Bewunderer, Besserwisser und Feinde

Eine kleine Typologie des Problemlesers im Internet

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Es gibt Problembären, Problemreaktoren und Problemfans; für Autoren und Autorinnen gibt es auch Problemleser. Was drollig und erheiternd sein kann, wächst sich aber auch manchmal zur Plage aus.

Der Science-Fiction-Schriftsteller Ray Bradbury erzählte einmal, wie er sich eines allzu aufdringlichen Lesers erwehrte. Als der nicht aufhörte, den Autor wegen angeblicher faktischer Fehler beim Erzählen durch den Kakao zu ziehen, und trotz deutlicher Signale der Irritation mit seiner elenden Besserwisserei nicht aufhörte, versetzte ihm Bradbury angeblich eine Ohrfeige.

Während diese Geschichte sicher erfunden ist, erinnert sie doch an eine weniger lustige, die sich in den Briefen von Hermann Hesse findet: Hesse verwahrt sich dort gegen die Anschuldigungen eines Vaters, der ihm den Suizid seines Sohnes anlasten will - der habe schließlich den "Steppenwolf" gelesen. Die erflunkerte wie die wahre Geschichte haben eins gemeinsam: Sie berichten vom Kontakt eines Autors mit einem Problemleser.

Während Bradbury und Hesse sich der Angelegenheit noch relativ einfach entledigen konnten - den Autor live zu konfrontieren oder ihm Briefe zu schreiben, ist relativ aufwändig - kann das in Zeiten der modernen elektronischen Kommunikation mühevoll werden. Gelegenheit macht Diebe, und das Internet macht Problemleser - so scheint es zumindest, weil es ihnen mehr Gelegenheiten bietet, Probleme zu machen. Dabei hat es die Grundtypen des Problemlesers sicher immer gegeben.

Die Bewunderer

Da sind einmal die Bewunderer. Was sie wollen, ist nicht immer gleich klar, zunächst drücken sie nur Bewunderung aus und nehmen jede Reaktion des Autors zum Anlass, weitere Äußerungen der Bewunderung abzugeben. Bis deutlich wird, dass sie vor allem selbst auch beachtet und geschätzt, vielleicht auch ein bisschen bewundert werden sollen. In der harmlosen Variante ist das ein bloßes Tauschgeschäft des gegenseitigen Lobs, in der weniger harmlosen wird daraus eine Grenzüberschreitung.

Dann wollen die Bewunderer Teil des bewunderten Lebens sein, das sie sich immer falsch vorstellen, sie wollen mitmischen, mitdenken, ja sogar mitschreiben, und der Autor, der sich eben noch ob so viel Bewunderung gebauchpinselt fühlte, hat jetzt seine liebe Not, die Bewunderung zurückzuweisen - möglichst ohne all zu viel Porzellan zu zerdeppern. Abgrenzungen dieser Art wollen gelernt sein - während es früher reichte, auf die in farbiger Tinte verfassten Briefe nicht zu antworten, ist ja eine E-Mail sehr viel schneller geschrieben, und manchmal muss der Autor deutlicher werden, als ihm lieb ist.

Eine andere Art von Bewunderern, die praktisch veranlagten, möchten nicht nur Beachtung, sondern handfeste Gegenleistungen für die gespendete Bewunderung. Ein unentgeltlicher Anthologiebeitrag soll es sein oder ein Auftritt für irgendeinen guten Zweck, der angeblich auch der Werbung für den Autor nützt. Man möcht halt Arbeitskraft umsonst und bietet dafür ein Blümchen an.

Ein Spezialfall der praktisch gesinnten Bewunderer sind die Nachwuchsautoren, die gerne wissen wollen, wie der Autor das mit dem Schreiben und Veröffentlichen anstellt. Manchmal schicken sie lange Manuskripte, manchmal fordern sie die Durchsage passender Redaktions-, Lektorats- und Verlagsadressen. Prominente Kollegen widmen dem Kontakt mit den Nachwuchsautoren ganze Departments ihrer Websites; hilfreich ist immerhin, dass es auch sonst noch Anlaufstellen im Netz gibt.

Heikel bleibt die Angelegenheit doch, denn wer Bewunderer der hartnäckigen Art kränkt, provoziert sie manchmal zur Mutation (s. die Abschnitte "Feinde" und "Psychopathen"). Wenn’s nicht so dramatisch kommt, verabschiedet sich der ehemalige Bewunderer mit einer gekränkten Mail: Das hätt ich nicht von ihnen gedacht, dass Sie so sind. Nun, das war dann wohl das Problem von Anfang an.

Die Besserwisser

Besserwisser sind unruhige Menschen. Sie können nicht still sitzen mit ihrem besseren Wissen, sie müssen dem Autor mitteilen, dass er versagt hat, oft mehrfach, am besten so lange, bis er es einsieht und um Gnade bittet - der feuchte Traum der Besserwisser. Mit diesen Leuten ist nicht gut diskutieren, vom Kirschen essen ganz zu schweigen, und wenn man sich ernsthaft auf eine Auseinandersetzung mit ihnen einlässt, kann man sich darauf gefasst machen, zu unterliegen - sie haben oft alle Zeit der Welt, aber den Autor kostet der Konflikt nur Kraft, die er für Wichtigeres braucht.

