"Kein Klimaschutzprojekt, sondern ein Klimakiller"

Die Grüne Bärbel Höhn über den Einfluss von RWE auf die Politik

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Telepolis berichtete (Braune Kohle, grün gewaschen) über die ebenso facetten- wie erfolgreiche Lobbytätigkeit des Stromriesen RWE. Wirklich schlecht kommt RWE auch im CO2-Emissionshandel nicht weg. Kein Wunder: Der Konzern hat sich mit seinen Vorstellungen bezüglich der Braunkohleverstromung durchgesetzt. Der Tagesspiegel berichtete Ende März, RWE sei mit einem Vorschlagspapier beim Kanzleramt vorstellig geworden. Demnach sollten Braunkohlekraftwerke eine höhere Betriebsstundenzahl zugewiesen werden. Und so wird es wohl auch kommen: Das entsprechende Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel im Hinblick auf die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 liegt derzeit unterschriftsreif beim Bundespräsidenten.

Der Vorgang ist durchaus skandalös. Ohne diese Sonderregelungen wäre der Ausbau des RWE-Braunkohlekraftwerkes zu Europas größter Kohlendioxid-Quelle betriebswirtschftlich unrentabel, wie Bärbel Höhn im Telepolis-Interview vorrechnet. Höhn ist mit dem Genehmigungsverfahren vertraut. Sie war, wenn auch widerwillig, als NRW-Umweltministerin bis 2005 dafür teilverantwortlich. Die 55-jährige Mathematikerin ist heute stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, koordiniert die Themen Umwelt, Energie, Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Tierschutz, Bauen und Verkehr.

Frau Höhn, bisher werden nur 9 Prozent der Verschmutzungs-Zertifikate im Emissionshandel versteigert. Der Rest wird verschenkt. Warum?

Bärbel Höhn: Die EU gestattet bisher 10 Prozent Versteigerung. Der Bundestag hat sich gegen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der die Versteigerung nicht wollte, durchgesetzt – jetzt sind es immerhin 9 Prozent.

Läge der Anteil der verkauften Zertifikate höher, würde sich beispielsweise der Erweiterungsbau des Braunkohlekraftwerkes in Neurath überhaupt rechnen?

Bärbel Höhn: Er würde sich schon jetzt nicht rechnen, gäbe es nicht faktisch einen Braunkohle-Benchmark, eine Sonderregelung im Emissionshandel. Die Zertifikatsrechte für Steinkohle liegen gegenüber Gaskraftwerken doppelt so hoch. Gaskraftwerke dürfen 375, Steinkohlekraftwerke 750 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde emittieren. Bei Braunkohle liegt der Wert nochmals 10% höher, weil bei den Braunkohle-Kraftwerken 10% mehr Betriebsstunden angerechnet wurden. Das ist ein reiner Rechentrick, weil diese Betriebsstunden in der Praxis gar nicht zusammenkommen!

Das heißt: Der Bundestag ermöglicht per Sonderregelung den Ausbau des Kraftwerkes Neurath zu Europas größter Kohlendioxid-Quelle. Und ohne diese politische Flankierung wäre Neurath betriebswirtschaftlich nicht rentabel.

Bärbel Höhn: Das ist so. Und ab der Zuteilungsperiode 2013 bis 2017 rechnen sich neue Kohlekraftwerke generell nicht mehr, sagt selbst Sigmar Gabriel.

... und mit ihm der BDI.

Bärbel Höhn: Gabriel stützt sich auf eine Studie, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Der Hintergrund ist, dass ab 2013 nicht neun, sondern 50 bis 100 Prozent der Emissionszertifikate versteigert werden sollen.

RWE-Lobbyist Volker Heck zählt die beiden geplanten, durchaus effizienteren Kraftwerksblöcke in Neurath zu den fünf wichtigsten Klimaschutzprojekten seines Konzerns. Unterschreiben Sie das?

Bärbel Höhn: Diese Behauptung von RWE ist schlicht eine Unverschämtheit. Neurath ist kein Klimaschutzprojekt, sondern ein Klimakiller.

Sie waren von 1995 bis 2005 NRW-Umweltministerin. Ist RWE ein verlässlicher Kooperationspartner?

Bärbel Höhn: RWE hat immer wieder Versprechungen gebrochen. RWE hat beispielsweise zugesagt, die alten Kohlekraftwerke durch effizientere neuere zu ersetzen. Ich habe als Ministerin darauf gedrängt, dass RWE dieses Versprechen einhält. Jetzt werden die alten Kraftwerke unter Schwarz-Gelb einfach weiter betrieben.

Und Neue kommen hinzu. Hat RWE nach Ihrer Erfahrung eine starke Stellung im bevölkerungsreichsten Bundesland?

Bärbel Höhn: Wir NRW-Grüne sagen immer: RWE = SPD = NRW.

Wie funktioniert die RWE-Lobbyarbeit?

Bärbel Höhn: Die Lobbyisten sitzen de facto mit am Tisch, wenn Gesetze entworfen werden. Teilweise finden sich dann wortwörtliche RWE-Zitate im Gesetzestext wieder. Den Haupteinfluss übt RWE jedoch strukturell aus: einfach, weil RWE ein großer Konzern ist, der über eine umfassende Infrastruktur verfügt.