Studiengebühren zahlen oder gehen

Während Landesminister im Süden und Westen die Einführung von Studiengebühren positiv beurteilen, ziehen Studenten vor Gericht und kritisieren die Zweckentfremdung der Gelder. Klare Verhältnisse dagegen in Hamburg: Die Hochschule für Bildende Künste hat gleich die Hälfte ihrer Studenten exmatrikuliert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Hochschule für Bildende Künste in Hamburg zählt gerade einmal 571 Studierende. 129 von ihnen wären wegen Beurlaubung, herausragenden Leistungen, eigenen Kindern, einer Schwerbehinderung oder ihrer Nicht-EU-Zugehörigkeit von der Zahlung jener Studiengebühren befreit, die von der Hamburger Bürgerschaft und weiteren sechs Bundesländern beschlossen wurden. Die verbleibenden 442 aber haben es in sich, denn fast zwei Drittel von ihnen weigern sich bislang beharrlich, den Semesterbeitrag in Höhe von 500 € auf das Konto ihrer Hochschule einzuzahlen. Mehr als 120.000 Euro befinden sich stattdessen auf dem Treuhandkonto der umtriebigen Boykottinitiative.

„Fakultät der unnützen Dinge“

Hochschulpräsident Martin Köttering, selbst erklärter Gegner von Studiengebühren, sah sich nun gezwungen, den Zahlungsunwilligen mit der Post vom 16. Juli 2007 die Exmatrikulation anzukündigen. Diese Entscheidung stehe keineswegs im „Belieben des Präsidenten“, ließ Köttering verlauten. Sie sei vielmehr „ die unmittelbare Konsequenz aus der gesetzlichen Regelung des § 42 Abs. 2 HmbHG“.

Kunstprofessor Werner Büttner hatte sich zwischenzeitlich schon gewünscht, die eigene Hochschule möge sich in einen mittelständischen Zahnstocherhersteller verwandeln, denn dann würden die Existenzsorgen beim lange Zeit schweigenden Dienstherrn und Senator Jörg Dräger vielleicht eher Gehör finden.

Da wir aber nur die kleinste der Hamburger Hochschulen sind, noch dazu eine „Fakultät der unnützen Dinge“, wie es im Sozialismus hieß, hüllen sich die politisch Verantwortlichen in ein unvornehmes Schweigen.

Werner Büttner

Die Professoren der Hochschule hatten ihre Ablehnung von Studiengebühren mit dem erheblichen Materialaufwand und den begrenzten Berufsaussichten und Verdienstmöglichkeiten ihrer Absolventinnen und Absolventen begründet. Diese Einschätzung wird vom Deutschen Kulturrat ausdrücklich geteilt. Berufsanfänger im Bereich der Bildenden Kunst, wozu die Künstlersozialkasse übrigens auch Designer zähle, verdienten im Durchschnitt 7.705 Euro im Jahr, und selbst nach Ablauf einer Berufsanfängerzeit von drei Jahren belaufe sich das Jahreseinkommen nur auf durchschnittlich 10.510 Euro:

Von einem Jahresdurchschnittseinkommen von 10.510 Euro auch noch Studiengebühren, die oftmals über einen Kredit finanziert werden müssen, zurückzahlen zu müssen, ist schier unmöglich. Hamburg ist angetreten, Kunst und Kultur eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Mit viel öffentlichem und privatem Geld wird die Elbphilharmonie gebaut. (...) Aber man nimmt in Kauf, dass angehende bildende Künstler und Designer der Stadt den Rücken kehren, weil sie die Studiengebühren nicht bezahlen können. Das passt nicht zusammen.

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

Überdies, so argumentierten die Hamburger, hätte auch die Kunsthochschule in Düsseldorf – im Gegensatz zu fast allen anderen akademischen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen – auf die Einführung von Gebühren verzichtet, und an den Kunsthochschulen in Frankfurt, Berlin oder Leipzig werde ebenfalls kein entsprechender Beitrag erhoben, so dass für die Hansestadt erhebliche Wettbewerbsnachteile zu befürchten seien.

