MOND statt Dunkler Materie

Eine modifizierte Gravitationstheorie soll erklären, was die Galaxien zusammenhält

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Alle existierenden Sterne, Planeten und Gaswolken reichen nicht aus, um die Strukturen der Galaxien und die Expansion des Weltraums zu erklären. Die Astrophysiker gehen davon aus, dass jede Menge bislang unentdeckter Dunkler Materie und Energie die Ursache dafür ist. Aber es gibt eine alternative Theorie: MOND, die MOdifizierte Netwonsche Dynamik.

Die Summe der Masse der Galaxien entspricht nicht der Masse, die nötig wäre, um die Bewegungen im All aufgrund der Gravitation zu erklären. Das ist seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt, und damit ist klar, dass da draußen Materie sein muss, die nicht gesehen werden kann, aber als Gravitationswechselwirkung beobachtet werden kann. Diese Dunkle Materie verströmt keine Strahlung und reflektiert sie auch nicht, entdeckt werden kann sie nur durch den Effekt ihrer Schwerkraft auf das Licht.

Die meisten Experten gehen heute davon aus, dass unser Universum nur zu fünf Prozent aus „normaler“ Materie besteht, also dem Stoff, aus dem Sterne, Planeten, Gaswolken und andere kosmische Objekte – und nicht zuletzt wir – gemacht sind. Ungefähr 25 Prozent soll aus Dunkler Materie, 70 Prozent aus Dunkler Energie bestehen (vgl. Unser Universum ist eine sehr seltsame Mischung). Bislang ist allerdings völlig unklar, wie die Dunkle Materie beschaffen ist. Ihre Wirkung beobachten die Wissenschaftler (vgl. Video: Hubble discovers ring of dark matter), aber woraus sie besteht, ist noch völlig rätselhaft.

Kein Wunder, dass der populäre Astrophysiker Harald Lesch (vgl. Alpha Centauri) im Interview die Dunkle Materie als „absolute Katastrophe“ bezeichnet und erklärt (vgl. »Dunkle Materie ist für die Astrophysik die absolute Katastrophe«):

Von der Dunklen Materie hingegen wissen wir nur, dass es davon eine irrsinnige Menge gibt. Wir haben jedoch überhaupt keine Ahnung, aus was sie besteht. Was aber noch viel schlimmer ist: Bis vor ein paar Jahren hat man gedacht, dass die Dunkle Materie eine andere Form als die uns bekannte Materie ist.

Inzwischen wissen wir aber, dass wir quasi nur ein kosmischer ‚Dreckeffekt’ sind. Jetzt kennen wir die nichtbaryonische Dunkle Materie, die ungefähr 30 Prozent des Universums ausmacht. Fast 70 Prozent des Universums hingegen besteht aus einem Stoff, den wir momentan in die kosmologische Konstante hineinstauen. Das Universum scheint auf der allerhöchsten Skala von einer Form von Energie dominiert zu werden, die antigravitativ ist und das Universum auseinander treibt. (…)

Heute stehen wir in der theoretischen Physik und damit in der Kosmologie vor dem Riesenproblem, dass wir dringend ein Modell brauchen, das dieses Phänomen adäquat erklärt. Aber davon ist weit und breit nichts, aber absolut gar nichts in Sicht. In gewisser Weise geht es uns so wie vor 100 Jahren, als man mit dem Äther versuchte, die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen zu definieren. Heute laufen wir mit fragenden Augen und offenen Mündern durch ein Universum, von dem wir erfahren, dass es so völlig anders ist, als wir anfangs gedacht haben.

Ring aus dunkler Materie im Galaxienhaufen Cl 0024+17, 5 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Die ringförmige Struktur hat einen Durchmesser von 2,6 Millionen Lichtjahren. Bild: NASA, ESA, M.J. Jee und H. Ford (Johns Hopkins University)

Die Dunkle Materie verursacht den Physikern intensives Unbehagen. Es gibt aber eine Hypothese, die versucht, ihre Existenz schlicht überflüssig zu machen. Die "MOdifizierte Newtonschen Dynamik" (MOND) wurde 1983 von Moti Milgrom vom Weizmann-Institut in Israel entworfen (vgl. A modification of the Newtonian dynamics as a possible alternative to the hidden mass hypothesis) und fristet bis heute eher ein Außenseiterdasein in der Astronomie.

