Die Traurigkeit des Imperiums

Die Kriegsleiden auf dem Globus spiegeln sich in den Verzweiflungen von US-Veteranen. Zumindest davon vermittelt das kommerzielle Filmgeschehen eine diffuse Ahnung

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Wenn das Morden im Namen des Staates geschieht, so wusste im dritten Jahrhundert schon Cyprian von Karthago, nennt man es Tapferkeit. Das riesige Ausmaß der Grausamkeit und des Blutvergießens, so fügte dieser noch nicht staatskirchlich gesonnene Bischof hinzu, sichert dem Frevel allerdings die Straflosigkeit. Doch die Traurigkeit, die der Krieg auf dem ganzen Globus verbreitet, fällt auf die staatlich rekrutierten Söldner des Imperiums zurück. Ihre Leiden sind für die politisch verantwortlichen Täter gefährlich, denn sie lassen sich im Gegensatz zu den Leiden der Menschen in fernen Ländern nur zum Teil verschleiern.

Nach einer gewissen Gesetzmäßigkeit sind die nahen Leiden der eigenen Veteranen für die Unterhaltungsindustrie sogar der früheste und bedeutsamste Anknüpfungspunkt bei der Produktion von gegenwartsbezogenem Kriegs-Entertainment. Dabei können die kommerziellen Filmemacher spätestens seit dem Vietnamkino immer wieder die Illusion nähren, die kriegskritischen Stimmungen in der Bevölkerung würden nicht nur im Rahmen der Marktanalyse bedacht, sondern ernsthaft aufgegriffen. Der Titel „Home of The Brave“ (USA 2006), der in diesem Beitrag am ausführlichsten vorgestellt werden soll, zeigt wie man’s macht.

Déjàvu „Vietnam“ und Opiumproduktion

Im Heimkehrerfilm oder im kombinierten Gefechts- und Heimkehrerfilm ist freilich „Vietnam“ stets noch gegenwärtig. Es gibt kaum einen Topos, der im unübersehbaren Vietnamkanon nicht schon einmal bearbeitet worden wäre.1 Damals wie heute: Politiker und Militärs wollen immer mehr Soldaten entsenden, um das „Desaster“ wieder hinzubiegen. Die Veteranen kehren dann zurück in eine Gesellschaft, die sie verraten hat, nicht versteht oder als unberechenbare Gewaltquelle betrachtet (zum letzten Punkt gibt es aktuell auch das traurige Beispiel eines deutschen Afghanistanveteranen).

Home of The Brave

Im günstigen Fall werden die Veteranen zum Objekt für ein unerträgliches Mitleid. Partnerschaften zerbrechen. Mangelhafte Gesundheitsfürsorge und sozialer Abstieg sind die Belohnungen, die eine „dankbare Nation“ für sie bereithält. Das Seelenleben der Veteranen besteht, sofern es noch wahrnehmbar ist, aus lauter Abgründen … Im Veteranenhospital gibt es für die Heroinkonsumenten ein eigenes Refugium, eine Abstellkammer, in der man sich gegenseitig den Trost der „warm gun mother“ spenden kann („Born on The Fourth of July“, USA 1989). Das Opiat „Diamorphin“ (Heroin) kann biochemisch jenes „Mit sich selbst übereinstimmen“ vermitteln, das jeder Mensch braucht und begehrt. Mehr wohl als alle anderen synthetischen Glücksbringer vermag es die Angst, den Schmerz und die Traurigkeit zu betäuben und das ruhelose Gewissen in Watte einzubetten.

Dass der weltweite „Antiterrorkrieg“ auf rohstoffreichen und geostrategisch bedeutsamen Territorien mit einer explosiven Opiumproduktion einhergeht, hat deshalb – neben der kriegsökonomischen Seite – auch eine symbolische Dimension. Die endlose Gier braucht, da sie ihre Handlanger zerstört, ein Substitut für vollkommene Bedürfnislosigkeit. Politisch ist der vermutlich einzige gangbare Weg zur Zähmung des Kriegsmotors „Opium“, die Entkriminalisierung von Angebot und Konsum, tabuisiert. Indessen scheint die U.S. Army in ihren eigenen Reihen nolens volens große Toleranz zu üben (Flucht in die Drogensucht). Auch hier wieder ein „Vietnam-Déjàvu“: Allein für 1970 wurde die Zahl der regelmäßigen oder vollständig süchtigen Heroin-Konsumenten in der US-amerikanischen Armee auf rund 40.000 geschätzt. In der Gegenwart soll die „U.S. Veterans Administration“ 30.000 opiumabhängige Heimkehrer betreuen.

