Tests und bildgebende Verfahren zur Wahrheitsfindung

Verkürzte Darstellung eines Testprofils, dass Leistungsstärken und Leistungsschwächen auf einen Blick sichtbar macht und verdeutlicht, dass eine Person durchaus in manchen Bereichen besser, in anderen schlechter als der Durchschnitt abschneiden kann.

Psychiatrische und (neuro-)psychologische Gutachten vor Gericht

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Im Folgenden werden in knapper Form Beschreibungen von Gutachten zu unterschiedlichen Fällen - von Rentengutachten über Versicherungsbetrug bis hin zu Mord - dargestellt und erläutert, welche neuropsychologischen und neuroradiologischen Verfahren (insbesondere funktionelle Bildgebung) zum Einsatz kamen. Ausführlichere Beschreibungen zu den eingesetzten Methoden, zu theoretischen Implikationen und zu allgemeinen Vorstellungen und Annahmen hinsichtlich Täterprofilen und prädiktiver Variablen für Straffälligkeit finden sich in Markowitsch (2006) und insbesondere in Markowitsch und Siefer (2007).

Versuchter Versicherungsbetrug und Vortäuschung einer Straftat

Ich hatte einen wegen Versicherungsbetrugs Angeklagten zu begutachten, weil er sich, nachdem er sich bei der Polizei in Widersprüche verstrickt hatte, auf sein "schlechtes Gedächtnis" herausreden wollte und damit begründete, warum er sich nicht mehr an Einzelheiten der "Tat", bei der er vorgab, niedergeschlagen und beraubt worden zu sein, erinnerte. Für seine Version vom schlechten Gedächtnis konnte er auch anführen, kurzfristig deswegen in psychologischer Behandlung gewesen zu sein. (Er hatte diese Behandlung aber sehr schnell wieder abgebrochen.)

Der Mann war von mächtiger Statur, rund 1,95 m lang und breitschultrig. Abgesehen von seinem Äußeren, das einen Niederschlag mit Bewusstlosigkeit als nicht so wahrscheinlich erscheinen ließ, war er auch schon wegen früherer Versicherungsbetrugsdelikte bekannt, so dass er dieses Mal die Versicherung auf seine Frau laufen ließ. Er unterließ es nicht zu beteuern, dass es ungerecht sei, jemandem seine vergangenen Untaten weiterhin vorzuwerfen, wo man die doch längst abgebüßt habe.

In den angewandten Testverfahren konnte er beispielsweise eine Reihe bekannter Persönlichkeiten aufzählen und Details über sie nennen, "versagte" dann aber, als er zu den Fotografien von Berühmtheiten Angaben über deren Person oder Funktion in der Öffentlichkeit nennen sollte. Diese diskrepante Leistung wiederholte sich dann in formalen Gedächtnistests, wo er wiederum bei spontaner Abfrage (ohne Hilfestellung) von zuvor dargebotenem Material (Wörtern, Bildern) in seinen Leistungen glänzte, sich aber bei Hilfestellungen zu zuvor gezeigten Reizen an so gut wie Nichts zu erinnern vorgab. Damit zeigte er, kurz gesagt, in schwierigen Gedächtnistests gute Leistungen und in leichten schlechte. Darüber hinaus hatte er noch eine Tendenz zu konfabulieren, was ich mittels unserer "Testbatterie zur Messung von Konfabulationstendenzen" (Borsutzky, Fujiwara & Markowitsch, 2007) herausfand und er schnitt auch in mehreren Lügendetektionstests in Richtung Lüge ab.

Das Gutachten, das ihm attestierte, ein wohl doch eher normales Gedächtnis zu haben, das er allerdings manipulativ zu verschlechtern trachtete, wurde dem Richter und seinen Verteidigerin übermittelt. Zur Gerichtsverhandlung waren die ihn damals untersuchenden Ärzte, die Polizisten, bei denen er wegen seines verdreckten Anzugs vorstellig geworden war und weitere Zeugen geladen und sagten die ersten zwei Stunden aus. Danach machte der Richter eine Pause und bemerkte, falls der Angeklagte und seine Verteidiger in der Pause noch zu dem Schluss kämen, die Täuschung zuzugeben, käme der Angeklagte mit 12 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung davon, im anderen Falle müsse er in der Justizvollzugsanstalt seine Haft absitzen. Nach der Pause erschienen der Angeklagte und seine Anwälte, von denen einer dann sagte, sein Mandant gäbe die Täuschung zu.

