Klimastreit in den USA

Die Energie- und Klimawochenschau: Windenergie boomt, aber der Nahe Osten soll unbedingt Atomkraftwerke bekommen. Hierzulande träumt die Branche derweil von der "sauberen Kohle"

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Die erneuerbaren Energieträger Sonne, Wind und Biomasse setzen ihren Erfolgskurs fort. Wie das Bundesumweltministerium berichtet, wird in diesem Jahr ihr Anteil am hiesigen Bruttostromverbrauch bei 14 Prozent liegen – unter der Voraussetzung, dass in der zweiten Jahreshälfte die meteorologischen Bedingungen im Mittel dem ersten Halbjahr entsprechen. Damit wäre das für 2010 anvisierte Ziel von 12,5 Prozent bereits überschritten, und die für 2020 gesteckte Marke von 20 Prozent erwiese sich als viel zu bescheiden.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sieht mit der Entwicklung die Wirksamkeit des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bestätigt, das eine Abnahmepflicht sowie differenzierte, mit zeitlicher Degression versehene Abnahmevergütungen für den umweltfreundlichen Strom vorsieht. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bei 10,4 Prozent, 2006 bei 12 Prozent. 2000 hatte er lediglich 6,3 Prozent betragen. Der Anstieg in diesem Jahr ging hauptsächlich auf das Konto der Windkraft, die im ersten Halbjahr allein rund 22 Milliarden KWh und damit etwa neun Prozent des Stromverbrauchs zur Verfügung stellte. Im Vorjahr waren es insgesamt 30,5 Milliarden KWh gewesen.

Während das deutsche EEG inzwischen in zahlreichen Ländern Nachahmung gefunden hat, geht man in den USA einen etwas anderen Weg. Der Bundesstaat Kalifornien hat, wie in der letzten Wochenschau bereits berichtet, den Energieversorgungsunternehmen eine Quote vorgeschrieben. Am Samstag hat nun auch das Repräsentantenhaus in Washington eine Quotenregelung beschlossen, die aber vermutlich zunächst am Veto des US-Präsidenten scheitern wird, wie die New York Times schreibt. Neben den Abgeordneten der Demokraten (alle bis auf neun) stimmten auch 26 Republikaner dafür, den privaten Energiekonzernen zur Auflage zu machen, dass sie 15 Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Quellen beziehen müssen. Beschlossen wurden auch höhere Ausgaben für die Erforschung alternativer Energiequellen, die zum Teil mit der Rücknahme von Steuergeschenken finanziert werden sollen, die das Parlament erst 2005 an die Erdölindustrie verteilt hatte.

Probleme wird es mit dem neuen Energiegesetz nicht nur im Weißen Haus sondern sicherlich auch im Senat geben. Dort wurde, wie ebenfalls die New York Times berichtet, kürzlich ebenfalls ein energiepolitisches Gesetzespaket verabschiedet, das allerdings einen ganz anderen Ton anschlägt: Ohne Debatte wurde ein Satz eingefügt, der der US-Atomindustrie staatliche Kreditgarantien in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden US-Dollar bescheren könnte. Nach Angaben der Zeitung wird die Errichtung von 28 neuen Reaktoren diskutiert, die vier bis fünf Milliarden US-Dollar pro Kraftwerk kosten sollen.

Eine andere Frage ist allerdings, ob die jeweils betroffene örtliche Bevölkerung Neubauten so ohne weiteres hinnehmen wird, wo sich selbst in entlegenen Winkeln Indiens in den Dörfern Widerstand gegen neue Uranminen formiert, wie das indische Umweltmagazin Down to Earth berichtet. Andererseits gibt es an Diskussionen über neue Atomkraftwerke keinen Mangel. Auch in Israel wird der Bau eines Meilers erwogen, wo ja nun selbst der ehemalige Feind Nummer 1 der westlichen Welt, Libyens Staatschef Muammar Gaddafi, mit französischen Atomkraftwerken beglückt werden soll ("La méthode Sarkozy"). Die Sicherheit in der Region wird das zweifelsohne ganz ungemein erhöhen.

