Onleihe nur für Microsoft-User

Als könnte man die Tagesschau nur mit dem Fernseher empfangen, dessen Hersteller die Sendung sponsort

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Die Stadtbüchereien von Hamburg, Würzburg, Köln und München haben sich mit dem privaten Dienstleister DiViBib zusammengeschlossen um Medien per Download zu verleihen. Diese "Onleihe" ist das erste Projekt seiner Art in ganz Europa. Sie verwenden für die Ausleihe von Mediendaten das Windows Media Format, mit zusätzlichem Digital Rights Management (DRM) und einem digitalen Wasserzeichen, in das die Benutzernummer eingearbeitet ist.

Dieses DRM-WMF ist proprietär und derzeit weder auf Apple noch auf GNU/Linux portiert. Die Projektbetreiber argumentieren, dass das System ja „nur” die Apple- und GNU/Linux-User nicht bedienen würde, also maximal ein paar Prozent der Benutzer dies nicht nutzen können. Aber das ist Unsinn. Gerade von der jugendlichen Zielgruppe, die die Büchereien mit dem Angebot besonders ansprechen wollen, geht es weniger um Rechner, als um MP3-Player. Und da sieht das schon ganz anders aus: im Januar hatte der iPod 28 Prozent Marktanteil. Das heißt fast ein Drittel der Besitzer von MP3-Playern kann diese Dateien nicht benutzen – praktisch für Microsoft, die Ende des Jahres den Musikplayer Zune in Deutschland auf den Markt bringen.

Das ist der Karren, vor den sich diese vier Stadtbüchereien gerade dankbar haben spannen lassen. Die dazugehörige Karotte war, dass Microsoft sein DRM kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Wie aber verträgt sich das mit der Hauptaufgabe der Büchereien, der Grundversorgung aller Schichten der Bevölkerung mit Literatur und anderen Medien?

Die digitale imitiert die Einschränkungen der analogen Ausleihe

Seit dem 25.07.2007 können auch Benutzer der Münchner Stadtbücherei „onleihen”. Bis jetzt ist das Programm aus verschiedenen Gründen eher schmal. Im e-book Bereich finden sich auch Magazine - als Flaggschiff der „Spiegel”. Bis Mitte August verzeichnete die Bücherei, die mit 11 Millionen Ausleihen jährlich eine Spitzenposition unter den deutschen öffentlichen Bibliotheken einnimmt, respektable 80.000 Downloads. Die digitalen Medien haben also die öffentlichen Büchereien erreicht. Aber damit auch alle Probleme, die diese Formate mit sich bringen: Jenseits aller Probleme mit dem Kopierschutz, wie man ihn von den kommerziellen Verkaufsportalen her ja bis zum Abwinken kennt, haben die Bibliotheken zusätzliche Probleme. Zwei sind besonders erwähnenswert:

Erstens: Die digitale Ausleihe muss so tun, als handle es sich bei dem Download um eine tatsächliche CD, DVD, ein Buch oder eine Zeitschrift: Konkret heißt das, wenn die Bücherei fünf Abonements des "Spiegel" gekauft hat, dann können maximal fünf Exemplare gleichzeitig ausgeliehen werden. Das ist zuhause nich anders als in den Lesesälen. Dort ist die elektronische Wiedergabe von Literatur an Lesegeräten (sprich Computern) auf genau die Anzahl von Exemplaren beschränkt, in der das betreffende Werk in Papierform vorhanden ist. Wenn es nur ein Exemplar von einem Buch gibt, darf es auch nur auf einem Bildschirm betrachtet werden (Vgl. Der Gerechtigkeit einen Korb geben).

