Hamburger Possenspiele

Studiengebühren, Exmatrikulationen und Parteien im Vorwahlkampf

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Mit einer Ausnahme hatte sich das Thema Studiengebühren in Hamburg eigentlich bis auf weiteres erledigt. Von den sechs Hochschulen der Hansestadt konnten sich nur an der kleinen Hochschule für Bildende Künste ausreichend Jung-Akademiker für die Idee begeistern, ihre Beiträge zunächst auf ein Treuhandkonto einzuzahlen und dafür eine Exmatrikulation billigend in Kauf zu nehmen (Studiengebühren zahlen oder gehen). An der Hochschule für Musik und Theater wollten die Studenten eine „Märtyrer-Aktion“ vermeiden und brachen den Protest wieder ab. An der TU Harburg wurde das sogenannte Boykott-Quorum mit 725 statt 1.333 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ebenso deutlich verpasst wie an der HafenCity Universität (403 von 630), während die Hochschule für Angewandte Wissenschaften immerhin 2.813 von erforderlichen 3.210 Studierenden auf den Plan rief.

An der Universität mit ihren knapp 40.000 Studierenden hätten sich 10.000 Gebührengegner am Boykottversuch beteiligen müssen – letztlich zahlten aber nur gut 6.000 ihren Beitrag auf ein Treuhandkonto ein. Die Präsidentin und bekennende Gebührenbefürworterin Monika Auweter-Kurtz verlieh danach umgehend ihrer Hoffnung Ausdruck, „dass an der Universität nun wieder ein geregelter Studienalltag einkehren kann und dass wieder alle Studierenden die Möglichkeit haben, sich auf ihre Studieninhalte zu konzentrieren.“

Imageschädigender war für den Protest allerdings das Verhalten des eigenen AStA, der die Aktionen nur sehr bedingt und am liebsten nur ideel unterstützen wollte, weil das Unternehmen für weitgehend sinnlos erachtet wurde. Mitte Juni stand die Boykottgruppe dann nicht nur mit leeren Händen, sondern überdies mit 450 Euro Schulden da, weil die Zinserträge nicht ausreichten, um Anwaltskosten und sonstige Ausgaben zu decken. Damit im Winter ein neuer Anlauf gestartet werden und das Projekt „Boykott 2.0“ bessere Ergebnisse erzielen kann, müssen die zahlungsunwilligen Gebührengegner nun zunächst ihr Konto ausgleichen.

Das alles klingt nicht so, als ob sich Hamburgs parteiloser Wissenschaftssenator Jörg Dräger große Sorgen um die Durchsetzung der ungeliebten, aber wohl mehrheitlich akzeptierten Abgabe machen müsste. „Boykott 2.0.“ bringt bislang nicht die idealen Voraussetzungen für ein Erfolgsmodell mit, und ob sich die Erwartungen, die einige Protestierende mit der Volksbefragung am 14. Oktober verbinden, langfristig auch auf das Thema Studiengebühren auswirken, darf vorerst bezweifelt werden. Gleiches gilt für die fünf Musterprozesse, die Studierende der Hochschule für Bildende Künste mit erklärtermaßen geringer Hoffnung gegen die Schulleitung und die Wissenschaftsbehörde vor dem Verwaltungsgericht Hamburg anstrengen wollen.

Entmutigender als alle juristischen Probleme dürfte freilich der Umstand sein, dass sich die Erhebung von Studiengebühren bis dato offenbar noch nicht auf die Attraktivität der Hochschulen ausgewirkt hat. Stattdessen konnte Monika Auweter-Kurtz vor zwei Wochen sogar einen deutlichen Aufwärtstrend verkünden. Trotz Campusmaut bewarben sich zum Wintersemester 2007/2008 beachtliche 23.987 Interessenten um einen Studienplatz an der Universität Hamburg. 12 Monate zuvor waren es 22.782, und aktuell können nur 4.656 Plätze vergeben werden. Zwar muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass viele Studienplätze, die früher über die ZVS vergeben wurden, nur noch durch eine direkte Bewerbung zu erreichen sind und Studieninteressierte deshalb bei mehreren Hochschulen vorstellig werden – doch die Faszination der nackten Zahlen lässt sich durch solche Feinheiten eben kaum beeinträchtigen.

