Öffentliche Toiletten bauen, die keiner benutzt, und Kinderspielplätze, wo die Kinder drum herum spielen

Interview mit dem Afghanistan-Veteranen Uwe Lampe

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Anders als bei amerikanischen Soldaten, die im Ausland stationiert sind, gibt es von deutschen Soldaten kaum Blogs oder andere Internet-Veröffentlichungen über ihre Erfahrungen. Eine Ausnahme ist das Kriegstagebuch von Uwe Lampe, der darin unter anderem von seinen Afghanistan-Erfahrungen aus den beiden vergangenen Jahren erzählt. Seine Berichte werfen einige Fragen zu diesem Bundeswehr-Einsatz auf, die wir dem Oberstleutnant der Reserve in einem zweiteiligen Interview stellten.

ISAF in Afghanistan. Karte: Wikimedia Commons Das Bild ISAF-Troops under NATO-Command, "Enduring Freedom"-Troops not included stammt aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Ben Titze.

In ihrem Kriegstagebuch sprechen Sie davon, dass der landeskundliche Teil bei den Vorbereitungen aus einem zweistündigen Kurs bestand. Was haben Sie da erfahren - und was nachher, während des Einsatzes?

Uwe Lampe: Der landeskundliche Teil - den ich ja dreimal erlebt habe - wurde in der Regel von jemanden vorgetragen, der vorher im Einsatz war. Das war Standardwissen über die geographischen und ethnischen Verhältnisse, sowie über kulturelle Dinge. Aber - wenn man so will - in ein paar Sätzen und in der Regel als Frontalunterricht. Mit der Maßgabe, dass man dann noch fünf oder zehn Minuten Zeit hatte, um Fragen zu stellen. Nur diejenigen, die sich dafür stärker interessieren, haben die Möglichkeit genutzt und auf den jeweilige Leitfaden für das Einsatzgebiet zurückgegriffen, den das Zentrum für Nachrichtenwesen bei der Bundeswehr herausgibt. Der wird alle paar Jahre aktualisiert und enthält detailliertere Informationen zum Einsatzgebiet. Er wird aber nicht jedem Soldaten angeboten, sondern nur auf Nachfrage.

Ich zitiere aus ihrem Kriegstagebuch zur Situation in Kundus: "Weil die meisten Soldaten ohnehin außerhalb des Lagers keine Aufträge wahrzunehmen hatten, gab es nur Kontakt zu den Einheimischen im Lager, vornehmlich der Lagerwache."

Uwe Lampe: Ja. Das trifft aber auch für die meisten anderen Einsätze zu. Vom (ohne die 500 Mann für den Tornadoeinsatz) 3.000 Mann starken Gesamtkontingent in Afghanistan gehören nur 400 zu den so genannten Einsatzkräften. Das sind diejenigen, die dann vornehmlich Patrouille fahren und Schutzaufgaben außerhalb des Lagers wahrnehmen.

Explizit in Kundus ist es so, dass dort in einem größeren Umfeld – also in einem Gebiet von 20-30 Quadratkilometern - Patrouille gefahren wird, um auch das eigene Lager zu schützen, weil es - und das ist ja auch kein Geheimnis - in der Vergangenheit immer wieder Raketenanschläge gegeben hat. Meistens durch selbst gebastelte Raketen. Solche Anschläge gab es nicht nur um das Gebiet Kabul (wo sie am häufigsten waren), sondern überall in Afghanistan. Aus diesem Grunde bestreift man immer wieder den Bereich, aus dem auf das Lager geschossen werden kann.

Dass man auch in der Stadt Aufgaben wahrnimmt – also, dass man sich zeigt -, hat sich in den letzten Jahren geändert. Im Augenblick gibt es in ganz Afghanistan keine Fußstreifen mehr. Die Soldaten der Einsatzkräfte nehmen Patrouillenaufgaben nur mehr in gepanzerten Fahrzeugen wahr. Und in einem Trupp oder einer Gruppe - also in 10-20 Mann Stärke.

Wer bewacht wen?