Umwege über den Golfkrieg 1990/91

In den Kinoproduktionen des letzten Jahrzehnts konnte das Thema „Golfkrieg 1990/91“ noch keinen nennenswerten Stellenwert erlangen.2 Gemessen an den Anregungen, die der Dokumentarfilm „Die wahre Geschichte des Golfkrieges“ (Hidden Wars of Desert Storm, USA 2000) von Andrey Brohy und Gerard Ungerman enthält, müsste man sagen: „Über diesen Krieg ist bis heute überhaupt kein Kinofilm gedreht worden.“

Three Kings

Bei anspruchslosen, militärisch geförderten Produktionen wie „The Finest Hour“ (dt. „S.E.A.L.S.“; USA/Israel 1991) von Shimon Dotan oder „Surface To Air“ (USA 1998) von Rodney McDonald ahnt man, dass es um neue, zukünftige Kriegseinsätze im Irak geht (der diesbezüglich bedeutsamste Propagandafilm mit Pentagon-Unterstützung ist „Rules of Engagement“ von 2000 und spielt im Jemen). Die Goldgräberkomödie „Three Kings“ (USA 1999) hielt schon Präsident Clinton für nützlich, um den Menschen eine Ahnung davon zu vermitteln, was nötig wäre, „um eine humanitäre Intervention umfassend zu Ende zu bringen – ohne ein Chaos zu hinterlassen“. Nicht der Golfkrieg war demnach falsch, sondern sein vorzeitiges Ende.

Die TV-Produktion „Thanks of A Grateful Nation“ (USA 1998) bricht allerdings ein echtes Tabu; das so genannte Golfkriegssyndrom bei US-Soldaten steht im Mittelpunkt. Die Kinoproduktion „Courage Under Fire“ (1996) ist ein patriotischer Heimkehrerfilm mit Gefechtsszenen zum Auftakt und in Rückblenden. Gespart wird allerdings nicht an der Vorführung kaputter Existenzen unter den Golfkriegsveteranen (darunter ein Junkie), und auch deshalb wohl fehlt das Militär im Danksagungsabspann.

Nach Beginn des Irak-Krieges der Regierungen von USA und Großbritannien im Jahr 2003 bot das Thema „Golfkrieg 1991“ den Filmemachern die Möglichkeit, aktuell und sogar kritisch zu sein, ohne dabei gegen das Tabu zu verstoßen, einen noch anhaltenden Krieg auf die Leinwand zu bringen. Das Remake „The Manchurian Candidate“ (2004) und der Film „The Jacket“ (2005) zeigen Paranoia, Amnesie und Identitätsauflösung bei seelisch beschädigten US-Golfkriegsveteranen, zu deren Alltag die Einnahme von Psychopharmaka gehört. Beide Titel sind durchaus auch als Heimkehrerfilme zu behandeln.

The Manchurian Candidate

Der im Grunde erste wirkliche Golfkrieg-Kinofilm heißt „Jarhead“ (2005). Die Traurigkeit des Imperiums, welche aus der Binnenperspektive die Opfer auf Seiten der „Anderen“ stets ausblendet, bekommt in diesem Werk eine ganz besondere Note: Die US-Marines kommen nämlich nicht zum Schuss und auch nicht – wie es der „authentischen“ Literaturvorlage entspricht – zum Vögeln. Dieses Beispiel für bellizistische Popkultur verweist auf eine bis heute unbeantwortete Frage: Wie kommt es, dass fast sechs Jahre nach Beginn der „Operation Enduring Freedom“ über die sexuelle Dienstleistungsversorgung für mehrere hunderttausend westliche Soldaten in islamischen Ländern bei uns immer noch so gut wie nichts bekannt ist (Sex and War)? Haben wir es hier erstmalig in der ganzen Geschichte mit einem länger anhaltenden Krieg zu tun, in dem die entsprechende Logistik zur fleischlichen Bedürfnisbefriedigung im Militär keine Rolle mehr spielt?

