Deutschland kapituliert! Oder doch nicht?

Nach jahrelangem vergeblichem Ringen gibt Deutschland vor, seine Ambitionen auf einen ständigen Sitz im erweiterten UN-Sicherheitsrat fallen zu lassen

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Nachdem die UN-Reform auch eine Erweiterung der permanenten Sitze samt Vetorecht im UN-Sicherheitsrat vorsieht, hatte Deutschland über Jahre seine Ambitionen auf eine ständige Mitgliedschaft vorangetrieben – erfolglos. Wie der Tagesspiegel unter Berufung berichtet , habe Deutschland sein Bestreben nun fallengelassen und wolle eine „intelligente Zwischenlösung“ herbeiführen.

Das zumindest ließ UN-Diplomat Thomas Matussek verlauten, nur um gleich darauf wieder zurückzurudern. Man fordere eine Lösung der Frage bis Ende 2007, um zu einer Übergangsregelung zu kommen. Langfristig wolle man aber dennoch auf einen Sitz samt Veto nicht verzichten. Ja was denn nun?

Die UN-Reform sieht eine Erweiterung des Sicherheitsrates von 15 auf 25 Mitglieder vor, auch die permanenten Sitze mit Vetorecht (bisher fünf) sollen dabei berücksichtigt werden. Insgesamt forderte Kofi Annan in seinem Reformpapier In größerer Freiheit aus dem Jahr 2005, die UN müssten sich neu orientieren, um den Gegebenheiten der globalen Politik des 21. Jahrhunderts gerecht werden zu können – dies auch ein Hauptargument der Kritiker, die bemängeln, dass die derzeitige Zusammensetzung an den Machtverhältnissen der Nachkriegszeit orientiert und somit anachronistisch ist.

Während Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt das Vetorecht am liebsten sofort abschaffen würden zugunsten von mehr Gerechtigkeit, wittern einige Länder seit geraumer Zeit ihre Chance, die eigene internationale Machtbasis auszubauen. Neben Deutschland drängen auch Brasilien, Indien und Japan voran, die zusammen die G4 bilden. Schon die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder hatte diesem Vorhaben eine hohe Priorität eingeräumt, die Große Koalition hielt daran fest.

Erstmals hatte der damalige Außenminister Joschka Fischer das deutsche Begehren am 23. September 2004 in einer Rede der Generalversammlung vorgetragen erntete auf Anhieb die Zustimmung Großbritanniens und Frankreich, zugleich aber vehemente Ablehnung aus Italien und Zurückhaltung aus den USA, die noch immer pikiert waren aufgrund der deutschen Ablehnung des Irakkriegs. Eine Mehrheit der EU-Mitglieder hatte sich zuvor positiv geäußert, während Altbundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Buch „Die Mächte der Zukunft“ den Vorstoß als unangebrachtes „Geltungsbedürfnis“ abgetan hatte. Tatsächlich beinhaltete der rot-grüne Koalitionsvertrag von 1998 die Forderung nach einem ständigen Sitz der EU im Sicherheitsrat und den Verzicht Deutschlands, eine Festlegung, die im Laufe der Jahre offenbar unter den Tisch fallen gelassen wurde. Der Vorschlag der G4, den Sicherheitsrat um sechs ständige und vier nichtständige Mitglieder aufzustocken, scheiterte bei den Mitgliedsstaaten an der Zwei-Drittel-Hürde (Machtinteressen und Blockadepolitik).

Dass Deutschland nun zurückrudert, ist logisch. Faszinierend bleibt aber diese scheinbar so urdeutsche Verbissenheit und die Weigerung, sich mit vollendeten Tatsachen abzufinden. Nicht nur aus den Vereinten Nationen selbst, auch aus der internationalen Presse war den Ambitionen immer wieder starker Wind entgegengeweht. Aber statt wirklich zu verzichten, windet man sich nun in den zu durchsichtigen Vorschlag einer Übergangslösung hinein, der eine befristete Aufnahme ohne Vetorecht für zwölf Jahre beinhaltet. Das ist eine Option, mit der sich Deutschland, sollte sie angenommen werden, im Grunde zufrieden geben und die Umsetzung der weiteren UN-Reformen aussitzen könnte.

Dass aber der angekündigte Verzicht sofort wieder negiert wird mit der Festlegung, man wolle langfristig auf gar keinen Fall von den Ambitionen auf einen permanenten Vetositz abweichen, führt die gesamte Aussage ad absurdum. Vor allem aber zeigt es, wie wenig die deutsche Regierung eigentlich an einer wirklichen Reform der Vereinten Nationen interessiert ist, denn letzten Endes plädiert man für die Festigung bestehender Machtsysteme, in denen man sich nicht länger als Außenseiter fühlen möchte. Die Frage aber, was Deutschland als Vetomacht denn zur Verbesserung der globalen Politik beitragen könnte, muss vorerst offen bleiben, denn diesbezüglich verlor sich schon Joschka Fischer vor drei Jahren in Platituden.