Die Studierenden teilten diese Argumentation und erreichten als einzige Hamburger Hochschule das Boykottquorum, das an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit 2.813 von erforderlichen 3.210 und an der HafenCity-Universität für Baukunst und Raumentwicklung mit 403 von 630 Teilnehmern knapp verfehlt wurde. An der Universität Hamburg, deren neue Präsidentin Monika Auweter-Kurtz es zwischendurch auch schon mal mit einem Maulkorb-Erlass versuchte, überwiesen nur 6.078 von geplanten 10.000 Studierenden ihr Geld auf das Treuhandkonto des Vereins zur Förderung eines Gebührenfreien Studiums.

Die Hamburger Studenten verhielten sich damit ganz ähnlich wie ihre Kommilitonen in Baden-Württemberg, wo ebenfalls nur drei kleinere Hochschulen in Karlsruhe das festgelegte Quorum erreichten. Vor einigen Monaten verzichteten diese drei wegen mangelnder Erfolgsaussichten dann allerdings auf die Fortsetzung des Boykotts. Für die Hanseaten kommt das vorerst nicht infrage, zumal sie gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Exmatrikulation haben:

Der in dem Brief genannte Paragraph 42 Abs.2 Nr.5 des Hochschulgesetzes ist gleich mit den Exmatrikulationsregeln unserer Hochschule und diese besagen: dass nur exmatrikuliert werden darf, wer „bis zum Ablauf der Rückmeldefrist zu entrichtende fällige Beiträge oder Gebühren nicht gezahlt hat“. Da die Rückmeldefrist für das laufende Sommersemester im April war und die Bescheide für die Studiengebühren erst im Mai verschickt wurden, ist die Verweigerung der Gebühr in diesem Semester kein Exmatrikulationsgrund.

Boykottinitiative der HfbK-Hamburg

Juristisches Tauziehen

Hochschulpräsident Martin Köttering kann seinen Studierenden eine Frist bis zum 30. September 2007 einräumen, um sie ohne nachteilige Begleiterscheinungen wieder zu immatrikulieren, und hat von dieser Möglichkeit auch bereits Gebrauch gemacht. Bis dahin haben die Gebührenverweigerer die Chance, ihr Risiko noch einmal genau zu kalkulieren. Immerhin gilt es zu bedenken, dass die Protestbewegung in den seltensten Fällen juristischen Beistand in Form handhabbarer Urteile erfährt.

Erst am vergangenen Freitag lehnte die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe die Musterklagen dreier Studierender ab, die sich in Baden-Württemberg gegen die Erhebung von Studiengebühren gewandt hatten. Das Landeshochschulgebührengesetz stehe sowohl mit dem UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als auch mit den Bestimmungen des Grundgesetzes in Einklang, befanden die Richter. Für „finanzschwache Studierwillige“ sei durch das Angebot von Studiendarlehen ausreichend gesorgt, und selbst das Fehlen einer Übergangsregelung für Wehr- und Zivildienstleistende „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“.

Ob der Hessische Staatsgerichtshof in Wiesbaden zu einem anderen Ergebnis kommt, muss noch abgewartet werden. Hier haben 78.185 Bürgerinnen und Bürger ein „Verfassungsklage-Formular“ unterzeichnet und damit gegen die geplante Einführung von Studiengebühren gestimmt. Zu verhindern sind sie damit vorerst nicht mehr, denn die Landesregierung um Ministerpräsident Roland Koch hat die Umsetzung zum Wintersemester 2007/08 beschlossen und im Parlament durchgesetzt. Die Entscheidung des Staatsgerichtshof wird erst 2008 erwartet, bis dahin werden pro Semester 500 Euro Studiengebühren und an manchen hessischen Hochschulstandorten obendrein bis zu 254 Euro Rückmeldegebühren fällig.

Studienbedingungen verbessert ...

Derweil haben die Landesregierungen, die bereits Studiengebühren durchsetzen konnten, ein positives Zwischenfazit gezogen. In Nordrhein-Westfalen, wo 245.000 der rund 400.000 Studierenden im gerade zu Ende gegangenen Sommersemester zur Kasse gebeten wurden, flossen nach Abzug der Gelder, die für einen Ausfallfonds zurückgelegt werden müssen, stolze 100 Millionen Euro in die Hochschulkassen. Etwa 35.000 Studierende haben dafür ein Studienbeitragsdarlehen der NRW.Bank in Anspruch genommen.

