Hambach Reloaded

Im Juni veröffentlichte der Deutsche Journalistenverband einen Appell mit historischen Wurzeln, um gegen die Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit durch die Bundesregierung zu protestieren - der Appell ist heute aktueller denn je

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Siebzehn Journalisten, darunter Autoren der Tageszeitung, der Zeit, des Spiegel, der Süddeutschen Zeitung und weiterer großer deutscher Presseorgane sollen sich für den ihnen von der Bundesregierung vorgeworfenen „Geheimnisverrat“ im Zusammenhang mit dem BND-Untersuchungsausschuss verantworten (FDP und ver.di auf einer Linie). Politiker hatten mokiert, dass vertrauliche Papiere in der Presse aufgetaucht seien, schon bevor sie dem Ausschuss vorgelegen hätten. Kritiker räumen der Anklage nur geringe Chancen ein, sie ist aber – wieder einmal – ein alarmierendes Signal dafür, wie schlecht es um die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland bestellt ist. In der Tradition des Hambacher Festes von 1832 hat der Deutsche Journalistenverband DJV im Juni den Hambacher Appell veröffentlicht, um nachdrücklich auf die Unverzichtbarkeit der Pressefreiheit und auch des Informantenschutzes hinzuweisen.

„Eine Presse, die der Politik nach dem Mund redet, taugt nicht für die Demokratie“, beginnt der am 14. Juni in Hambach von dem DJV-Bundesvorsitzenden Michael Konken, sowie BDZV-Präsident Helmut Heinen unterzeichnete Appell, der sich direkt auf die beiden Gründer des „Preß- und Vaterlandsvereins“, Jakob Siebenpfeiffer und Georg August Wirth, bezieht. Siebenpfeiffer und Wirth, sowie der Rechtsanwalt Friedrich Schüler, die sich den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet sahen, reagierten damit auf repressive Maßnahmen gegen Presse- und Meinungsfreiheit durch das Königreich Bayern, das die Pfalz 1816 von Frankreich übernommen hatte und nach und nach versuchte, die Errungenschaften der Revolution aufzuweichen.

Im Pariser Exil schlossen sich bald auch Heinrich Heine und Ludwig Börne der Gruppe an, die innerhalb kürzester Zeit mehrere tausend Mitglieder rekrutieren konnte und ihre Ortstreffen verschiedener „Komitees“ als „Volksfeste“ und ähnliches anmeldete, da politische Versammlungen verboten waren und notfalls mit Polizeigewalt aufgelöst wurden. Wirth funktionierte sein Blatt „Deutsche Tribüne“ zu dieser Zeit zum Vereinsorgan um und etablierte es als eine der wichtigsten Stimmen des europäischen Vormärz. Aber bereits am 1. März 1832 verbot die Regierung Bayerns den erst einen Monat zuvor gegründeten Verein. Wenige Tage später fiel auch die „Deutsche Tribüne“ der Zensur zum Opfer, und die Vereinsgründer wurden mit Berufsverbot belegt. Als Antwort darauf organisierten Siebenpfeiffer, Wirth und Schüler Ende Mai das Hambacher Fest.

30000 Menschen nahmen Teil an diesem Ereignis, aus dem nicht nur die späteren Nationalfarben der Weimarer Republik, schwarz rot gold, hervorgingen, sondern das auch als Geburtsstunde der deutschen Demokratie angesehen wird. Gefordert wurde allem voran Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit, sowie religiöse Toleranz, Volkssouveränität und die Neuorientierung Europas mit Gleichberechtigung unter den europäischen Völkern als Basis. Als Folge wurden die Karlsbader Beschlüsse von 1819 weiter verschärft und die Repressionen massiv ausgeweitet. Allerdings bereitete das Hambacher Fest den Boden für den Revolutionsversuch von 1848/49.

Der Hambacher Appell vom Juni richtet sich ganz aktuell offen gegen die Versuche der Politik, die Pressefreiheit und die Verfassung, und somit letztlich die Demokratie aufzuweichen und fordert von den Medien und ihren Vertretern, ihre Rolle als Vierte Gewalt verantwortungsbewusst wahrzunehmen.

Genau das allerdings wird immer schwieriger, wenn die Politik wie im aktuellen Fall rund um den BND-Untersuchungsausschuss oder zuletzt in der Cicero-Affäre, versucht, undichte Stellen im eigenen Lager ausfindig zu machen, indem man Journalisten dafür zur Rechenschaft zieht, dass sie ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllen. Viel zu viele Journalisten ließen sich von der Politik, von Organisationen und Interessenverbänden instrumentalisieren, und würden dadurch ihre Kontrollfunktion innerhalb der demokratischen Ordnung vernachlässigen, klagt der DJV, der nicht nur nach außen, sondern auch nach innen Kritik anbringt.

Im Gegensatz zu Siebenpfeiffer und seinen Mitstreitern wollen die Unterzeichner des Hambacher Appells nicht das bestehende System umwälzen zugunsten einer neuen Ordnung. Sie wollen sicherstellen, dass nicht die bestehende Demokratie von oben nach unten entmachtet wird. Dies kann aber nur mittels umfassender Informierung der Bevölkerung realisiert werden. Und diese Realisierung ist gefährdet, wenn Informanten schweigen, weil sie Angst vor der Staatsmacht haben müssen, und sie ist auch gefährdet, wenn Journalisten Hausdurchsuchungen und Gerichtsverfahren fürchten müssen.

Speziell die Angelegenheiten des BND-Untersuchungsausschusses sind aber von höchstem öffentlichem Interesse und müssen von den Medien kritisch untersucht werden dürfen. Ähnlich sah es im Fall des Cicero-Autors Bruno Schirra aus, der vertrauliche Informationen zum Fall Mussab As-Sarkawi veröffentlicht hatte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt zwar fest, dass journalistische Privaträume nicht zum einzigen Zweck der Informantenidentifizierung durchsucht werden dürfen, findet aber keine eindeutige Regelung zum Tatbestand des Geheimnisverrats. Die wird aber dringend benötigt. Denn solange es keine Handfeste Entscheidung in dieser Frage gibt, ist der willkürlichen Repression Tür und Tor geöffnet, und auch der ehemalige Innenminister Otto Schily wird sein Vorgehen im Fall Schirra weiter rechtfertigen können.

Es ist also durchaus an der Zeit, sich an 1832 zu erinnern und die Ideale und Errungenschaften des Hambacher Festes hochzuhalten. Ob es im Deutschland des Jahres 2007 gelingen könnte, 30000 Menschen dazu zu bringen, auf die Straße zu gehen und für die unbedingte Einhaltung der Pressefreiheit zu demonstrieren?