Ein weiteres Zitat aus ihrem Kriegstagebuch - da geht es um einen möglichen Deal mit den örtlichen Machthabern in Kundus: "Gefühlsmäßig konnte man sich jetzt aussuchen, wer wen wie bewachte. Die Afghanen uns vor Anderen oder uns davor, keine Dummheiten zu machen."

Uwe Lampe: Das Besondere daran ist, dass zum damaligen Zeitpunkt aufgrund von Vereinbarungen mit den dortigen Warlords die Lagerwache tatsächlich von den Afghanen durchgeführt wurde. Das war natürlich etwas skurril, weil die Lagerwache nicht nur auf den Türmen erfolgt, oder an der Mauer entlang. Diese jungen Afghanen hielten sich ja im gesamten Lager auf und hatten natürlich auch zu allen Bereichen, die nicht in festen Bauten untergebracht waren, freien Zutritt, waren aber nicht auf den ersten Blick als Soldaten zu erkennen. Sie trugen keine Uniformen, sondern landestypische Kleidung und die Kalaschnikow als Waffe.

Waren das reguläre Soldaten oder keine regulären Soldaten?

Uwe Lampe: Nein, nein - das sind keine regulären Soldaten in dem Sinne, wie jetzt die ISAF und die Amerikaner die ANA aufbauen. Die gehörten zu einem regionalen Warlord. ANA ist die Abkürzung für die afghanische Armee, die der Vereinbarung nach bis zu 70.000 Mann stark sein soll. Die Bundeswehr bildet in Kabul ein Panzerbataillon der ANA aus. Das ging ja auch vor einiger Zeit durch die Gazetten, als die Forderung kam, dass ein afghanisches Bataillon in den Süden verlegt werden sollte und wir Deutschen, nämlich die Ausbilder dazu, mitgehen sollten. Da kam die Frage auf, ob die das überhaupt dürften, weil sie im Süden Afghanistans in Kampfeinsätze geschickt worden wären.

Zwei Zitate noch zu Ihrer Zeit in Kundus: "Später merkte ich, dass die Dienstzeit mehr eine Anwesenheitsverpflichtung war, denn eine wirkliche Arbeitsbelastung." Und: "Mein Vorgänger hatte mir auch noch mitgegeben, dass er in seinen vier Monaten nicht ein einziges Mal außerhalb des Lagers war. Es sei immer genügend Arbeit vorhanden gewesen und zwar für jeden Tag in der Woche." Klingt irgendwie wie die Situation der Römerlager um das gallische Dorf in Asterix, falls Sie das kennen. Ist das tatsächlich so?

Uwe Lampe: Ja [lacht], jetzt sag' ich mal etwas scherzhaft, ein solcher internationaler Stab, da wird ja gearbeitet - aber nicht nur gearbeitet. Nun hat man natürlich die Möglichkeit, einen solchen Stab so mit Leben zu erfüllen, dass man den immer auf Touren hält - auf hohen Touren. Das bedeutet, dass man dann drei Besprechungen am Tag durchführt. Das ist - sage ich jetzt etwas ungeschützt - mehr eine deutsche Neigung, eine deutsche Eigenart. Denn etwas später, als wir in diesem Bereich nicht mehr die Führung hatten, sondern skandinavische Kameraden, veränderte sich das und es wurde nur noch eine Besprechung pro Tag durchgeführt, die im Prinzip auch vollkommen reicht. So viel tut sich da nicht immer.

Am Abend konnte man schon mal in eine Betreuungseinrichtung gehen. Sich in der dienstfreien Zeit außerhalb des Lagers aufzuhalten, war ja absolut tabu - und ansonsten hat man drei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist die Betreuungseinrichtung - was nichts anderes ist als die Kneipe für die Soldaten. Dann kann man in die Fitnesseinrichtung gehen oder man kann auf seiner Stube, die man zu dritt oder zu viert mit anderen teilt, lesen. Auf dem Dienstzimmer hat man meistens einen PC und kann vielleicht das Internet nutzen - deshalb bleibt man da sitzen.

