Deutschland kommt beim Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung Pilotfunktion zu

Bürgerrechtsgruppen setzen neben einer Demonstration in Berlin auf den Europäischen Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht

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Der Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung wird zur Zeit auf verschiedenen Ebenen koordiniert. In Berlin trafen sich am Freitag und Samstag Vertreter von Bürgerrechtsgruppen aus sieben europäischen Ländern zu einer Strategietagung. Beraten wurden weitere Schritte gegen die Vorratsdatenspeicherung. An dem Treffen waren European Digital Rights, die Europäische Dachorganisation von Datenschutzgruppen, sowie die AG Vorratsdatenspeicherung federführend beteiligt.

„Ziel des Treffens war der Erfahrungsaustausch der einzelnen Gruppen mit der Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in nationales Recht und die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie, um die Vorratsdatenspeicherung als einer der derzeit größten Bedrohungen für Demokratie, Bürgerrechte und Informantenschutz in Europa zu stoppen“, meinte der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath, der über die Auswirkungen der Informationstechnologie auf Sicherheitspolitik und Datenschutz forscht, auf einer Pressekonferenz am Freitagnachmittag.

Deutschland komme beim Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung eine Pilotfunktion zu, betont Bendrath. Das habe mehrere Gründe. In Deutschland gibt es mit dem Volkszählungsurteil eine Rechtsposition, auf die sich die Gegner der Datenspeicherung beziehen können. Außerdem trägt die kontinuierliche Arbeit weniger Aktiver jetzt Früchte. Während in den meisten europäischen Ländern der Widerstand gegen die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung hauptsächlich von Experten aus der Datenschutzszene getragen wurde, habe der AK Vorratsdatenspeicherung von Anfang an auf eine Mobilisierung in der Bevölkerung gesetzt. Diese im Vergleich zu anderen Ländern aktivistische Linie zeige sich in der für den 22. September geplanten Demonstration in Berlin. Solche Aktivitäten hat es in keinem anderen europäischen Land bisher nicht gegeben.

Ist die deutsche Richtlinie EU.Rechts-konform?

Doch neben der Sensibilisierung und Mobilisierung der Bevölkerung spielt die juristische Schiene im Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung ebenfalls eine wichtige Rolle. Deshalb trafen sich am Freitag in Berlin auf Einladung der Humanistischen Union die Beschwerdeführer der in Deutschland geplanten Verfassungsbeschwerden zu einem Arbeitstreffen. Daran haben unter anderem der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der ehemalige Innenminister von NRW, Dr. Burkhard Hirsch, die Humanistische Union sowie Rechtsexperten der Oppositionsparteien teilgenommen.

Rosemarie Will von der Humanistischen Union erklärte auf der Pressekonferenz, dass eine Entscheidung über die Klage Irlands vor dem Europäischen Gerichtshofs auf keinen Fall vor der Entscheidung des deutschen Bundestages über die Umsetzungsrichtlinie erfolgen werde. Hoffnungen, ein Erfolg Irlands könnte die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland erschweren, wenn nicht gar zeitweise stoppen, sind damit gegenstandslos.

Die Beschwerdeführer in Deutschland setzen eher auf den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dabei geht es um die Frage, ob die Richtlinie mit dem EU-Recht konform ist. Diese Frage verneinen die Bürgerrechtsgruppen. Will führte zur Begründung einige Beispiele an. Während auf EU-Ebene die Daten nur zur Abwehr schwerer Straftaten gespeichert werden dürfen, können nach der deutschen Richtlinie auch die Nachrichtendienste auf diese Daten zugreifen. Außerdem ist die Zweckbestimmung, die im Referentenentwurf noch vorlag, jetzt aus der Vorlage verschwunden. Dadurch aber ist die Richtlinie nach Ansicht von Will sowohl verfassungswidrig als auch nicht konform mit dem EU-Recht. Damit wäre das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beseitigt.

Bei der juristischen Auseinandersetzung wird es auch um die Frage gehen, ob es dieses Recht noch gibt. Das ist auch das Thema einer Fachtagung unter dem Motto Das Ende des Informanten- und Datenschutzes?, die am 17. September in Berlin stattfinden wird.