Exkurs: „Flags of Our Fathers“

Das Veteranenschicksal kann im Filmgeschehen natürlich auch auf noch viel früheren Kriegsschauplätzen abgehandelt werden. Am weitesten zurück geht die aufwändige TV-Serie „Rome“ (USA/GB 2005), in der z.B. einer der von Julius Caesar verratenen Legionäre als privater Meuchelmord-Dienstleister bei Opiumpfeife und billigen Prostituierten landet.3 Die Gewalt, die Rom global verbreitet, fällt auf die Stadt zurück. Alle, die am imperialen Projekt beteiligt sind, enden in diesem recht gut gemachten Fernsehspektakel tragisch. Am Ende bleibt für keinen die Aussicht auf ein „Happy End“.

Jarhead

Mit „Flags of Our Fathers“ (2006) hat auch Clint Eastwood – passend zum Irakkrieg – letztlich einen tragischen Heimkehrerfilm über Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges gedreht: „Viele Trottel glauben, sie wüssten was Krieg ist, besonders die, die nie einem waren.“ Nicht nur in den Combat-Anteilen gibt es strukturell und ästhetisch viele Anleihen bei Spielbergs Normandie-Film „Saving Private Ryan“ (1998). Ausgewählte US-Veteranen des Kampfes um die japanische Insel Iwo Jima werden nach dem Kampf vom Staat benutzt. Als aufgebaute Helden müssen sie eine PR-Kampagne für Kriegsanleihen durchstehen und die Flagge von Iwo Jima für das begeisterte Publikum erneut auf einem Felsen aus Pappmache aufstellen.

Beim genauen Hinsehen erkennt man, dass in diesem Werk die militärische Propagandainszenierung durchaus nicht konsequent dekonstruiert wird, wie oft zu lesen war. Das zweite Hissen der Flagge hat z.B. mit einem gestellten Foto zunächst gar nichts zu tun. Wundern muss man sich, wie ein Film mit so vielen Klischees hierzulande aus den berufenen Mündern bekannter Filmrezensenten so viel Lob einheischen konnte. Die Stimme aus dem Off, die immer auftaucht, wenn es „programmatisch“ wird, hat man offenbar nicht mehr gehört. Sie verkündet, dass es doch um Helden geht, aber eben um die wahren Helden:

„Helden sind etwas, das wir erschaffen und brauchen. Das hilft uns, zu verstehen, wie Menschen sich so für uns aufopfern konnten. […] Sie mögen für ihr Land gekämpft haben, aber sie starben für ihre Freunde, für den Mann vor ihnen, für den Mann neben ihnen. […] Wenn wir sie ehren wollen, sollten wir uns so an sie erinnern, wie sie wirklich waren.“

Am Ende steigen jubelnde US-Soldaten zum Schwimmen ins Meer, und spätestens jetzt ahnen wir, dass die Tragik so ernst nun doch nicht gemeint war. Veteranenfotos zeigen uns abschließend die historischen, echten Helden.

Im Doppelpack liefert der Regisseur mit „Letters From Iwo Jima“ (2006) auch gleich noch die japanische Perspektive des dargestellten Kampfes um die Insel mit, d.h. seine „japanische Perspektive“. Auch dafür gab es viel Lob. Doch was sollte verdienstvoll daran sein, ausgerechnet der japanischen Kaiserarmee – über einen integren, mit der US-Kultur bestens vertrauten General – im Gegenwartskino ein sehr menschliches Antlitz zu verpassen? (für eine weitere Remilitarisierung Japans könnte dergleichen natürlich gute Dienste leisten).

Vor dem Hintergrund der rassistischen, antiasiatischen US-Weltkriegsfilme wird man freilich manche Szene honorieren müssen. Auch der japanische Soldat ist ein Mensch, etwa ein jung verheirateter Bäcker, der lieber leckere Kuchen herstellt als in der Scheiße zu wühlen.