Das zuständige Ministerium für Innovation Wissenschaft, Forschung und Technologie legt Wert auf die Feststellung, dass die eingenommen Gelder effektiv in die Verbesserung der Studienbedingungen und der Lehre investiert wurden. So habe die Bibliothek der Universität Duisburg-Essen 30.000 neue Bücher gekauft, die philosophische Fakultät der Universität Köln zwölf Lehrkräfte mit jeweils 13 Semesterwochenstunden eingestellt oder die Fachhochschule Niederrhein 100 zusätzliche W-Lan Access Points eingerichtet.

Vom Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg gibt es ebenfalls einen ersten Zwischenbericht. Demnach konnten die Hochschulen rund 90 Millionen Euro durch Studiengebühren einnehmen, allerdings verzeichneten sie bei der Gesamtzahl der Studierenden einen Rückgang um 3,49 Prozent gegenüber dem Sommersemester 2006 und im Bereich der Studienanfänger sogar einen Rückgang um etwa 12 Prozent. Nur 2,5 Prozent aller Nachwuchsakademiker, insgesamt rund 5.000 Studierende, nahmen einen Gebührenkredit der Staatsbank in Anspruch.

Diese Zahl liegt folglich deutlich unter dem Vergleichswert aus Nordrhein-Westfalen, was auch damit zusammenhängen mag, dass das Kreditinstitut im Ländle einen Zinssatz von 7,05 Prozent festgeschrieben hat, der je nach Studiendauer und Rückzahlungszeitraum noch steigen kann, während die NRW.Bank beim Studienbeitragsdarlehen auf einen Gewinnanspruch verzichten will und vorerst mit 5,9 Prozent auskommt.

Unabhängig davon bemüht sich auch der Zwischenbericht aus Baden-Württemberg um den Nachweis, dass die Gebühren ausschließlich zur Verbesserung der Studienbedingungen eingesetzt wurden und werden. Nach Angaben des Ministeriums fließen etwa 50 Prozent in die Ausweitung des Lehr- und Serviceangebots, weitere 10 Prozent kommen der Aufstockung und Modernisierung der Lehr- und Lernmedien zugute, der Rest geht in die Verbesserung der Studien- und Prüfungsorganisation sowie Maßnahmen der Studienberatung und Qualitätssicherung.

... oder einfach nur Geld ausgegeben?

Eine aktuelle deutschlandweite Studie, die von Marktforschern der Universität Hoffenheim durchgeführt wurde, zeigt freilich, wie weit die ministeriellen Einschätzungen von der Realität entfernt sind. Demnach bewerten Studierende die vermeintlichen Verbesserungen mit „mangelhaft“ bis „schwach befriedigend“. 79 Prozent gehen gar davon aus, dass ihre Hochschule noch gar keine Maßnahmen zur Verwendung der Studiengebühren getroffen hat. Fast eben so viele (71 Prozent) glauben nicht, dass ihr Geld irgendwann einmal zur Verbesserung der Studienbedingungen beiträgt, an der Universität Oldenburg (90,5 Prozent) und der HafenCity Universität in Hamburg (93,1 Prozent) wird dieser Wert noch deutlich überschritten.

Folgerichtig rechnen sich bundesweit rund 60 Prozent der Gebührenzahler gleichzeitig zu den Gebührengegnern, während nur 14 Prozent als ausdrückliche Befürworter ermittelt wurden. Allerdings hat die Studie in vielen Bereichen große regionale Unterschiede festgestellt.

Hochburgen der Gebührengegner sind Hamburg, Siegen und Stuttgart (79 % und 75 % an Universität Hamburg und HafenCity Universität Hamburg, 75,3 % bzw. 73,4 % in Siegen bzw. Stuttgart). Die meisten Befürworter befinden sich in Mannheim und Passau (30,2 % bzw. 27,7 %) Ein deutliches Nord-Süd-Gefälle zeichnet sich dagegen bei den Bundesländern ab. So befinden sich die meisten Gebührengegner in Hamburg und Niedersachsen, gefolgt vom Bundesland Nordrhein-Westfalen (69,5 % und 62,4 % bzw. 61,0 %). Am geringsten ist der Widerstand noch in Baden-Württemberg und Bayern (56,1 % bzw. 56,5 %) Dagegen zieht sich die Ablehnung fast gleichmäßig durch alle Studienfächer durch. Leicht erhöht ist die Zahl der Gebührengegner in den Sprach-/Kulturwissenschaften (65,9 % Gegner). Dagegen ist die Zahl der Befürworter in den Rechts-/Wirtschafts- und Sozialwissenschaften stark erhöht (22,9 %).

