Klimaschutz bei Weißbrot und Majo

Jeder Mensch darf die gleiche Menge an Treibhausgasen produzieren. Dieser Grundsatz, den Klimaschutzexperten seit Jahren diskutieren, scheint sich zur neuen Prämisse der Klimaschutzdiplomatie zu entwickeln

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Zum 10. Geburtstag des Kyoto-Abkommens schwelgte die, laut Forbes, "mächtigste Frau der Welt", nicht nur in Erinnerungen, wie sie eine Woche lang bei Weißbrot, Mayonaise und Käse die Aushandlung des Kyoto-Abkommens aussaß - während der argentinische Verhandlungsführer Raul Estrada-Oyuela mit geschickter Diplomatie das Vertragswerk bis zur Unterschriftsreife durch das Interessensgemenge der anwesenden Ländervertreter dirigierte. Sie stellte auch den neuen, scheinbar egalitären Ansatz gleicher Verschmutzungsrechte für alle vor und machte ihn zum roten Faden und multifunktionellen Anknüpfungspunkt ihrer Asienreise.

Ein neues Mantra

Zum ersten Mal wurde ausgesprochen, was als neues Mittel geeignet scheint, die Ziele des Kyoto-Abkommens doch noch zu erreichen und ein Scheitern zu verhindern. Aus eigener Kraft waren die unterzeichnenden Industriestaaten bisher nicht in der Lage, ihre selbstgesteckten Ziele zu erfüllen. Der neue Ansatz fand bei den beiden Gastgeberländern China und Japan aus ganz unterschiedlichen Gründen Zustimmung. China, das als neuer Klimasünder gilt, aber pro Einwohner nur ein Drittel des europäischen CO2-Ausstoßes verursacht, und Japan, das noch 12% von seinen Kyoto-Zielen entfernt liegt, verbinden jeweils eigene Hoffnungen damit. So könnte China von weiteren Entwicklungskooperationen, also Technologietransfer für sauberere Industrieanlagen, profitieren und Japan könnte seine Verpflichtungen mithilfe der flexiblen Kyoto-Mechanismen ins Ausland transferieren.

Selbst China, das pro Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb nimmt, steht im Vergleich zu Industrieländern wie Deutschland oder auch dem EU-Durchschnitt eigentlich gut da. Das bietet Spielraum für die neue Leitlinie, durch Länder-Kooperationen CO2-Emissionen aus dem eigenen Land auch in Schwellenländern anrechnen zu lassen. Sollte China jedoch sein Recht nur umsetzen und aufschließen, wird sich die Erderwärmung weiter beschleunigen. (Grafik: Brake)

Das Kyoto-Protokoll wurde 1997 als Zusatzprotokoll zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen ausgehandelt. Das Abkommen trat in Kraft, nachdem es 2002 von 55 Staaten ratifiziert worden war, die zusammen mehr als 55% der weltweiten CO2-Emissionen verursachen. Während seiner Geltungsdauer von 2005 bis 2012 schreibt es für alle Unterzeichnerstaaten erstmals verbindliche Zielwerte für die Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen fest. Das Abkommen ist damit der erste völkerrechtlich bindende Vertrag mit dem Ziel, die menschengemachte Erderwärmung aufzuhalten. Das Protokoll sieht vor, den jährlichen Treibhausgas-Ausstoß der Industrieländer bis zum Zeitraum 2008-2012 um durchschnittlich 5,2% gegenüber 1990 zu reduzieren. Für die EU ist eine Senkung der Emissionen um insgesamt 8% vorgesehen.

Am allgemeinen Wachstumstrend der wichtigsten Treibhausgase hat sich bisher aber kaum etwas geändert. Mit Zusammenbruch der osteuropäischen Staaten bestand die Hoffnung auf leichtem Wege große Mengen CO2 weniger in die Atmosphäre zu blasen. Im Anschluss an die Demontage der Altanlagen hat sich aber kaum noch etwas getan. Vielmehr steigt der Energieverbrauch, wenn auch vermindert, weiter und macht so die Emissionsminderungen durch Effizienzfortschritte wieder zunichte.