Die vielleicht bedeutsamste Szene des Werkes: Zwei Japaner ergeben sich im Vertrauen auf den hohen Moralstandard der US-Armee und werden kurz darauf wie lästiges Weggepäck „beseitigt“. Neu allerdings ist auch das im Weltkriegskanon nicht. Es gehört zur Traurigkeit der US-amerikanischen Unterhaltungskultur, dass ein im Alter so viel versprechender Filmkünstler wie Clint Eastwood seine Kräfte an das längst verbrauchte Kriegsfilmgenre verschwendet.

Herausgekommen ist der ewig alte Mist, garniert mit ein paar nonkonformen Details. Die neoliberale Filmökonomie ist einer der Hintergründe für die immer schaler und trister werdende Massenunterhaltung aus den USA; die gegenwärtige Ära des Krieges ist es nicht minder.

Ein Tag im Irak auf dem Bildschirm

Neben der sehr bald vom Kabelkanal FX wieder eingestellten Fernsehserie „Over There“ (USA 2005) hat es erstaunlich früh mit „American Soldier – A Day in Iraq“4 (Kanada 2005) eine weitere Fiktion über den endlosen Krieg der US-Soldaten im besetzten Irak gegeben. Der im Kriegsfilmgenre bewanderte Regisseur Sidney J. Furie zeigt in diesem Titel – abseits vom großen Kino – Soldaten der USA, die ein hohes Helferethos mitbringen und im Irak doch nur unentwegt mit Autobomben attackiert werden.

Eigentlich sind sie Katastrophenhelfer der National Guard, und von den Folterknechten der CIA halten sie gar nichts. Man lässt sie am Fließband sterben, und wieder muss Phraseologie den Sinn stiften: „Wir kämpfen nicht für den Irak, wir kämpfen für uns. … Wir haben getan, was zu tun ist. Wir sind Soldaten!“ Wer nicht weiß, dass Patriotismus und Identifikation mit „unseren Jungens“ auch für große Teile der US-Antikriegsbewegung obligat sind, wird nicht verstehen, warum dieses unerträgliche Machwerk in Wirklichkeit für US-Verhältnisse doch subversiv ist. Es konzentriert sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Protestes, auf die Angst vor dem neuen Vietnam: „Bring our brothers home!“

Home of The Brave I: Die unverstandenen Helfer im fernen Land

Nach solchen Vorgaben war offenbar auch die Zeit reif für einen Kinofilm zum Irakkrieg, der die kriegskritische Attitüde der US-Demokraten irgendwie aufgreift: „Home of The Brave“ (2006) von Irwin Winkler. Gedreht wurde dieser Titel zum Teil auch – mit königlicher und königlich-militärischer Unterstützung – im Mekka der US-Antiterrorkriegsfilmer, in Marokko. Der Abspann weist in der Danksagungsliste zwar ebenfalls einige einheimische Militärpersonen5 auf, jedoch keine offizielle Pentagon-Unterstützung.

Irak: Vom Feld kommt ein Mann mit einem toten Tier in den Armen; später werden wir wissen, dass der Kadaver mit einer Bombe präpariert ist. Orientalische Klänge, eine orientalische Stadt und eine Seitenstraße, an der Mauer ein angekratztes Saddam-Hussein-Bild.6 An anderem Ort macht sich eine US-Einheit, deren Heimkehr bald bevorsteht, auf zu einem humanitären Einsatz. Ein Medizinhilfsgütertransport muss begleitet werden: „Wir beweisen heute unser großes Herz gegenüber dem irakischen Volk!“ Einer der Soldaten verlässt sogar zum ersten Mal die militärisch gesicherte US-Zone.

Man ist unwillig: „Diese humanitären Einsätze kotzen mich an, da bringen wir uns alle nur unnötig in Gefahr.“ Tatsächlich gerät die Kolonne in einen Hinterhalt von Heckenschützen. Wie so oft kann Doc Will Marsh nicht mehr allen helfen. Im Flur des Terroristenhauses taucht plötzlich eine verschleierte Frau auf, und Jamal schießt. Eines der US-Fahrzeuge flüchtet in die uns vom Filmanfang her schon bekannte Seitenstraße: Ein irakischer Junge bringt mit seinem Handy das Tierpräparat zur Explosion. Die 24jährige US-Soldatin Vanessa Price verliert ihren rechten Arm. Auf dem irakischen Friedhof lauert bei der Verfolgungsjagd wieder ein Heckenschütze. Tommy verliert hier seinen besten Freund Jordan.

