Eine "private Zukunftsvorsorge" ist keine Alternative

Die vielfach beschworene "private Altersvorsorge" ist für die Mehrheit schlicht und einfach nicht leistbar. Auch wenn noch soviel dafür geworben wird

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Überall, sei es in den Medien, in der Politik oder von Finanzdienstleistungsunternehmen (Banken, Versicherungen, Vermittlern), wird die „private Zukunftsvorsorge“ (privat dient zur Behübschung des Begriffs: kommerziell) als wichtige und strahlende Alternative zu den Pensionsängsten der Bevölkerung beschworen. Wie aber schaut es realistisch damit aus? Können sich die Menschen das überhaupt leisten?

Immerwährendes neoliberales Credo: Ein Fall für den Markt

In der gegenwärtigen Diskussion ist von drei Säulen der Zukunftsvorsorge für Menschen die Rede.

  1. Die erste Säule: Das klassische gemeinschaftliche (staatliche) Rentenmodell in Form des Umlageverfahrens (= ein Teil des Lohnes wird an die Rentenversicherung gezahlt, die daraus die Altersrenten der jetzigen Ruheständler finanziert).
  2. Die zweite Säule: betriebliche Altersvorsorge, etwa durch Pensionskassen.
  3. Und schließlich die dritte Säule: das von Finanzunternehmen (Versicherungen) angebotene Rentenmodell im Kapitaldeckungsverfahren. Hier zahlt man Prämien an eine Versicherung, spart also an und hat dann im Alter Anspruch auf eine aus dem Ersparten gezahlte Rente.

Die dritte Säule ist natürlich ideal für die kommerziellen Anbieter, denn damit kann man als Unternehmen Geld verdienen, und es wäre natürlich ein Riesengeschäft, wenn alle Menschen immer mehr in diese dritte Säule hineingeschoben würden. Der Markt auch als ideale Lösung für die Altersvorsorge und gleichzeitig am besten, das Umlageverfahren, also die klassische Renten gleich abschaffen.

Übrigens: rund die Hälfte der jungen Menschen, denen man eine „private Altersvorsorge“ angedreht hat, müssen - so österreichische Erfahrungen der Verbraucherschützer - mit hohen Verlusten nach mehr oder weniger kurzer Zeit daraus wieder aussteigen.

Mit solcher Werbung unterminiert man nachhaltig das Vertrauen in eine solidarische staatliche Rentenversicherung

Finanzielle Möglichkeiten von Menschen

Bevor über die kommerzielle Altersvorsorge diskutiert wird, muss man sich zuerst einmal die Lebensverhältnisse der Menschen ansehen. Dabei sollte man sich auch nicht irre machen lassen von den Verschwörungstheorien der Mainstream-Politiker und –Wissenschafter, die uns eine rapide Alterung der Bevölkerung einerseits und sinkende Kinderzahlen als schmerzhafte Rute ins Fenster stellen.

Es gibt keinen handfesten Beleg dafür, dass die Lebenserwartung der Menschen weiter steigen wird, außer einem prognostischen Rückschluss aus der Vergangenheit. Dem stehen neue Untersuchungsergebnisse aus den USA (Die jetzt 50-Jährigen sind kränker als vorhergehende Generationen) und England gegenüber, die von einer Abflachung der Lebenserwartung sprechen. Damit wäre der Gipfel erreicht, jetzt geht es wieder bergab, trotz allen Fortschritten der Medizin, die sich zudem immer weniger Menschen leisten können.

Die Geschichte mit der abnehmenden Kinderzahl stimmt dagegen, es gibt heute weit weniger Kinder als vor 40, 50, 60 Jahren. Menschen rechnen mehr – sie sind ökonomischer und egoistischer geworden. Kinder kosten Eltern Geld, ein Kind im Schnitt in Deutschland oder Österreich größenordnungsmäßig etwa 500 Euro im Monat, der Staat legt da noch einmal rund 500 Euro dazu (für Schulen etwa).

Ökonomie hat immer eine magenbittere Schärfe, das muss auch einmal gesagt werden, bevor man sich mit dem Schluss daraus beschäftigt: Ein Kind weniger zu haben, finanziert, über den Daumen gepeilt, aus ersparten Kosten und ohne Qualitätsverlust für die Beteiligten, die offensichtlich weniger Kinder wollen, locker einen zusätzlichen Rentner.

Soziale Trends...