Parteipolitik

Dass die Studiengebühren in Hamburg nicht zum Randthema geworden sind, das unter der normativen Kraft der Faktischen in sich zusammenfällt, ist vor allem der örtlichen Universitätsleitung und den politischen Verantwortungsträgern zu verdanken, die sich eifrig auf die Bürgerschaftswahl am 24. Februar 2008 vorbereiten. Als die Universität Ende Juli mit Verweis auf das Hamburgische Hochschulgesetz vom 6. Juli 2006 zunächst 1.939 Exmatrikulationsbescheide verschickte, anschließend eine zweiwöchige Frist verstreichen ließ und schließlich rund 1.100 Studierenden den - insgesamt vorläufigen, für das Wintersemester 2007/08 aber endgültigen - Verweis aussprach, entzündete sich erneut eine heftige Diskussion, mit deren Hilfe das mediale Begleitkommando die eingerosteten Frontlinien wieder blank polieren konnte. Gebühren-Knatsch - Uni Hamburg wirft 1110 Studenten hinaus hieß es da, andernorts war von einer Massenexmatrikulation die Rede, und die taz griff zur giftigen Headline Eine Uni mistet aus:http://www.taz.de/index.php?id=digi-artikel&ressort=in&art=3277&no_cache=1.

Der bislang nicht gerade verhaltensauffällige SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann wertete das Vorgehen als „verheerendes Signal an alle Talente innerhalb und außerhalb der Stadt“ und versprach den Genossen - die in Folge der langen, aufwendigen und einigermaßen verwirrenden Suche nach einem geeigneten Herausforderer für Amtsinhaber Ole von Beust (CDU) noch immer etwas desorientiert wirken –, Ende Februar nun den Senat zu exmatrikulieren. Die SPD will die Studiengebühren per „Sofortgesetz“ wieder abschaffen, um die soziale Selektion im Bildungswesen nicht noch weiter zu verschärfen. Ob und wie die Zusatzeinnahmen von geschätzten 20 bis 25 Millionen Euro, mit denen die Hochschulen durch die Einführung der Studiengebühren rechnen können, dann finanziert werden, bleibt allerdings vorerst das Geheimnis der Hamburger SPD.

Auch die Linkspartei, die Anfang 2008 auf eine Fortsetzung der jüngsten Wahlerfolge hofft, weiß da keinen Rat, spricht aber sicherheitshalber schon einmal von „offensichtlicher Rechtsbeugung“ seitens der Universitätsleitung und einer „autoritären und repressiven Hochschulpolitik“ in der Freien und Hansestadt.

Der große Kontrahent entzieht sich derweil weitgehend der öffentlichen Diskussion. Die Einführung der Studiengebühren fiel in den Aufgabenbereich von Wissenschaftssenator Jörg Dräger, und die Umsetzung obliegt – dank der vorausschauenden Regelungen der entsprechenden Gesetzesvorlagen – den Hochschulen, die sich selbst um die Einsammlung und gegebenenfalls auch um entsprechende Sanktionen kümmern müssen. Der hochschulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Wolfgang Beuß, kann sich derweil darauf beschränken, grundlegendes Einverständnis mit der Erhebung als solcher zu signalisieren und bei gelegentlichen Gesprächen mit AStA-Vertretern „die Einzelregelungen betreffend konstruktive Argumente“ auszutauschen. Kein Zweifel, dass die Hamburger Konservativen die große Popularität ihres Ersten Bürgermeisters ins Zentrum des herannahenden Wahlkampfs rücken und auf detailreiche argumentative Auseinandersetzungen nach Möglichkeit verzichten wollen.

Karteileichen und Härtefälle

Wer die verworrene Lage nüchtern betrachtet, wird zunächst feststellen müssen, dass sich Spitzenkandidat Michael Naumann immerhin zu Recht darüber wundert, warum so viele Studierende exmatrikuliert wurden, obwohl nach AStA-Angaben rund 12.000 Kommilitonen bislang keine Antwort auf ihren Antrag zur Befreiung von Studiengebühren bekommen haben und mehrere Musterklagen zur Auslegung der Befreiungstatbestände ohnehin noch nicht entschieden sind. Geprüft werden momentan offenbar nur gut 200 Fälle.