Home of The Brave II: „Der wahre Kampf beginnt Zuhause!“

Dieser Introitus hat eine ähnliche Funktion wie die Golfkriegsszenen in „Courage Under Fire“. „Home of The Brave“, so verspricht die Werbung, ist ein richtiger Heimkehrerfilm: „Der wahre Kampf beginnt Zuhause!“ In einer sehr komplexen und durchdachten Schnittfolge können wir das Geschick der uns schon bekannten Heimkehrer verfolgen.

Der Armee-Chirurg Will Marsh, ein Afro-Amerikaner, kommt in Washington mit seinem Leben nicht mehr klar. Er findet keine wirkliche Nähe mehr zu seiner Frau, die die letzten acht Monate in einer Hölle des Wartens verbracht hat. Er guckt nachts Sportsendungen, muss eine Operation abbrechen, säuft und reißt seinem aufmüpfigen Sohn einen Ring aus der Lippe. Nach häuslicher Gewalt und dem Griff zur Waffe kommt sein wahres Innenleben erst in einem Therapiegespräch zutage: „Ich fühle nichts mehr. Ich bin innerlich tot.“ Einmal hat er im Irak in drei Stunden sechs Arme und drei Beine amputiert, und es gab außer den Verstümmelten noch sechs Tote unter 20 Jahren (außerdem Schussdrohungen durch einen durchgedrehten Kameraden). Mit seiner Ohnmacht in solchen Situationen ist er nicht fertig geworden.

Tommy sehen wir daheim zuerst beim Militärbegräbnis für seinen Freund Jordan (während der irakische Friedhof Ort todbringender Heckenschützen war, ist jetzt der US-Friedhof Ort der Trauer). Tommy sieht verändert aus, als wenn er durch andere hindurch sieht: „trauriger vielleicht“. Unter den Sachen des toten Freundes befindet sich ein „Auge Gottes“, das Geschenk eines arabischen Kindes: „Nein, nicht alle hassen uns!“ Tommys Arbeitgeber, ein Waffenverkäufer, hat seine Stelle nicht freigehalten und fragt:

„Ist das wirklich okay? Ich will nicht, dass du durchdrehst, auf mich losgehst oder so. Wie war’s denn eigentlich so? Hast du auf jemanden geschossen, so richtig abgeknallt? […] Komm doch mal wieder vorbei. Ihr Jungs von der Army kriegt zehn Prozent.“

Vanessa Price kehrt mit einer Armprothese ins Zivilleben zurück, in eine fremde Welt, in der sie niemand versteht. Die Angehörigen empfangen sie mit einer erdrückenden Freundlichkeit. Ein patriotisches College stellt sie als Sportlehrerin ein. Einem Kollegen, der mit ihr flirten will, unterstellt sie Mitleidsabsichten. Die behandelnde Ärztin betrachtet sie als undankbare Patientin. Ihrem kleinen Sohn erklärt Vanessa, dass er keine Schuld trägt an ihren Stimmungsschwankungen: „Mammi ist manchmal so traurig.“

Mit dem Schicksal von Jamal werden die Zuschauer nur am Rande vertraut gemacht. In der Therapiegruppe kommen ihm innere Bilder von seinem Schuss auf eine irakische Zivilistin. Doch nach außen hin wehrt er alles Gerede über seelische Befindlichkeiten ab und verhöhnt einen Vietnamveteranen, der noch nach 30 Jahren zur Gruppe kommt. Tatsächlich bekommt Jamal bei seinem Kampf gegen die bürokratischen Windmühlen der Veteranenbetreuung auch gar keine sozialarbeiterische Hilfe. Am Arbeitsplatz seiner ehemaligen Freundin veranstaltet er nach einer Abfuhr eine bewaffnete Geiselnahme. Kriegskamerad Tommy, von der Polizei herbeigerufen, kann ihn zur Vernunft bringen. Doch als Jamal gerade seine Waffe übergeben will, wird er von Polizeischarfschützen erschossen.