Gebührenkompass 2007

Als vorbildlich hinsichtlich Informationspolitik und Transparenz werden derzeit die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie die Universitäten in Regensburg und Konstanz eingeschätzt. An anderen Hochschulen ist der Streit um die Verwendung in vollem Gange. So hat die Freiburger Universität im Vorfeld ihres 550. Geburtstages bereits 2006 Umschichtungen vorgenommen, um zuvor gestrichene Leistungen nun durch Studiengebühren finanzieren zu können, wodurch die zusätzlichen Gelder direkt in Forschungsprojekte fließen können. Die örtlichen Gebührengegner haben deshalb bereits einen Leitfaden „zur Veruntreuung von Studiengebühren“ veröffentlicht, der auch andernorts Nachahmer finden könnte oder schon gefunden hat.

1. Nehmen Sie eine beliebige Aufgabe im Bereich Studium und Lehre, (z.B. eine Zuweisung an die Universitätsbibliothek) die bisher jährlich aus dem zentralen Universitätshaushalt finanziert wurde.

2. Streichen Sie diese.

3. Verwenden Sie Studiengebühren zur Finanzierung dieser „wichtigen Maßnahme aus dem Bereich Studium und Lehre“.

4. Den gleichen Betrag haben Sie nun zur Verfügung, um gestiegene Heizkosten, Forschungsförderung oder andere gesetzlich aus Studiengebühren nicht erlaubte Ausgaben trotzdem zu tätigen.

AStA Freiburg

In Münster, wo die Studierenden vor Monaten eine beachtliche Reduzierung der Studiengebühren von den ursprünglich geplanten 500 auf jetzt noch 275 Euro durchsetzten, ist Stefanie Schröder, die im Rahmen der Senatskommission zur Verteilung der Beiträge die studentischen Interessen vertreten sollte, gleich nach der ersten Sitzung zurückgetreten. „Wofür sitze ich überhaupt hier?“, fragte Schröder, ohne ernsthaft auf eine plausible Antwort zu hoffen. Das seltsame Punktesystem zur Bewertung der Bedarfanmeldungen aller Fachbereiche orientiere sich an Worthülsen wie „Nachhaltigkeit“ oder „Angemessenheit“ und die Studierenden erfüllten in der Kommission offenkundig ohnehin nur den Zweck, das Verfahren zu legitimieren.

Auch in Karlsruhe tobt der Verteilungskampf – hier allerdings zwischen den geisteswissenschaftlichen und den naturwissenschaftlich-technischen Fächern. Nach einem besonders raffinierten Verteilungsschlüssel sollen die Gebühren proportional zu den Studierendenzahlen an die Fakultäten weitergeleitet werden. Da die Geisteswissenschaftler in Karlsruhe deutlich unterrepräsentiert sind, würden von jedem ihrer eingezahlten Euros 40 Cent in andere Bereiche der Hochschule fließen. Nach entschiedenen Protesten will das Rektorat diese Ungleichbehandlung nun noch einmal überdenken.

Eine selbstkritische Analyse wäre schließlich auch der Technischen Universität im niedersächsischen Clausthal-Zellerfeld zu empfehlen. „Studieren wo andere Urlaub machen“ oder auch „Großstadtmief, Anonymität, Hektik? Nicht bei uns“ heißen die Slogans auf der offiziellen Website, und es scheint tatsächlich so, als ob in der guten Luft des Harzes persönliche Beziehungen noch eine ganz entscheidende Rolle spielen. Die Erhebung von Gebühren und die Vergabe von Stipendien ähnelt jedenfalls einem Tauschhandel, seitdem die Beiträge unscheinbarer Studenten zur Eliteförderung genutzt werden dürfen.

Aber warum auch nicht? Wenn sich die eigenen Studienbedingungen schon nicht verbessern, kann man wenigstens das gute Gefühl mit nach Hause nehmen, etwas für die Kommilitonen getan zu haben, die „auf Grund besonderer Leistungen oder herausgehobener Befähigung“ die präsidiale Aufmerksamkeit erregen und gerade mal 500 Euro brauchen.