Noch immer ist es nicht gelungen das gewünschte Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln. Die Hoffnung einer Entwicklung der Industriestaaten hin zu dematerialisierten Dienstleistungsgesellschaften harrt noch ihrer Verwirklichung, während die Logistik des globalisierten Handels asiatische Billigwaren in immer größeren Mengen produzieren lässt und unters Volk bringt. Volkswirtschaftliche Effizienz, gemessen in Bruttosozialprodukt pro Energie, wird durch den steigenden Energieverbrauch wieder zunichte gemacht.

Schweizer Messer der Klima-Diplomatie

Trotz alledem erweist sich das Kyoto-Protokoll immer mehr als Schweizer Messer der Diplomatie - um so mehr, je näher der Zeitpunkt des Nichterreichens der Emissionsziele im jeweils eigenen Land rückt. Wenn auch die menschengemachte Erderwärmung wohl nicht gestoppt werden kann, so erweist sich das Protokoll schon jetzt als kooperationsfördernd und könnte letztlich sogar friedensstiftend wirken. Seine Ziele sind nicht starr vorgegeben und die vorgesehenen flexiblen Mechanismen werden nicht nur 2012 global die rechnerische Erfüllung der Kyoto-Ziele ermöglichen, vielmehr werden sich bis dahin notwendigerweise vielfältige Kooperationen mit den so genannten Schwellen- und Entwicklungsländern bilden.

Die Bali-Konferenz wird diese Entwicklung weiter fortschreiben. Schon jetzt ist das Thema Klimaschutz eine Metapher, die auf jeder Konferenz und bei jedem Staatsbesuch für Tischgespräche und Ansprachen herhalten kann und zu jeweils neuen Vereinbarungen und Kooperationserklärungen führt. Was sonst könnte so gemeinschaftsstiftend und positiv konnotiert sein? Militäreinsätze in Afghanistan? Humanitäre Aktionen am Horn von Afrika? Die Klimadiplomatie erlaubt die Zusammenarbeit auf friedlichem Weg, sich auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und auszubauen.

Das Kyoto-Abkommen trat 2002 in Kraft, nachdem 55 Staaten, die zusammen mehr als 55% der weltweiten CO2 Emissionen verursachen ratifiziert haben. (Grafik: Wikpedia)

Die Flexiblen Mechanismen des Kyoto-Abkommens werden es den Unterzeichnerstaaten erleichtern, die vorgesehenen Reduktionen zu erreichen. Der Emissionsrechtehandel verfolgt die Idee Emissionen dort einzusparen, wo dies am kostengünstigsten möglich ist. Dazu wird vom Staat an alle am Emissionshandel teilnehmenden Unternehmen pro Jahr eine vorher festgelegte Menge an Emissionszertifikaten ausgegeben. Alle Firmen bekommen dabei weniger Zertifikate zugeteilt, als sie für den laufenden Betrieb ohne Modernisierungsmaßnahmen benötigen. Sobald der Marktpreis für ein Zertifikat höher steigt als die Investition zur Einsparung derselben Menge an Treibhausgasen kostet, werden Firmen daher tendenziell in energieeffizientere Produktionsverfahren investieren. In der übernächsten Runde wird der Emissionshandel wahrscheinlich grenzüberschreitend stattfinden.

Joint Implementations sind kooperative Maßnahmen von zwei oder mehr Industrieländern, die erreichte Emissionsminderung können sie sich anteilig anrechnen lassen. Das ermöglicht Ländern mit relativ hohen spezifischen Kosten der Emissionsreduktion, ihren Verpflichtungen durch Investitionen in Länder mit leichter erzielbaren Einsparungen nachzukommen. Grundidee war insbesondere durch die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten deren industrielle Modernisierung zu fördern.