Home of The Brave III: „Wann hat sich Amerika dafür entschieden, die ganze Welt gegen sich aufzuhetzen?“

Auch in einem Spielfilm könnte man die Argumente der US-Antikriegsbewegung zu Wort kommen lassen. Man müsste nur die „Nationale Sicherheitsdoktrin“ oder Paul Wolfowitz zitieren, um den Ölhintergrund von antiislamischem Kulturkampf und US-Kriegen offen zu legen.7 Inzwischen üben die USA starken Druck auf die irakische Regierung aus, um eine ihnen genehme Gesetzesregelung zur nationalen Ölförderung zu erwirken.

Der Drehbuchschreiber von „Home of The Brave“ geht einen anderen Weg. Er lässt den pubertär-aufmüpfigen Sohn von Will Marsh aussprechen, was viele andere Altersgenossen auch denken: „Gib doch zu, wir sind nur wegen dem Öl da. Wann hat sich eigentlich Amerika dafür entschieden, die ganze Welt gegen sich aufzuhetzen?“ Der Vater bemüht sich als guter Demokrat immerhin, die Antikriegshaltung des Sohnes zu akzeptieren, und verteidigt diesen sogar, als der Schuldirektor ein T-Shirt mit Anti-Bush-Botschaft zum Anlass für einen Krisensitzung nimmt. Doch es bleibt kein Zweifel: Der Sohnemann ist gar nicht nur prinzipiell gegen den Irak-Krieg, sondern vor allem auch deshalb, weil sein Vater da mitgemacht hat.

Die Antwort auf die offene Frage nach dem Ansehen der USA erfolgt an anderer Stelle. Tommy, der nachts oft nicht schlafen kann und dann vor dem Fernseher sitzt, hat letztens in seinem Lieblingssender „History Channel“ um 4 Uhr morgens eine Sondersendung über den D-Day und die Normandie gesehen. Er erzählt später Vanessa, was man in den französischen Städtchen nach der Befreiung alles gemacht hat: „dass die Leute die Amerikaner und die alliierten Soldaten geliebt haben, Statuen von Eisenhower [aufgestellt haben] und Gedenktafeln, auf denen sie den Amerikanern danken.

Ich weiß nicht, ich würde gerne wissen, was, wenn wir in zehn, fünfzehn Jahren mal wieder im Irak sind? Meinst du, da stehen dann auch Statuen und Gedenktafeln, mit denen uns gedankt wird? Wir haben sie gerettet. Wir haben sie befreit.“ Deutlicher als mit einem solchen Zitat kann man wohl nicht mehr illustrieren, wie weit der Realitätsverlust in der US-Unterhaltungsindustrie vorangeschritten ist.

Home of The Brave IV: Warum Tommy zurück in den Irak geht

Bei Doc Will Marsh und Sportlehrerin Vanessa Price scheint es zum Schluss des Films eine neue Perspektive für das Leben in den USA zu geben: eine neue Liebe und ein mit therapeutischer Hilfe wieder gefundenes Familienglück (die freundliche Wende des trotzig politisierenden Sohnes inbegriffen). Tommy dagegen verabschiedet sich von seiner Familie und kehrt als US-Soldat wieder in den Irak zurück. Zu den Schlussbildern hören wir aus dem Off die lange Botschaft seines Briefes an die Eltern. Und weil diese Botschaft so unglaublich und mit der zentralen Botschaft des Films deckungsgleich ist, soll sie hier ungekürzt zur Lektüre angeboten werden:

„Liebe Eltern, ich weiß, Ihr versteht nicht, warum ich mich wieder hab’ anwerben lassen. Das ist für alle verwirrend und beängstigend. Aber ich muss zurück. Ich will nicht sterben. Gordon wollte auch nicht sterben. Vielleicht wussten wir beim ersten Mal nicht, worauf wir uns da einlassen. Vielleicht wusste unsere Regierung auch nicht, worauf sie sich einlässt. Vielleicht wollen die Leute nicht, dass wir da sind. Vielleicht macht es das alles nur noch schlimmer. Aber trotzdem, ich kann nicht hier bleiben, wenn ich weiß, dass da drüben Soldaten sind, die jeden Tag angegriffen werden und sterben. Ich glaube nicht, dass das falsch ist, wenn ich dorthin zurückgehe und ihnen helfe.

