Tödliches Copyright

Von der rigorosen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte und einem verschärften Patentschutz bei Arzneimitteln profitieren vor allem Pharmaunternehmen aus den reichen Industrienationen. Auf der Strecke bleiben dabei arme Patienten in den Entwicklungs- und Schwellenländern

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Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Immunschwächekrankheit HIV/AIDS weltweit die vierthäufigste Todesursache. Von den über 40 Millionen infizierten Menschen werden 75% nicht oder nicht ausreichend medikamentös behandelt. Dies betrifft alleine im südlichen Afrika 1,8 Milionen HIV-infizierte Kinder , deren Angehörige sich die teuren Orginalmedikamente der renommierten Pharmakonzerne nicht leisten können, da ihr Preis durch die enthaltenen Patent- und Lizenzgebühren ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Die Aids-Mittel der ersten Generation sind zwar noch als sogenannte Generika, dh. preiswerte, chemisch und biologisch exakte Nachbauten der Orginalpräparate erhältlich, aber namenhafte Arzneimittelhersteller gehen juristisch gegen die Produzenten der lebensrettenden generischen Medikamente vor und weigern sich die neueren antiretroviralen Pharmazeutika der zweiten Generation auch armen Patienten zugänglich zu machen.

Seit Unterzeichnung des WTO-Abkommens über handelsbezogene geistige Eigentumsrechte (TRIPS) im Jahr 1994 überziehen Interessenverbände der Copyright-Industrien die Öffentlichkeit mit immer neuen Kampagnen zur „Verteidigung der Autorenrechte“ und dem „Schutz des geistigen Eigentums“. Ziel dieser PR-Offensive ist die Schaffung eine gesellschaftlichen Klimas, in dem das Kopieren einer Musik-CD genauso selbstverständlich als Straftat – und damit als unmoralisch - bewertet wird, wie z. B. die legale Produktion eines patentrechtlich geschützten Medikaments unter einer staatlich angeordneten Zwangslizenz.

Das unermüdliche Werben um die ständige Verschärfung der Urheber- und Patentrechte fällt bei vielen Regierungen der reichen Industrienationen auf fruchtbaren Boden. Die negativen Folgen dieser Politik für die Grundversorgung vieler Entwicklungsländer mit bezahlbaren, nicht gentechnisch veränderten Grundnahrungsmitteln oder preiswerten Medikamenten finden in der öffentlichen Diskussion jedoch kaum Beachtung. Die Abschlusserklärung des kürzlich zuende gegangenen G-8 Gipfeltreffens in Heiligendamm erscheint in dieser Hinsicht paradigmatisch. Zu dem Thema Patentrecht heißt es dort:

Ein voll funktionierendes System des geistigen Eigentums ist ein wesentlicher Faktor für die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft durch die Förderung von Innovation. Wir wissen wie wichtig es ist, das internationale Patentsystem zu straffen und zu harmonisieren, um den Erwerb und Schutz von Patentrechten weltweit zu verbessern.

Made in India

Indien beseitigte bereits 1972 per Gesetz den Patentschutz auf Pharmazeutika und versorgte über 30 Jahre lang Millionen von Patienten auf dem Subkontinent und in der ganzen Welt mit preiswerten und qualitativ hochwertigen Generika. Die durchschnittlichen Kosten für eine Aids-Behandlung konnten so z. B. von 10.000 USD pro Patient und Jahr auf 150 USD gesenkt werden, doch seit Inkrafttreten des TRIPS-Abkommens für Schwellenländer am 1. Januar 2005 droht die sprudelnde Quelle der indischen Generikaindustrie langsam aber sicher zu versiegen. Das inzwischen für alle WTO-Staaten verbindliche Patentrecht garantiert den Medikamentenherstellern für ihre Produkte weltweit eine 20-jährige Schutzfrist. Erst nach Ablauf dieses Zeitraums darf ein Nachahmerpräparat des Orginalmedikaments zu einem günstigeren Preis auf den Markt gebracht werden. Einzige Voraussetzung ist der Nachweis der Bioäquivalenz zwischen Orginal und Generikum. Wurde das Patent zwischen den Jahren 1995 bis 2004 erteilt, haben die Patentinhaber die Möglichkeit, rückwirkend ihre Rechte einzufordern und den Vertrieb und die Produktion bereits existierender Generika zu untersagen.