Vom Clean Development Mechanism spricht man, wenn ein Industrieland Maßnahmen zur CO2-Reduktion in einem Entwicklungsland durchführt. Da der Ort einer Emissionsreduktion weniger relevant für den globalen Klimaschutz ist als die Verminderung von Treibhausgasen an sich, können emissionsreduzierende Maßnahmen dort verwirklicht werden, wo sie am kostengünstigsten sind. Der Clean Development Mechanism wird nicht nur zu mehr Technologietransfer in Entwicklungsländer führen, sondern auch Umweltschutzmaßnahmen, Schutzprogramme für den Regenwald oder Wiederaufforstungsprogramme initiieren.

Hier setzt die neue Leitlinie "Jeder Mensch darf die gleiche Menge an Treibhausgasen produzieren" an. Gastgeber China sieht es gerne, trotz der wöchentlichen Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks, nicht mehr am CO2-Pranger zu stehen. Gastgeber Japan sollte seine Emissionen laut Kyoto-Verpflichtung eigentlich um 6% Prozent gegenüber 1990 senken, hat sie aber bis jetzt um weitere 6% gesteigert. Und hört es deshalb gerne, wenn zukünftig Entwicklungshilfemaßnahmen oder Aufforstungsprojekte in anderen Ländern die eigenen Verpflichtungen doch noch erreichen lassen.

Weltweit verfehlen Kanada, Spanien und Österreich ihre Kyoto-Ziele bisher um jeweils rund 30%. Deutschland steht relativ gut da, dank des Zusammenbruchs der ostdeutschen Industrie ist das Land nur noch 3% von seinem Emissionsminderungsziel entfernt. (Grafik: Brake)

Ein geschickter Schachzug ist der Vorschlag, weltweit einheitliche Obergrenzen für Treibhausgase pro Kopf anzustreben. Das holt die Schwellenländer mit ins Boot, die das Klima immer stärker belasten, rein mengenmäßig bei der Pro-Kopf-Emission aber viel besser dastehen als die Industrieländer. Klimaschutz schafft aber auch neue Anknüpfungspunkte zu alten Freunden. Der größte Klimasünder, der sich noch nicht ins Boot holen lassen will, sind bekanntlich die USA. Hier bemühte sich Walter Steinmeier eine Koalition mit Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger zu schmieden, ohne den in der Schlussphase seiner Amtszeit schon fast bedeutungslosen George Bush.

Seit der Umbau der ostdeutschen Industrie abgeschlossen ist, tut sich in Deutschland kaum noch etwas in Sachen Treibhausgasreduzierung. Der Verbrauch an Primärenergie beträgt im Vergleich zu 1997 noch immer 97,5% und der Ausstoß an CO2 95,9% im Vergleich zu 1997. (Grafik: Brake)

Kyoto ist völkerrechtlich bindend, doch kaum ein Land fühlt sich daran gebunden, die Emissionen steigen fast ungebremst weiter. Auch Deutschland liegt trotz deutlicher Erfolge noch über drei Prozentpunkte von seiner Zielmarke entfernt. Der vermeintliche Klimamusterschüler Deutschland ist auch ein Musterbeispiel dafür, was passiert, wenn der Klimaschutz konkret werden soll. Lobbyisten, vor allem aus der Energiewirtschaft und der Autoindustrie, höhlen Gesetze und Vorschriften aus. Allen Klimaschwüren zum Trotz werden weiter Kohlekraftwerke gebaut und bleibt das Steuerprivileg für spritfressende Dienstwagen erhalten. Um das neue Ziel von 40% niedrigeren Treibhausgasemissionen bis 2020 zu schaffen, muss hierzulande deutlich nachgelegt werden, will Merkel weitere Erfolge als Klimaretterin feiern. Möglich ist das nur durch überstaatliche Klima-Kooperationen.