Phishing für die Sicherheit?

Das Bundesinnenministerium will nicht von seiner Idee lassen, online auf Rechnern zu schnüffeln - die Reaktionen sind entsprechend

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Trotz massiver Kritik werden im Bundesinnenministerium offensichtlich weiter Pläne verfolgt, heimlich Zugriff auf Rechner zu bekommen. Verschiedene Zeitungen berichten, das Bundesinnenministerium plane sogar eine bislang nicht bekannte Variante: „In Ausnahmefällen“ solle es möglich sein, E-Mails im Namen einer anderen Behörde zu versenden. Solche Nachrichten könne die Polizei theoretisch im Namen einer anderen Behörde verschicken oder sie in Absprache mit anderen Behörden manipulieren, heißt es.

Die Reaktionen sind entsprechend. In der Linksfraktion ist von einer „Variante wie ein billiger Phishing-Betrüger“ die Rede. Die Behörde führe sich auf wie ein Verbrecher, der durchs Schlüsselloch guckt, sagt Mark Seibert aus dem Büro von MdB Jan Korte. Auch von der FDP kommt Kritik:

Sollte es zutreffen, dass im Innenministerium die Versendung von Trojanern über authentische Emailadressen anderer Behörden geplant wird, so ist dies ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Es widerspricht der Transparenz staatlichen Handelns, wenn die handelnde Behörde sich hinter einer anderen Behörde versteckt. Schon mit der Möglichkeit, Trojaner über alle Behördenmailadressen zu versenden, wird das Vertrauen in die Strukturen des mühsam aufgebauten E-Governements untergraben.

Giesela Piltz, innenpolitische Sprecherin der Fraktion
Der Aufkleber an einem Haus in Freiburg mag einem im ersten Moment falsch und überzogen vorkommen, bei näherem Hinsehen ist er es allerdings nicht. Foto: Frank Berno Timm

Deutlich wird auch Wolfgang Wieland (B90/Die Grünen):

Wer Behördenpost als Träger von Spionageprogrammen einsetzt, untergräbt das Vertrauen in staatliche Emails. Die Bürgerinnen und Bürger werden sehr bald staatlichen Online-Angeboten misstrauen und z.B. ihre Steuererklärung nicht mehr online erledigen wollen.
Auf diese Weise wird das Projekt „Bund Online“ zum Projekt „Überwachung Online“. Das ist zynisch und kontraproduktiv.
Wer hofft, dass Terroristen, die das konspirative Arbeiten ja gewohnt sind, sich auf diese Weise foppen lassen ist naiv. Bundestrojaner als Email-Anhang sind in etwa so unauffällig wie Personenbeschattung mit Schlapphut, Sonnenbrille und grauem Trenchcoat.

Regierungsfraktionen uneinheitlich

In der SPD-Fraktion wird auf eine Stellungnahme von Dieter Wiefelspütz verwiesen, der klargestellt habe, dass es vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Entscheidung geben werde.

Hans-Peter Uhl (CSU), früher Münchner Kreisverwaltungsreferent und heute in der CDU/CSU-Fraktion für das Thema zuständig, stellt in fast scharfem Ton klar, es gehe um internationalen Terrorismus: „Wir reden von Bomben und Toten.“ Es sei klar, dass das Internet eine Tatvorbereitungswaffe geworden sei, und man müsse fortsetzen, was die rotgrüne Bundesregierung begonnen habe. Online-Durchsuchung per vom Staatssekretär unterzeichneter Dienstanweisung sei allerdings rechtlich nicht tragfähig, es gehe nun darum, eine juristisch tragfähige Form zu schaffen: „Daran arbeiten wir“, so Uhl gegenüber Telepolis.

Die Frage ist allerdings, ob Onlinedurchsuchungen nicht längst üblich sind. Bei den Grünen wird das bezweifelt. In der Fraktion heißt es, im Zuge einer ganzen Reihe von Sitzungen im Innenausschuss sei klar geworden, dass die technische Realisierung von Onlinedurchsuchungen noch in den Kinderschuhen stecke. Bedenklich findet man dort aber die Tendenz, eine Polizeibehörde wie das BKA mit nachrichtendienstlichen Mitteln auszustatten.

Bundesdatenschutzbeauftragter: Absolute Ablehnung

Die Idee, Behördenmails unter falscher Identität zu verschicken, wird beim Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit „absolut abgelehnt“, sagt Behördensprecher Dietmar Müller auf Anfrage von Telepolis. Empfänger müssten sich sicher sein, dass Mails auch von der Behörde stammten, die im Absender genannt seien, fügt er hinzu. Anzeichen für heimliche Durchsuchungen sieht Müller ebenfalls nicht: Es habe im Frühsommer ja die Theorie gegeben, dass Onlinedurchsuchungen bereits zulässig seien; dann habe sich herausgestellt, dass die Möglichkeiten nicht genutzt wurden, so Müller.

Bliebe noch die Frage, wie das Bundesinnenministerium (BMI) selbst nach derlei scharfer Kritik an den beschriebenen Plänen festhält. Das Ministerium erklärt auf eine E-Mail-Anfrage mit einem umfangreichen Fragenkatalog, das Gesamtthema Online-Durchsuchungen werde derzeit auf Arbeitsebene der Ministerien diskutiert und im parlamentarischen Raum vorgestellt. Und dann heißt es wörtlich: „Wenn es einen Status erreicht hat, den wir mit der Öffentlichkeit teilen wollen, werden wir dies tun.“