Im Grunde ist es der Google-Schwanzlängenvergleich, der hier stattfindet - wer kann den anderen mit den besten Quellen niederkämpfen und dabei am gelassensten wirken? Ein absurdes Spiel, das erstaunlicherweise nicht nur Studenten in ihren Debattierclubs spielen, sondern immer wieder auch provozierte Autoren. Sie sollten davon absehen, selbst Fensterputzen ist interessanter. Dabei gilt: Der "Karohemd und Samenstau, ich studier Maschinenbau"-Typ des Besserwissers ist immer noch leichter zu haben als der religiös inspirierte.

Besserglauber, die sich auf den Schlips getreten fühlen, sind im Namen dieses oder jenes Herrn unterwegs und fühlen sich beauftragt, die Welt des missliebigen Autors zurecht zu rücken. Am schlimmsten unter ihnen sind die betont sanftmütigen, deren Aggression man erst noch durch Widerspruch hervorkitzeln muss. Viel Widerspruch braucht es dazu in aller Regel nicht, dann mutieren sie gleich. Genauso können aber auch die faktenorientierten Besserwisser in Rage geraten, und beide Sorten verhalten sich dann wie

Feinde

Jeder Autor hat sie, jeder Autor kennt sie - wer veröffentlicht, macht sich Feinde. Es hat sie immer gegeben, aber das Internet war ihnen ein persönliches Gottesgeschenk: die größte Spielwiese der Welt, und überall hat noch eine Feindschaft Platz. Sie schreiben dem Autor als Lieblingsfeind nicht nur E-Mails, sie nutzen jeden möglichen Kanal, die er und seine Verwerter geöffnet haben mögen, und andere dazu: Online-Foren, das Usenet, Chats, Blogs und natürlich die Rezensions- und Diskussionsspalten von Onlinebuchhändlern.

Wenn das nicht zu teuer wäre, würden sie auch noch telegrafieren und Hassbanner von Flugzeugen über den Himmel ziehen lassen. Sie mögen Demokraten sein, aber so eine fesche Fatwa gegen den verhassten Lieblingsfeindschriftsteller, das wär’s erst wirklich. Eine Feindschaft ist nur echt, wenn sie über Jahre geht. Jedes Lüftchen des Autors muss mit einem Gegenlüftchen bekämpft werden. Selbst dann, wenn man mit dem Autor aus sachlichen Gründen einmal konform geht, muss man ihm Kontra geben, das Prinzip ist heilig. Im Grund handelt es sich dabei um eine verzerrte Verwirklichung von Brechts Radiotheorie.

Im verschärften Fall verwirklichen die Feinde aber nicht nur das Mitmachradio per Internet, sie greifen auch zum Telefon. Entweder hinterlassen sie Leeranrufe auf dem Anrufbeantworter, oder sie atmen in den Hörer, oder sie drohen mit Prozessen. Dann verhalten sie sich eigentlich schon wie ihre irren Cousins, die Psychopathen. Die Psychopathen tun alles, was die Feinde auch tun, nur grundloser, wirrer, härter. Schickt der Feind zwei Mails insgesamt, schicken sie fünf am Tag. Die Mails sind nicht lesbar, sie tendieren schwer zum Buchstabensalat. Im Internet drohen sie nicht mit Prozessen, sie drohen gleich mit dem Tod.

Nachts anrufen, um den Autor durch's Telefon ein wenig anzuatmen, ist für sie völlig ok. Wenn der Autor die Diskussionen mit dem Besserwissern besser gleich wieder einstellt, dann fängt er sie mit den Feinden und Psychopathen am besten gar nicht erst an. "Ringe nie mit einem Schwein - ihr werdet beide schmutzig, aber das Schwein mag es" - der derbe Spruch trifft hier den Nagel auf den Kopf.

Was kann man tun? Nicht viel. Es ist wichtig, die Bewunderung nicht zu ernst nehmen, oder sie wenigstens realistisch auf ihren Kern abklopfen. Man muss sich von den Besserwissern nicht beeindrucken lassen, kann aber durchaus das bedenken, was sie faktisch besser wissen - ist der Streit vorbei, gelingt das manchmal leichter. Den Feinden und erst recht den Psychopathen sollte man auf keinen Fall antworten, und man sollte sie, wie die Bewunderer auch, nicht zu ernst nehmen. Lichtenberg zitiert in seinen Sudelbüchern Sir John Hawkins:

Unempfindlichkeit gegen den Neid und die Bösartigkeit von anderen ist eines der sichersten Anzeichen für einen bedeutenden Geist, und weil sie so gut gerechtfertigt werden kann, ist sie auch einer der massivsten Racheakte, die sich denken lassen.

Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft J, Eintrag 256, (Übersetzung MH)

Er hat sich bis zu seinem Lebensende nicht immer daran gehalten, aber das Zitat von Hawkins meint ja auch einen Idealzustand. Das nüchterne Fazit: Diejenigen Leser, auf die es einem Autor oder einer Autorin ankommen sollte, melden sich gar nicht. Sie nutzen einfach, was man geschrieben hat. Oder sie kritisieren es auf Augenhöhe, als Autoren. Problemleser aber sind nur das - ein manchmal lästiges, aber unvermeidliches Berufsrisiko.