Rentengutachten

Ein junger Mann, der vom Baugerüst gestürzt war und jetzt auf Drängen seines Anwalts von Arzt zu Arzt lief, um sich bestätigen zu lassen, dass er dauerhaft arbeitsunfähig ist. Er setzte dabei bewusst auf Fachärzte aus seinem Heimatland, die ihm dann prompt einen Krankheitszustand namens "Lange non hirnorganische Persönlichkeitsänderung {F 62.8G}" andichteten, eine sehr diffuse Diagnose, die aber Juristen wohl alleine durch die Namensgebung und die ICD-Spezifizierung in geschweifter Klammer beeindrucken soll.

Ähnlich kam ein junger Mann mit seinem Vater zur Begutachtung, der nach einem unverschuldeten Unfall seinen Schulabschluss aufgab und auch mehrfach seine Lehre abbrach. Er wollte sich ein schwaches Gedächtnis bestätigen lassen und hatte - wie er naiv berichtete - auch alles dafür getan, schlecht dazustehen. Statt einen Tag vor Testbeginn anzureisen, war er morgens um drei Uhr mit seinem Vater per Auto angefahren, hatte keines der Medikamente eingenommen, die er sonst täglich brauchte, und wollte sich auch ohne Ruhe- oder Erholungspausen durchtesten lassen. Darüber hinaus verhielt er sich in seinen Testleistungen ähnlich, wie der schon beschriebene Versicherungsbetrüger, war also eher gut in schweren und eher schlecht in einfachen Tests.

Mord und Mordversuch

In einem komplizierten Strafverfahren, das zum dritten Mal aufgerollt wurde, ging es um die Ermordung eines chronisch kranken, bettlägerigen Millionärs mit möglichem Bezug zum Rotlichtmilieu und um die versuchte Ermordung einer jungen Frau, die ihn als Krankenpflegerin versorgte. Die Frau war mit einem jungen Mann befreundet gewesen, der auch bei ihr wohnte, aber mit anderen Frauen fremd ging und Kinder zeugte. Auch war er als Drogendealer bekannt.

Als sie ihn raus warf, wurde sie am nächsten Morgen von einem jungen Mann mit einer Art Baseballschläger niedergeschlagen und ihr Stirnhirn zertrümmert. Der ein Geschoss höher im Bett liegende Millionär wurde mit dem gleichen Baseballschläger ermordet. Die Polizei fand vormittags nur die schwerverletzte Frau und erst am späteren Nachmittag den Mann. Zu diesem Zeitpunkt waren dann schon alle Spuren weitgehend "zertrampelt" und verwischt. Einziges Überbleibsel war die Erinnerung der Frau, die meinte, ihren Freund erkannt zu haben, der sie wegen des Rausschmisses zur Rede stellen oder sich an ihr rächen wollte - so zumindest ihre Interpretation.

Meine Aufgabe war es, neben drei weiteren Gutachtern, die mit diesem Fall befasst waren, ihre Glaubwürdigkeit zu untersuchen, darüber ein Gutachten abzufassen und vor Gericht zu vertreten. Hierzu untersuchte ich sie an mehreren Tagen, was dadurch bedingt war, dass sie wegen der Nachwirkungen der Hirnschädigung nicht sonderlich belastbar und auch ihre Sprache nicht oder noch nicht wiederhergestellt war.

Ich untersuchte mehr oder weniger den gesamten Bereich ihrer intellektuell-kognitiven Funktionen - dies mit deswegen, weil es unser Prinzip ist, über eine Profilbildung Aussagen "in Relation" zu machen. Das heißt, festzustellen, ob Diskrepanzen zwischen bestimmten Leistungen existieren, die auf einen selektiven Einbruch oder eine selektives Maximum (z.B. bei Stimmung und Befindlichkeit) schließen lassen, oder, ob sich hierüber eventuell Anzeichen für Simulationstendenzen - etwa im Bereich der biographischen Erinnerung - finden lassen (Abb. 1).

