Haben wir bald zwei Dalai-Lamas?

China macht's möglich: Reinkarnation von Amts wegen

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Die spinnen, die Chinesen. Natürlich nicht alle, sondern die, die in der Volksrepublik das Sagen haben. Dort tritt nämlich nach einem Bericht des US-Magazins „Newsweek“ im kommenden Monat tatsächlich ein Gesetz in Kraft, das die Wiedergeburt ohne staatliche Erlaubnis untersagt. Und, wie es in einer offiziellen Erklärung heißt, sei diese Bestimmung ein wichtiger Schritt, das Management der Reinkarnation zu institutionalisieren.

Auf eine staatlich geregelte Wiedergeburt muss man natürlich erst einmal kommen. Und in der Liste der absurdesten bürokratischen Regelungen nimmt dieses Gesetz ohne Zweifel einen der vordersten Plätze ein, noch weit vor der EU-Konfitürenverordnung, die seit 1982 das Wort „Marmelade“ nur für entsprechend verarbeitete Zitrusfrüchte zulässt – auf Initiative Großbritanniens übrigens. Aber die Engländer, wusste schon Asterix, spinnen ja bekanntlich auch.

Doch völlig versponnen ist die Reinkarnation von Amts wegen leider nicht. Das Gesetz erlaubt Wiedergeburten nämlich nur auf den Boden Chinas, also auch auf dem Tibets. Buddhisten, die außerhalb der Volksrepublik wiedergeboren werden, werden also nicht vom Staat anerkannt. Was ihnen ja eigentlich egal sein könnte. Doch betroffen davon ist auch die Wahl des nächsten Dalai-Lama, die durch dieses Gesetz erheblich eingeschränkt, ja, beeinflusst wird. Da der jetzige im Exil in Indien lebt, von dort aus die tibetanische Exil-Regierung führt, würde mit höchster Wahrscheinlichkeit sein Nachfolger außerhalb Chinas wiedergeboren. Oder genauer gesagt: von dem dafür zuständigen Mönch-Gremium ausgewählt werden.

Wie solch eine Wahl vonstatten geht, wird in Wikipedia beschrieben. Die Wahl geschieht durch eine hochrangige, von der Ordensführung autorisierte Findungskommission. Beispielsweise wurde der vierzehnte Dalai-Lama von mehreren Mönchen gefunden, die Familien mit Kleinkindern im Land aufsuchten, bei deren Geburt sich besondere Zeichen gezeigt haben sollen (als besondere Zeichen gelten etwa ungewöhnliche Träume der Eltern, ungewöhnliche Fähigkeiten des Kindes oder Regenbögen). Die Mönche stellten den Kleinkindern mehrere Aufgaben, um herauszufinden, welches von ihnen der wiedergeborene Dalai-Lama sei.

Das klingt zwar für Nicht-Buddhisten auch arg absurd, ist aber nun einmal seit dem 16. Jahrhundert Tradition. Genau die ist also nun bedroht. Und wenn die chinesische Regierung nach dem Tod des jetzigen Dalai-Lamas seinen Nachfolger mit auswählt oder ganz allein bestimmt, dann wird es wohl zum ersten Mal zwei geben, einen von Amts wegen und einen nach dem Willen der im Exil lebenden tibetanischen Mönche. Die spinnen also doch nicht, die Chinesen. Nein, ihre Regierung handelt nur nach schlechter alter Diktaturenart.