Soldat zu sein, ist eine harte Aufgabe, nicht nur für Menschen wie mich, sondern auch für die, die wir zurücklassen …, euch beide, Freunde, Kinder, Ehemänner, Frauen. Bei uns allen hinterlässt der Krieg Narben. Aber ich weiß, wenn ich meinen Teil dazu beitrage, kommen wir da vielleicht alle raus und können wieder zurück zu den Menschen, die wir lieben. Ich hoffe, Ihr könnt es irgendwie verstehen. Für mich ist das alles vollkommen logisch. DAS SIND MEINE LEUTE. Und ich brauche sie, genauso wie sie mich brauchen. Ich will gar nicht toll oder mutig sein. Aber würde ich nicht gehen, würde ich Gordon im Stich lassen und Jamal und alle, die ihr Leben gelassen haben, und das wäre noch schlimmer als nie wieder nach Hause zu kommen. Ich weiß, Ihr seid nicht glücklich darüber; aber ich weiß auch, dass Ihr mich liebt. Ich gehe dorthin zurück, und ich will meine Sache so gut wie möglich machen und so schnell wie möglich wieder bei Euch sein. Betet für mich.“

Vergessen ist hier längst, dass Tommy vor diesem mutigen Entschluss von der Freundin verlassen worden ist, als Popcorn-Verkäufer im Kino arbeiten musste und wegen seiner therapeutischen Bedürftigkeit den Weg in eine angebotene Stelle bei der Polizei gescheut hat. So ist das eben mit Sachen, die man einmal angefangen hat. Das verkündet auch der Abspann: „Wars begin where you will, but they do not end where you please.“ (Machiavelli) Schlimmer dran als die toten Soldaten, so hören es alle potentiellen Deserteure, sind die Verräter der Kameraden, all jene also, die sich mit Widersprüchen nicht so leicht abfinden wie Tommy und die nicht mehr kämpfen wollen.

Die Zahl der allein im Irakkrieg gestorbenen US-Militärangehörigen nähert sich der 4.000-Marke. Eine breite Bewegung kümmert sich verdienstvoll um das Opfergedenken. Niemand jedoch zählt die toten Söldner, die für Vertragsfirmen des US-amerikanischen oder britischen Staates gearbeitet haben. Söldner sind letztlich die komfortableren Kämpfer, denn für sie ist noch kein internationales Kriegsrecht geschrieben worden und auch ihr Tod bleibt eine Privatangelegenheit.

Falludscha, oder: Das Tabu der Täterschaft

Glorreiche Heldenepen über die US-Schlachten im Irak, denen weder Traurigkeit noch Tragik beigemischt ist, haben angesichts der betrüblichen Entwicklung noch keinen Weg zur Kinoleinwand gefunden. Bereits Ende 2004 kursierten im Internet Meldungen über ein Filmprojekt „No True Glory: The Battle For Falluja“ nach einer Buchvorlage des Kriegskorrespondenten und Ex-Marines Bing West. Leider muss man – einem Eintrag in der „Internet Movie Database“ zufolge – für 2008 noch immer mit diesem Opus rechnen. Eine unbequeme Darstellungsweise darf man dabei wohl kaum erwarten.

Wir wünschen es derweil allzu sehr, dass die mächtige Unterhaltungsindustrie Werke hervorbringt, die einer glaubwürdigen Kritik des Krieges zum Ausdruck verhelfen. Deshalb ist es irgendwie verständlich, dass selbst intelligente Menschen immer wieder eine solche Tendenz in US-amerikanische Kriegsfilme hineindeuten. Doch wer von den kommerziellen Bilderfabriken der Gegenwart ernsthafte Attacken auf das Weltunordnungsprogramm „Krieg“ erhofft oder einen realistischen Einblick in die Welt der Kriegsprofiteure oder ein Werk über die Opfer der abgereicherten Uranmunition oder gar einen Film unter der Regie eines waschechten Pazifisten …, ist naiv.

Die kleinen, unabhängigen Ansätze zu einer Gegenkultur sind rar und bei uns wenig bekannt. Da gibt es z.B. gerade zur Schlacht um Falludscha mit "Caught in the Crossfire" von ungenannten US-amerikanischen und irakischen Filmemachern schon seit 2005 einen kleinen, aber beachtenswerten Beitrag. Vermittelt wird zumindest eine Ahnung davon, mit welchen Lügen die westliche Kultur zu leben bereit ist und wie sich alles aus der Perspektive der Bewohner einer zusammengebombten Stadt anhört.