Neben diesen neuropsychologischen Testungen unternahm ich mit ihr eine Untersuchung mittels funktioneller Bildgebung (Kernspintomographie), um so zu überprüfen, ob ihre Hirnaktivität auf autobiographische Erinnerungen an den gleichen Orten zu finden wäre, wie dies normalerweise der Fall ist. In früheren Studien hatten wir und andere Arbeitsgruppen herausgefunden, dass sich vor allem im rechten vorderen seitlichen Bereich von Stirnhirn und Schläfenlappen eine Region befindet, die dann, wenn affektiv besetzte autobiographische Erinnerungen abgerufen werden, aktiviert wird (Fink et al., 1996; Markowitsch, 2000; Tulving et al., 1994). Umgekehrt ist die gleiche Region der linken Hirnhälfte dafür zuständig, neutrales Wissen abzurufen (Markowitsch et al., 1999).

Tatsächlich ergab sich bei der jungen Frau die gleiche Aktivierung wie bei den normalen Probanden, so dass ich konstatieren konnte, dass sie in ihren Äußerungen bei der Wahrheit blieb. Der Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Funktionelle Bildgebung bei forensisch-psychiatrischem Hintergrund

Eine Frau hatte in der wahnartigen Annahme, ihre Kinder vor einem Leben, das dem ihren glich, bewahren zu müssen, diese durch Ertränken getötet. Sie ging davon aus, dass weder sie noch ihre Nachkommen in der Lage seien, Emotionen zu empfinden und dass ihr Leben deswegen nicht lebenswert sei. Sie hatte eine umfangreiche Bibliothek mit Fachbüchern zum Thema Emotion und Gehirn (z.B. Damasio, 1999). Wir legten sie in einen Positron-Emissions-Computertomographen und maßen ihre Hirnaktivität, während wir ihr emotional besetzte Erlebnisse von ihr und anderen präsentierten (Kalbe et al., zur Veröffentl. eingereicht). Ihre Hirnaktivierungen zeigten, dass sie keineswegs emotionslos war, wenngleich es ein Ungleichgewicht in der Aktivierung Emotionen verarbeitender Hirnregionen auf ihre eigenen Erlebnisse und auf die anderer Personen gab.

In einem anderen Fall ging es um einen Familienvater, der nach Jahren ruhigen Familienlebens im Kreise von Frau, Kindern und Schwiegereltern wegen Vergewaltigung von zwei Frauen mit in einem der beiden Fälle angedrohtem Messereinsatz angeklagt wurde. Schlagartig wurde aus dem Berufstätigen ein gebrochener Mann, der nicht nur in kürzester Zeit in seinem Intellekt beträchtlich abbaute, sondern der sich auch körperlich massiv veränderte. So war er beispielsweise nicht mehr in der Lage, Wasser zu lassen und musste deswegen mehrfach täglich von seiner Frau katheterisiert werden.

Eine Untersuchung seines Gehirnstoffwechsels mittels Positronen-Emissions-Tomographie (Glukose-PET) erbrachte eine bedeutende globale Stoffwechselverminderung in seinem Gehirn, die als Korrelat für seinen kognitiven Abbau und seine affektive Lethargie angesehen werden kann. Seine Symptomatik ähnelte der, die als Gansersyndrom bezeichnet, in der forensisch-psychiatrischen Literatur vielfach Eingang gefunden hat (Markowitsch, 1990).

Inzwischen werden Methoden der funktionellen Bildgebung vor allem in den USA zur Bestimmung mentaler Zustände und insbesondere zur Aufdeckung von Lügen eingesetzt. Hierzu existieren bereits mehrere Firmen, die ihre Dienste den Gerichten anbieten (Markowitsch & Siefer, 2007). Forscher verweisen auf eine Reihe von Studien zur Differenzierung zwischen erfundenem oder erlogenem Material und authentischen Erinnerungen.

Literatur