Kalter Krieg um den Nordpol

Russland, USA und Kanada im Streit um die Bodenschätze der Arktis

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Es gehe darum, die „Grenzen des russischen Festlandsockels“ zu erkunden, so die offizielle Mission der russischen Nordpolexpedition „Artkis-2007“. In Begleitung des atomgetriebenen Eisbrechers „Rossija“ erreichte das Forschungsschiff „Akademik Fjodorow“ am Mittwoch, den 1. August den Nordpol, um am folgenden Donnerstag eine technische Meisterleistung zu vollbringen: Zwei bemannte U-Boote, Mir-1 und Mir-2, tauchten in die Tiefe von über 4200 Metern und hinterließen auf dem polaren Meeresgrund eine russische Flagge aus Titan. Während Polarforscher den russischen Coup weltweit bejubelten, provozierte dieses Flaggenhissen auf dem Meeresgrund unter dem Nordpol harsche Reaktionen der anderen Anrainerstaaten der Arktis, insbesondere der USA und Kanadas.

„Hier gibt es keine Diskussion. Das ist schlicht und einfach kanadisches Territorium“, so die überdeutliche Reaktion des kanadischen Außenministers Peter MacKay, der sich an vormoderne Eroberungspraktiken erinnert fühlte: „Man kann heutzutage nicht einfach irgendwo eine Fahne hissen, wir leben nicht mehr im 14. oder 15. Jahrhundert“.

Mit dieser Assoziation liegt MacKay eigentlich genau richtig, schließlich handelt es sich bei dem fraglichen Gebiet gewissermaßen um eine „Terra Incognita“, um eins der letzten Territorien (neben der Antarktis) unseres Planeten, die noch nicht einer staatlichen Souveränität unterstellt sind. Russland gab somit den Startschuss zu einem Prozess, der wohl ähnlich konfliktreich den Eroberungen im Zuge der „Europäischen Expansion“ verlaufen dürfte. „Im Kampf um die Ressourcen könnte die Arktis zum Schauplatz eines erbitterten Krieges werden“, rührte die Berliner Morgenpost schon mal vorsorglich die Kriegstrommeln. Die kanadische Regierung reagierte auch ganz im Stil imperialer Kanonenbootpolitik und kündigte die Entsendung von acht Patrouillenschiffen zur Unterstützung ihrer Ansprüche auf die Arktis an.

Der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums Tom Casey erklärte am 2. August, dass die von Russland zurückgelassene Flagge nach Ansicht der USA keinerlei berechtigten Ansprüche nach sich ziehe: „Ich weiß nicht genau, was sie dort auf dem Meeresgrund deponiert haben - eine Flagge aus Metall, eine Flagge aus Gummi oder eine Platte. All das hat aber keine juristische Bedeutung.“ Zudem sagte Casey, dass Russland schon seit 2001 bestrebt sei, nach dem UN-Seerechtsabkommen, dem die USA noch nicht beigetreten sind, einen Teil der Arktis unter seine territoriale Kontrolle zu bringen. Danach können Staaten die Ressourcen im Meeresboden normalerweise bis zu maximal 200 Seemeilen von der Küste aus nutzen. Ausnahmen gibt es, wenn der Festlandssockel weiter in das Meer hinausreicht. Um solche Ansprüche geht es Russland. Heftige Kritik an der russischen Expedition übte auch die dänische Regierung, die ebenfalls Ansprüche auf Teile der Arktis erhebt, da Grönland ein Teil des Königreichs Dänemark ist, sowie Norwegen (Dänemark will sich den Nordpol aneigenen).

Bild: mms.gov

Die Leiterin der Seerechtsabteilung der Nationalen Ozeanographischen Zentrums in Großbritannien erklärte gegenüber dem US-Radiosender „Radio Liberty“, worum sich die fünf Anrainerstaaten der Arktis – Russland, USA, Kanada, Dänemark und Norwegen - so erbittert streiten:

Im Moment gibt es eine exklusive Wirtschaftszone von 200 Seemeilen, die jedem der fünf Staaten zugestanden wird. Und deswegen entsteht in der Mitte ein riesiges, halb eingeschlossenes Meer, um die alle 200-Meilen-Zonen herum führen. Was sich also mitten in diesem, durch die 200-Meilen-Zone begrenzten Gebiet befindet, steht derzeit in Frage. Das sind um die 300.000 oder 400.000 Quadratkilometer. Und das ist das Gebiet, das von dem einen oder anderen der Küstenstaaten beansprucht werden könnte.

Doch geht es den Anrainern der Arktis nicht um die Souveränität über Wasserflächen und Eiswüsten, sondern um die Kontrolle der Rohstoffvorkommen, die unter dem alles andere als ewigen Eis vermutet werden. An die zehn Milliarden Tonnen Erdöl und Erdgas sollen sich in dieser Region befinden, die schon Heutzutage einen Marktwert von einer Billion US-Dollar hätten. Zudem werden in der Arktis große Mengen an Gold und Diamanten vermutet. Anderen Schätzungen zufolge sollen hier sogar bis zu 25 Prozent der weltweiten Vorkommen an Öl und Gas zu finden sein.

Das von Russland beanspruchte Gebiet über die 200-Meilen-Zone hinaus

Derzeit gilt eine Förderung dieser Bodenschätze als unrentabel, da das Polarmeer selbst mit Eisbrechern nur an drei Monaten im Jahr befahrbar ist. Doch sollten angesichts zu neige gehender Reserven die Rohstoffpreise weiterhin steil nach oben klettern, könnte sich das rasch ändern. Überdies würde eine ungebremste Erderwärmung zur Ausdünnung der Eisdecke innerhalb weniger Dekaden führen, so dass eine Rohstoffförderung selbst in der Arktis langfristig durchaus realisierbar scheint. Wirklich beunruhigend, ja deprimierend ist aber vor allem die Tatsache, dass alle an diesem arktischen Gerangel beteiligten Mächte das Polarmeer als ein zukünftiges Rohstoffreservoir ansehen – den fortschreitenden Klimawandel also als gegeben hinnehmen und ihn nutzen wollen, um weitere fossile Energieträger in bisher unzugänglichen Gebieten zu fördern.

Als besonders rohstoffreich gilt der Lomonossow-Rücken, ein nahezu 2.000 Kilometer langes Unterwassergebirge, welches von Sibiriern bis Grönland verläuft. Die von den Mir-U-Booten entnommenen Sediment- und Gesteinsproben sollen unter Beweis stellen, dass dieser Gebirgszug eine Fortsetzung des russischen Landmasse ist und eine Gesteinsstruktur aufweist, wie sie im nördlichen Sibiriern zu finden ist. Schon 2009 will Russland die Ergebnisse dieser Studien präsentieren und bei der UNO die Ansprüche auf das Unterwassergebirge stellen.

Die russische Führung kann zudem diesen erfolgreichen polaren Tauchgang auch als einen PR-Coup innenpolitisch gut gebrauchen, da im Dezember die russische Duma neu gewählt wird. Der russische Präsident Wladimir Putin beglückwünschte die Expeditionsteilnehmer persönlich per Telefon zum erfolgreichen Abschluss der Tauchfahrt, die zugleich einen neuen Tiefenrekord in arktischen Gewässern aufstellte. Die russischen Medien berichteten ausführlich über diese „Beflaggung“ des Polarmeeres, bei dem auch eine Flagge der Putin-Partei „Einheitliches Russland“ hinterlassen wurde. http://de.rian.ru/science/20070803/70298913.html