Geringere Kinderzahl und kleinere bzw. weniger Familien sind die Antwort der Menschen auf eine Realität, die zusehends inhumaner wird. In der Erwerbsarbeit gibt es mehr Druck, mehr Mobilität und Flexibilität werden gefordert, wir werden mehr kontrolliert, gläserner, belasteter und reglementiert. Atypische Beschäftigungen explodieren: Dazu kommt, daß von den 39,6 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland immer mehr in Teilzeit oder prekären Beschäftigungssituationen arbeiten müssen. Abendarbeit, Nachtarbeit, Samstag- und/oder Sonntagsarbeit nehmen rapide zu. 59 % der Deutschen arbeiten in solchen Verhältnissen. Dazu kommt, daß rund ein Viertel der Arbeitnehmer Teilzeit arbeiten (müssen); eine klare Frauendomäne übrigens: 44 % der erwerbstätigen Frauen arbeiten in Teilzeit. Und: Prekäre Arbeitsverhältnisse lassen sich aus erhebungstechnischen Gründen nicht einmal mehr sauber erfassen.

Also keine heile Arbeitswelt, sondern schon längst US-amerikanische Verhältnisse. Ein Preis, der für diese Arbeitsmarktverhältnisse vermutlich auch bezahlt werden muss, sind die hohen Scheidungsraten (rund 50 %), weniger Kinder und weitaus weniger persönliche Zufriedenheit.

Konsummöglichkeiten

Klar ist, dass „soziale Teilhabe“ (Inklusion, wie das sozialwissenschaftlich heißt) an unserer Gesellschaft, heute praktisch nur über ein Mindestmaß an Konsum möglich ist. Freizeit und „soziale Zeit“ ist mit Konsum verbunden: Der Kaffee beim Plausch im Kaffeehaus, die Autofahrt zu Freunden, oder zum Verwandtenbesuch – alles das setzt auf Konsum auf. Dazu kommt, dass „kompensatorischer Konsum“ zunimmt, also eine Art persönliches Entschädigungsverhalten für Frust im Job, für Stress im Alltag. Das zeigt sich auch an der hohen Kaufsuchtgefährdung (vgl. Österreich im Kaufrausch): ein Viertel der Gesamtbevölkerung ist gefährdet, bei jungen Frauen sind es gleich zwei Drittel; die Situation in Deutschland ist ziemlich ähnlich.

Dann die zweite Seite: Die Konsumbudgets der deutschen Haushalte haben sich kaum erhöht, 2003 waren es 2260 Euro monatlich, zwar rund 200 Euro mehr als fünf Jahre vorher – jedoch ist das real von der Inflation „aufgefressen“ worden. Das ist ein Durchschnittswert. Die wirtschaftlich Schwächeren traf die Teuerung mehr, die wirtschaftlich Starken gar nicht: Arm und Reich driftet immer mehr auseinander. Und das wird weiter zunehmen, die Nahrungsmittelpreise steigen (trotz Globalisierung – oder vielleicht gerade deshalb? ) und das trifft die Schwächeren weitaus mehr.

Vorsorgemöglichkeiten

Sehen wir uns die Möglichkeiten für private Vorsorge bei einem durchschnittlichen Haushalt, bei dem nichts schief geht (also keine Scheidung, keine Arbeitslosigkeit, etc. – was heute aber eher schon der Ausnahmefall ist) ein kleines Stück genauer an.

Wir lassen dabei auch die staatlichen Förderungen kommerzieller Vorsorge (der Staat finanziert mit steuerlichen Erleichterungen die kommerziellen Geschäftemacher), also Rürup- und Riester-Vorsorge, einmal beiseite. Auch aus einem relevanten Grund: Es kennt sich ohnedies dabei niemand mehr aus (vgl. Nadine Oberhuber: Ein Flicken für das Rentenloch.

Irgendwann einmal (das Ausziehen aus dem herkunftsfamiliären Haushalt dauert heute weit länger als früher, die legeren Medien nennen das „Hotel Mamma“) beschließt ein Paar, einen eigenen Haushalt zu gründen, dann kommt ein Kind, zwei wären zwar Wunsch, sind aber schon seltener. Irgendwann nach langer Zeit der Ausbildung und prekärer Berufslage zieht dann dieses zweieinhalb Jahrzehnte durchgeschleppte Kind aus und gründet selbst einen Haushalt. Später geht das Paar in Pension, dann stirbt der Mann, schließlich die Frau und dann existiert der Haushalt nicht mehr.

Es gibt hier drei Auffälligkeiten:

  1. Erstens eine Finanzierungslücke in der Haushaltsgründungsphase - eigener Haushalt, Wohnung, Einrichtung, Kind kommt; oft springen hier Eltern und Schwiegereltern mit Transferzahlungen ein, um ihren Kindern eine eigene Wohnung erst möglich zu machen. Wohnungskredite sind trotzdem ein Regelfall.
  2. Zweitens, Sparmöglichkeiten gibt es für die Mehrheit – von den wirtschaftlich starken, oberen 20 Prozent blenden wir einmal ab - erst ab einem Lebensalter von 50, 55 Jahren. Nämlich ab dem Auszug des Kindes; aber das braucht dann oft auch noch Unterstützung für die eigene Wohnung. Und auch nur, wenn nicht Scheidung oder Arbeitslosigkeit dazwischen kommen.
  3. Drittens kann es zu einem Finanzbedarf-Überhang bei Pflegebedürftigkeit im Alter kommen. Im Regelfall springt hier ein Kind finanziell ein, wenn das betroffene Elternteil nicht ins Pflegeheim verschoben wird.