Bedingt durch den Druck der WTO-Vorgaben befindet sich die indische Pharmaindustrie in einem schwierigen Transformations- und Konzentrationsprozess. Während kleinen und finanzschwachen Unternehmen zunehmend die Existenzgrundlage wegbricht, suchen die Großen der Branche den Kontakt mit den multinationalen Konzernen. Ehemalige Konkurrenten der Multis verwandeln sich so in Subunternehmer ihrer internationalen Partner. Nicht die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Bekämpfung von Krankheiten der „dritten Welt“ ist das Ziel dieser Kooperationen, sondern die Profitmaximierung dank der niedrigen Kosten und der vergleichsweise guten Infrastruktur Indiens.

Schon früher verfügte die indische Pharmaindustrie nicht über das notwendige Kapital und Know-how, um eigenständig neue Medikamente entwickeln zu können. Die gewonnenen Forschungsergebnisse wurden regelmäßig zu einem frühen Zeitpunkt an die internationalen Pharmakonzerne verkauft und von diesen dann zur Marktreife weiterentwickelt und anschließend patentiert. Der Schwerpunkt der indischen Forschung lag daher fast zwangsläufig auf den profitablen Krankheiten der „ersten Welt“ - ein Trend, der sich in Zukunft weiter verschärfen wird. Das Nachsehen haben die armen Patienten in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Durch die verminderte Produktion aktueller Generika werden dringend benötigte Medikamente für viele Menschen wieder unbezahlbar.

Der Fall Boehringer

Das AIDS-Sirup Nevirapine des deutschen Herstellers Boehringer Ingelheim ist weltweit eines der wichtigsten Medikamente zur Behandlung HIV-infizierter Kinder. Indische Generika-Hersteller produzieren das Pharmazeutikum für ein Viertel des von Boehringer verlangten Preises, während die südafrikanische Firma Aspen, die das Medikament unter der Lizenz von Boehringer herstellt, ihren Kunden immerhin noch den doppelten Betrag der indischen Konkurrenz in Rechnung stellt. Die Lizenz selbst wurde erst nach massivem Druck der südafrikanischen Behörden und der internationalen Öffentlichkeit von der deutschen Firma gewährt, die gerne auf ihre Großzügigkeit bei Vergabe solcher Genehmigungen verweist. Das "Familienunternehmen mit weltweitem Erfolg" hatte zwar in der Vergangenheit zugesagt, die Herstellung von Nevirapine für arme Länder nicht zu behindern, stellte aber trotzdem bei den indischen Behörden einen Patentantrag und übte Druck auf die kenianischen Medikamentengroßhändler und Apotheker aus, die das indische Generikum für den afrikanischen Markt importieren.

Boehringers Initiative die Generika vom Markt zu klagen, stieß auf heftigen Protest des Aktionsbündnis gegen AIDS und der BUKO Pharmakampagne, weil ein Erfolg der Firma in diesem Rechtsstreit die Preise für das AIDS-Medikament unweigerlich steigen lassen würde – mit den voraussehbaren Folgen für die betroffenen Patienten. Selbst im Falle einer durch das TRIPS-Abkommen gedeckten Zwangslizenz durch die indische Regierung wären Ausgleichszahlungen an Boehringer fällig, die sich in einem höheren Preis für das Präparat niederschlagen würden. Im Mai dieses Jahres lenkte die deutsche Firma teilweise ein und kündigte Preissenkungen sowie einen Verzicht aud die Durchsetzung seiner Patentrechte in einigen der ärmsten Staaten an. Die Hauptforderung der Kritiker, den Rückzug des Patentantrags, erfüllte der Konzern nicht. Es scheint, als versuche Boehringer mit allen Mitteln die Erteilung einer Zwangslizenz zu verhindern.

Diese Zwangslizenzen, die sogenannten TRIPS-Flexibilitäten, erlauben es der Regierung eines Staates, unter bestimmten Voraussetzungen das Patent eines anderen Landes auf ein Markenmedikament legal zu ignorieren, um z. B. im Falle einer Epidemie die Bevölkerung mit bestimmten Medikamenten versorgen zu können. Sie wurden zwar schon von vielen Staaten angekündigt und bei Preisverhandlungen mit großen Pharmakonzernen als Druckmittel benutzt, doch bisher wagten es alleine Thailand und Brasilien, diese auch zu erteilen. Grund ist eine von den USA eingeführte schwarze Liste, die sogenannte Priority Watch List, die die dort aufgeführten Länder mit Handelssanktionen seitens der Vereinigten Staaten bedroht.

Druck aus Washington

Als die thailändische Regierung am 29. Januar 2007 eine Zwangslizenze für das AIDS-Medikament Kaletra des US-Pharmakonzerns Abbotts ankündigte, blieb es nicht bei verbalen Protesten des Herstellers. Abbott zog als Reaktion sieben Zulassungsanträge für Medikamente in Thailand zurück, darunter auch den für die hitzeresistente Variante des Präparats Kaletra.

