Die drei Fragezeichen

Die Verhandlungen von Israelis und Palästinensern werden von drei Gefahren überschattet

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Langsam nähern sich Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde aneinander an: Israels Regierungschef Ehud Olmert und der palästinensische Präsident Mahmud Abbas arbeiten an einem Grundsatzabkommen, in dem das Skelett des zu gründenden palästinensischen Staates festgelegt werden soll. Bis zur von den Vereinigten Staaten initiierten Nahost-Konferenz, die voraussichtlich im November stattfinden wird, soll es fertig sein. Denn andernfalls, so die Befürchtung, könnte der Gipfel für Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete zum Schuss in den Ofen werden, weil die USA im Nahen Osten andere Interessen verfolgen. Überhaupt sind die Interventionen von außen derzeit nicht besonders willkommen: Die hiesigen Konfliktparteien befürchten, dass sie im Sumpf der Eigeninteressen den Kürzeren ziehen könnten. Und das wiederum würde nicht ohne Folgen für sie bleiben. Eine weitere mögliche Gefahr für den wieder auflebenden Friedensprozess könnte der ehemalige israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu darstellen: Er wurde gerade als Vorsitzender des rechts-konservativen Likud-Block wieder gewählt und droht damit, jetzt Neuwahlen forcieren zu wollen.

Dieser Mann will nicht einigen, ganz im Gegenteil, Benjamin Netanjahu versucht nicht einmal zu verbergen, dass er mit Spaltungen, in der Gesellschaft, der Politik, in seiner eigenen Partei leben kann. Am späten Dienstag Abend, das Ergebnis der Wahl zum Vorsitzenden des rechts-konservativen Likud-Blocks wurde gerade verkündet, steht er vor Hunderten seiner Anhänger auf einer Bühne in einer Halle auf dem Tel Aviver Messegelände, hinter sich der gewohnte blau-weiße Hintergrund mit dem aktuellen Likud-Slogan „Israel wählt Erfolg“ und schmettert mit ernster Miene in den Saal:

Heute sind die internen Auseinandersetzungen zu Ende gegangen; von morgen an werden wir unsere Kraft dafür einsetzen, eine neue Führung nach Israel zu bringen.

„Eine kleine, unwichtige Gruppe“

Draußen liefert sich derweil eine kleine Gruppe, angeführt von einem schmächtigen, bärtigen Mann mit Brille und Kippa eine heftige Diskussion mit dem Sicherheitspersonal: Das sind Mosche Feiglin und seine Anhänger, der äußerste rechte Rand des Likud und gleichzeitig die ernsthaftesten Widersacher Netanjahus. Monatelang hatte sich das Lager Feiglins eine erbitterte Schlammschlacht mit dem säkularen, in den USA ausgebildeten ehemaligen Premierminister geliefert.

Im Kern: Netanjahu möchte den Likud als eine moderate, konservative politische Kraft etablieren, die für neoliberale Werte und militärische Abschreckung steht; Feiglin tritt unter anderem für eine Annektierung des Westjordanlandes und einen verstärkten Siedlungsbau ein - Forderungen, die den israelischen Wählern nicht mehr zu verkaufen sind und dem Likud bei den nächsten Wahlen kräftig Stimmen kosten würden: Siedler werden von einem Großteil der Öffentlichkeit längst nicht mehr als Teil der Gesellschaft gesehen; die Siedlungen werden von vielen mittlerweile als ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden gesehen.

So nennt auch Netanjahu Feiglin und seine Leute „eine kleine, unwichtige Gruppe“, vermeidet aber weitere Ausführungen zu seinen diplomatischen Plänen und spricht lieber über die Armut, die mittlerweile ein Viertel der jüdischen und ein Drittel der arabischen Israelis erfasst hat, verspricht, dass er das alles ändern wird, durch mehr Privatisierungen, „Anreize zur Arbeit“, womit er ein Hartz IV-ähnliches System meint und vor allem niedrigere Steuern.

Anderswo gähnen die Analysten von Medien und politischen Parteien, weil es schon sehr spät ist und weil Netanjahu ohnehin immer das Gleiche sagt, und atmen dann auf: Denn obwohl Netanjahu und seine Anhänger sich kämpferisch geben und versuchen das Wahlergebnis zu einem Sieg auf der ganzen Linie zu erklären, obwohl sie Herz für die Schwachen und Muskeln für die Starken zeigen, dürfte der befürchtete Sturm auf die Regierung wohl vorerst ausbleiben.

