. Findet der Widerspruch gegen die neue Nutzung innerhalb der besagten drei Monate aus welchen Gründen auch immer nicht statt, kann der Verwerter neu nutzen wie er will.

Zusätzlich gilt eine Übergangsbestimmung rückwirkend für Verträge seit dem 1. Januar 1966, sinnigerweise das Datum, an dem eine Schutzbestimmung gegen die pauschale Inanspruchnahme unbekannter Nutzungsarten durch die Verwerter eingeführt wurde. Für Altverträge, die zwischen dem 1.1.1966 und dem Inkrafttreten des "zweiten Korbs" entstanden sind, wurde den Urhebern ein Widerspruchsrecht von einem Jahr Dauer eingeräumt; nehmen sie es nicht wahr, gehen sie ihrer Rechte an unbekannten Nutzungsarten verlustig, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht existierten.

Beim Thema Vergütung findet wieder das Zauberwort Anwendung, das wir schon oben kennengelernt haben: "angemessen" soll sie sein. Und abwickeln sollen die Vergütung die Verwertungsgesellschaften. Auch dies also eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Urheberrechtsanwälte. Ganz in die Röhre schauen übrigens Filmschaffende: Ihnen wird in dem jetzt verabschiedeten Gesetz nicht einmal ein Widerspruchsrecht eingeräumt.

De facto sind sie damit, was die unbekannten Nutzungsarten angeht, enteignet worden.

Deutlicher auf die Verwerterinteressen zugeschnittene Rechtsvorschriften kann man sich kaum vorstellen, es sei denn, man sieht sich den Unfug an, den sich der Bundestag im Zusammenhang mit dem elektronischen Vertrieb wissenschaftlicher Literatur geleistet hat. Dass Fachbücher und Fachzeitschriften teuer sind, weiß jeder, der sie schon einmal in der Hand hatte, und der elektronische Versand von Texten aus diesen Druckwerken vor allem durch Bibliotheken war für Studenten, aber auch wissenschaftliche Einrichtungen eine Möglichkeit, exzessive Literaturkosten zu vermeiden.

Der Bundestag hat dieser simplen aber effektiven Form von Wissenschaftsförderung nun das Standbein weggetreten, indem den Verlagen erlaubt wird, Bibliotheken den elektronischen Versand zu untersagen, wenn sie selbst ein System der elektronischen Verbreitung ihrer Fachliteratur unterhalten. Der Bibliotheksversand ist ohnehin nur auf Einzelbestellung und als graphische Datei erlaubt, und nur dann, wenn sichergestellt ist, dass „der Zugang zu den Beiträgen oder kleinen Teilen eines Werkes den Mitgliedern der Öffentlichkeit nicht von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl mittels einer vertraglichen Vereinbarung ermöglicht wird.“

Laut Grietje Bettin, der medienpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, ist selbst die elektronische Wiedergabe von Literatur an Lesegeräten (sprich Computern) in der Bibliothek auf genau die Anzahl von Exemplaren beschränkt, in der das betreffende Werk in Papierform vorhanden ist, davon sollen lediglich "Engpässe" ausgenommen sein, bei deren Eintreten ein Buchexemplar an bis zu vier Leseplätzen abgebildet werden darf.

Was für eine Verwirrung zu diesem Thema auch in den Köpfen von Leuten herrscht, die es eigentlich besser wissen sollten, dokumentiert das Gerede in der sogenannten Frankfurter Mahnung, mit der nicht nur der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, sondern auch Imre Török (VS-Vorsitzender) und Johano Strasser (Präsident des P.E.N-Zentrums) jedem "politischen Zwang" zum Open Access eine Absage erteilten.

Aber wissenschaftliche Literatur, aus öffentlich geförderter Forschung entstanden, ist nun einmal etwas anderes als Belletristik, und eine Stärkung des Urheberrechts wäre nun einmal etwas anderes als die Durchsetzung des Verwerterrechts mit der Dachlatte. Immerhin, auch ohne Berücksichtigung dieser Unterschiede kann man ja breitspurige "Frankfurter Mahnungen" verfassen es wird schon irgendwie in die Medien kommen.

Wie man es dreht und wendet: Der 5. Juli 2007 war ein großer Tag für das Verwerterrecht, aber nicht für die Rechte der Urheber und der Nutzer von Medieninhalten. Dass sich bereits die Zustellung eines dritten Korbes an die Gerechtigkeit vorbereitet, lässt für die Zukunft noch größere Grausamkeiten erwarten.

Marcus Hammerschmitt ist Schriftsteller (zuletzt "Der Fürst der Skorpione", Patmos/Sauerländer)