Wann kommt der Crash?

Laut "Dr. Doom" Marc Faber ist ein weltweiter Börsencrash unvermeidbar. Eine Blase nach der anderen werde platzen. Fragt sich nur: Wann?

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Der Schweizer Finanzexperte mit Sitz in Hong Kong, Marc Faber, hat in der „Welt“ gerade wieder zum Ausstieg aus Aktien geraten. „Dr. Doom“ Faber ist einer der bekanntesten Untergangspropheten der Finanzmärkte und Herausgeber des Gloom, Boom & Doom Report. So wie jüngst auch Telepolis (Überall Blasen) diagnostiziert er „die erste synchrone Boomphase in der 200-jährigen Geschichte des Kapitalismus“ und stellt fest: „Einen ewigen Boom gibt es nicht, eine Blase nach der anderen wird platzen."

Das Problem dabei: die Geldpolitik (vor allem der USA). Faber zufolge sind für die aufgeblähten Preise von derzeit praktisch allen Finanzanlagen die Notenbanken verantwortlich, die zudem jederzeit bereit wären, zwecks Konjunktur- und Kursstützung Geldmenge und Kredit noch weiter zu erhöhen.

Nun hat Faber schon einige Krisen auch zeitlich sehr korrekt vorausgesagt, während andere seiner düsteren Prophezeiungen hingegen nicht eingetreten sind. Dieser Gefahr setzt er sich diesmal nicht aus, denn weil die Notenbanken bei Gefahr heute sofort massiv intervenieren würden, wagt Faber es nicht, den Zeitpunkt des Blasenplatzens „punktgenau“ vorher zu sagen.

Betrachtet man längere Zeiträume, dann ist eine nächste Krise letztlich aber wohl immer unausweichlich - bleibt also die Frage: Wann?

Die Ökonomen der Wall Street und die Chefs der großen Investmentbanken, die allerdings von Berufs wegen generell bemüht sind, hohe Preise zu rechtfertigen, sind jedenfalls nicht der Meinung, dass derlei Ungemach unmittelbar bevor stünde. Sie sprechen lieber von einer „Great Moderation“, ein Begriff, mit dem auch die US-Notenbank „FED“ dieses „neue ökonomische Zeitalter globaler Märkte“ charakterisiert. Gemeint sind damit die in den letzten 20 Jahren sehr geringen jährlichen Schwankungen von makroökonomischen Daten wie Wachstum, Arbeitslosigkeit und Inflation, die das „Risiko“ von Finanzanlagen generell gesenkt hätten. Niedrige Risikoprämien bedeuten hohe Preise und somit wären diese gerechtfertigt.

Auch wenn die traditionell zurückhaltenden Notenbanker noch nicht durch die Straßen tanzen und sich auf die Brust klopfen, sind sie doch bereit, die derzeit populärste Begründung für dieses neue Zeitalter in Betracht zu ziehen. Denn neben der Liberalisierung von Welthandel und Finanzmärken sei für die „Great Moderation“ vor allem die Geldpolitik verantwortlich, die nach den vielen Krisen nun endlich gelernt hätte, Konjunktur, Inflation und Finanzmärkten sicheres Geleit zu geben, jedenfalls in den führenden Industrieländern. Als Beweise werden dann meistens die vergleichsweise geringfügigen Folgen von Asien-, Russland- und New Economy-Krise angeführt, wo sich die Kurse erstaunlich rasch erholt haben und in den führenden Industrieländern echte Rezessionen ausgeblieben sind. Gelungen ist dies durch die hemmungslose Bedienung der Notenpresse, die aber - zur Überraschung vieler traditionell erzogener Ökonomen - nicht zum befürchteten starken Anziehen der Inflationsraten geführt hat.

Da aber bei allen Notenbanken als wichtigstes (wie bei der EZB) oder zumindest als wichtiges Ziel (FED) die Geldwertstabilität in den Statuten steht, müsste nach Fabers’ Deutung der große Kurseinbruch genau dann erfolgen, wenn den betroffenen Notenbanken die Hände gebunden sind. Denn wollen die Banken ausufernden Inflationsraten wie z.B. diejenige Ende der 70er Jahre vermeiden, dann müsste das genau dann der Fall sein, wenn die Inflationsrate erheblich anzusteigen beginnt.

Risiken durch China und die USA

Nun könnte als interessante Gegenthese zur „Great Moderation“ vermutet werden, dass die relativ geringen Inflationsraten der vergangenen Jahre nicht so sehr von der soliden Finanzpolitik verursacht wurden, sondern durch die billige Konkurrenz aus China. So kann makroökonomisch seit fast 20 Jahren der Eintritt von jährlich rund 20 Millionen Menschen in die Weltwirtschaft beobachtet werden, was die globalen Preise zwangsläufig drücken muss, wenn die Neuankömmlinge mehr Güter produzieren als konsumieren. Die von dieser billigen Konkurrenz betroffenen Unternehmen könnten in so hohem Ausmaß daran gehindert worden sein, ihre Preise zu erhöhen, dass die gewaltige Geldmengen- und Kreditausweitung der vergangenen Jahr deshalb nicht in das Konsumenten-Preisniveau, sondern in die Finanzmärkte geflossen ist, wo „alle Boote“ gehoben wurden. Dafür spricht, dass es praktisch in allen Bestandteilen der Preisindizes (Energie, Wohnraum etc), die nicht von dem zusätzlichen Güterangebot betroffen sind, zu erheblichen Preissteigerungen gekommen ist. Nur konnten diese von den starken Verbilligungen bei asiatischen Exportgütern ausgeglichen werden.