Die folgende Grafik versucht das ein bisschen zu veranschaulichen.

Wie schaut denn die private Vorsorge wirklich aus ?

Gehen wir dabei von der sicheren Seite aus, von realistischen Zinsen und sicheren Veranlagungen (und ohne die vorhin erwähnten dubiosen staatlichen Förderungen). Möchte eine Frau sich heute kommerziell eine zusätzliche Altersrente von 550 Euro im Kalendermonat ab Pensionsantritt – sagen wir, mit 65 - erwirtschaften, dann

  1. ist ab 20, über 45 Jahre hinweg monatlich ein Betrag von 88 Euro beiseite zu legen,
  2. beginnt sie mit 45, ist über 20 Jahre hinweg monatlich ein Betrag von 225 Euro beiseite zu legen,
  3. beginnt sie mit 55, ist über 10 Jahre hinweg monatlich eine Betrag von 715 Euro beiseite zu legen.

Wir haben hier noch gar nicht von ihrem Mann gesprochen, der das vielleicht auch möchte – denn das kostet dann rund doppelt soviel.

Für den Durchschnittshaushalt geht das nicht. Die finanziellen Spielräume im Haushalt sind zu eng. Selbst ab 50 oder 55 Jahren haben rund drei Viertel, eher mehr, nicht diese finanziellen Spielräume. Dazu kommt eines, und das ist ganz wichtig: Die angezielten 550 Euro sind ein nomineller Betrag, durch die Inflation werden sie aber immer weniger.

Die angezielten 550 EUR monatlich sind real (also abzüglich der Inflation, auch hier nehmen wir einen realistischen Wert von rund 2 Prozent im Jahr):

  1. nach 45 Jahren nur mehr 220 EUR wert,
  2. nach 20 Jahren nur mehr 330 EUR wert,
  3. nach 10 Jahren nur mehr 450 EUR wert.

Fazit

In Hinblick auf die Einnahmen- und Bedarfssituation besteht auch für die meisten der wenigen stabilen Haushalte (keine Scheidung, keine Arbeitslosigkeit) unter 50 bis 55 Jahren kaum eine Möglichkeit, Geld für private Vorsorge zu verwenden und beiseite zu legen – ohne sich nicht massiv in ihren Konsummöglichkeiten einzuschränken.

Für die wirtschaftlich unteren drei Viertel der Haushalte, möglicherweise auch bis zu 90 Prozent, besteht wohl auch ab 50 bis 55 Jahren keine Möglichkeit dazu (das ist einfach zu teuer).

Beachtet muss werden: Bei der Hälfte der Haushalte kommt es zu Trennungen, die mit schweren Beeinträchtigungen ihrer Finanzsituation verbunden sind. Aus einem Haushalt werden zwei neue! Schuldenlasten bzw. neue Haushaltsgründungskosten sind da. Und: Arbeitsplätze und damit Einkommensquellen sind heute nicht sicher genug, um überhaupt langfristig Ansparpläne bei knapper Haushaltskasse zu machen. Dazu kommt: Die kommerziellen Finanzunternehmen sind nicht sicher. Sie sind völlig finanzmarktabhängig, und dieser Markt ist unberechenbar, außer er ist mit inländischen Staatsanleihen gedeckt. Wer was anderes sagt, lügt schlicht und einfach. Die Versicherungsskandale in Großbritannien, wo schon früh auf „private Vorsorge“ gesetzt wurde, oder die Pensionskassenskandale in den USA haben das ja deutlich genug gezeigt.

Kapitalgedeckte Altersvorsorge ist keine Garantie für eine lebensstandardsichernde Altersversorgung. In Zeiten schlechter Verfassung der Kapitalmärkte können große Teile des angesparten Vermögens verloren gehen. Eine Umwandlung in eine Leibrente in solchen Zeiten bedeutet eine lebenslang erheblich geringere Rente. Kapitalgedeckte Altersvorsorge bedingt Investitionsentscheidungen. Diese Entscheidungen werden retrospektiv betrachtet selten optimal gewesen sein. Bei privatwirtschaftlich organisierter Altersversorgung besteht das von staatlicher Seite zu kontrollierende Risiko falscher Beratung seitens der Rentenanbieter. Kapitalansammlung bedarf stets dem Schutz vor missbräuchlicher Verwendung durch Dritte.

Axel Thomas Rüttler: Staatliche Förderung von Lebensversicherungen als Säule der privaten Altersvorsorge