Ausländerjagd in Deutschland

Überfälle mit rechtsextremen Hintergrund provozieren immer wieder gleiche Reflexe. Eine Debatte um die Ursachen der politischen Gewalt findet nicht statt

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Da ist sie also wieder, die Forderung nach einem Verbot der neofaschistischen NPD. Der Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck dürfte nur aus einem Grund derart angeregt debattiert werden: Weil er die übrigen Vorschläge aus den Reihen der sogenannten Volksparteien an Dilettantismus und Realitätsferne bei weitem übertrifft. Und das will etwas heißen, in Zeiten, in denen der Kampf gegen neofaschistische Gewalt zum PR-Thema für absteigende Volksvertreter geworden ist.

Wenige Tage nach dem rassistisch motivierten Überfall auf acht Inder im sächsischen Mügeln hat der Pfälzer Beck das Thema wieder ganz oben auf die politische Tagesordnung der Berliner Republik gesetzt. Zwar dürfte ihm klar gewesen sein, dass ein Verbotsverfahren zum Scheitern verurteilt ist. Schon 2003 war ein entsprechender Versuch schließlich im Sande verlaufen, weil der Verfassungsschutz zu viele V-Leute in der neofaschistischen Partei platziert hatte. Oder die NPD im Verfassungsschutz - so klar ist das bis heute nicht. Doch sinnlos war der Vorstoß aus der Sicht des Initiators nicht. Wieder einmal ist rechte Gewalt zu einer PR-Kampagne für die verantwortlichen Parteien genutzt worden. Nicht nur von der SPD, die PR-Kampagnen in diesen Tagen sehr nötig hat.

Falsche Rezepte

Aus allen Richtungen kamen nach der Hetzjagd auf die Inder vermeintlich gut gemeinte Ratschläge. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz etwa will die Zuständigkeit für die Bekämpfung des Rechtsextremismus vom Familien- in das Innenministerium verlegen, um die Rechten zittern zu lassen.

Wenn ein Systemadministrator den Fehler in einem Computerprogramm nicht findet, guckt er seinen Kunden wissend an und verkündet in bedeutungsschwanderem Ton, das Programm upzudaten. Weiß ein Politiker nicht weiter, fordert er, wie Wiefelspütz Ende vergangener Woche:

Wir brauchen eine Gesamtstrategie.

Dieter Wiefelspütz (SPD)

Schließlich sei es „fünf vor zwölf“, erklärte der Sozialdemokrat weiter, um der Bundesregierung des ernsthaften Willen abzusprechen gegen Rechte vorzugehen. Wiefelspütz muss in diesem Moment vergessen haben, dass seine eigene Partei in der Regierung sitzt.

Andere "Spitzenpolitiker" waren da geistesgegenwärtiger. Wiefelspütz' SPD-Genosse und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee nutzte den Überfall auf die Inder, um Parteipolitik zu machen. Er warf der CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen vor, in der Bekämpfung der Rechten versagt zu haben. Seine Kabinettskollegin habe offenbar Fehler bei der Förderung von Programmen gegen Rechts begangen.

Natürlich meldeten sich auch wieder Abgeordnete aus der dritten Reihe zu Wort. Eine CDU-Bundestagspolitikerin mit dem Namen Kristina Köhler ("Fachpolitikerin für Islam, Integration und Extremismus") meldete sich mit dem Vorschlag zu Wort, "(Re-)Integrationskurse für Rechtsextremisten" anzubieten. Dies, so Köhler, sei dann endlich ein "notwendiger Paradigmenwechsel in der Extremismusbekämpfung".

Und schließlich preschten die Extremisten vor, die sich der Bekämpfung des Extremismus verschrieben haben. In seiner wöchentlichen Kolumne bei Radio Eins forderte der Journalist Henryk Broder:

Ich würde erst einmal den ganzen Repressionsapparat zum Einsatz bringen.

Henryk Broder

Zudem, so Broder, solle für Ostdeutschland eine Reisewarnung ausgesprochen werden "wie für Jemen, den Irak oder den Gazastreifen". Denn erst wenn keine Touristen mehr in den Osten kämen und das Geld ausbliebe, würde man sich dort eines Besseren besinnen.

Als Nazi geboren?

Alle diese mehr oder weniger belustigenden Vorschläge eint eine Sache: Sie gehen auf die Ursachen des Rechtsradikalismus nicht ein. Wenn Broder die Ostdeutschen unterschwellig als geborene Nazis darstellt, weil in den neuen Bundesländern - statistisch belegt - eine Häufung rechter Gewalt zu verzeichnen ist, missachtet er die sozialen Ursachen. Nicht ohne Grund verzeichnet die neofaschistische NPD gerade in den Gegenden die größten Erfolge, in denen der weitreichendste soziale Kahlschlag stattgefunden hat. Und das war nach 1989 nun einmal vor allem in Ostdeutschland.

Stephan Articus, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, mitnichten eine linke Organisation, hat auf die soziale Komponente bei Rechtsextremismusproblem hingewiesen. Zwar hätten Bund, Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren mehr als 4000 Projekte gegen rechte Gewalt gefördert. Das Dilemma aber sei der Rückzug des Staates aus seiner gesellschaftlichen Verantwortung. Dieses Feld werde in manchen Regionen dann zunehmend von rechtsextremen Organisationen besetzt, so Articus. Jugendclubs, Sportvereine, Stammtische - die Neofaschisten bieten der Jugend, was der neoliberale Staat ihr verweigert: eine Perspektive. Nicht nur in Ostdeutschland, aber vor allem dort.

Im Westen hingegen ist es weniger die soziale Katastrophe, die Rechtsradikalismus fördert, sondern die Angst der dort bestehenden Mittelschicht, ihren Status zu verlieren. Historisch haben in den alten Bundesländern rechtsextreme Gruppen wie die DVU mit Sozialneid und Ausländerhass mobilisieren können. Im Prinzip gleichen sich beide Phänomene in Ost und West. Während die einen von sozialen Zerfall der Gesellschaft betroffen sind, fühlen sich die anderen von ihm bedroht und treten nach unten.

Wie müsste "Gesamtstrategie" gegen Rechts also aussehen? Einzige Möglichkeit ist eine Sozial- und Wirtschaftspolitik, die allen Teilen der Gesellschaft eine Perspektive bietet. Weil das aber in Zeiten des neoliberalen Konsens' nicht denkbar ist, werden wir von den Regierungskräften und -anwärtern weiter politische Placebos angeboten bekommen.

Im besten Fall. Im Normalfall werden die so genannten Volksparteien den Rechten zuspielen. Als Hessens Ministerpräsident Roland Koch 1999 in den Landeswahlkampf zog, machte er eine Unterschriftenkampagne gegen den Beitritt der Türkei zur EU zum zentralen Bestandteil seiner Kampagne - durchaus mit Erfolg. Die Frage, mit denen sich die potentiellen Koch-Wähler an den Infotischen meldeten, machte damals Schlagzeilen: "Kann ich hier gegen die Türken unterschreiben?"