Da schließt dann gleich meine nächste Frage an, nämlich die Schilderung der Vierbettzimmer, in denen andere Leute schnarchen und Computerspiele spielen. Führt das nicht zu einer Leistungsminderung durch Schlafentzug?

Uwe Lampe: In Kundus habe ich erlebt, dass Leute Ende November - zu dieser Zeit beginnt auch in Afghanistan der Winter - draußen vor der Hütte geschlafen haben, weil Sie das Schnarchen nicht aushalten konnten. Das ist schon vorgekommen. Standard waren Holzbaracken, in denen maximal vier Soldaten untergebracht wurden. Die einzige Ausnahme besteht für den Kommandeur und den Chef des Stabes. Die haben in der Regel Einzelunterkünfte. Alle anderen Soldaten, egal welchen Dienstgrades, schlafen zu dritt oder zu viert. Das ist die Regel. Und in Kundus war es sogar noch erschwerend auf Feldbetten, die nichts anderes sind als Gartenliegen.

Ist das ökonomisch sinnvoll? Der Aufwand, so eine Holzbaracke zu errichten, ist doch begrenzt, während der Schaden, der durch die aus Schlafentzug resultierende Leistungsminderung entsteht, Tag für Tag mehr wird.

Uwe Lampe: Die Frage ist berechtigt. Aber man gewöhnt sich an die Situation. Selbstverständlich schläft man dann mit Silikonohrstöpseln oder etwas Ähnlichem. Wenn man nicht in permanentem Schichtdienst ist, dann kann man durchaus auch um zehn oder halb elf ins Bett gehen und seine acht Stunden schlafen. Das ist dann schon machbar. Wie gut man dann nun im Einzelnen immer schläft, das ist eine ganz andere Sache.

In Bosnien hatte jeder Soldat seinen Einzelcontainer. Aber in Afghanistan ist das nicht der Fall, dort sind die Unterkünfte tatsächlich sehr beengt. In der Zeit, in der ich in Kabul war, war es so, dass ein größerer Teil, also ein paar hundert deutsche Soldaten, in Zelten schliefen, weil Sie da einfach etwas mehr Bewegungsfreiheit hatten.

Patrouillen, Verkehrstote und Unruhen

Sie schreiben von den sehr umfangreichen Warnhinweisen für Patrouillen in Kabul - und dass es im Ergebnis fast unmöglich ist, eine drohende Gefahr rechtzeitig zu erkennen.

Uwe Lampe: In der Stadt und im Umland Kabuls ist kein Soldat der ISAF-Kräfte zu Fuß unterwegs. Da fährt man nur mit seinen Fahrzeugen. In der Zeit, in der ich da war, bestand schon eine erhöhte Alarmsituation. Man durfte nur mit gepanzerten Fahrzeugen und mit Begleitfahrzeug fahren, weil wir Mitte November den Anschlag hatten, bei dem Oberstleutnant Franz zu Tode kam und zwei Feldjägern die Beine weggerissen wurden, weil Sie bei einem Unfall ausgestiegen waren.

Es gibt - und das habe ich vornehmlich bei den Amerikanern gemerkt – aber auch eine Fahrweise nach dem Motto: "Wenn ich das stärkere Fahrzeug habe, halte ich drauf zu und die Afghanen weichen aus." Die weichen auch aus, so dass es selten zu Kollisionen kommt.

Unsere Devise war, dass wir gesagt haben: "Wir fahren so, dass wir sehen, was da passiert." Dass wir eventuell noch ausweichen oder sonst etwas tun können, aber nicht so, dass wir sozusagen in der Staubglocke fahren und letzen Endes dann natürlich auch ein hohes Risiko für das Leben anderer Menschen sind. Denn letzten Endes sind ja dann die Afghanen, die an der Straße stehen, mehr als gefährdet. Hinzu kommt, dass sich zumindest in Kabul und im Umland das Meiste an den Straßen abspielt. Das heißt, die Männer (die Frauen sieht man ja nicht, die sind ganz selten auf der Straße) stehen an der Straße. Aus Neugierde und weil sie auch nichts zu tun haben - von den Arbeitsmöglichkeiten in Afghanistan braucht man ja nicht reden. Die stehen an der Straße, weil sich dort das Leben abspielt - und insofern ist das für die auch eine ständige Gefahr, wenn dort immer Autos hin und her brausen.