Das barsche Vorgehen des US-Pharmakonzerns führte zu einer weltweiten Protestkampagne, in die sich auch der ehmalige US-Präsident Bill Clinton einschaltete. Das Engagement war auch in diesem Fall teilweise erfolgreich. Abbott senkte nach Verhandlungen mit der WTO die Preise für Kaletra in mehr als 40 Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen. Die US-Regierung blieb bei ihrer harten Haltung und setzte Thailand kürzlich auf die Priority Watch List.

Auch Brasilien hatte mehrfach mit Zwangslizenzen gedroht und so Preissenkungen bei AIDS-Medikamenten erzielen können. Der US-amerikanische Medikamentenhersteller Merck und Co. ließ sich von dieser Verhandlungstaktik nicht beeindrucken, und war nur zu einem 30prozentigen Preisnachlass für sein AIDS-Medikament Efavirenz bereit. Am 7. Mai dieses Jahres unterschrieb Brasiliens Präsident Lula dann die erste Zwangslizenz für das südamerikanische Land. Bis zum Ende der Patentlauftzeit im Jahre 2012 spart Brasilien auf diese Weise 237 Millionen US-Dollar, die eine Fortführung seines als vorbildlich geltenden AIDS-Programms ermöglichen.

Auch in diesem Fall reagierten der Hersteller und die US-Regierung prompt. Merck und Co. drohte mit der Einschränkung seiner Forschungsanstrengungen für Krankheiten in den armen Länder und Daniel Christmann von der US-amerikanischen Handelskammer warnte vor der Gefahr ausbleibender Investionen von US-Firmen in Brasilien.

Patentfreie Medikamente

Die Pharmaindustrie rechtfertigt die hohen Preise ihrer Produkte mit den immensen Forschungs- und Entwicklungskosten. Als Konsequenz konzentrieren sich viele Firmen auf die Herstellung von Wirkstoffen für die Behandlung profitabler Krankheiten in den Industrieländern. Für viele vermeidbare Krankheiten in den ärmsten Regionen der Erde fehlt es so an geeigneten und bezahlbaren Impfstoffen und Medikamenten.

Als Reaktion auf diese unhaltbare Situation begann die Organisation Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2002 in Zusammenarbeit mit der WHO mit der Entwicklung eines vollständig öffentlich finanzierten und patentfreien Malaria-Medikaments mit dem Namen FACT (Fixed-Dose Artesunate Combination Therapy). Zwei Jahre später wurde das Projekt von der Drugs for Neglected Diseases Initiative (DNDi) übernommen. Im März dieses Jahres wurde das fertige Medikament für den afrikanischen Markt vorgestellt und seine Zulassung in 27 Ländern beantragt.

Produziert wird das Pharmazeutikum in den marrokanischen Fabriken des Herstellers Sanofi-Aventis, der sich auch um die Zulassung kümmert, mit der im Laufe des Jahres gerechnet wird. Das Medikament wird in einer kommerziellen Version und einer rein kostendeckenden („no profit - no loss“) Variante für Nichtregierungsorganisationen, öffentliche Krankenhäuser und andere staatliche Stellen hergestellt.

Die Gesamtkosten für die Entwicklung, Zulassung und die bis zum Jahr 2009 geplanten klinischen Studien betragen insgesamt 6,4 Millionen Euro. Diesen Betrag teilen sich die Niederlande mit 23%, Frankreich mit 12%, die Europäische Kommission mit 9%, die WHO mit 3%, die Schweiz mit 1% und die DNDi, deren Kostenanteil von 52% größtenteils von der britischen Regierung getragen wird.

Da das Medikament bewusst ohne Patentschutz entwickelt wurde und damit ein öffentliches Gut ist, kann es jederzeit von anderen Unternehmen zu einem eventuell noch niedrigeren Preis hergestellt und vertrieben werden.

Es bleibt zu hoffen, dass das Beispiel Schule macht und noch viele öffentlich finanzierte und patentfreie Pharmazeutika zur Behandlung vernachlässigter Krankheiten und der Immunschwäche HIV/AIDS in Zukunft folgen werden. Wenn nicht, könnte eine Entwicklung eintreten die Thomas Gebauer von medico international so beschreibt: „Ohne eine grundlegende Änderung des bestehenden Forschungsmodells werden künftig eher Arzneimittel für Katzen entwickelt als Impfstoffe gegen HIV/AIDS.“

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