Bolivien verstaatlicht Eisenbahnen

Der bolivianische Präsident Evo Morales setzt seine Nationalisierungspolitik fort

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der bolivianische Präsident Evo Morales gab am Sonntag die Verstaatlichung der Zuggesellschaften bekannt. Betroffen von der Ankündigung werden chilenische und US-amerikanische Firmen sein, die das Eisenbahnnetz im Rahmen der Privatisierung vor zehn Jahren unter sich aufgeteilt haben. Bis Anfang August müssen die 21 Kommissionen der "Constituyente", der verfassungsgebenden Versammlung, ihre Ergebnisse übergeben, weshalb die Spannung steigt. Probleme gibt es vor allem um die Ausgestaltung des "Autonomienstaats". Indigene Völker haben die Autonomieforderungen der vier reichen Departements für sich gewendet. Sie fordern nun die Einrichtung "indigener Selbstverwaltungsgebiete".

Vizepräsident Álvaro García Linera und Präsident Evo Morales. Bild: Abi.bo

Am vergangenen Sonntag kündigte Evo Morales die Renationalisierung der "Empresa Nacional de Ferrocarriles" (Enfe) an. Mit der Verstaatlichung der Zuggesellschaften geht Morales einen weiteren Schritt weiter, um die Privatisierungen der Vorgängerregierungen wieder rückgängig zu machen, damit die natürlichen Ressourcen auch der Bevölkerung eines der ärmsten Länder Lateinamerikas zu gute kommen können. "Die Leute, die damals die Privatisierung auf den Weg brachten, sollen uns heute bitte erklären, wo denn die Früchte dieses Prozesses sind", sagte Morales. "Die Kapitalisierung fand nie statt. Stattdessen wurde dem bolivianischen Volk und unseren Firmen das Kapital entzogen, und deswegen beginnen wir jetzt wieder mit der Nationalisierung".

Enfe wurde 1996 teilprivatisiert und aufgeteilt. Die mächtige chilenische Gruppe Luksic bekam den Zuschlag für die Empresa Ferroviaria Andina (EFA), die das Streckennetz in der Andenregion betreibt. Sie versprach Investitionen in einer Höhe von 13.2 Millionen US-Dollar in das 2.261 Kilometer lange Schienennetz. Die Firma "Trenes Continentales", eine Filiale der US-amerikanischen Firma Genesee Wyoming erhielt die Kontrolle über das Netz im reichen Tiefland im Osten des Landes. Zwar gehören in beiden Fällen bisher theoretisch noch 49 Prozent dem "bolivianischen Volk", allerdings werden diese Anteile von der spanischen Großbank Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) und der schweizerischen Finanzinstitution Zurich Financial Service verwaltet. Die neue Verstaatlichung hat in diplomatischen Kreisen und bei Unternehmern in Chile für Unmut gesorgt. Ein geplantes Treffen für Mittwoch zwischen chilenischen Unternehmern und der bolivianischen Regierung wurde verschoben. Dabei sollte es auch um ein Abkommen zur Verstärkung der Beziehungen zwischen Chile und Bolivien gehen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die betroffenen Firmen fürstlich entschädigt werden, ähnlich wie bei der Übernahme der Raffinerien von der brasilianischen Petrobras im Mai (Streit zwischen Bolivien und Brasilien über Verstaatlichung von Ölraffinerien beigelegt). Morales kann kein Interesse an einem Streit mit dem Nachbarn haben, schließlich haben sich die chilenischen Häfen Arica und Antofagasta in die Hauptumschlagplätze für Mineralien und landwirtschaftliche Erzeugnisse Boliviens verwandelt.

Die Regierung Morales geht nun einen weiteren Schritt, nach der Nationalisierung des Öl- und Gassektors, der Landreform, der Verstaatlichung einer Gießerei im Februar, die der Schweizer Firma Glencore gehörte, und der Übernahme von Raffinerien von Petrobras. Mit der italienischen Telecom befindet sich die Regierung derzeit noch in einem Streit über die Kontrolle des Telekommunikationsunternehmens Entel.

Konflikte um die Autonomie von Departments und indigenen Gemeinschaften

Da Parlamentarier aus Morales Partei Bewegung für den Sozialismus eingeräumt haben, zuvor nichts von dem neuen Vorhaben gehört zu haben , wofür es bisher nicht einmal einen Gesetzesentwurf gäbe, dürfte Morales die Aufmerksamkeit von einem anderen Problem ablenken wollen.

Denn seine Drahtseilakte bei der Ausarbeitung der Verfassung hinterlassen Spuren. Die Tatsache, dass er gegenüber den vier reichen Departements im Tiefland Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija in der Autonomiefrage eingelenkt hat, schafft neue Widersprüche und bringt ihn unter Druck der eigenen Basis (Machtkampf in Bolivien). Angesichts der Tatsache, dass die 21 Kommissionen, die mit der Ausarbeitung der Verfassung beschäftigt sind, bis spätestens am 6. August ihre Vorlagen abgeben müssen, steigt die Spannung. 19 Kommissionen haben ihre Arbeit schon beendet und mehr als 500 Artikel der neuen Verfassung sind ausgearbeitet.

Nachdem die "Büchse der Pandora" zur Frage der Organisation des Landes allerdings aufgemacht wurde, fragen sich vor allem die indigenen Völker in Bolivien, warum es eine Autonomie von künstlich geschaffenen Departements geben soll und drehen die Forderungen der reichen Provinzen um: Sie fordern lautstark die Einrichtung von indigenen Selbstverwaltungsgebieten über die Verfassung ein (Die andere Verfassung), um der realen Situation im Land gerecht zu werden. Schließlich sind zwei Drittel der Bevölkerung Indigenas, die 11 Sprachfamilien zugeordnet werden können. Deren Sprachgebiete sind durch die derzeitigen Grenzen der Departements in keiner Form berücksichtigt.

So hatten Angehörige des Stamms der Guaraní zehn Tage lang die wichtigsten Straßen nach Argentinien und Paraguay blockiert. Die Blockaden wurden erst aufgehoben, als die in der Hauptstadt Sucre tagende Kommission ihnen zusicherte, ihre Forderungen zu berücksichtigen. Trotzdem begaben sich Hunderte Indigenas auf einen 600 Kilometer langen Fußmarsch in die Hauptstadt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Der Druck scheint Erfolg zu zeitigen. Nach zehn Tagen setzten die Marschierer den Protest am Dienstag aus. Adolfo Chávez, Präsident der Konföderation der Indigenen Völker des Ostens (Cidob), sagte, 90 % der Vorschläge seien nun von der Kommission aufgenommen worden. Tatsächlich hatten sich Mitglieder der Kommission am vergangenen Samstag auf den Weg zu den Marschierern gemacht, um ihre Forderungen zu hören und mit ihnen zu diskutieren.

Der Konflikt um die Autonomiefrage wird aber nach der Übergabe des Kommissionstextes nur ins Plenum vertagt. Dass dort die Frist bis zur Verabschiedung des Verfassungstextes auf 14. Dezember verlängert wurde, zeigt an, dass man sich dessen bewusst ist. Im nächsten Jahr soll dann die Bevölkerung über die Verfassung per Referendum entscheiden.