Im letzten Sommer gab es in Kabul einen großen Unfall mit amerikanischen Soldaten. Es war zwar nur ein Unfall von vielen, aber bei ihm starben viele afghanische Zivilisten. Das führte dazu, dass sich der aufgestaute Unmut entlud und in der Vier-Millionen-Stadt Kabul größere Unruhen ausbrachen.

Das Problem für die Bundeswehrsoldaten ist, dass Untersuchungen des ISAF-Hauptquartiers ergeben haben, dass die Afghanen die einzelnen Nationalitäten gar nicht unterscheiden können - das kann ja nicht einmal ein Mitteleuropäer. Ohnehin sind die Autos durch den Staub so verdreckt, dass man nicht einmal auf 10-15 Metern Entfernung die Nationalität des Fahrzeugs erkennen kann.

Das ist dann auch das "allgemein bekannte Besatzerverhalten", das Sie in Ihrem Kriegstagebuch erwähnen, oder?

Uwe Lampe: Ja, genau das. Wie gesagt, das ist etwas, was zu Hass in der einheimischen Bevölkerung führt. Die leiden ja entsprechend darunter und das merkt man.

Sie erwähnen, dass Sie den Antrag gestellt haben, mit zivilem Auto und in landestypischer Tracht zu fahren. Der ist aber nicht genehmigt worden. Mit welcher Begründung?

Uwe Lampe: Es gab leider keine Begründung. Weder in schriftlicher noch in mündlicher Form. Auf meine Nachfrage gab es nur den Hinweis, dass das die weiteren dafür zuständigen Abteilungen prüfen würden. Ich hatte das ja auch schriftlich eingereicht und mir wurde dann leider nur zwischen Tür und Angel gesagt, dass das nicht so gehen würde. Sinnigerweise traf ich letztes Jahr den Nachfolger des Militärpfarrers und der bestätigte mir, dass mein Nachfolger das dann tatsächlich durchsetzen konnte - nämlich in Zivil oder mit einem Taxi zu fahren.

Wichtig war ja für mich nur eins: wenn man mit einem Kleinfahrzeug jeden Tag dasselbe Ziel und dieselbe Strecke fahren muss, dann gehört man einfach zu denjenigen, die sozusagen auf dem Präsentierteller sind. Dann ist die Gefahr entsprechend hoch. Und die kann man natürlich minimieren, indem man das verschleiert und einfach sagt: "Okay, dann mach ich's anders." Denn hier muss man eins sehen: Andere Nationen (oder wir zum Teil auch mit unseren besonderen Kräften, wie beispielsweise dem Nachrichtendienst) fahren selbstverständlich mit privaten Fahrzeugen. Selbst Botschaftsangehörige kaufen sich dort irgendein altes Auto und sehen zum Teil auch zu, dass sie sich in landestypischer Tracht kleiden, um ja nicht aufzufallen.

Mischung aus polizeilichem Ordnungsdienst und bewaffneter Sozialarbeit

Sie schildern die Aufgabenstellung als eine Mischung aus polizeilichem Ordnungsdienst und bewaffneter Sozialarbeit und nennen solche Beispiele wie öffentliche Toiletten bauen, die keiner benutzt, Kinderspielplätze bauen, wo die Kinder drum herum spielen, und Krankenhäuser, für die es kein Personal gibt. Wie sieht das genau aus, was die Bundeswehr in Afghanistan macht?

Uwe Lampe: Wir haben ja unsere so genannten CIMIC-Kräfte. CIMIC ist die zivil-militärische Zusammenarbeit. Dort haben wir viele Ingenieure, Spezialisten wie Brunnenbohrer, Agrarwissenschaftler oder Menschen, die die Not leidende Bevölkerung mit Spielsachen, Nahrungsmitteln oder Ähnlichem versorgen. Das deckt CIMIC ab. In jedem Kontingent gibt es eine Einheit mit 100-150 Angehörigen der CIMIC-Kräfte, die sich um solche Dinge kümmern.