Zweitens:Die Verlagslobby setzte durch, dass auch elektronische Ausleihen ein digitales Verfallsdatum bekommen. Das heißt eine „ausgeliehene” PDF-Datei kann man nur einen Tag lang öffnen, Musikdateien bleiben eine Woche lang spielbar. Die digitale Form sorgt dafür, dass Inhalte schneller dahin kommen, wo sie gebraucht werden - zu Leuten, die eben nicht einfach mal schnell in die Bücherei gehen können, zum Beispiel in Krankenhäusern, Altenheimen, aber auch in Kinderzimmern. Auf diesem Weg so zu tun, als wäre eine PDF-Datei ein reales Buch, ist albern. Die „Onleihe“ ähnelt dadurch im Augenblick einer Puppenstubenbibliothek.

Was gibts umsonst?

Die digitale Ausleihfrist wurde mit dem bereits eingangs erwähnten DRM-System umgesetzt. Solche Systeme gibt es unter anderem von Microsoft und von Apple. Im Open-Source-Bereich ist dagegen umstritten, inwieweit Rechteeinschränkungen für die Benutzer funktionieren sollen und können. Microsoft hat sein System kostenlos zur Verfügung gestellt, Apple hätte dagegen 50.000 Euro verlangt, erzählt Ernst Zimmermann, der Fachreferent der Münchner Onleihe. Laut Hansjörg Stark, einem anderen Vertreter der Münchner Stadtbibliothek, wollte Apple sein "DRMS" nicht für die "Nutzung durch Dritte" freigeben. Deshalb werden alle graphischen Daten als Adobe PDF und alle Mediendaten als Window Media Files (WMF) ausgeliefert.

Während sich aber die DRM-PDFs wenigstens auf MacOS öffnen lassen, funktioniert das Microsoft-System weder auf GNU/Linux noch auf Apple - und damit auch nicht auf iPods. Diese Tatsache ist unter anderem deshalb von besonderem Interesse, weil die EU-Kommission vor allem wegen der Monopolisierungstendenzen im Medienbereich gegen Microsoft Rekordstrafen verhängte.

Hinzu kommt, dass ausgerechnet die Stadt München 2003 beschloss, den Anbieter aus Redmond den Rücken zu kehren und die ganze Stadtverwaltung auf GNU/Linux bzw. "LiMux" umzustellen - obwohl Microsoft-CEO Balmer extra seinen Skiurlaub unterbrochen hatte, um ein persönliches Gespräch mit Oberbürgermeister Ude zu führen. Ernst Zimmermann erklärt dazu:

„Es war nicht leicht mit unserem Projekt durch den Stadtrat zu kommen, der natürlich auch diesen Widerspruch gesehen hat. Nur ist das Projekt kein rein münchnerisches, sondern eines der Bibliotheken Hamburg, Köln, Würzburg und München mit einem privatwirtschaftlichen Dienstleister. Unsere Alternativen waren lediglich, entweder das Projekt in dieser Form anzugehen, also mit Microsoft/Adobe zu starten, oder gar nicht.

Hätte der Stadtrat nicht zugestimmt, wäre München aus dem Pilotprojekt zwangsweise ausgestiegen (worden) und die Virtuelle Münchner Stadtbibliothek hätte auf absehbare Zeit überhaupt nicht an den Start gehen können, da in den anderen Städten die Open-Source-Problematik überhaupt keine Rolle gespielt hat und eine technische Realisierung in Eigenarbeit an den Münchner Ressourcen gescheitert wäre. Wir versuchen unter dem Druck Münchens als Projektteilnehmer später Verbesserungen in Richtung andere Plattformen zu erreichen.”

Realistisch ist das in absehbarer Zukunft nicht, auch wenn Zimmermann erzählt, dass man im Apple Hauptquartier in Cupertino das Projekt recht genau beobachtet. Dass das Thema die anderen Städte scheinbar gar nicht erst interessiert, mag in der Betriebsblindheit von Verwaltungskräften liegen; bei so viel Bevorzugung eines Konzern durch eine öffentliche Einrichtung sollten aber bei den verantwortlichen Politikern die Alarmsirenen zu läuten anfangen.