Gleitende Arbeitszeit

Wie aus Politikern Manager und Aufsichtsräte werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Offenlegung von so genannten Nebeneinkünften der Mitglieder des Bundestages hat neben mehreren Ungenauigkeiten und Uneinheitlichkeiten den elementaren Mangel, dass Posten, welche die Parlamentarier erst nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag bekleiden, überhaupt nicht zu Buche schlagen. Somit bleibt völlig unberücksichtigt, ob Politiker, die in ihrer Amtszeit gravierende Weichenstellungen für Unternehmen getroffen haben, kurz nachher von diesen mit lukrativen Anstellungen bedacht werden.

Nach prominenten Beispielen ranghoher Politiker, die vor ihrem Wechsel in die Wirtschaft wichtige Weichenstellungen für ihre zukünftigen Arbeitgeber betrieben, muss in Deutschland nicht lange gesucht werden:

  1. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl setzte während seiner Amtszeit die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland und die bundesweite Finanzierung der Verkabelung mit öffentlichen Bundespost-Geldern in Milliardenhöhe durch. Später soll der Pfälzer laut Focus als “Berater“ Leo Kirchs von diesem im Jahr 600.000 Mark eingestrichen haben. Auch andere ranghohe Mitglieder der Regierung Kohl, wie der damalige Postminister Christian Schwarz-Schilling, der einstige Finanzminister Theo Waigel und der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz waren nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag für Kirch in “beratender“ Funktion tätig.
  2. Der ehemalige Medienkanzler Gerhard Schröder ließ sich die Zeit nach seiner Abwahl ebenfalls nicht lange sauer werden: Der Sozialdemokrat wurde sowohl vom Schweizer Verlag Ringier als auch vom Bankhaus Rothschild als Vermittler eingekauft. Außerdem ist er Aufsichtsratvorsitzender eines russisch-deutschen Konsortiums, das den Bau einer Ostseepipeline beaufsichtigt, für die sich Schröder noch in den letzten Tagen seiner Kanzlerschaft energisch einsetzte. Der Betrag, den der bislang für seine bautechnische Kompetenz eher unbekannte Schröder mit seinem (eher in der mittelständischen Baubranche angesiedelten) Beaufsichtigungsjob verdient, ist auch an der untersten Schätzschwelle noch durchaus ansehnlich: Von jährlich 250.000 bis 1 000.000 Euro ist die Rede (letzteren Betrag bezeichnete der Altkanzler jedoch als “Unsinn“).
  3. Gleichfalls hat der von 1993 bis 1998 amtierende Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, der am 31. Mai 2007 aus dem Bundestag ausgeschieden ist, nicht unbedingt einen Umweg vom Volksvertreter zum Cheflobbyisten genommen und trat noch am nächsten Tag seinen Posten als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie an.
  4. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und sein Staatssekretär Alfred Tacke, die 2002 mit einer höchst umstrittenen Ministererlaubnis anbetrachts einer vom Kartellamt nicht genehmigten Übernahme der Ruhrgas AG durch Eon für Furore sorgten, sind als Vorstände in den behaglichen Sesseln von Tochterunternehmen des fusionierten Energieriesen gelandet.
  5. Der einstmalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Cayo Koch-Weser, wurde Berater bei der Deutschen Bank.
  6. Der letzte Bundesminister für Wirtschaft, Arbeit und Hartz IV, Wolfgang Clement, bekleidet den Posten eines Aufsichtsrates bei RWE Power, der Landau Media AG, Dussmann, Wolter Kluwer Deutschland GmbH, Dumont und beim Zeitarbeitunternehmen Deutsche Industrie Service AG.
  7. Die ehemaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (der die Privatisierung der Bundeswehr in höchstem Maße vorantrieb) und Volker Rühe landeten bei der Private-Equity-Gesellschaft Cerebus.
  8. Der inzwischen verstorbene ehemalige Wirtschaftsminister Günter Rexrodt war als Aufsichtsrat beim Allfinanzdienstleister AWD, bei der AGIV Real Estate, der Berliner Effektengesellschaft AG, der DTZ Zadelhoff Holding AG, der Gerling Versicherungs-Beteiligungs AG und der Landau Media AG tätig. Überdies war er als Beirat der medführer GmbH und im Anlagenausschuss der Trust Venture AG aktiv und Vorsitzender der Berliner Public-Relation-Agentur WMP. Als Aufsichtsratvorsitzender und Aktionär betätigt sich bei letzterem Unternehmen auch der Parteikollege Hans Dietrich Genscher, der früher für die Göttinger Gruppe warb.
  9. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und FDP-Vorsitzende Martin Bangemann wollte 1999 gleich nach der Abgabe seines Amtes als EU-Kommissar seine Dienste dem spanischen Telekommunikationsunternehmen Telefonica anbieten, das dank der von Bangemann durchgesetzten Liberalisierung der Kommunikationsnetze saftige Gewinne einstreichen durfte. Das war sogar der EU zuviel, die daraufhin versuchte, ein gerichtliches Verfahren zur Aberkennung der Pensionsrechte Bangemanns einzuleiten. Allerdings wurde dieses Ansinnen zurückgenommen, nachdem Bangemann sein Engagement um ein Jahr hinauszögerte.
  10. Als Innenminister war der Big-Brother-Lifetime-Award-Preisträger Otto Schily für die Einführung von Reisepässen mit biometrische Kennung zuständig. Heutzutage engagiert er sich mit seinem Expertenwissen als Aufsichtsrat von Byometric Systems AG und SAFE ID Solutions, Unternehmen, die sich beide auf das Feld der Biometrie spezialisiert haben.
  11. Der ehemalige bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, der mit verantwortlich war, dass der Bund der Bahn 4,3 Milliarden Euro für das Schienennetz zuschusterte, wurde Vorstand bei der Deutschen Bahn für Marketing und politische Beziehungen.

Wären die aufgeführten deutschen Politiker nicht Politiker, sondern Beamte gewesen, dann hätten sie mit schwerwiegenden Konsequenzen für solches Handeln rechnen müssen. Forderung nach Einführung einer Karenzzeit für Politiker wurde dagegen bisher erfolgreich ignoriert. Diesen Weg dürfte auch der aktuelle Vorschlag von Lobbycontrol gehen, dass Ex-MdBs zwei Jahre lang keine Stellung in Branchen annehmen dürfen, über die sie während ihrer Tätigkeit im Bundestag politische Entscheidungen gefällt haben - andernfalls sollen sie auf ihre Bundestagspension verzichten. Die achtjährige Mitgliedschaft des Bundestages berechtigt nämlich zu einer monatlichen Mindestpension von immerhin 1.682 Euro, einer Rente also, von der Otto Normalbürger nur träumen kann.