Identitätskrise bei Elektronen - und ihre Folgen

Wissenschaftler konnten zum ersten Mal im Experiment zeigen, dass auch Elementarteilchen unterschiedlicher Herkunft miteinander interferieren

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Man kennt das ja aus den Klatschspalten der Yellow Press: Treffen auf einer Party zwei Frauen zusammen, die zufällig ins selbe Kleid geschlüpft sind, dann werden die mit allen Mitteln versuchen, sich aus dem Weg zu gehen - und sie gemeinsam aufs Foto zu bekommen, das gelingt den Paparazzi dann auch nur zufällig. Das Äquivalent solch eines peinlichen Bildes ist nun einem israelischen Physikerteam vom Weizmann Institute of Science gelungen. Die Forscher haben es geschafft, für Elektronen aus unterschiedlichen Quellen, die niemals physikalisch interagiert haben, Interferenz nachzuweisen. Von ihrem Experiment berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature.

Elektronen, das muss man wissen, haben das klassische Party-Problem in extrem gesteigertem Maße. Physikalisch gesehen sind nämlich alle Elektronen im Universum ununterscheidbar - abgesehen von der Energie, die sie momentan besitzen, gibt es einfach keine signifikanten Unterschiede. Es ist also nicht möglich, zwei Elektronen aus unterschiedlichen Quellen im Nachhinein noch eindeutig zu identifizieren. Und wenn in der Quantenphysik einzelne Elektronen nicht identifizierbar sind, dann heißt das konsequenterweise, dass sie alle eins sind. Dass Elektronen also von einer gemeinsamen Wellenfunktion beschrieben werden, die sie alle untereinander verbindet.

Der Wellencharakter von Elektronen

Dass sie überhaupt Wellencharakter besitzen, hat schon das beinahe klassische Doppelspalt-Experiment gezeigt, dass jüngst zum „schönsten physikalischen Experiment“ gekürt wurde. Der Versuch bewies, dass sich nicht vorhersagen lässt, durch welchen von zwei Schlitzen sich ein Elektron bewegt - die Wahrscheinlichkeiten dafür ergeben das typische Interferenzmuster, das man bei Lichtwellen schon länger kennt. Sogar einzelne Elektronen interferieren mit sich selbst - ein eindrucksvoller Beweis für ihren Wellencharakter. Mit der klassischen Ansicht des Elektrons als Teilchen verträgt sich das natürlich nicht - Teilchen haben nun einmal nicht die Fähigkeit, gleichzeitig ein bisschen hier und ein bisschen dort zu sein.

Die Ununterscheidbarkeit beschert den Elektronen übrigens eine interessante Ähnlichkeit mit den oben erwähnten Frauen im gleichen Kleid: Durch den so genannten Anti-Bunching-Effekt sind sie bestrebt, sich (auch) räumlich möglichst weit voneinander zu differenzieren. In die Sprache der Quantenphysik heißt das: Jeder Quantenzustand kann genau ein Fermion (Elektronen gehören zu dieser Elementarteilchen-Gruppe) aufnehmen. Für Bosonen (etwa Photonen) gilt das nicht.

Dass alle Elektronen im Grunde von derselben Wellenfunktion beschrieben werden, müsste sich ebenfalls durch ein Interferenz-Experiment beweisen lassen. Für Photonen hatte sich dieser Nachweis bisher als schwierig erwiesen - insbesondere die Notwendigkeit, ununterscheidbare Photonen zu erzeugen und gleichzeitig ihre Ankunft beim Detektor zu synchronisieren, hatte sich als Hürde erwiesen.

Ein Ergebnis, wie es die Quantenphysik erwartet, - nicht aber der gesunde Menschenverstand

Elektronen, schreiben die israelischen Forscher um Izhar Neder in ihrer Arbeit, erwiesen sich in dieser Hinsicht nun als dankbarere Forschungsobjekte. Indem man sich eines extrem kalten Reservoirs bedient, kann man einen geordneten, rauschfreien Elektronenstrom erzeugen, so dass die Synchronisierung kein Problem mehr ist. Und weil der Zustand der Elektronen nur durch Fermi-Energie und -Moment bestimmt wird, kann man sie durch die Wahl der Source-Spannung leicht ununterscheidbar machen. Weil die Kohärenzlänge der Elektronen direkt mit der Quellspannung zusammenhängt, kann man durch eine entsprechend niedrige Spannung absichern, dass sich jeweils nur ein Elektron im Interferometer befindet.

Kleiner Nachteil: weil das sehr niedrige Spannungen bedingt, erweisen sich die Messungen selbst als sehr schwierig. Neder und Kollegen haben das Problem auf zwei Dimensionen reduziert: sie lassen ihre Elektronenströme in der Fläche fließen. Dabei haben sie das Experiment so geschickt aufgebaut, dass die Elektronen aus unterschiedlichen Quellen eines der beiden Ziele zwar ganz nach eigener Wahl erreichen können - dabei jedoch nie mit Teilchen aus der anderen Quelle interagieren.

Das Ergebnis ist so, wie es die Quantenphysik erwartet - nicht aber der gesunde Menschenverstand: Obwohl die Teilchen, die aus verschiedenen Quellen kommen, nichts voneinander wissen, müssen sie sich untereinander „abgesprochen“ haben. Denn sonst könnten die an Fluktuationen des Gesamt-Stromflusses nachweisbaren Interferenzmuster nicht entstehen. Dass da nicht wirklich Kommunikation stattfindet, ist klar: sie ist auch gar nicht nötig, geht man davon aus, dass alle Elektronen von einer gemeinsamen Wellenfunktion beschrieben werden.