Denn, ja, der Mann, den seine Gefolgschaft liebevoll mit seinem Kosenamen Bibi tituliert, obwohl er sich das schon vor Jahren verbeten hat, bekam 73 Prozent der Stimmen, aber die kamen von gerade einmal 39 Prozent der Mitglieder des 1974 aus mehreren rechten und konservativen Parteien geschlossenen Bündnisses Likud.

Und: Im Parlament hat der einst mächtige Block nur zwölf der 120 Sitze; um ein Misstrauensvotum durchzubringen, müsste er also mit einer Vielzahl von anderen Parteien paktieren - und dazu ist Netanjahu, bei aller Vagheit, zu kontrovers, jedenfalls im Moment.

Anders könnte die Lage aussehen, wenn es im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern eine Einigung geben sollte, denn die würde nahezu zwangsläufig mit Siedlungsräumungen einhergehen wird: Parteien wie die populistische Jisrael Beitenu und die religiöse Schas, die zur Zeit in der Regierung sitzen, selbst ein paar Abgeordnete aus der zentristischen Kadima-Fraktion von Premierminister Ehud Olmert, der viele ehemalige ( ) Likud-Mitglieder angehören, könnten dann den Aufstand wagen und sich auf die Seite des Likud stellen.

Wird es ein neues Rahmenabkommen geben?

Und so hängt immer auch die Frage im Raum, ob nicht am Ende alles vergebens gewesen sein könnte, wenn sich die Unterhändler der israelischen Regierung und der Notstandsregierung im Westjordanland an geheimen Orten, hinter verschlossenen Türen treffen, um ein Rahmenabkommen auszuhandeln, in denen die Eckpunkte des künftigen palästinensischen Staates auszuhandeln. Bis zur von den USA anberaumten Nahost-Konferenz, die voraussichtlich im November stattfinden wird, soll das Dokument fertig sein und unter Anderem staatliche Institutionen, die Regierungsform des künftigen Palästina und die Zusammenarbeit der beiden Nachbar-Länder festlegen.

Die Grenzen sowie die Fragen, was mit den Flüchtlingen und deren Nachkommen sowie Ost-Jerusalem geschehen wird, also die wirklich umstrittenen Punkte, sollen indes danach geregelt werden.

Es ist also ein hartes Stück Arbeit, bei dem immer die drei Fragezeichen dabei sind: Was wird aus Netanjahu? Wie werden die Einflüsse aus dem Ausland das Ergebnis beeinflussen? Und kurzfristig die wichtigste Frage: Wie geht es weiter mit Gaza, mit der Hamas?

Diese Frage bereitet in diesen Tagen der Regierung im Westjordanland großes Kopfzerbrechen, weil es so, wie es jetzt ist, nicht weiter gehen kann, eine Neuauflage der Einheitsregierung nicht in Frage kommt, weil Israel mit dem Abbruch der Zusammenarbeit droht, und der Ausgang von Neuwahlen völlig unvorhersehbar ist, wobei ohnehin nicht sicher ist, ob die Hamas ihren mittlerweile immer konsolidierteren Einfluss im Gaza-Streifen wieder aufgeben würde, auch wenn sie selbst momentan lautstark Neuwahlen fordert.

Und so haben sich Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde darauf verlegt, abzuwarten - und zu schweigen. „Nein, dazu habe ich nichts zu sagen“, wehrt eine Quelle aus dem Umfeld der palästinensischen Regierung ab:

Jedes falsche Wort kann unabsehbare Konsequenzen haben. Unsere Position hat sich nicht geändert: keine Kontakte, keine Gespräche, keine gemeinsame Regierung mit der Hamas. Was uns betrifft, ist sie eine illegale Organisation.

Und dennoch: Die Berichte in arabischen Medien darüber, dass die Hamas und die Fatah-Fraktion unter der Führung von Präsident Mahmud Abbas miteinander sprechen, mehren sich, es gebe Sondierungsgespräche unter Vermittlung Dritter, heißt es. In der Tat haben Regierungen in der Region immer wieder eine Annäherung der beiden Seiten angemahnt; zuletzt bot sich der Jemen als Vermittler an. „Es ist schwer zu glauben, dass die nicht miteinander reden,“ sind sich palästinensische Journalisten sicher.

Nach dem Lieferstopp waren in Teilen Gazas die Lichter ausgegangen

Denn der Druck ist groß: In der arabischen Welt, in der Millionen von palästinensischen Flüchtlingen und deren Nachkommen leben, geht die Sorge um, dass der Machtkampf aus den Palästinensischen Gebieten auf die Nachbarstaaten überschwappen, sich der Zorn möglicherweise gegen die Gast-Regierungen richten könnte, wenn diese zu klare Positionen für die eine oder die andere Seite beziehen.

