Ankara trockengelegt

Ein Dürrewinter und drastischer Trinkwassermangel bringen in der Türkei den Klimawandel auf die Tagesordnung. Die Gegenmaßnahmen sind allerdings halbherzig

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Mit bemerkenswerter Gelassenheit haben die Menschen in der türkischen Hauptstadt Ankara in den vergangenen Monaten dem drohenden Unheil entgegengesehen. Die Stauseen, die die Stadt mit Wasser versorgen, waren nach dem außergewöhnlich regenarmen Winter nur zu wenig mehr als acht Prozent gefüllt. Sogar optimistische Prognosen gingen deshalb davon aus, dass die Wasserreserven der Vier-Millionen-Metropole dieses Jahr allenfalls bis Mitte September reichen würden. Grund genug also eigentlich für Besorgnis und drastische Wassereinsparungen – hätte nicht gerade Wahlkampf geherrscht.

Um sich in den verbissenen politischen Grabenkämpfen, die vor dem Urnengang zwischen Religiösen und Kemalisten tobten (Schicksalswahl in der Türkei?), keine Blöße zu geben, wurden Einschnitte bei der Wasserversorgung tunlichst auf die Zeit nach den Parlamentswahlen vertagt. So machte sich in der türkischen Hauptstadt bis zuletzt kaum jemand Gedanken über die dramatische Trinkwassernot. Die Quittung für die durch die Stadtverwaltung geförderte Unbekümmertheit fiel allerdings knapp anderthalb Wochen nach den Wahlen dafür umso heftiger aus. Nur im Zweitagesrhythmus fließt ab sofort in Ankara das Wasser aus den Leitungen – und das voraussichtlich die kommenden sechs Monate.

Die Türkei entdeckt den Klimawandel

Ohne Zweifel hat die landesweite Dürre die Hauptstadt besonders hart getroffen. In einer von Natur aus wasserarmen Region des Landes gelegen und wegen mangelnder Investitionen in die Wasserversorgung, haben die ausbleibenden Niederschläge dieses Jahr dafür gesorgt, dass der Wasserbedarf der Stadt, der auch in der Vergangenheit immer wieder nur mit Nöten gedeckt werden konnte, in diesem Jahr nicht sichergestellt werden kann.

Rund 45 Prozent weniger hat es in manchen Regionen seit Beginn des letzten Winters im Vergleich zum Vorjahreszeitraum geregnet, so haben die Meteorologen errechnet. Ein Umstand, der sich nicht nur in den Wasserproblemen der Hauptstadt niederschlägt, sondern auch in den drastischen Ertragseinbußen der Landwirte von bis zu 50 Prozent. Die Ernte verdörrt auf den Feldern und die Folgen sind im ganzen Lande auch für die Verbraucher deutlich spürbar. Obst und Gemüse sind derzeit bis zu fünfmal teurer, als es in den vergangenen Sommern der Fall gewesen ist.

Professor Mikdat Kadioglu von der Universität Istanbul warnt, dass die Widrigkeiten des diesjährigen Sommers aufgrund des Klimawandels schon bald Normalität werden könnten. Seinen Berechnungen zufolge wird die Türkei bis zur Mitte dieses Jahrhunderts allein aufgrund des Klimawandels und der sich deshalb häufenden Dürren mindestens 20 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Anbaufläche einbüßen.

Doch nicht nur der Boden ist von Verwüstung bedroht. So manches Erzeugnis wird sich in den kommenden Jahren nur noch mit erheblich größerem Aufwand oder gar überhupt nicht mehr anbauen lassen, prophezeit Ahmet Atalik von der Kammer der Landwirtschaftingenieure in Istanbul. An vorderster Stelle rangieren hierbei die Haselnussproduktion und der Tee, die heute noch die Haupteinnahmequelle der Schwarzmeerregion darstellen, bald schon aber allenfalls noch zu einem nicht mehr konkurrenzfähigen Preis erzeugt werden könnten. Vielen anderen landwirtschaftlichen Produkten, aber auch der Fischereiwirtschaft, in der das Abwandern zahlreicher Spezies in kühlere Regionen außerhalb der türkischen Hoheitsgewässer bereits zu beobachten ist, droht ein ähnliches Schicksal.