Die Suche nach kritischen Dokumentarfilmen dieser Art erleichtert eine eigene Website. Immer wieder lesen wir Meldungen darüber, wie die US-Justiz Morde von US-Soldaten in fremden Ländern sehr nachsichtig wie „schlechtes Benehmen“ abhandelt (auch hier drängen sich Vergleiche zu Vietnam auf). In "Soldiers speak out" von Barbara Trent und David Kasper kommen US-Veteranen zu Wort, die heute davon berichten, dass man sie als Killer trainiert und zur Beteiligung an „einem kriminellen und unmoralischen Krieg“ in den Irak geschickt hat, US-Bürger, die bereuen, dass sie im Rahmen der Sicherheitsstrategie einer technologisch überlegenen Armee viele unbewaffnete Zivilisten getötet haben. Wir sollten zugeben, dass wir herzlich wenig wissen von dem, was im dritten Jahrtausend in Afghanistan oder im Irak wirklich geschehen ist und noch immer geschieht.

Eine persönliche Erklärung zum populistischen „Antiamerikanismus“

Erstaunlicher Weise gibt es auch bei uns im Mainstreaming der Medien immer wieder – in Intervallen – phantastisch gute Nachrichten über die Entwicklung in Afghanistan oder im Irak. Es fällt schwer, dies nicht als Erfolgsprodukt jener global agierenden PR-Maschinerie zu deuten, die man euphemistisch auch „Public Diplomacy“ oder „Global Communication“ nennt.8 Gleichzeitig jedoch sind der Berichterstattung fast obligat „amerikakritische“ Informationsangebote beigesellt, bisweilen auch Hinweise auf meine Arbeiten als Kriegsfilmforscher.

Dass die USA an allem Unheil der Welt die Schuld tragen, kann man inzwischen wohl in jedem CDU-Ortsverein zu hören bekommen. In meinen eigenen Veröffentlichungen übe ich seit Jahren scharfe Kritik an der militarisierten US-Massenkultur. Ich teile auch die auf Präsident Eisenhower zurückgehende Einschätzung, dass sich in den USA sehr bald nach dem Zweiten Weltkrieg ein mit Demokratie unvereinbarer politisch-ökonomischer Kriegskomplex herausgebildet hat (dieser verbrecherische Komplex ist seit 1991 verantwortlich für vermutlich deutlich mehr als 2 Millionen Tote allein im Irak).

Mit diesem Ausgangspunkt sehe ich jedoch Anlass zur Abgrenzung vom kursierenden populistischen „Antiamerikanismus“. Dieser hat nämlich eine deutlich erkennbare Verschleierungsfunktion. Man informiert uns nur peripher über die europäischen oder speziell deutschen Beihilfen zu den US-Kriegen. Man verschweigt, dass auch bei uns ökonomische Zielvorgaben in neuen Militärdoktrinen auftauchen, die Rüstungsexporte drastisch steigen und Konzerne in der EU enorme Kriegsgewinne einfahren.

Antibushistische Artikel sind heute leicht zu schreiben und zu veröffentlichen, wenn sie nicht mit analogen Beobachtungen zur nahen Politik einhergehen und obendrein für Ende 2008 wieder schöne Weltverhältnisse prophezeien. Populistischer „Antiamerikanismus“ ist – darüber hinaus – auch jener Horizont, der uns nicht in Kontakt bringt mit den US-Amerikanern „unten“, mit der US-Kultur abseits vom Konzernsortiment und mit dem erstaunlich breiten Widerstandsspektrum in den Vereinigten Staaten, das zeitgleich mit der Berliner Demonstration gegen den Afghanistan-Krieg am 15. September einen Marsch auf Washington unternehmen wird. Einem solchen „Antiamerikanismus“ zuzuarbeiten, liegt mir sehr fern. Zusammen mit pazifistischen Freunden spiele ich für US-amerikanische und deutsche Soldaten gleichermaßen den Blues. Aus den Vereinigten Staaten kommen nicht nur Hollywoodgefühle!