Und: Bald, möglicherweise innerhalb von Tagen, droht dem Gazastreifen, der nunmehr seit zwei Monaten fast hermetisch abgeriegelt ist, eine humanitäre Katastrophe, mit der sich dann auch die arabische Welt befassen müsste, was wiederum Kontakte mit der Hamas und damit eine mögliche Konfrontation mit den Vereinigten Staaten erfordern würde.

Zwar werden schon seit Längerem Hilfsgüter geliefert, aber vielen Wirtschaftszweigen sind längst die Produktionsgüter ausgegangen - und selbst wenn es noch welche gibt, bleiben die fertigen Produkte in den Lagern, weil sie nicht exportiert werden können. Hinzu kommt, dass das israelische Unternehmen, das Gas und Benzin in den Gaza-Streifen liefert, schon bald die Lieferungen einstellen könnte.

Bereits am Samstag hatte die Firma für mehrere Stunden seine Tanklaster gestoppt und sie erst nach massivem Druck durch die israelische Regierung wieder in Gang gesetzt - denn prompt war sichtbar geworden, wie kritisch die Lage ist: Innerhalb weniger Minuten nach dem Lieferstopp waren in Teilen Gazas die Lichter ausgegangen.

Es ist eine kritische Situation für die Führung in Ramallah: Die Öffentlichkeit ist zwar froh, dass der neue Friedensprozess dazu geführt hat, dass der Boykott beendet und Gehälter der öffentlichen Bediensteten wenigstens teilweise gezahlt wurden. Andererseits beobachtet sie aber auch genau, wie sich die Notstandsregierung gegenüber den Menschen im Gaza-Streifen verhält.

Sollte Israel eine humanitäre Katastrophe zulassen, würde sich die Stimmung gegen die Regierung in Ramallah und deren Zusammenarbeit mit Jerusalem wenden. So räumen israelische Regierungsmitarbeiter mittlerweile ein, dass die Antwort auf dieses Fragezeichen nicht in Ramallah, sondern in Jerusalem zu finden ist; im Außenministerium heißt es:

Wir können Gaza nicht vollständig ignorieren. Wir sind die Einzigen, die stark genug sind, um den Gazastreifen am Leben zu erhalten, also werden wir über kurz oder lang wohl die Grenzen für limitierte Im- und Exporte öffnen müssen

Viele nette Gesten nach außen

Aber dies wird nicht so einfach werden, wie es klingt, denn hier ist ebenfalls die öffentliche Meinung ein Hindernis: Militär und Sicherheitsdienste sind gegen eine Grenzöffnung, weil dadurch das Personal dort gefährdet werden würde - und auch, was in den Köpfen vieler Israelis das überzeugendste Argument ist, weil die Zahl der Abschüsse von Kassam-Raketen in Richtung Israel drastisch nach unten gegangen ist: Seit die Grenzen zu sind, und Ägypten massiv gegen den Schmuggel vorgeht, seien der palästinensischen Waffenindustrie schlicht die Mittel ausgegangen, um den Eigenbau herzustellen, so die Begründung des israelischen Verteidigungsministeriums.

So spielt auch Israels Premier Olmert auf Zeit und beschränkt sich nach außen hin auf viele nette Gesten, während er hinter verschlossenen Türen die Rahmen-Übereinkunft forciert: Fatah-nahe Milizionäre werden von den Fahndungslisten der Armee genommen, Waffen an die Sicherheitskräfte geliefert und ein Symbol nach dem anderen gesetzt.

So reiste Olmert vor Kurzem gegen den Widerstand von Inlandsgeheimdienst und Personenschutz in die palästinensische Stadt Jericho, um sich dort mit Abbas zu treffen und war damit der erste israelische Premier seit Jahren, der Fuß auf den Boden der Autonomiegebiete setzte. Es sei ein notwendiger Schritt gewesen, heißt es aus dem Büro Olmerts:

Wir möchten zeigen, dass wir Präsident Abbas und die von Premierminister Fajad geführte Regierung als Partner sehen, und sie nicht patronisieren wollen.

Man beachte, dass die Quelle Abbas „Präsident“ nennt - bis vor Kurzem waren die Führer der Palästinensischen Autonomiebehörde in der israelischen Lesart noch „Vorsitzende“, was dadurch ohne Herzensbruch möglich wurde, dass in den Anfang der 90er Jahre geschlossenen Osloer Übereinkünften das arabische Wort „Rais“ verwendet wird, das mit beiden Begriffen übersetzt werden kann - ein kleiner Aspekt der derzeitigen Entwicklung, aber ein wichtiger, sagen Experten für politische Kommunikation, weil er der palästinensischen Öffentlichkeit zeigen soll, dass nun eine neue Ära angebrochen ist, nicht nur übers Tagesgeschäft, sondern vor allem über die Zukunft gesprochen wird.

