Die Große Pyramide von Dessau

Mit einem monumentalen Grabmal für Millionen von Menschen will ein Verein eine Geschäftsidee oder ein Kunstprojekt verwirklichen

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Im alten Ägypten haben die Pharaonen das bislang wohl massivste Maß für die Selbstdarstellung gesetzt. Die Pyramiden, in denen sie sich beerdigen ließen, wurden zu immer gewaltigeren Aufmerksamkeitsspektakeln, an denen der Blick der Menschen auch Tausende von Jahren danach noch festhängt. Der finale Narzissmus dient nun als Vorbild für ein Projekt der "Freunde der Großen Pyramide", die eben eine solche bei Dessau, eine der schrumpfenden Städte in Ostdeutschland, errichten wollen.

Bild: thegreatpyramid.org

Heute wird das Projekt, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes mit 89 000 Euro, der Öffentlichkeit im Rahmen eines "Pyramidenfestes" in Dessau vorgestellt. Der Plan, der von dem Schriftsteller Ingo Niermann und dem Wirtschaftswissenschaftler Jens Thiel ausgebrütet, ist so verwegen, dass der von ihnen gegründete Verein nicht nur Mitglieder, sondern auch bereits eine namhafte Jury für den Ideenwettbewerb anlocken konnte. Der Jury sitzt Rem Koolhaas vor, weitere Mitglieder sind Stefano Boeri (Herausgeber von „Abitare“), Prof. Omar Akbar (Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau), Ingo Niermann und Miuccia Prada.

150 Meter hoch soll die Pyramide auf einer Grundfläche von 220 x 220 Metern werden, die den ursprünglichen Zweck eines Grabmonuments mit dem Kommerz verbindet. Sie soll nämlich ein "Grab für Alle" werden, zumindest für all diejenigen, die sich in einer Pyramide ein Plätzchen für den ewigen Schlaf oder das Warten auf Wiederauferstehung kaufen. Ein Erinnerungsstein soll zwischen 200 und 400 Euro kosten, ein Grabstein mit einer Urne zwischen 500 und 700 Euro. Gebaut wird Zug um Zug, also erst dann, wenn ein weiterer Stein verkauft ist.

Präsentiert wird die Geschäftsidee allerdings als Demokratisierung des finalen Narzissmus: "Die eigene körperliche Existenz zu überdauern konnten die ägyptischen Pyramiden nur Wenigen versprechen. Nun steht dieser Weg allen Menschen offen." Thiel verspricht allerdings, dass jeder, der will, sein Grab in der Pyramide erhalten soll, auch wenn er es sich nicht leisten kann.

Die Große Pyramide dient potentiell jedem Menschen als Grab oder Erinnerungsstätte. Sie steht Angehörigen aller Nationalitäten und Religionen als ebenso monumentale wie preiswerte Grabstätte zur Verfügung. Wer nicht sein Urnengrab dort finden kann oder will, kann einen Erinnerungsstein für sich setzen lassen. Jedem steht es frei, seinen Stein zu gestalten, sei es mit Farben, Bildern oder als Relief. Stein um Stein wächst die Große Pyramide und kann das größte Bauwerk der menschlichen Kultur werden.

Freunde der Großen Pyramide

Man wolle, so heißt es keineswegs ironisch, sondern bierernst "die erste Völker, Kulturen und Religionen verbindende, international vermarktete Grab- und Erinnerungsstätte" schaffen. Um das Spektakelmonument des Todes herum könnten sich weitere Betriebe ansiedeln und Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region geschaffen werden: Hotels, Kirchen, Krankenhäuser, Bestattungsunternehmen …. Modern ist nicht nur die Vermarktung des Massengrabs, sondern auch das Material. Die "Große Pyramide" in der Nähe des Bauhauses soll nämlich aus Millionen von Betonquadern entstehen. Wie es um deren Lebensdauer steht, wird man möglicherweise abwarten können, zumal zu erwarten ist, falls das Projekt nicht doch nur ein Architektenscherz oder ein virtuelles Kunstwerk ist, dass die Große Pyramide als flache unansehnliche Ruine enden und gar nicht in die Höhe wachsen wird, in der die Aufmerksamkeit erst erweckt wird.