"Dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Weise ignoriert wird, ist bedenklich"

Interview mit Thomas Dreesen vom Deutschen Fachjournalisten-Verband zu den Ermittlungen gegen Journalisten in der BND-Affäre

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Derzeit ermitteln mehrere Staatsanwaltschaften gegen Journalisten wegen angeblicher Beihilfe zum Geheimnisverrat im Zusammenhang mit der Arbeit des BND-Untersuchungsausschusses. Initiator der Ermittlungen ist der Vorsitzende Siegfried Kauder (CDU), der sich im Handelsblatt damit zu rechtfertigen versuchte, dass er zeitweise "über nicht-öffentliche Unterlagen in der Presse mehr lesen konnte als in den Akten". Politiker von FDP und Grünen sowie Journalistenverbände erheben schwere Vorwürfe gegen das jetzt bekannt gewordene Vorgehen. Wir befragten dazu Thomas Dreesen vom Deutschen Fachjournalisten-Verband (DFJV).

Herr Dreesen – wer sind die 17 Journalisten und für welche Organe sind sie tätig?

Thomas Dreesen: Die Journalisten sind uns nicht namentlich bekannt. Aus Medienberichten – vor allem vom ARD-Hauptstadtstudio - geht hervor, dass wohl auch Stefan Aust vom Spiegel betroffen sein soll. Genannte Medien sind die "SZ", "FR", "Zeit", Berliner Zeitung, Tageszeitung, Tagesspiegel, Welt und Spiegel. Beim Spiegel sind wohl insgesamt 5 Redakteure betroffen.

Wissen alle, gegen die ermittelt wird, davon?

Thomas Dreesen: Davon ist auszugehen. Das Thema wird im Moment in der deutschen Medienlandschaft breit behandelt.

Nach dem Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sind keine Verurteilungen zu erwarten. Liegt das eigentliche Ziel der Ermittlungen darin, Journalisten abzuschrecken, die über Regierungs- Parlaments- und Behördenaktivitäten abseits von Pressemitteilungen schreiben?

Thomas Dreesen: Der Verdacht liegt nahe. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier stellte im Cicero-Urteil fest, dass Durchsuchungen und Beschlagnahmungen gegen Journalisten verfassungsrechtlich unzulässig sind, wenn sie alleine dem Zweck dienen, die Identität eines Informanten zu ermitteln.

Zwar seien Journalisten nicht grundsätzlich von der Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen ausgenommen, so die Karlsruher Richter, doch die Durchsuchung von Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten könnten nicht allein durch die Veröffentlichung eines Geheimdokuments gerechtfertigt werden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Politik dies nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Problem besteht darin, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bisher keine Auswirkung auf die Gesetzgebung hatte. Eigentlich hätte die Politik das Gesetz nach diesem Urteil entsprechend anpassen müssen, wie es unser Verband bereits nach dem Urteil gefordert hat. Dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Weise ignoriert wird, ist bedenklich.

Die FDP fordert jetzt eine gesetzliche Klarstellung. Wie müsste eine Formulierung aussehen, die die Pressefreiheit effektiv schützt?

Thomas Dreesen: Ich bin zwar kein Jurist, aber es ist offensichtlich, dass dieses Gesetz eine Hintertür ist, um die seit 1973 eigentlich straffreie Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen zu umgehen. Daher sollte im Paragraf 353 b die Straffreiheit für Journalisten festgelegt werden.

Man gewinnt – wie auch in anderen Fällen - den Eindruck, dass die eigentliche Sanktion nicht die angedrohte Strafe, sondern die Ermittlung selbst ist - mit Hausdurchsuchung, Beschlagnahme und den entsprechenden wirtschaftlichen Folgen. Müsste nicht an dieser Stelle ein wirksamer gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden – nicht nur für Journalisten, sondern für alle Bürger?

Thomas Dreesen: Ja. In den wenigsten Fällen führte so eine Untersuchung überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung, geschweige denn zu einem Urteil gegen den betroffenen Journalisten. Für die Kollegen ist eine staatsanwaltliche Ermittlung, eventuell verbunden mit Haus- und Redaktionsdurchsuchungen natürlich eine erhebliche Belastung. Der Verdacht drängt sich in der Tat auf, dass Journalisten allein durch die Ermittlungen gegängelt werden sollen. Dieses Vorgehen schränkt die Pressefreiheit massiv ein, da ein Journalist, wenn er über vertrauliche Vorgänge berichtet, persönliche Nachteile durch staatsanwaltliche Ermittlungen befürchten muss.

Staatsanwälte und Ermittlungsrichter gingen bei den Ermittlungen vor, als ob es dieses das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nie gegeben hätte – ist das Fehlen von wirksamen Sanktionen für Staatsanwälte und Richter, die so etwas anordnen, nicht geradezu eine Einladung zum Rechtsbruch?

Thomas Dreesen: Solange der Paragraf 353 b Strafgesetzbuch nicht angepasst ist, verhalten sich Richter und Staatsanwälte gesetzeskonform, da sie ja nur geltendes Recht ausüben. Daher ist eine Novellierung dieses Paragrafen wie Grüne und FDP es fordern ja so wichtig. Vor allem nachdem sich das Bundesverfassungsgericht eindeutig dazu geäußert hat. Das Bundesverfassungsgericht macht allerdings nicht die Gesetze, sondern die Politik. Daher ist die Lösung dieses Problems eine politische Aufgabe.