Wenn der Lobbyist im Ministerium sitzt

Eine Web-Datenbank soll auch Informationen zu jenen Lobbyisten und Politikern sammeln, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen

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Vor dem Bundesfinanzministerium in Berlin war am Donnerstag-Vormittag Sommerstimmung. Auf Liegestühlen hatten es sich Menschen bequem gemacht und schlürften kalte Getränke. An ihrer Kleidung trugen sie Embleme von Siemens, der Telecom und anderen Firmen. Mit dieser Aktion wollte die Organisation "Lobbycontrol" auf die Kontrolle der Politik durch große Unternehmen aufmerksam machen, die zunehmend zum Problem wird.

Die vor 2 Jahren gegründete Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik erstens offenzulegen und zweitens zu beschränken. Dabei ist es nicht in erster Linie die klassische Lobbyarbeit, die die Aktivisten stört. Die Streiter für Transparenz in der Politik wollen eine Praxis beenden, die im Oktober 2006 durch eine Monitor-Sendung bekannt geworden und nach kurzer Aufregung wieder weitgehend in Vergessenheit geraten ist:

„Mitarbeiter, bezahlt von privaten Unternehmen, sind in verschiedenen Bundesministerien beschäftigt. Einige, und das ist besonders erstaunlich, arbeiten sogar an Gesetzentwürfen mit. Bei unseren ersten Anfragen, spielte die Bundesregierung die Dimension dieses Problems noch runter. Inzwischen gesteht sie ein: Über 100 ‚Leihbeamte’ aus Unternehmen und Verbänden sitzen in fast allen Bundesministerien. Wo Lobbyisten früher mal die Klinken der entsprechenden Referentenbüros putzen mussten, sitzen sie jetzt selbst hinter den Behördenschreibtischen. Ob Siemens oder DaimlerChrysler, Lufthansa oder die Deutsche Bank - fast alle großen Konzerne haben ihre Mitarbeiter in den Zentren der Macht untergebracht“

Wie diese Leiharbeiter auf die Gesetzgebung einwirken, zeigte Monitor am Beispiel der Fraport AG, die den Flughafen in Frankfurt am Main betreibt. Als es im Bundesumweltministerium um die Ausarbeitung von Lärmschutzbestimmungen und ein bundesweites Nachtflugverbot ging, formulierte ein Mitarbeiter des Unternehmens mit. Heraus kamen Vorschriften, nach denen 97 % der Anträge auf einen Nachtflug genehmigt werden mussten – zu Lasten der Anwohner. Wie selbstverständlich für manche Unternehmen diese besondere Praxis des Lobbying ist, wurde auch bei der DAK deutlich. Die Krankenkasse hatte nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung einen ihrer Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium platziert, wo er vertrauliche Unterlagen zur Gesundheitsreform an seinen Auftraggeber weiterleitete. Erst als die DAK diese Unterlagen der Presse zuleitete wurde das Vorgehen bekannt - und der DAK-Mann musste seinen Platz im Ministerium wieder räumen.

Wer schrieb mit am Euratom-Bericht?

Aber nicht nur in deutschen Ministerien sitzen Scheinbeamte aus der Wirtschaft und helfen beim Formulieren der Gesetze und Bestimmungen. So fand die Lobbycontrol-Mitarbeiterin Heidi Klein auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum das Europäische Parlament zum 50ten Jahrestages des Euratom-Vertrages einen Bericht verfasst hatte, der in weiten Teilen einer unkritischen Lobrede glich, heraus, dass es gut getarnte Lobbyorganisationen der Atomindustrie gibt, wie etwa das European Energy Forum. Es bezeichnet sich selbst als „informelles und neutrales Forum, in dem politische Themen im Kontext des politischen Dialogs innerhalb der EU behandelt werden“. Im Präsidium sind allerdings nur Mitglieder vertreten, die in öffentlichen Debatten durch Pro-Atom-Beiträge auffielen.

Im Verlauf ihrer Recherche stieß Klein auf Ungereimtheiten, die darauf schließen lassen, dass der Euratom-Evaluationsbericht, der erst in französischer Sprache veröffentlicht und dann in das Englische übersetzt wurde, möglicherweise direkt aus der Feder einer Lobbyistin stammt. Der angeblich federführende Ausschussvorsitzende Eugenijus Maldeikis, nach dem der Bericht benannt ist, spricht nämlich kein Französisch.

Je unauffälliger ein Lobbyist arbeitet, desto weniger angreifbar sind er und die mit ihm verbundenen Politiker und Beamten. Aus diesem Grunde sind häufig weder die Namen noch die genauen Tätigkeiten von Lobbyisten bekannt. Deshalb richtete Lobbycontrol jetzt eine Website ein, auf der - sortiert nach Firmen und Branchen - festgehalten werden soll, wer wo welchen Einfluss auf die Politik nimmt. Die Datenbank soll die bisher verfügbaren Informationen über Lobbyisten in den Ministerien bündeln und zugleich als Kampagnenplattform dienen. Die Schwierigkeit, an stichhaltige und beweiskräftige Informationen zu kommen, stellt sich dann allerdings noch dringlicher - zumal wahrscheinlich auch die Anwälte der Firmen und der Politiker die Webseite genau beobachten dürften.