Während die internationalen Finanzmärkte sich zuletzt eher um Verluste bei US-Hypotheken und die sinkende Risikoneigung der institutionellen Anleger Sorgen gemacht haben, deutet einiges darauf hin, dass aus diesem Grund bald China wieder ins Rampenlicht treten könnte. Denn nachdem das enorme Arbeitskräftepotential Chinas jahrelang die Preise gedrückt hat, beginnt China, das so stark wächst wie vielleicht noch nie, nun offenbar seine interne Inflation zu exportieren. Diese ist zuletzt auf 4,4 Prozent gestiegen - und zu spüren bekommt man dies vorerst vor allem in die USA. Dort sind die Importpreise für chinesische Produkte sowohl im Mai wie auch im Juni um 0,3 Prozent angestiegen, was angesichts von Importen in Höhe von 71,1 Mrd. Dollar allein im ersten Quartal nicht ganz unbeträchtlich erscheint.

Denn nach fast einem Jahrzehnt mit zweistelligen Wachstumsraten werden nun auch in China die Arbeitskräfte knapp und steigen die Preise. Durch die höheren Exportpreise könnte sich China immerhin elegant der starken Kritik der USA entziehen, der künstlich niedrige Wechselkurs des Yuan zum Dollar sei für die starken Ungleichgewichte der US-Außenbilanz verantwortlich. Wenn die steigenden Preise für chinesische Exportgüter aber beginnen, die US-Inflation anzuheizen, statt sie zu dämpfen, könnte sich die FED gezwungen sehen, die nächste Finanzkrise geschehen zu lassen, insbesondere da auch der schwache Dollar bald auf die US-Preise durchschlagen müsste.

Was wäre wenn?

Bleibt die Frage, ob diese Krise dann auf die Länder und Asset-Klassen beschränkt bleiben wird, wo die größten Ungleichgewichte und Übertreibungen bestehen, oder ob Alles und die ganze Welt betroffen sein wird – immerhin ist ja auch von der ersten „wirklich globalen Blase“ die Rede. Faber ist jedenfalls überzeugt, dass im Falle einer Korrektur „alles runtergehen“ wird.

Platzt aber eine Blase, dann bleibt es – wie einfach alle historischen Beispiele zeigen – aber nicht bei einer Korrektur. Von der Tulpen-Manie im Amsterdam des 18. Jahrhundert über die „Southsee Bubble“ im nächsten Jahrhundert bis zum 1929er Crash hat immer die Kreditexpansion eine Rolle gespielt und sind die Preise zum Ausgangspunkt des Booms zurückgekehrt. Das scheint eine klassische Regel zu sein, die im New Economy-Boom aber von den Notenbankern durchbrochen wurde. Dies vielleicht aber nur vorerst, wenn man nicht an die „Great Moderation“-These glaubt. Und hier springt eine weitere Eigenheit des klassischen Boom-Bust-Zyklus hervor: Am Höhepunkt wird etwaigen Zweiflern entgegen gehalten, dass sich die Volkswirtschaft so fundamental verändert habe, dass die alten Maßstäbe nicht mehr gelten.

Das verheißt leider nichts Gutes, denn bislang haben sich alle diese alten Börsentraditionen letztlich immer doch noch als gültig erwiesen. Und wenn dem auch heute noch so wäre, dann müsste z.B. der US-Leitindex DOW noch einmal seinen New-Economy-Ausgangspunkt erreichen und sich auf um die 7,500 Zähler zurückbilden, was bei aktuell mehr als 14.000 Punkten keine angenehme Aussicht für die Börse sein kann. Nimmt man nur den letzten Tiefststand vor vier Jahre als Ausgangspunkt des Booms, dann wäre hingegen nur ein Rückgang auf 10.000 Punkte als nächster Tiefpunkt zu erwarten.

Wann das jedoch geschehen mag, hängt nun wohl von den weiteren Entwicklungen der Inflation ab: Gerät diese außer Kontrolle – was dem Publikum dann gar nicht bekannt werden muss -, werden die Notenbanken die Finanzmärkte und Investoren nicht mehr beschützen können. Für die professionellen Marktteilnehmer, die insgeheim vielleicht ähnliche Befürchtungen hegen wie Faber, ist die Situation doppelt pikant. Denn wer nicht investiert, während der Boom läuft, riskiert seinen Job - was unter anderem dafür sorgt, dass in Crash-Zeiten die „very high net worth individuals“, die ihre Finanzanlagen unabhängig von solchen Zwängen verwalten lassen, ihren Anteil am Gesamtvermögen der Gesellschaft erheblich ausdehnen können.

Bei aller Hoffnung, dass Faber sich irrt, beschert er uns unversehens einen weiteren bewährten „Kontraindikator“, der sich für bösartige Spekulationsblasen als typisch erwiesen hat: Den hohen Optimismus der mehr oder weniger unbedarften Privatanleger, die den smarteren Profis nun die teuren Finanzanlagen abkaufen sollen: Auf die Web-Umfrage der Welt ob Faber recht habe, hatten bis 25. Juli um 10.30 Uhr 25 Prozent für den baldigen Crash gestimmt und 25 Prozent dagegen. 50 Prozent haben keine Meinung dazu.