Sie führt eine neue Naturkonstante ein, um die Anziehungskräfte in Galaxien ohne die Annahme von dunkler Materie zu erklären. Nach dem MOND-Ansatz unterscheiden sich die schwere Masse, die bestimmt, welche Gravitationskraft ein Körper erfährt und die träge Masse eines Körpers, das heißt wie er sich einer beschleunigenden Kraft widersetzt, bei sehr geringen Beschleunigungen, wie sie innerhalb von Galaxien oder Galaxienhaufen auftreten. MOND geht also davon aus, dass speziell die wachsenden Umlaufgeschwindigkeiten der Sterne in den galaktischen Außenbereichen nicht durch die Schwerkraft unsichtbarer Teilchen (Dunkler Materie) verursacht werden, sondern durch eine in diesen kosmischen Regionen einsetzende Veränderung des Newtonschen Gravitationsgesetzes.

Modifikation mit Dunkler Materie

Einer der rührigsten MOND-Anhänger ist Stacy McGaugh von der University of Maryland. Er hat die MOND pages online gestellt, auf denen er alle Diskussionsbeiträge zu dieser Theorie sammelt. Jetzt legt er in der aktuellen Ausgabe der renommierten Wissenschaftszeitschrift Science nach: Unter dem Titel Seeing Through Dark Matter veröffentlicht er einen Artikel, der MOND wieder ins Gespräch bringen soll. Ob ihm das gelingt, darf angezweifelt werden, denn nach wie vor ist es nicht gelungen, diese Hypothese mit der Relativitätstheorie in Einklang zu bringen.

An einer entsprechenden Modifikation von MOND arbeitet vor allem Jacob D. Bekenstein von der Hebrew University of Jerusalem (vgl. The modified Newtonian dynamics-MOND-and its implications for new physics), allerdings bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Eines der größten Probleme für MOND ist, dass die Hypothese nicht durch Experimente überprüft werden kann. Sie beruht auf reiner Berechnung, der Anpassung der Formeln des Newtonschen Gravitationsgesetzes an die beobachteten Fakten.

Zudem muss auch Stacy McGaugh zugeben, dass astronomische Beobachtungen gegen die modifizierte Newtonschen Dynamik sprechen. Nachweislich funktioniert MOND im Bereich massereicher Galaxien-Cluster nicht, der Abgleich mit erhobenen Daten zeigte, dass dort auf jeden Fall weit mehr Masse vorhanden sein muss, als sichtbar ist – auch bei der Anwendung der modifizierten Gravitationstheorie müsste immer noch dunkle Materie vorhanden sein. Eine echte Niederlage für die Hypothese, die antrat, um die Existenz dieser mysteriösen Materie zu widerlegen.

Auch die Daten aus dem Sloan Digital Sky Survey (SDSS) erwiesen, dass die Beobachtungsdaten von 3000 Satellitengalaxien mit MOND unvereinbar sind (vgl. Sloan Digital Sky Survey Probes Dark Matter Theory). Es sieht schwer danach aus, dass sich da draußen eine Menge Dunkler Materie zwischen den Sternen versteckt, sie muss nur noch identifiziert werden – und dann wird sich MOND wohl endgültig erledigt haben.

Stacy McGaugh kommt zu dem Fazit:

Wenn Dunkle Materie in der vermuteten Form existiert, sollten wir sie bald im Labor entdecken. Groß angelegte Versuche wie der Large Hadron Collider und andere bieten eine gute Chance die Teilchen der Dunklen Materie in naher Zukunft zu entdecken. (…) Egal wie diese Experimente ausgehen, auf jeden Fall gibt es noch eine Menge an fundamentaler Physik, die es noch zu erfahren gilt. Das Universum mag nicht so kalt und dunkel sein, wie wir uns das vorstellen.