Andererseits stehen die bisherigen Exmatrikulationsbeschlüsse der Universität – im Gegensatz zur Situation an der Hochschule für Bildende Künste – in keinem direkten Zusammenhang mit den Boykottversuchen. Die auf dem Treuhandkonto zwischengelagerten Gelder wurden schließlich an die Universität weitergeleitet, so dass von dem Verweis vor allem Langzeitstudenten, Studienabbrecher und Personen betroffen sind, die der Zahlungsaufforderung aus unterschiedlichen Gründen nicht nachgekommen sind. Selbst viele Gebührengegner verzichten deshalb bis zur näheren Untersuchung auf die naheliegende Unterstellung, die Campusmaut habe hier nachweisbar junge Menschen von der Aufnahme eines Hochschulstudiums abgehalten.

Am Rand der Bildungskatastrophe

Tatsächlich sind die Studiengebühren nur Teil eines sehr viel umfassenderen Problems, das die ambitionierte Hansestadt in absehbarer Zeit an den Rand eines Bildungskatastrophe treiben könnte. Hamburg investiert derzeit gerade einmal 1,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Bereiche Forschung und Entwicklung, während das benachbarte, nicht übertrieben wohlhabende Bremen 2,7 Prozent für die potenziellen Zukunftsbranchen erübrigt. Bis 2012 droht die Streichung eines Drittels aller Professorenstellen, so dass selbst die nicht eben aufrührerische Monika Auweter-Kurtz befürchtet:http://www.abendblatt.de/daten/2007/05/31/748277.html, ihr Bildungstempel könne „in weiten Teilen zur Fachhochschule werden“ oder sogar noch „darunter rangieren“. Die Schließung ganzer Fachbereiche erscheint derzeit alles andere als unwahrscheinlich, und wie die neuen Masterstudienplätze, mit denen Bachelor-Studenten ihre Ausbildung veredeln könnten, in ausreichendem Maß finanziert werden sollen, steht vorerst in den Sternen.

Vor diesem Hintergrund erscheint dann allerdings auch das Thema Studiengebühren in neuem Licht und jenseits aller parteipolitischen Ränkespiele. Wer die Hochschulen als Dienstleister und ihre Studierenden als Kunden definiert, kommt schließlich nicht umhin, ein nachvollziehbares Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Wenn nun Professorenstellen zusammengestrichen, weiterführende Studienplätze gar nicht erst eingerichtet und ganze Fachbereiche geschlossen werden – was genau ist dann eigentlich 500 Euro pro Semester wert?

Lockruf des Ostens

Diese Frage könnten sich die Studierenden in Hamburg und den sechs anderen westdeutschen Bundesländern, die mittlerweile Studiengebühren eingeführt haben, mittelfristig selbst stellen und dann vielleicht dem Lockruf des Ostens folgen. Schließlich existiert ganz in ihrer Nähe eine Hochschullandschaft, in der keine Studiengebühren erhoben werden und überfüllte Hörsäle vorerst unbekannt sind. Hier werben Universitäten und Fachhochschulen mit Begrüßungsgeld (Eberswalde), Gutschein-Angeboten (Magdeburg) oder freiem Parken (Schmalkalden) um die Gunst der Nachwuchs-Akademiker.

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Johanna Wanka hat vor zwei Wochen in Potsdam „die erste umfangreiche Hochschulmarketing-Kampagne in der jüngeren Brandenburger Hochschulgeschichte“ vorgestellt. Mit Unterstützung einer lokalen Werbeagentur geht Wanka nun auf Studentenfang – neben Plakataktionen und Bannern im öffentlichen Personennahverkehr, einem eigenen Internetportal und Info-Flyern planen die Brandenburger “Direktmarketing mit Postkarten und Bierdeckeln in der Szenegastronomie“. Und vielleicht werden sie bei den frustrierten, von der weit verbreiteten Plan- und Ideenlosigkeit ihrer eigenen Bildungspolitiker enttäuschten Hamburgern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen, Baden-Württembergern oder Saarländern ja tatsächlich fündig.