Diese Spezialisten sehen sich in einem Bereich - also beispielsweise in Kabul und Umgebung - punktuell die Dinge an und schauen, was wir machen können. Das funktioniert so, dass der jeweilige Ingenieur Verbindung zu den dortigen Dorfvorstehern aufnimmt. Dann fährt man da hin, unterhält sich und dann fragt man: 'was wollt ihr haben?' Oder man bietet etwas an - Schulen und so weiter stehen natürlich immer an erster Stelle.

Trotzdem kommen dann solche Dinge zustande wie eine nicht genutzte Krankenstation, die CIMIC 2004 zwanzig Kilometer von Kabul entfernt errichtet hat. Ich habe selbst miterlebt, dass zu den afghanischen Vertretern gesagt wird, dass sie ja eine solche Krankenstation gebrauchen könnten. Dann sagt der afghanische Vertreter: "Ja, das können wir." Das sagt er aber nicht unbedingt deshalb, weil sie die auch wirklich haben wollen, sondern er sagt das mehr aus Höflichkeit. Dass diese Station dann nicht angenommen wurde, liegt daran, dass der Afghane üblicherweise seine Angehörigen zuhause pflegt und nicht auf die Idee kommt, die zur Krankenstation zu bringen. Das Problem ist also nicht der Mangel an Pflegepersonal - das ist ja ohnehin klar -, sondern dass es schlichtweg keine Nachfrage nach einer solchen Krankenstation gibt.

Das Gleiche gilt auch für die Kinderspielplätze und die öffentlichen Toiletten. Die Afghanen haben in ihren Unterkünften und Häusern keine Toiletten. Das kennen sie nicht. Das, was wir tun, ist so gut, wie derjenige, der von der Bundeswehr den Auftrag erhalten hat, einschätzen kann, was für das jeweilige Dorf das Richtige ist. Das hängt davon ab, was der für ein Fingerspitzengefühl hat.

Wir haben den Kindern an einer Schule Stifte und Schreibmaterial zur Verfügung gestellt. Da denkt man eigentlich, da kann man nichts falsch machen. Wenn wir uns aber auf einen LKW stellen und - wie wir das ja aus den Nachrichten kennen - die Hilfsgüter abladen oder - noch schlimmer - in die Menge werfen, ist das mehr als unangemessen, vor allem wenn man eigentlich stundenlang Zeit dafür gehabt hätte. Es ist aus der Sicht der Afghanen etwas Entwürdigendes, wenn das Fremde tun und diese Leistung - in dem Fall Malstifte und Zeichenpapier - in die Masse der Kinder werfen und die Älteren stehen drum herum. Die Afghanen sagen nichts dazu. Aber es ist klar, dass die Verteilung der Hilfsgüter falsch abläuft.

10.000 deutsche Pistolen

Zu einem weiteren Verteilungsproblem, nämlich den 10.000 deutschen Pistolen und zu ihrer Kriegstagebuch-Aussage: "Aber wer glaubt daran, dass diese Kräfte [die von den Industrienationen ausgebildet werden] sich so verhalten, wie wir uns das wünschen. Heute ist allerorten zu sehen, wie die Straßenpolizeikräfte willkürlich abkassieren und die haben eine westliche Ausbildung genossen."

Uwe Lampe: Wenn eins in Afghanistan vorhanden ist, dann sind das Waffen. Und das gilt natürlich auch für viele andere Regionen dieser Welt - den Balkan eingeschlossen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob das wirklich angemessen ist. Denn wir bilden ja auch die Polizeikräfte mit aus. Dafür haben wir extra einen Sonderbotschafter abgestellt, der die oberste Polizeiführung unterstützen sollte. Und wir haben ja auch unsere Polizisten, die die Polizeiausbildung machen.