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass der Klimawandels einen Trend verschärft, der bereits in den siebziger Jahren seinen Anfang nahm. Noch vor 20 Jahren standen in der Türkei pro Einwohner 4.000 Kubikmeter Wasser zur Verfügung. Doch durch einen rasanten Bevölkerungsanstieg, vor allem aber auch durch die fahrlässige Verunreinigung der Quellen und eine falsche Bewässerung in der Landwirtschaft ist dieser Wert inzwischen auf 1.400 Kubikmeter abgesunken. Die Türkei gehört demnach auch ohne Erderwärmung längst in die Kategorie der „wasserarmen Länder“. Allein durch den Klimawandel wird ein weiteres Absinken des Wertes auf 900 Kubikmeter bis zum Jahre 2030 erwartet. „Angesichts der sinkenden Werte scheint es unvermeintlich, dass die Türkei bis Mitte oder Ende des Jahrhunderts vor einer dauerhaften dramatischen Wasserkrise steht“, warnt Bahar Divrak von der Türkeisektion des World Wildlife Fund (WWF).

Tante Ayse und ihr Schnellkochtopf

Die besorgniserregende Mischung aus hausgemachter Umweltverschmutzung und internationalem Klimawandel sorgen dafür, dass auch in der Türkei das öffentliche Bewusstsein allmählich für Umweltthemen sensibilisiert wird. 168.000 Unterschriften sammelten kürzlich die türkischen Grünen landesweit für eine Petition, in der das Parlament in Ankara dazu aufgefordert wird, nunmehr endlich dem Protokoll von Kyoto beizutreten. In einem Land, in dem Umweltverbänden bis vor kurzen noch der Ruf anhing, Zusammenschlüsse von Spinnern und politisch suspekten Weltverbesserern zu sein, ist dies zurecht als beachtlicher Erfolg der ökologischen Bewegung gefeiert worden.

Die Argumente, die die Grünen dabei ins Feld führen konnten, waren durchaus gewichtig. Denn die Türkei gehört nicht nur zu den Ländern, die durch die Auswirkungen des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten besonders hart getroffen werden. Sondern sie gehört auch zu den größten Verursachern des Treibhauseffektes. Nach Erhebungen der Vereinten Nationen ist der Ausstoß von Treibhausgasen in der Türkei von 170 Millionen Tonnen im Jahre 1990 auf 357 Millionen Tonnen im Jahre 2004 angestiegen. Mit einer Zunahme von 110 Prozent ist man demnach weltweit Spitzenreiter. Und als Verursacher von Treibhausgasen rangiert die Türkei inzwischen sogar schon an 13. Stelle.

Genau aus diesem Grunde lehnt die Regierung eine Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls vehement ab. Denn Berechnungen kommen zu dem Ergebnis, dass eine konsequente Umsetzung des Protokolls einen zeitweiligen Rückgang des Bruttoinlandproduktes um bis zu 37 Prozent verursachen könnte. Ein bedeutsamer Teil des rasanten türkischen Wirtschaftsaufschwungs der vergangenen fünf Jahre beruht nämlich auf den laxen Schadstoffverordnungen und den noch laxeren Kontrollen, mit denen in- und ausländische Investoren geködert wurden. Allein für die Sanierung des maroden Energiesektors, der für rund 77 Prozent der Schadstoffemissionen verantwortlich ist, könnten 20 Milliarden Dollar fällig werden.