China fordert „Subsistenz- und Entwicklungsemissionen“

Unterdessen hat in der Vorbereitung einer großen UN-Debatte über den Klimawandel im September einer der chinesischen Vertreter bei den Vereinten Nationen in New York, Liu Zhenmin, für sein Land und andere Entwicklungsländer „Subsistenz- und Entwicklungsemissionen“ eingefordert, schreibt die Nachrichtenagentur Xinhua. „Luxus-Emissionen“ in den reichen Ländern sollten hingegen beschränkt werden. Liu erinnerte an das in der Klimaschutzrahmenkonvention festgehaltene Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“. Außerdem verwies er darauf, dass die Pro-Kopf-Emissionen in den Industriestaaten immer noch viel höher als in China seien. In den Entwicklungsländern habe Armutsbekämpfung Priorität, weshalb die Emissionen weiter steigen würden.

Gleichzeitig berichtete Liu allerdings von den chinesischen Anstrengungen, die Energieeffizienz zu erhöhen. Von 1990 bis 2005 sei der spezifische Energieeinsatz (Energie pro Einheit des Bruttosozialproduktes) um 47 Prozent gesenkt worden. Das Nationale Klimaprogramm sieht weitere 20 Prozent bis 2010 vor. Bis dahin soll auch der Anteil der erneuerbaren Energieträger am Primärenergieverbrauch auf zehn Prozent gesteigert werden. Zudem hätten große Aufforstungsprogramme und der bessere Schutz der Wälder fünf Milliarden Tonnen des Treibhausgases CO2 gebunden. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa dem Viereinhalbfachen der jährlichen deutschen Emissionen.

In der Windenergiebranche rechnet man fest damit, dass sich das chinesische Klimaprogramm schon bald in einem neuen Boom niederschlagen wird. Allerdings scheint die Regierung bisher die Entwicklung auf diesem Gebiet nur verhalten unterstützt zu haben, weil noch keine Fertigungsstätten im eigenen Land errichtet wurden. Inzwischen steht jedoch der Windboom kurz vor dem Durchbruch. Vorerst werden aber auch noch jede Menge neue Kohlekraftwerke gebaut (aber veraltete, besonders schmutzige zumindest abgeschaltet). Und diese Kohlekraftwerke dienen hiesigen Anlagebauern und Energieversorgungskonzernen als willkommenes Argument, ihre Pläne für „saubere Kohle“ voranzutreiben. Kraftwerke in China, Indien und anderswo müssten mit der neuen Technik ausgestattet werden. Dabei übersieht man gerne, dass eine Nachrüstung nur in Ausnahmefällen möglich sein wird.

Neue Lobbyorganisation „Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk“ der Energiekonzerne

Aber der Reihe nach: Am Freitag hat sich in Berlin eine neue Lobbyorganisation gegründet, das „Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk“ (IZ Klima). Unternehmen wie die Energieversorger E.on, EnBW, Vattenfall und RWE sowie die Kraftwerksbauer Siemens, Alstom und Hitachi sind mit von der Partie. Der Verein soll die Werbetrommel für neuartige Kohlekraftwerke rühren, in denen CO2 abgetrennt werden kann, um es am Meeresgrund oder in tiefen geologischen Schichten einzulagern.

Die Sache hat allerdings mehrere Haken. Einer davon ist, dass die Technik bisher nur auf dem Reißbrett existiert, wie Johannes Lambertz von RWE bei der Vorstellung des neuen Vereins in Berlin freimütig zugab. Bis 2014 will sein Unternehmen einen Prototyp fertig gestellt haben. Geplante Nettoleistung 320 Megawatt. Wie bei jeder neuen Technologie sei davon auszugehen, dass dann noch diverse Kinderkrankheiten zu beheben sind. 2020, so Lambertz, werden die neuen Verfahren dann für den großtechnischen Einsatz ausgereift sein.