Das mit diesem Korruptsein, das kann ich auf das Beispiel zurückführen, wo es um eine Hilfslieferung von Krankenhausmaterial ging. Da reden wir über zwei gefüllte Großcontainer mit Röntgenapparaturen für ein afghanisches Krankenhaus im Wert von mehreren Millionen. Das war lange eingefädelt. Es handelte sich dabei um alte Bundeswehrbestände, die in einem Bundeswehrdepot zu liegen hatten. Ich war damit beauftragt, das mit zu koordinieren. Als diese Hilfslieferung ankam, mussten wir erst einmal überprüfen, ob da nicht noch Sprengstoff mit dabei ist usw. Ich schickte dann diese Hilfslieferung auf einen Weg innerhalb Kabuls, nicht länger als 10 km. Da wurde dieser Transport von örtlichen Kabuler Streifenpolizisten wieder angehalten und es wurde die Hand aufgehalten. Nur weil sich ein anwesender Botschaftsangehöriger vehement dagegen stellte, hat der dann in dreistündigen Verhandlungen erreicht, dass nicht gezahlt wurde.

Aber in der Regel - auch wenn so eine Situation selten ist - wird da gezahlt. Und auf der Strecke nach Bagram - das ist 80 Kilometer von Kabul entfernt und Standort der Amerikaner - hat man zehn Polizeistationen zu absolvieren. Da fährt man dran vorbei und wenn die wollen - und immer wieder passiert das -, dann stehen die auf und kontrollieren. Und nehmen auch Wegezoll.

Sie äußerten sich dahingehend, dass eine Aufstockung des Engagements in Afghanistan Ihrer Ansicht und Erfahrung nach militärpolitisch ein Desaster wäre. Können Sie hierzu noch genaueres sagen?

Uwe Lampe: ich gehe sogar etwas weiter. Wir Soldaten haben ja auch gelernt, eine vernünftige Lagefeststellung zu machen und systematisch vorzugehen. Wenn man all diese Dinge, die jetzt im Raum stehen, faktisch aufführen und eine Lagebeurteilung machen würde, dann kämen die meisten Militärs, die das gelernt haben (und da reden wir jetzt über Offiziere und solche, die Truppenführung gelernt haben), zu dem Schluss, dass das so nicht positiv aufgehen kann. Außer man ist bereit, da tatsächlich um ein Vielfaches aufzustocken und zu sagen: "Wir bleiben da noch viele weitere Jahrzehnte." Aber unter den jetzigen Voraussetzungen ist das nicht umsetzbar.

Wir haben im Augenblick insgesamt in Afghanistan 40.000 bis 45.000 Kräfte - ausgenommen die Blackstone-Soldaten, die werden ja nicht mitgezählt, weil sie keinen Kombattantenstatus haben. Die Russen wurden aus dem Land gejagt, als sie noch 60.000 Soldaten hatten. Und meine militärische Folgerung ist die - und ich denke, die wird auch von sehr, sehr vielen Militärs geteilt -, dass sich im Augenblick abzeichnet, dass sich die wesentlichen Kräfte in Afghanistan - nicht nur die Taliban und nicht nur die Warlords, sondern auch die Drogenbarone - gegen alle Kräfte von außen mehr und mehr vereinen.

Und das ist eine Situation, wie sie seinerzeit bei den Russen auch war und in der wir wirklich keinen Blumentopf gewinnen können. Das ist nicht machbar, weil dieses Bündnis dann jeder größeren Streitmacht haushoch überlegen ist.

Sie haben zwar keine Armeen, aber sie haben die Möglichkeiten, uns solche Nadelstiche zu verpassen, wie wir sie jetzt immer mehr abbekommen. Und wenn diese Nadelstiche noch mehr werden, dann werden wir uns zusammenziehen und sagen: "Jetzt müssen wir gerade da bleiben." Aber das ist vom Planerischen her nicht angemessen. Da kann ich nicht so vorgehen und das außen vorlassen. Wenn man heute Militärs danach fragen würde, ob das sinnvoll ist oder nicht - und sie würden anonym antworten können – würden die Meisten von Ihnen vermutlich sagen: "Nein danke!" - auch und gerade die, die Auslandserfahrung haben.