Im Wissen um die hohen Folgekosten und das zerbrechliche Wirtschaftswachstum haben deshalb weder Regierung noch Opposition im vergangenen Wahlkampf Umweltthemen auf die Agenda gesetzt. Doch dass die Auswirkungen des Klimawandels in der Türkei mit aller Macht auf die Tagesordnung drängen, lässt sich auch durch diese Verweigerungshaltung nicht verhindern. Umweltminister Osman Pepe sah sich deshalb kürzlich dazu veranlasst, ressortübergreifend einen Aktionsplan zu erarbeiten, mit dem die Auswirkungen der Erderwärmung abgemildert werden sollen. Doch viele der Punkte auf der Liste, die der Öffentlichkeit präsentiert wurde, ernteten nur den Hohn der türkischen Umweltverbände.

Denn die Regierung will offenkundig vor allem auf die Initiative der Privathaushalte setzen, wenn es um die ökologische Wende geht. In seinem Aktionspapier fordert Umweltminister Pepe eine fiktive „Tante Ayse“ auf, künftig mit im Haushalt vorgenommenen Einsparungen die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Tante Ayse soll jetzt immer mit einem Schnellkochtopf kochen, die Waschmaschine nur noch anschmeißen, wenn sie komplett gefüllt ist, und das Licht nicht unnötig brennen lassen.

Ümit Sahin von den türkischen Grünen hat für die Haltung der Regierung kein Verständnis. Zwar seien Energie- und Wassereinsparungen in Privathaushalten natürlich durchaus sinnvoll. Doch durch die konsequente Vermeidung von Worten wie Treibhausgase, gesetzliche Regelungen oder erneuerbare Energien zeige Umweltminister Pepe, dass er die wirklichen Ursachen für die Erderwärmung nicht bekämpfen wolle. Sahin: "Stattdessen versucht er, die Verantwortung auf Tante Ayse und ihren Kochtopf abzuwälzen."

Von Allah gesandte Dürre

Die verfehlte Wasserpolitik von Ankara ist der beste Beweis dafür, dass es den Verantwortlichen noch nicht einmal mit einer Steigerung der Eigenverantwortlichkeit unter den Bürgern sonderlich ernst ist. Denn im Gegensatz zu der westtürkischen Provinzstadt Aydin, wo der Wasserverbrauch durch eine gezielte Aufklärungskampagne um 30 Prozent reduziert werden konnte, mochte man die Einwohner der Hauptstadt nicht nachhaltig zu einem verantwortungsbewussteren Umgang mit dem nassen Gut anhalten. Auch in Istanbul und Izmir, zwei weiteren durch die Dürre bedrohten Millionenmetropolen, ist nur eine halbherzige Einsparungskampagne geführt worden. Die Resultate sind dementsprechend: In drei Monaten konnte gerade einmal Wasser für zweieinhalb Tage eingespart werden.

Kopfschütteln erntete auch Melih Gökcek, der Oberbürgermeister von Ankara, als er am vergangenen Donnerstag die Haltung der Stadtverwaltung verteidigte. Den Vorwurf, es seien erst viel zu spät Maßnahmen ergriffen worden, wies Gökcek entschieden zurück: „Dass uns Allah eine Katastrophe diesen Ausmaßes bereiten würde, ließ sich beim besten Willen nicht voraussehen!“ Dabei warnen Experten bereits seit vier Jahren vor der Katastrophe, die nun eingetreten ist.

Um die Lage zu entschärfen, schlägt Gökcek allen Ernstes vor, es sollten erst einmal so viele Einwohner wie möglich zwei oder drei Monate in den Urlaub fahren. 16.000 Angestellte der Stadtverwaltung will der Bürgermeister gar in den Zwangsurlaub schicken. Darüber hinaus wird derzeit mit Hochdruck an dem Bau einer Pipeline gearbeitet, die Wasser aus dem 125 Kilometer entfernten Fluss Kizilirmak heranschaffen soll. Auch diese Maßnahme erweckt allerdings nicht den Eindruck, als ob die Stadtverwaltung Herr der Lage ist. Denn der Türkische Verbraucherverband (TÜDEF) und zahlreiche Sachverständige warnen bereits eindringlich davor, dass das Wasser, das herangeführt werden soll, derart mit Rückständen und Schwermetallen belastet sei, dass es an Körperverletzung grenze, wenn man es in die Wassersysteme der Hauptstadt einspeise.