Die Interessen der USA

Ein beträchtlicher Störfaktor bei diesem Ringelpietz mit Anfassen ist eine Amerikanerin: Condoleeza Rice, US-Außenministerin. Alle paar Monaten landet sie in der Region, um nach den Rechten zu sehen, Partner zu loben, Gegner zu kritisieren - aber vor allem, um aufzupassen, dass niemand etwas tut, was den amerikanischen Interessen schadet.

Und natürlich: Wenn es mal positive Entwicklung gibt, dann möchten sie und der Rest der US-Regierung natürlich gerne dabei sein, „und das noch viel mehr jetzt, wo der Präsidentschaftswahlkampf in vollem Gange ist“, sagt John Willis von der amerikanischen Tageszeitung Washington Post - „ob man wirklich etwas beizutragen hat, ist dabei zweitrangig; was zählt ist, was die Wähler zu Hause denken.“

So ist die Strategie der US-Regierung einer der Hauptgründe dafür, warum Israelis und Palästinenser zum Nahost-Gipfel mit einem fertigen Rahmen-Dokument erscheinen wollen - sie befürchten schlichtweg, dort zu Statisten im amerikanischen Wahlkampf zu werden: Ob Rechte oder Linke, ob Palästinenser oder Israelis - im Moment ist man sich außerhalb von Verteidigungsministerium und Olmert-Büro einig, dass die Vereinigten Staaten und die Regierungen der Region im Moment aneinander vorbei reden.„Die Interessen der USA sind nicht Unsere“, sagt ein Mitarbeiter von Präsident Abbas, und gibt damit einmal mehr wieder, was in diesen Tagen auf beiden Seiten immer wieder zu hören ist. Der Kommentar der Zeitung Ma'ariv anlässlich des letzten Rice-Besuches vor einigen Wochen:

Washington will den Irak stabilisieren, den Iran in Schach halten, während wir hier einen Friedensprozess für die gesamte Regierung brauchen.

In HaAretz ätzten Aluf Benn und Schmuel Rosner unter dem Titel „Hurra! Die Saudis kommen!“, Condoleeza Rice sei im Moment vor allem damit beschäftigt, die Fehler zu korrigieren, die sie gemacht habe, als sie noch die Sicherheitsberaterin von Präsident George Bush war: Irak, Iran, Nord-Korea - vergebene Chancen, falsche Strategien, und der Erfolg ihrer Korrektur-Bemühungen beschränke sich im Nahen Osten, auf die saudische Zusage, zum Gipfel im Herbst erscheinen zu wollen, was allerdings ohnehin schon als so gut wie sicher galt.

Wichtig ist den Amerikanern diese Teilnahme vor allem, weil sie das Treffen aufwerten würden und ihm gegenüber anderen Nahost-Konferenzen die Aura des Besonderen geben würde, denn sie kennen die Befürchtungen, zumal sich manche Regierung im Nahen Osten, selbst eng mit den USA Befreundete, keine besonders große Mühe geben, ihre Zurückhaltung zu verbergen.

Man stehe zur Partnerschaft mit den USA, ließ Ägyptens Präsident Hosni Mubarak nach ihrem letzten Besuch in seinem Land knapp mitteilen; man werde sich „weiterhin mit ganzer Kraft um eine Stabilisierung des Irak bemühen“, bedankte sich die saudische Regierung in einem Statement für die Zusage der US-Regierung, Waffen im Wert von mehreren Milliarden Euro liefern zu wollen.

Wie groß die Chancen sind, dass sich die Konfliktparteien über all' diese Widrigkeiten hinweg setzen und ein Ergebnis erzielen werden, kann im Moment niemand sagen. Wenn es allerdings soweit ist, muss das Ergebnis den Test der Öffentlichkeiten auf beiden Seiten bestehen, also die Zustimmung einer möglichst großen Mehrheit finden.

Und an diesem Punkt käme wieder Netanjahu ins Spiel. „Wir dürfen nicht vergessen, dass er die Macht will, und eine Übereinkunft mit den Palästinensern, deren Folge Siedlungsräumungen sein werden, wäre eine Steilvorlage für ihn“, sagt die Analystin Miriam Goldberg vom Fernsehsender Kanal Acht:

Er wird in diesem Moment alles daran setzen, um Israel und vor allem Olmerts Partei Kadima zu spalten, er wird vor den Gefahren warnen, Olmert als Ausverkäufer des Staates und als Versager darstellen, ein Referendum fordern und dann versuchen, die Regierung mit einer Mitte-Rechts-Koalition auszubremsen.