Ein anderer Haken ist der hohe Energieaufwand. CO2-Abscheidung, -Verflüssigung, -Transport und -Einlagerung wird viel Energie verschlingen. Bernhard Fischer von E.on will den Wirkungsgrad der Steinkohlekraftwerke seines Unternehmens auf “über 50 Prozent“ erhöhen, damit die Technik überhaupt vertretbar wird. Den Wirkungsgrad-Verlust durch CO2-Sequestrierung, wie das Prinzip auch genannt wird, hofft er auf unter zehn Prozentpunkte beschränken zu können. Derzeit müsse eher noch mit zwölf oder 13 Prozent gerechnet werden.

Ein weiterer Haken ist die Frage der Effizienz der Abtrennung. „Bis zu 95 Prozent“ des CO2 könne abgetrennt werden, hieß es bei der Vorstellung des IZ-Klima-Projektes . Die Frage ist allerdings, wie viel Energie aus anderen herkömmlichen Quellen für Transport und Einlagerung eingesetzt werden muss. Im ungünstigsten Fall, schätzt Dietmar Schüwer vom Wuppertal Institut für Umwelt, Klima und Energie, könnte der Einspareffekt nur bei 75 Prozent liegen. Und auch das Problem der sicheren Einlagerung des CO2, die für viele Jahrhunderttausende garantiert sein muss, ist bisher keineswegs gelöst.

Wissenschaftler erwartet höheren Anstieg des Meeresspiegels

Andere beschäftigen sich derweil mit den Folgen, die bisher die Verstromung von Stein- und Braunkohle anrichtet: Der Physiker und Ozeanograf Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung vertritt die Ansicht, dass die vom UN-Wissenschaftlergremium IPCC im letzten Bericht getroffenen Vorhersagen für den Meeresspiegelanstieg zu niedrig ausgefallen sind. Das sagte er am Samstag im Gespräch mit dem Sydney Morning Herald. Im Mai hatte er gemeinsam mit anderen in der Fachzeitschrift „Science“ einen Beitrag veröffentlicht, in dem darauf hingewiesen wurde, dass sich seit Beginn der 1990er Jahre der Anstieg des Meeresspiegels bereits am oberen Rand der bisherigen Prognosen bewegt.

„Eine Reihe von Wissenschaftlern ist nicht besonders glücklich darüber, dass in der Zusammenfassung des IPCC-Berichts der Eindruck vermittelt wird, die Projektionen des Anstiegs seien geringer als in früheren Berichten“, meinte Rahmstorf gegenüber der Zeitung. Tatsächlich kam der vergleichsweise geringe projizierte Wert von bis zu einem halben Meter Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 nur dadurch zustande, dass die Modelle der Glaziologen für die großen Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis unberücksichtigt blieben. Die sind in der Tat noch nicht genau genug für zuverlässige Prognosen, da zu wenig über die Fließbedingungen des Eises bekannt ist. Die Massenbilanz eines Eisschildes wird nämlich wesentlich von der Geschwindigkeit bestimmt, mit der es sich ins Meer ergießt, wo dann einzelne Blöcke abbrechen und als Eisberge in wärmere Gefilde driften. In der jüngsten Projektion des IPCC sind diese Vorgänge nur sehr ungenau berücksichtigt, indem eine Fortsetzung des gegenwärtigen Trends unterstellt wird.

„Die Gletscher-Experten waren darüber ziemlich verärgert, weil sie das Gefühl haben, dass die Risiken nicht angemessen dargestellt werden“, meint Rahmstorf, der selbst dem IPCC angehört und in dem von der Bundesregierung berufenen Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen sitzt. Unmittelbar nach Veröffentlichung des ersten IPCC-Teilberichts (Kein Weckruf, sondern eine gellende Sirene) Anfang Februar 2007 hatte er seine Bedenken bereits detailliert auf der Internetseite realclimate.org beschrieben.